Urteil des OLG Köln vom 09.07.2002

OLG Köln: avb, versicherungsschutz, vollmacht, vertreter, versicherungsnehmer, anwaltskosten, öffentlich, prozessvertretung, bevollmächtigung, erfüllung

Oberlandesgericht Köln, 9 U 169/01
Datum:
09.07.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 169/01
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 24 O 490/00
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln
vom 20.9.2001 - Az.: 24 O 490/00 - abgeändert und die Klage
abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 I ZPO a.F. abgesehen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige, insbesondere statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und
begründete Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
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Obwohl die Klage in erster Instanz von zwei Personen erhoben wurde - den
Rechtsanwälten W (Kläger zu 1) und S (Kläger zu 2) -, erging das erstinstanzliche Urteil
ausweislich des insoweit maßgeblichen Rubrums versehentlich allein zugunsten des
Klägers zu 1). Dementsprechend hat die Beklagte auch allein hinsichtlich des Klägers
zu 1) Berufung eingelegt. Nur der Kläger zu 1) und die Beklagte sind Partei des
vorliegenden Berufungsverfahrens.
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Dem nach Schluss der mündlichen Verhandlung vom Kläger zu 1) und alleinigen
Berufungsbeklagten gestellten Antrag, den Rechtsstreit gem. § 148 ZPO bis zur
Entscheidung über einen Berichtigungsantrag beider Kläger gem. § 319 ZPO vom
17.6.2002 zurückzustellen, konnte nicht stattgegeben werden. Die Voraussetzungen
des § 148 ZPO liegen nicht vor. Weder ist der Berichtigungsantrag in einem "anderen
Rechtsstreit" im Sinne dieser Vorschrift anhängig noch liegt Vorgreiflichkeit vor. Die
Entscheidung über die vorliegende Berufung ist vielmehr gänzlich unabhängig von der
Frage, ob das Landgericht das Rubrum seines Urteils vom 20.9.2001 durch
nachträgliche Aufnahme des Klägers zu 2) "berichtigt". Vielmehr dürfte eher der
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Berichtigungsantrag vom 17.6.2002 durch das Ergebnis des vorliegenden
Berufungsverfahrens seinen praktischen Sinn einbüßen.
In der Sache war die Klage abzuweisen, weil dem Kläger zu 1) und Berufungsbeklagten
ein Anspruch auf Zahlung von 12.682,59 DM aus § 1 I 1 VVG in Verbindung mit §§ 1, 3
II, 5 AVB-A - der einzigen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage - nicht zusteht.
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Es ist bereits zweifelhaft, ob sich der Versicherungsschutz vorliegend überhaupt auf den
Kläger zu 1) erstreckt. Vertragspartei des Versicherungsvertrages und
Versicherungsnehmer der Beklagten ist nach dem eigenen Vorbringen der Kläger in
erster Instanz allein der Kläger zu 2). Ob der Kläger zu 1) im Versicherungsschein
namentlich als mitversicherter Sozius aufgeführt ist und dadurch gem. § 7 I 2 AVB-A am
Versicherungsschutz partizipiert, ist ungeklärt. Der Kläger zu 1) trägt hierzu nichts vor,
obwohl die Beklagte dies ausdrücklich bestritten und behauptet hat, der Kläger zu 1)
unterhalte eine eigene Berufshaftpflichtversicherung bei der W2 Versicherungs-AG, bei
der er den streitgegenständlichen Schadensfall auch gemeldet habe.
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Letztlich kann diese Frage jedoch offenbleiben, weil ein Anspruch des Klägers zu 1)
gegen die Beklagte aus anderen - rechtlichen - Gründen ausscheidet.
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Die Parteien sind sich einig, dass der Gegenstand der Versicherung durch § 1 der AVB-
A definiert wird, dessen Inhalt wie folgt lautet:
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Der Versicherer gewährt dem Versicherungsnehmer Versicherungsschutz
(Deckung) für den Fall, dass er wegen eines bei der Ausübung beruflicher Tätigkeit
- von ihm selbst oder einer Person, für die er einzutreten hat - begangenen
Verstoßes von einem anderen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen
privatrechtlichen Inhalts für einen Vermögensschaden verantwortlich gemacht wird.
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Die Kläger haben Ende 1995 auf Aufforderung eines langjährigen Mandanten im
Namen einer Frau L einen Anspruch in Höhe von 9 Mio. DM im Mahnverfahren geltend
gemacht. Als die Gerichtskasse die Gerichtsgebühr von 14.952,50 DM anforderte, stellte
sich heraus, dass eine Bevollmächtigung durch Frau L nicht nachweisbar war. Die
Gerichtskasse nahm daher die Kläger in Anspruch, die auch zahlten. Außerdem zahlten
die Kläger 750,29 DM an Rechtsanwaltsgebühren an die Rechtsanwälte, die Frau L zur
Abwehr ihrer Inanspruchnahme durch die Gerichtskasse mandatiert hatte.
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Die Inanspruchnahme des Klägers zu 1) aus dem vorgenannten Sachverhalt erfolgte
nicht aufgrund einer gesetzlichen Haftpflichtbestimmung privatrechtlichen Inhalts.
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Unter gesetzlichen Haftungsbestimmungen versteht man Rechtsnormen, die
unabhängig vom Willen der Beteiligten an die Verwirklichung eines dem
Versicherungsschutz unterfallenden Ereignisses Rechtsfolgen knüpfen (BGH VersR
1971, 144; Prölss / Martin, VVG, § 1 AHB Rn 3; § 1 AVB-WB Rn 1; Späte, AHB § 1 Rn
125). Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 1970 (VersR
1971, 144) ausgeführt, dass § 179 BGB diese Voraussetzung erfülle, und zwar auch
dann, wenn ein Vertreter ohne Vertretungsmacht auf Erfüllung in Anspruch genommen
werde. Auch in diesem Fall beruhe seine Verpflichtung nicht auf einer vertraglichen
Vereinbarung, sondern trete ohne seinen Willen kraft Gesetzes ein. Dass der Anspruch
sich auf Erfüllung richte, sei lediglich eine Frage des Anspruchsinhalts, habe jedoch mit
dem Charakter des Anspruchsgrundes nichts zu tun.
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Gleichwohl lässt sich vorliegend eine Eintrittspflicht der Beklagten unter Berufung auf
die zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs und die darin angestellten
Überlegungen nicht begründen.
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Zum einen passt die auf § 179 BGB abstellende Begründung allenfalls auf die von den
Klägern gezahlten Gerichtskosten. Demgegenüber ist keine Haftpflichtbestimmung
ersichtlich, nach der die Kläger Frau L gegenüber verpflichtet gewesen wären, die
Anwaltskosten für die Beratung durch die Rechtsanwälte E und Partner zu übernehmen.
Mangels eines Mandatsverhältnisses scheiden Ansprüche aus p.V.V. aus.
Deliktsrechtliche Vorschriften decken diesen reinen Vermögensschaden ebenfalls nicht
ab. Insoweit sind die Voraussetzungen des § 1 AVB-A nicht erfüllt mit der Folge, dass
die Beklagte für die Anwaltskosten auch nicht eintrittspflichtig ist.
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Zum anderen ergibt sich auch hinsichtlich der Gerichtskosten die Haftung der Kläger
nicht aus einer gesetzlichen Haftpflichtbestimmung privatrechtlichen Inhalts. Die
Inanspruchnahme der Kläger stützt sich primär nicht auf § 179 BGB, sondern auf § 49
GKG. Damit unterscheidet sich der vorliegende Fall deutlich von dem Sachverhalt, den
der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung VersR 1971, 144 zu beurteilen hatte, und
in dem es um die Haftung eines Architekten aus § 179 BGB ging, der ohne Vollmacht
einen Handwerker beauftragt hatte.
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§ 49 GKG begründet zwischen dem Kostenschuldner und der Staatskasse ein
Verhältnis öffentlich-rechtlicher Art (BGH MDR 1997, 198). Öffentlich-rechtlicher
Kostenschuldner ist der Antragsteller. Es besteht Einigkeit, dass dies in der Regel der
Mandant und nicht der Rechtsanwalt ist. Nur wenn er ohne Vollmacht gehandelt hat,
wird der Rechtsanwalt ausnahmsweise als Antragsteller behandelt und muss die
Kosten selbst tragen (OLG Koblenz, JurBüro 1997, 536; Hartmann § 49 Rn 4). Dieses
Ergebnis wird von der Rechtsprechung indes nicht mit den Vorschriften des BGB zur
Stellvertretung begründet, zumal die Prozessvollmacht in §§ 80 ff. ZPO jenseits der
allgemeinen Vorschriften des materiellen Zivilrechts eigenständig geregelt ist. Der
Bundesgerichtshof hat sogar ausdrücklich entschieden, die Schuldnerstellung gemäß §
49 GKG sei von der Frage einer wirksamen Bevollmächtigung "unabhängig" (BGH MDR
1997, 198). Für die Kostenschuldnerschaft sei vielmehr maßgeblich, wer die
Antragstellung veranlasst habe (BGH MDR 1997, 198; 1993, 1249; 1983, 292:
"Veranlasserprinzip").
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Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung und Literatur zu § 89 ZPO, der die
prozessualen Folgen einer vollmachtlosen Prozessvertretung regelt. Allerdings regelt
die Vorschrift lediglich die "bewusst vollmachtlose" Vertretung. § 89 I ZPO bestimmt,
dass der Vertreter auch ohne Vollmacht einstweilen zugelassen werden kann, jedoch
für die Kosten und Schäden verantwortlich ist, wenn der Vertretene die Prozessführung
nicht bis zum Erlass des Endurteils genehmigt.
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Die "vermeintlich berechtigte" Prozessvertretung ist in § 89 ZPO nicht geregelt. Auch
hier besteht indes die Möglichkeit einer Genehmigung durch den Vertretenen gemäß §
89 II ZPO. Wird sie nicht erteilt, so sind die Prozesshandlungen des Rechtsanwalts
unwirksam; gleichwohl ergeht eine Entscheidung für oder gegen den "Mandanten", die
wirksam, aber anfechtbar ist. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem "Veranlasser"
auferlegt. Dies kann der Rechtsanwalt sein, aber auch die vertretene Partei selbst, wenn
sie z.B. die Tätigkeit des Anwalts hätte kennen und unterbinden müssen (vgl. BGH MDR
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1997, 198), oder auch der gesetzliche Vertreter der Partei (Thomas / Putzo § 89, 8 ff.;
Zöller-Vollkommer § 88 Rn 11).
Im Einklang mit diesen Grundsätzen hat das Amtsgericht Saarbrücken im
Erinnerungsverfahren der Kläger gegen die Inanspruchnahme wegen der
Gerichtskosten auch zu Recht nicht etwa formuliert, die Haftung der Kläger "ergebe
sich" - neben § 49 GKG - aus §§ 179, 180 BGB, sondern vielmehr nur, dass diese
Vorschriften eine Haftung der Rechtsanwälte "vorzeichnen". Es ist also tatsächlich nicht
§ 179 BGB zur Anwendung gelangt, sondern es wurde lediglich der auch hinter § 179
BGB stehende Rechtsgedanke - nämlich das Veranlasserprinzip - herangezogen, das
im übrigen auch § 89 ZPO zugrunde liegt.
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Im Ergebnis "ergibt" sich die Inanspruchnahme der Kläger damit nicht aus § 179 BGB -
auch nicht indirekt -, sondern aus § 49 GKG im Zusammenhang mit dem von der
Rechtsprechung entwickelten Veranlasserprinzip. Deshalb hafteten die Kläger aufgrund
einer öffentlich-rechtlichen Haftpflichtbestimmung.
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Eine Eintrittspflicht der Beklagten für den streitgegenständlichen Schadensfall ist daher
insgesamt zu verneinen.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO n.F.
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Ein Anlass, gemäß § 543 II ZPO n.F. die Revision zuzulassen, besteht nicht. Die
Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung des
Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
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Streitwert:
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Für das Berufungsverfahren: 6.484,51 EUR (= 12.682,59 DM)
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Münstermann Dr. Halbach Dr. Sossna
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