Urteil des OLG Köln vom 07.12.2007

OLG Köln: geschäftsführung ohne auftrag, abmahnung, zustellung, verfügung, erlass, gesetzesmaterialien, entstehungsgeschichte, anwendungsbereich, zwangsvollstreckung, kostenersatz

Oberlandesgericht Köln, 6 U 118/07
Datum:
07.12.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 118/07
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 31 O 1029/07
Normen:
UWG § 12 Abs. 1; BGB §§ 683 S. 1, 677, 680
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 10.05.2007 verkündete
Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 31 O 1029/06 -
abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen,
die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Kostenerstattungsanspruchs
abzuwenden, wenn nicht diese zuvor Sicherheit in gleicher Höhe
leisten.
Die Revision wird zugelassen.
B E G R Ü N D U N G
1
I.
2
Die Klägerin hat in einer wettbewerbsrechtlichen Angelegenheit am 11.07.2006 beim
Landgericht Köln den Erlass von auf Unterlassung gerichteten einstweiligen
Verfügungen (Aktenzeichen 31 O 513/06 und 31 O 514/06) gegen die Beklagten erwirkt.
Ohne die Zustellung der Beschlussverfügungen zu veranlassen bzw. die Titel zu
erwähnen, hat sie die Beklagten mit anwaltlichen Schreiben vom 13.07.2006 wegen der
im Verfügungsverfahren verfolgten Verletzungshandlung abmahnen lassen. Nachdem
die Beklagten die vorbereiteten strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärungen
nicht abgegeben haben, hat sie am 20.07.2006 die Zustellung der Titel bewirkt, welche
im Verfahren nach Widerspruch der Beklagten durch Urteil der Kammer bestätigt und
3
inzwischen als endgültige Regelung anerkannt worden sind.
Die Klägerin begehrt nunmehr Freistellung von den Kosten der anwaltlichen
Abmahnschreiben vom 13.07.2006. Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom
10.05.2007, auf das hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie der
Fassung der Anträge gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird,
stattgegeben. Die Kammer hat hierbei die Auffassung vertreten, dass sich der
Freistellungsanspruch in unmittelbarer Anwendung des § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG
ergebe. Gegen diese Beurteilung wenden sich die Beklagten mit ihrem Rechtsmittel.
4
II.
5
Die Berufung ist zulässig und in der Sache begründet. Der Klägerin steht unter keinem
rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Freistellung von den für die
Abmahnschreiben vom 13.07.2006 entstandenen Rechtsanwaltsgebühren zu.
Insbesondere trägt § 12 Abs. 1 UWG das Erstattungsbegehren nicht, und zwar weder in
unmittelbarer noch in analoger Anwendung der Vorschrift.
6
1.
7
Nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Zweck regelt § 12 Abs. 1 UWG
ausschließlich den Ersatz für die Kosten vorgerichtlicher Abmahnungen, bietet indes
keine Rechtsgrundlage für die Erstattung von Abmahnkosten in Fällen, in welchen die
Abmahnung erst nach Erlass einer (auf den nämlichen Unterlassungsanspruch
gerichteten) einstweiligen Verfügung des Wettbewerbsgerichts ausgesprochen wird.
8
§ 12 Abs. 1 Satz 1 UWG stellt ausdrücklich – nur – auf die Situation "vor Einleitung
eines gerichtlichen Verfahrens" ab. Nach Wortlaut und Syntax ("Soweit …") schließt
Satz 2 der Vorschrift unmittelbar an den Regelungsinhalt von Satz 1 an und bietet
deshalb keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass in Erweiterung des durch § 12 Abs.
1 Satz 1 UWG definierten Anwendungsbereichs weitergehend jedwede Abmahnung
erfasst werden sollte und also auch eine erst nach Einleitung eines gerichtlichen (Eil-
)Verfahrens ausgesprochene.
9
Ebenso deuten Entstehungsgeschichte und Zweck des erst durch die Novellierung im
Jahr 2004 in das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb eingeführten § 12 Abs. 1
UWG auf eine Anwendung nur auf vorgerichtliche Abmahnungen hin. Ausweislich der
Gesetzesmaterialien ist die Abmahnung "ein Mittel zur außergerichtlichen
Streitbeilegung" (vgl. Bundestags-Drucksache 15/1487, dort Seite 25). Es entspricht
deshalb einhelliger Auffassung, dass die Vorschrift neben der Warnfunktion für den
Verletzer auch der Vermeidung gerichtlicher Verfahren dient (vgl. BGH GRUR 2006,
439, 440 – nicht anrechenbare Geschäftsgebühr; Senat OLGR Köln 2002, 153;
Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 25. Aufl., § 12 Rn. 1.4; Fezer-Büscher,
UWG, § 12 Rn. 3; Harte/Henning-Brüning, UWG, § 12 Rn. 3; Teplitzky,
Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren; 9. Aufl., Kap. 41 RN. 7). Liegt indes
schon ein Unterlassungstitel vor, verfehlt eine gleichwohl noch ausgesprochene
Abmahnung auch dann, wenn der Schuldner hiervon mangels Zustellung noch nichts
weiß, ihren Zweck, den Parteien und im Übrigen den Gerichten ein Verfahren zu
ersparen.
10
2.
11
Ob eine analoge Anwendung des § 12 Abs. 1 UWG auf Fälle, in welchen eine
Abmahnung erst nach Erwirken, aber noch vor Zustellung eines – deshalb auch als
Schubladen- oder Vorratsverfügung bezeichneten – Titels ausgesprochen worden ist,
überhaupt in Betracht kommt, oder ob an dessen Stelle allenfalls ein Rückgriff auf die
Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag denkbar ist, kann offen bleiben.
Der Senat folgt nämlich der von dem OLG München mit Urteil vom 09.03.2006 (GRUR-
RR 2006, 176 – Schubladenverfügung) vertretenen Auffassung, dass die Kosten der
fraglichen Abmahnung nicht "erforderlich" sind im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG
und dass einer Ersatzfähigkeit über §§ 683 Satz 1, 677, 680 BGB die Kosteninteressen
des Schuldners entgegen stehen.
12
Das OLG München hatte vor markenrechtlichem Hintergrund und deshalb vorrangig im
Anwendungsbereich der nach den Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag
entwickelten Erstattungsansprüche über die Kosten einer anwaltlichen Abmahnung in
einer dem vorliegenden Fall entsprechenden Verfahrenssituation zu entscheiden. Der
dortige Senat hatte deshalb den Willen des Abgemahnten zu erforschen, wobei er seine
die Voraussetzungen eines Anspruchs aus Geschäftsführung ohne Auftrag (wie im
Übrigen auch die aus einer mittelbaren Anwendung des § 12 Abs. 1 UWG) verneinende
Auffassung im Wesentlichen mit entgegenstehenden Kosteninteressen des Schuldners
begründet hatte, nämlich damit, dass ihm infolge der Abmahnung die Möglichkeit
verwehrt geblieben war, mittels sofortiger Unterwerfung die Kostenfolge des § 93 ZPO
im Verfügungsverfahren herbeizuführen. Diese Ansicht hat in der Literatur Zustimmung
gefunden, und zwar auch für auf Verletzungshandlungen im Anwendungsbereich des
Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb bezogene Abmahnungen (so ausdrücklich
Teplitzky a.a.O. Kap. 41 Rn. 86, Fn. 406 und Kap. 54, Rn. 24 a, Fn. 145 und Köhler,
Rechtsprechungsübersicht zum Recht des unlauteren Wettbewerbs (Teil 5), GRUR-RR
2006, 209, 213; vgl. auch Bornkamm a.a.O. § 12 Rn. 1.58 und 1.80; MünchKomm-UWG-
Ottofülling, § 12 Rn. 132 und Fn. 403; im Ergebnis zustimmend Schulz, WRP 2007, 589,
593).
13
Der Senat folgt auch für den Bereich des Wettbewerbsrechts dieser maßgeblich auf die
Kosteninteressen des Verletzers abstellenden Beurteilung. Bei der gebotenen
objektiven Betrachtung erfüllt nämlich eine noch nach Erlass, aber vor Zustellung einer
einstweiligen Verfügung ausgesprochene Abmahnung nicht mehr ihren gesetzlich
vorgesehenen Zweck, eine gerichtliche Auseinandersetzung von vorneherein zu
vermeiden.
14
Hinzu kommt, dass unabhängig von seiner auf die wettbewerbsrechtliche
Verletzungshandlung bezogenen materiell-rechtlichen Anspruchsberechtigung der
Abmahnende keinen Schutz verdient vor den durch die Abmahnung weiter
entstehenden Kosten. Nachdem er sich infolge der positiven Bescheidung seines
Verfügungsantrags bereits einen deutlichen Informationsvorsprung vor seinem Gegner
verschafft hat, wohnt der gleichwohl unter Verschweigen dieses gerichtlichen Erfolges
ausgesprochenen Abmahnung nebst Aufforderung zur
Unterlassungsverpflichtungserklärung ein gewisses Täuschungspotential inne.
Solcherart über die tatsächlichen Umstände im Ungewissen gelassen zu werden, liegt
aber grundsätzlich nicht im Interesse des Schuldners.
15
Die vorstehenden Grundsätze haben unabhängig davon zu gelten, welchen weiteren
Verlauf das Geschehen auf die nachträgliche Abmahnung hin genommen hat. In
16
Ansehung des Bedürfnisses nach einer einheitlichen Handhabung in allen Fällen, in
welchen eine Abmahnung noch nach Erlass, aber vor Zustellung einer einstweiligen
Verfügung ausgesprochen worden ist, verbietet sich nämlich eine Differenzierung je
nach Reaktion des Schuldners auf die Abmahnung; die Konsequenz, dass im Einzelfall
(und so auch vorliegend) derjenige Abmahnungsempfänger, der mangels Zustellung
von dem bereits existenten Unterlassungstitel nichts weiß und sich (zu Unrecht) nicht
sofort auf die Abmahnung unterwirft, sondern es auf die Durchführung eines
Gerichtsverfahrens ankommen lässt, mit Blick auf den Kostenersatz für das
Abmahnschreiben besser gestellt wird als der Schuldner, dessen Gläubiger wie im
Regelfall zunächst abmahnt und erst bei Fruchtlosigkeit ein Verfügungsverfahren
einleitet, ist hinzunehmen.
Entsprechende Beurteilungskriterien würden auch im Rahmen einer analogen
Anwendung des § 12 Abs. 1 UWG gelten. Die Vorschrift ist, worauf in den
Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 15/1487 a.a.O.) ausdrücklich hingewiesen wird, aus den
zuvor von der wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung angewendeten Regeln über die
Geschäftsführung ohne Auftrag entstanden. Der Senat folgt deshalb der in dem
angefochtenen Urteil zutreffend dargestellten überwiegenden Meinung, dass auch im
Rahmen des § 12 Abs. 1 UWG Kosteninteressen des Schuldners einzubeziehen sind.
Nach Maßgabe dieser Voraussetzung sind die Kosten einer nachträglichen Abmahnung
aber aus den vorstehend ausgeführten Gründen nicht im Schuldnerinteresse und
deshalb auch nicht "erforderlich" i.S. des Gesetzes.
17
3.
18
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
19
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11,
711 ZPO.
20
Der Senat hat im Interesse einer einheitlichen Rechtsprechung zur Frage des
Kostenersatzes von erst nach Erwirken einer einstweiligen Verfügung ausgesprochenen
Abmahnungen die Revision zugelassen.
21