Urteil des OLG Köln vom 05.08.2003

OLG Köln (culpa in contrahendo, kläger, agb, beförderung, sendung, geschäftsbedingungen, tatsächliche vermutung, verhältnis zu, haftung, die post)

Oberlandesgericht Köln, 3 U 28/03
Datum:
05.08.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
3. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 U 28/03
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 14 O 171/02
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 23.01.2003 verkündete Urteil
der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bonn (14 O 171/02)
teilweise abgeändert:
Unter Abweisung der weitergehenden Klage wird die Beklagte verurteilt,
an den Kläger 3.948,32 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz seit dem 30.07.2002 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
1
I.
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Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen des Abhandenkommens
dreier in der Zweigstelle der Beklagten in E. eingelieferter Paketsendungen, die die
Beklagte im Wege des von ihr angebotenen "Freeway"-Dienstes befördern sollte und
die nach Behauptung des Klägers jeweils Brillanten enthielten, die dieser zuvor an
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verschiedene Kunden veräußert hatte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die
tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts in seinem Urteil vom 23.01.2002 (Bl. 111
– 113 GA) Bezug genommen.
Das Landgericht hat mit der angefochtenen Entscheidung die Klage abgewiesen. Zur
Begründung hat es im Wesentlichen darauf abgestellt, dass der Kläger durch die
Einlieferung der Brillanten gegen die von ihr der Beförderung zugrundegelegten
Allgemeinen Geschäftsbedingungen PAKET/EXPRESS NATIONAL, Stand 01.03.2002
(im Folgenden: AGB), verstoßen habe. Zwar hindere die Einlieferung von
"ausgeschlossenen Sendungen" (Verbotsgut), zu denen nach den Allgemeinen
Geschäftsbedingungen der Beklagten auch Edelsteine gehörten (Valoren II. Klasse),
nicht das Zustandekommen eines Transportvertrags. Der Kläger habe als Einlieferer
jedoch eine Vertragsverletzung (culpa in contrahendo) begangen, mit der Folge, dass
die Beklagte so zu stellen sei, wie sie stehen würde, wenn der Einlieferer sie auf den
tatsächlichen Wert der Sendung hingewiesen hätte. Eine Einigung über die Einlieferung
der Sendung wäre dann nicht erfolgt, so dass die Beklagte auch keine Haftung getroffen
hätte. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Darstellung in den
Gründen der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (Bl. 125 – 126 GA).
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Mit der Berufung erstrebt der Kläger die volle Verurteilung der Beklagten zum
Schadensersatz. Er tritt der Annahme des Landgerichts entgegen, dass die von der
Beklagten gestellten AGB wirksam in das Vertragsverhältnis einbezogen worden seien.
Jedenfalls ergebe sich die Unwirksamkeit der AGB aus § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB n. F.
bzw. aus § 449 Abs. 2 HGB. Überdies verstoße die Beklagte durch
Haftungsausschlüsse der vorliegenden Art gegen die
Postuniversaldienstleistungsverordnung. Die Beklagte habe daher gemäß § 435 HGB
wegen qualifizierten Verschuldens in vollem Umfang Schadensersatz zu leisten, da die
Ursache für den Verlust der Sendung – unstreitig – nicht aufzuklären sei.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Bonn vom
23.01.2003, AZ.: 14 O 171/02, zu verurteilen, an ihn 7.896,63 € nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem
30.07.2002 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Sie wiederholt ihrerseits ihren
erstinstanzlichen Sachvortrag und bestreitet weiterhin Inhalt und Wert der Sendung. Sie
hält die von ihr gestellten AGB für wirksam in den Vertrag einbezogen und nicht aus
anderen Gründen für unwirksam. Ergänzend weist sie darauf hin, dass es sich bei den
sog. Freeway-Paketsendungen um briefähnliche Sendungen handele.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die in beiden
Instanzen gewechselten Schriftsätze sowie die zu den Akten gereichten Urkunden und
Unterlagen ergänzend Bezug genommen.
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II.
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Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers hat im
erkannten Umfang Erfolg. Das Landgericht hat eine Haftung der Beklagten dem Grunde
nach für den eingetretenen Sendungsverlust zu Unrecht abgelehnt. Soweit es die
Schadenshöhe angeht, kann die Berufung nur teilweise Erfolg haben, weil die Beklagte
für den eingetretenen Schaden nicht in vollem Umfang zu haften hat.
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1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte gemäß den §§ 425 Abs. 1, 428, 435 HGB
ein Schadensersatzanspruch wegen des Verlustes der am 15. und 17.05.2002 bei
der Zweigstelle der Beklagten in E. eingelieferten drei Paketsendungen zu.
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Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass mit der Einlieferung der
Sendung bei der Zweigstelle der Beklagten ein Frachtvertrag im Sinne des § 407
Abs. 1 HGB zustande gekommen ist. Dem steht auch Abschnitt 2 Abs. 2 der von der
Beklagten dem Beförderungsvertrag zugrundegelegten AGB der Deutschen Post AG
für den Frachtdienst Inland nicht entgegen. Soweit die Beklagte in Abschnitt 2 Abs. 2
Ziffer 6 der AGB Valoren II. Klasse von der Beförderung ausschließen will, hindert
dies das Zustandekommen eines Frachtvertrages nicht. Denn die Beklagte hat von
der in Abschnitt 2 Abs. 3 Ziffer 1 ihrer AGB eingeräumten Möglichkeit, ein auf die
Beförderung von ausgeschlossenen Sendungen gerichtetes Vertragsangebot
abzulehnen, keinen Gebrauch gemacht, sondern die Sendung tatsächlich und ohne
Vorbehalt befördert. Zutreffend weist das Landgericht zur Begründung seiner
Annahme, dass die Beförderung auf der Grundlage eines wirksamen
Vertragsschlusses durchgeführt worden ist, darauf hin, dass die Beklagte selbst von
dem Vorliegen eines wirksamen Vertrages ausgeht, wenn sie sich in Abschnitt 2 Abs.
4 ihrer AGB eine Anfechtungsmöglichkeit gerade für den Fall, dass der Kunde
ausgeschlossene Güter zur Beförderung aufgegeben hat, ausbedingt.
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Der Beförderungsvertrag ist nicht durch die von der Beklagten erklärte Anfechtung
gemäß den §§ 123 Abs. 1, 142 Abs. 1 BGB unwirksam.
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Soweit die Beklagte in Abschnitt 2 Abs. 4 der AGB "bereits jetzt", also zum Zeitpunkt
der Einlieferung der Sendung, die Anfechtung des Beförderungsvertrags wegen
Täuschung erklärt hat, ist dies bereits deshalb unwirksam, weil eine
Anfechtungserklärung nicht unter einer Bedingung, nämlich der nachträglichen
Kenntniserlangung über die Aufgabe von ausgeschlossenen Sendungen, abgegeben
werden kann (vgl. nur Palandt/Heinrichs, BGB, § 143 Rn. 2 m. w. N.).
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Auch die mit den Schreiben der Beklagten vom 30.07.2002 betreffend die Sendungen
an die Firmen H. und X. erklärten Anfechtungen sind, wie auch das Landgericht
zutreffend angenommen hat, unwirksam. Ein zur Anfechtung berechtigendes
arglistiges Verhalten im Sinne des § 123 Abs. 1 BGB würde voraussetzen, dass der
Kläger positiv Kenntnis davon hatte, ein Gut einzuliefern, welches die Beklagte nach
ihren AGB (Abschnitt 2 Abs. 2) nicht befördern wollte. Für diese (subjektiven)
Voraussetzungen hat die Beklagte aber nichts vorgetragen. Soweit sie im Schriftsatz
vom 02.06.2003 darauf verwiesen hat, dass der Kläger als sorgfältiger
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Geschäftsmann hätte feststellen können und müssen, dass die Beklagte die
Einlieferung von "Verbotsgut" nicht wünschte, folgt hieraus keine Arglist, sondern
allenfalls ein den Kläger treffender Fahrlässigkeitsvorwurf. Da der Kläger auch auf
den Freeway-Paketmarken keine (unzutreffenden) Wertangaben gemacht hat,
vermag der Senat eine positive Kenntnis des Klägers von dem von der Beklagten
erwünschten Beförderungsausschluss bestimmter Güter nicht festzustellen. Bezüglich
der Sendung R. ist entgegen der Sachdarstellung der Beklagten im Schreiben vom
30.07.2002 (Bl. 28 GA) keine ausdrückliche Anfechtung erklärt worden. Die Beklagte
hat sich hier lediglich auf das Vorliegen eines Haftungsausschlusses berufen.
Dass sich der Verlust der Sendungen im Obhutsbereich der Beklagten ereignet hat,
ist unstreitig, wobei auch dahinstehen kann, inwieweit sich die Beklagte zur
Ausführung der Beförderung weiterer Subunternehmer bedient hat, weil sie für deren
evtl. Verschulden gemäß § 428 HGB ohnehin einstehen muss.
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2. Von der grundsätzlich gegebenen Haftung für den Sendungsverlust kann sich die
Beklagte nicht gemäß Abschnitt 2 Abs. 2 Ziffer 6, Abschnitt 6 Abs. 2 Satz 4 ihrer
AGB freizeichnen. Indes sind die Geschäftsbedingungen der Beklagten entgegen
der Auffassung des Klägers wirksam in den Frachtvertrag einbezogen worden. Da
der Kläger als eingetragener Kaufmann im Sinne des § 14 Abs. 1 BGB
Unternehmer ist, richtet sich die Einbeziehung der allgemeinen
Geschäftsbedingungen nach § 310 Abs. 1 Satz 1 BGB (n. F.). Sie kann daher
ungeachtet der Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB auch dadurch erfolgen,
dass lediglich auf die allgemeinen Geschäftsbedingungen hingewiesen wird. Ein
dementsprechender Hinweis befindet sich auf den jeweiligen Freeway-
Paketmarken.
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Die Einbeziehung der AGB der Beklagten scheitert nicht an § 305 c Abs. 1 BGB. Ein
Haftungsausschluss in allgemeinen Geschäftsbedingungen ist nicht überraschend,
sondern branchentypisch.
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Die Beklagte ist ferner nicht aufgrund des von ihr im Februar 2002 verfassten
Rundschreibens gehindert, sich auf die in ihren AGB vom 01.03.2002 enthaltenen
Haftungsausschlüsse zu berufen. Die Beklagte hat in dem Rundschreiben erklärt, bis
zur Bereitstellung des Sonderdienstes "Valuepack" mit Wirkung zum 01.07.2002
auch nach Inkrafttreten ihrer AGB vom 01.03.2002 die in diesen
Geschäftsbedingungen enthaltene Ausschlussregelung für Schmuck, Uhren und
Edelsteine mit einem Warenwert über 500,00 € nicht zur Anwendung zu bringen. Aus
der dem Kläger ebenfalls zur Kenntnis gelangten "Kurzinformation Valuepack/AGB-
Änderung vom 18.02.2002" (Bl. 38 GA) ergibt sich jedoch, dass die
Ausschlussregelungen nur im Verhältnis zu sog. Bestandskunden (mit individuellen
vertraglichen Vereinbarungen im Bereich Paket/Express) nicht gelten sollten und für
Filialkunden (solche ohne schriftliche Individualvereinbarung) lediglich eine
Übergangsfrist bis zum 02.04.2002 gewährt werden sollte. Darauf kann sich der
Kläger schon deshalb nicht berufen, weil die Einlieferung der hier streitigen Waren
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nach diesem Zeitpunkt (nämlich am 15. bzw. 17.05.2002) stattgefunden hat.
Eine zur Unwirksamkeit der allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten
führende unangemessene Benachteiligung ihrer jeweiligen Vertragspartner im Sinne
des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB durch den von dem Kläger behaupteten Verstoß der Post
gegen die Post-Universaldienstleistungsverordnung durch Vereinbarung von
Haftungsausschlüssen sieht der Senat nicht. Auch nach Inkrafttreten der neuen AGB
der Beklagten erbringt diese weiterhin Dienstleistungen im Paketverkehr gemäß § 3
PUDLV, auch soweit es sich um Wertsendungen handelt, die den Wert von 500,00 €
übersteigen. Denn der neue Dienst "Valuepack" steht grundsätzlich allen Versendern
offen und nicht nur, wie der Kläger meint, Geschäftskunden. Richtig an der
Auffassung des Klägers ist lediglich, dass Voraussetzung zum Versand der Pakete
eine entsprechende vertragliche Vereinbarung (Geschäftskundenvertrag) mit der Post
ist (siehe Kurzinformation Valuepack/AGB-Änderung vom 18.02.2002; Bl. 38 GA).
Dass die Beklagte hierfür ein höheres Beförderungsgeld verlangt, ist angesichts der
höherwertigen Beförderungsgüter nach Auffassung des Senats sachlich gerechtfertigt
(vgl. § 6 Abs. 2 PUDLV).
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Gleichwohl scheitert im Ergebnis eine Haftungsfreizeichnung der Beklagten an § 449
Abs. 2 Satz 1 HGB. Nach dieser Vorschrift kann von der grundsätzlichen Haftung des
Frachtführers nur dann abgewichen werden, wenn die Vereinbarung zwischen den
Parteien im einzelnen ausgehandelt worden ist. An einer solchen
Individualvereinbarung fehlt es hier. Der Frachtvertrag hat auch nicht die Beförderung
von Briefen oder briefähnlichen Sendungen zum Gegenstand, für die in § 449 Abs. 1
Satz 1 HGB eine Haftungsfreizeichnung dem Grunde nach möglich ist. Die
Begründung zum Regierungsentwurf des TRG nimmt auf den Begriff des Briefes im
Sinne des Postgesetzes Bezug (vgl. Koller, Transportrecht, § 449 HGB, Rn. 29). Das
Postgesetz definiert eine Briefsendung in § 4 Nr. 2 Satz 1 als adressierte schriftliche
Mitteilung. Darunter fällt die Paketsendung von Schmuck nicht. Unter briefähnlichen
Sendungen werden den Briefen nach der Art ihrer Beförderung verwandte Güter, wie
Info-Post, Postwurfsendungen, Zeitungen, Zeitschriften oder Päckchen, nicht aber
Paketsendungen und sonstige Frachtpost verstanden (vgl. Koller, a. a. O.). Während
die Sonderregelung für Briefe oder briefähnliche Sendungen durch die
Besonderheiten des postalischen Massenverkehrs legitimiert wird – die Mehrzahl der
zu befördernden Briefsendungen und ein Teil der briefähnlichen Sendungen werden
nämlich ohne direkten Kundenkontakt über Briefkästen eingeliefert –, gibt es für die
vorliegenden Sendungen keine derartige Legitimation. Die Pakete müssen am
Postschalter gegen Aushändigung des Einlieferungsbelegs abgegeben werden. Es
findet im Gegensatz zu den Briefsendungen also ein direkter Kundenkontakt statt, so
dass es der Beklagten organisatorisch möglich wäre, den Wert des zu befördernden
Guts durch entsprechende Erklärungen des Kunden abzuschätzen. Die
Besonderheiten des postalischen Massenverkehrs, die entgegen § 449 Abs. 2 HGB
eine Haftungsfreizeichnung ermöglichen, liegen hier also gerade nicht vor.
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Der Haftungsausschluss für "ausgeschlossene Sendungen" auch für den Fall des
qualifizierten Verschuldens der Beklagten ist daher gemäß § 449 Abs. 2 HGB
unwirksam. An seine Stelle treten die gesetzlichen Bestimmungen (§ 306 Abs. 2
BGB). Der Vertrag wäre nur dann insgesamt unwirksam, wenn das Festhalten an ihm
auch unter Berücksichtigung der nach § 306 Abs. 2 BGB vorgesehenen Änderungen
eine unzumutbare Härte darstellen würde (§ 306 Abs. 3 BGB). Die Vorschrift ist eng
auszulegen. Abzustellen ist nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sondern
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auf den der Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Vertrag. Auf Seiten des
Verwenders führt die Unwirksamkeit durchweg zu einer Verschlechterung seiner
Rechtsstellung. Dies ist aber sein Risiko und rechtfertigt grundsätzlich nicht die
Anwendung des § 306 Abs. 3 BGB. Für den Verwender kann eine unbillige Härte in
der Regel nur dann entstehen, wenn durch den Wegfall der Vertragsbestimmungen
das Vertragsgleichgewicht grundlegend gestört wird. Eine solche Störung ist hier
nicht anzunehmen, weil bei einer Haftung wegen qualifizierten Verschuldens die
Nichtbeachtung der Regelung über den Ausschluss von der Beförderung im Rahmen
des Mitverschuldens berücksichtigt und bei vorsätzlichem Verstoß gegen die
Regelung ein Schadensersatzanspruch des Absenders im Hinblick auf eine eigene
Haftung aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo) entfallen
oder eingeschränkt werden kann.
3. Die Haftung der Beklagten für den eingetretenen Sendungsverlust ist nicht auf die
Höchstbeträge des § 431 Abs. 1 HGB beschränkt. Diese Haftungsbegrenzung gilt
gemäß § 435 HGB dann nicht, wenn der Schaden auf eine Handlung oder
Unterlassung zurückzuführen ist, die der Frachtführer oder eine in § 428 HGB
genannte Person vorsätzlich oder leichtfertig und in dem Bewusstsein, dass ein
Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde, begangen hat. Nach der neueren
Rechtsprechung des BGH hat das TRG in Bezug auf die Darlegungslast des
Beförderers keine grundsätzlichen Änderungen erfahren (vgl. nur BGH, TranspR
2002, 448, 451). Daher gilt weiterhin, dass den Frachtführer die prozessuale
Obliegenheit trifft, darzulegen, dass und welche organisatorischen Maßnahmen er
ergriffen hat, um den Schaden abzuwenden (OLG Köln, TranspR 2001, 364, 366).
Diese allgemeinen Rechtsprechungsgrundsätze zur sekundären Darlegungslast
sind auch auf die Beklagte als Massengutfrachtführerin anwendbar (BGH,
TranspR 2002, 458). Danach ist es Sache der Beklagten, zur ordnungsgemäßen
Organisation des Transportablaufs nachvollziehbare Angaben zu machen.
Unterlässt sie dies, so besteht eine tatsächliche Vermutung für das qualifizierte
Verschulden im Sinne des § 435 HGB (BGH, TranspR 2002, 458; OLG Köln,
TranspR 2001, 364, 366; 2001, 1445, 1446; Koller, Transportrecht, § 435 HGB Rn.
21). Da im Streitfall konkrete Angaben der Beklagten zur Organisation des
Transports, insbesondere zur Schnittstellenkontrolle fehlen, verbleibt es bei dem
zuvor aufgezeigten Grundsatz, nach dem ein qualifiziertes Verschulden des
Frachtführers vermutet wird (BGH, TranspR 2002, 458; OLG Köln, TranspR 2001,
364, 366; 2001, 1445, 1446; OLG Hamburg, TranspR 1996, 304; Koller, TranspR,
§ 435 HGB Nr. 21). Ist danach von einem bewusst leichtfertigen
Organisationsverschulden auszugehen, obliegt es auch dem Frachtführer, gegen
die Schadensursächlichkeit sprechende Umstände darzutun. Gelingt ihm dies
nicht, spricht auch hier die Vermutung für ein im Hinblick auf die
Schadenswahrscheinlichkeit bewusstes Verhalten (OLG Köln, TranspR 2001,
1445, 1446).
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4. Soweit die Beklagte im Berufungsrechtszug weiterhin an ihrem Bestreiten des
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Sendungsinhalts und des Werts festhält, hat sie hiermit keinen Erfolg. Darlegungs-
und beweispflichtig für den Sendungsinhalt ist zwar grundsätzlich der Absender.
Mit Urteil vom 24.10.2002 (I ZR 104/00 = TranspR 2003, 156 ff.; = MDR 2002, 649
f.) hat der BGH klargestellt, dass die Darlegungslast des Anspruchstellers für den
Sendungsinhalt erheblich vereinfacht sein kann. Danach kann der Beweis u.a. für
die Anzahl der übergebenen Frachtstücke von dem Anspruchsberechtigten
grundsätzlich auch durch eine von dem Frachtführer oder seinem Fahrer
ausgestellte Empfangsbestätigung geführt werden. Unabhängig von der
Beweiskraft einer solchen Empfangsbestätigung lassen sich aus diesen
Grundsätzen im Streitfall für den Kläger keine günstigen Rechtsfolgen ableiten.
Eine Empfangsbestätigung des Frachtführers liegt nicht vor, sondern lediglich die
Einlieferungsbelege vom 15. und 17.05.2002, auf denen der Kläger selbst
Eintragungen vorgenommen hat. Gleichwohl ist nach der vorbezeichneten
neueren Rechtsprechung des BGH der Tatrichter nicht gehindert, sich die
Überzeugung von der Richtigkeit der Behauptung der Klägerin, die behaupteten
Waren seien übergeben worden, auf andere Weise zu verschaffen. Im
gewerblichen Bereich spricht nach der allgemeinen Lebenserfahrung eine hohe
Wahrscheinlichkeit dafür, dass an den gewerblichen Kunden exakt die bestellten
und sodann berechneten Waren versandt worden sind. Liegt ein solcher Fall vor,
dann ist prima facie anzunehmen, dass die in einem evtl. vorhandenen
Lieferschein und der dazu korrespondierenden Rechnung aufgeführten
Gegenstände in dem Behältnis waren. Es obliegt dann dem Schädiger, den
zugunsten des Versenders streitenden Anscheinsbeweis durch substantiierten
Vortrag zu erschüttern (BGH a. a. O.).
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Auch im Streitfall kann sich der Kläger auf den Anscheinsbeweis berufen. Zwar
liegen keine Lieferscheine vor, jedoch Rechnungen des Klägers vom 15., 17. und
27.05.2002, mit denen er die Waren gegenüber seinen Ankäufern fakturiert hat.
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Dass sich aus der Rechnung des Klägers an die Firma H. in N. vom 17.05.2002 (Bl.
21 GA) lediglich das Karatgewicht und die Stückzahl der versandten Brillanten ergibt,
hält der Senat im Hinblick auf den Anscheinsbeweis für unschädlich. Gleiches gilt für
die an die Firma X. in O. ausgestellte Rechnung des Klägers vom 15.05.2002. Der
zugunsten des Klägers streitende Anscheinsbeweis betreffend den Sendungsinhalt
wird nicht durch die Tatsache, dass die an die Firma R. in F. ausgestellte Rechnung
des Klägers nach dem Schadensfall, nämlich auf den 27.05.2002 datiert, erschüttert.
Der Senat hält dies so lange für unbedenklich, wie die Rechnung nicht erst nach dem
Bekanntwerden des Schadensfall erstellt worden ist. Der Kläger konnte jedoch
frühestens von dem Sendungsverlust durch Schreiben der Beklagten vom 30.05.2002
(Bl. 28 GA) in Kenntnis gesetzt werden. Dass Rechnungen erst nach dem
Versanddatum der Ware erstellt und versendet werden, spricht nicht für ein
manipulatives Vorgehen des Klägers.
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Den Beweis des ersten Anscheins hat die Beklagte auch im Übrigen nicht zu
erschüttern vermocht, weil sie keinen anderen Geschehensablauf vorgetragen,
sondern den Sendungsinhalt lediglich mit Nichtwissen bestritten hat.
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Was den Wert der Sendung angeht, kommt dem Kläger die Vermutung des § 429
35
Abs. 3 Satz 2 HGB zugute, weil die Schmuckstücke unmittelbar vor Übernahme zur
Beförderung an die Firmen H., R. und X. verkauft worden sind. Den sich aus den
Rechnungen ergebenden Netto-Warenwerten sind die Beförderungskosten gemäß §
432 HGB hinzuzurechnen. Der Kläger hat diese mit jeweils 5,00 € angesetzt, die der
Senat für angemessen erachtet. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
konnte über die Höhe der Beförderungskosten insoweit jedenfalls Einigung mit den
Parteien erzielt werden. Danach ergibt sich folgender Schadensbetrag:
Sendung an die Firma Giesers: 4.883,80 €
Sendung an die Firma R.: 550,20 €
Sendung an die Firma X : 2.452,63 €
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insgesamt: 7.896,63 €.
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5. Einem Ersatzanspruch des Klägers in voller Schadenshöhe steht aber ein
Mitverschulden des Klägers gemäß § 254 BGB entgegen. Denn der Absender
begeht seinerseits durch die Aufgabe von Sendungen, die nach den AGB des
Frachtführers nicht befördert werden sollen, eine Vertragsverletzung, die aus dem
Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen (culpa in
contrahendo) im Rahmen des zu ersetzenden Schadens bedeutsam werden kann.
Im Gegensatz zur Annahme des Landgerichts führt dies aber nicht zwangsläufig
zu einem vollständigen Haftungsausschluss, sondern das Verhalten des
Absenders ist im Rahmen der nach § 254 BGB vorzunehmenden Abwägung
wertend zu berücksichtigten. Danach gilt folgendes:
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Die Versendung wertvoller Schmuckstücke im Wege des Freeway-Paketdienstes der
Beklagten erscheint riskant. Zwar darf ein Postkunde erwarten, dass die Beklagte
durch geeignete Sicherheitssysteme die Gefahr des Abhandenkommens von
Sendungen minimiert. Die Gefahr von Diebstählen und Unterschlagungen von
Transportgut während der Beförderung lässt sich aber nicht vollständig
ausschließen. Mit einem gewissen Verlustrisiko im Rahmen des postalischen
Massenverkehrs muss der Postkunde rechnen. Überdies hat die Beklagte auf ihre
AGB hingewiesen, in denen unter Abschnitt 2 Abs. 2 diejenigen Güter aufgeführt
sind, die sie grundsätzlich nicht befördern will. Bei Kenntnis der Beklagten vom Inhalt
der Ware hätte sie die Beförderung gemäß Anschnitt 2 Abs. 3 ihrer AGB ablehnen
oder den Absender auf eine andere Transportart verweisen können (dazu auch BGH,
NJW 2002, 3255, 3257; TranspR 2002, 458; 2002, 452, 457; OLG Hamburg, TranspR
1996, 304, 305; TranspR 2001, 443, 445). Der Absender begibt sich nach der zuvor
zitierten Rechtsprechung des BGH in einen beachtlichen Selbstwiderspruch, wenn er
einerseits die Sache aufgibt, obwohl er weiß oder wissen müsste, dass der
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Frachtführer die Haftung hierfür ablehnt, andererseits im Schadensfall aber den
vollen Ersatz verlangt.
Nach alldem hat eine Schadensquotierung entsprechend den beiderseitigen
schuldhaften Verursachungsbeiträgen stattzufinden. Zu Lasten der Beklagten ist zu
berücksichtigen, dass von einem groben Verschulden im Sinne des § 435 HGB
auszugehen ist. Andererseits hat auch die Beklagte ein Interesse daran, dass ihr nicht
Waren "aufgedrängt" werden, die sie nach ihren Geschäftsbedingungen nicht
befördern will. Dem könnte sie allerdings auch durch einen deutlichen Hinweis in
dem Einlieferungsschein auf die von der Beförderung ausgeschlossenen Sendungen,
insbesondere das unter Abschnitt 2 Abs. 2 Nr. 6 ihrer AGB aufgeführte "Verbotsgut"
begegnen. Da bei der Aufgabe der Sendungen zum Versand ein direkter
Kundenkontakt stattfindet, könnten sich Mitarbeiter der Beklagten auch, ohne dass
dies mit nennenswertem Zeitaufwand verbunden wäre, bestätigen lassen, dass die
Sendung kein "Verbotsgut" enthält. Eine unzulässige Feststellung des
Sendungsinhalts durch die Beklagte wäre bei einer solchen Handhabung nicht
gegeben. Der Kläger seinerseits hat in Kenntnis des Warenwerts auf eine besonders
gesicherte Sendungsart verzichtet. Ferner hätte er bei kritischer Überprüfung der
Kurzinformation Valuepack/AGB-Änderung der Beklagten vom 18. Februar 2002
erkennen müssen, dass die den Filialkunden bis zum 02.04.2002 gewährte
Übergangsfrist im Hinblick auf die Aufgabe von Verbotsgut zum Zeitpunkt der
Aufgabe der Sendung bereits abgelaufen war, und daher nicht darauf vertrauen
dürfen, dass die Beklagte weiterhin Wertsachen ohne gesonderte Vereinbarung und
ohne jeglichen Haftungsausschluss befördern wollte. Ferner hat es der Kläger
unterlassen, die Beklagte auf den Eintritt eines ungewöhnlich hohen Schadens
hinzuweisen (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB).
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An der Kausalität der Pflichtverletzung des Klägers für den eingetretenen Schaden
zweifelt der Senat nicht. Hätte der Kläger die Beklagte bei Einlieferung auf den Wert
der Sendung hingewiesen, hätte die Beklagte entsprechend ihren AGB die
Beförderung ablehnen können oder den Beklagten auf eine besonders gesicherte Art
der Beförderung, etwa auf den Werttransportdienst, verweisen können.
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Unter Berücksichtigung der zuvor aufgezeigten Umstände bewertet der Senat die
Verschuldens- und Verursachungsanteile des Klägers und der Beklagten in etwa
gleich. Der Kläger kann daher von der Beklagten die Hälfte des eingetretenen
Schadens, mithin einen Betrag von 3.948,32 € verlangen.
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Die Beklagte befindet sich seit dem 30.07.2002 in Verzug, weil sie mit den jeweiligen
Ablehnungsschreiben vom 30.07.2002 (Bl. 24, 28, 32 GA) ihre Leistungspflicht
verneint hat. Die Höhe des Zinssatzes ergibt sich aus den §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288
Abs. 1 Satz 2, 247 BGB in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz.
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6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Der Senat lässt die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu, da die Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung hat. Sie wirft Rechtsfragen auf, die in einer unbestimmten
Vielzahl von Fällen auftreten können. Zur Frage der Wirksamkeit der in Abschnitt 2
Abs. 2, Abschnitt 6 Abs. 2 der AGB der Beklagten für den Frachtdienst Inland
(PAKET/EXPRESS NATIONAL) enthaltenen Haftungsausschlussklausel erscheint
im Hinblick auf § 449 Abs. 2 HGB eine Leitentscheidung des Revisionsgerichts
notwendig, weil klärungsbedürftig ist, auf welche Weise das Verhalten des
Absenders, der Verbotsgut zur Beförderung aufgibt, zu berücksichtigen ist.
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Streitwert für das Berufungsverfahren: 7.896,63 €
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