Urteil des OLG Köln vom 13.01.2000

OLG Köln: neues tatsächliches vorbringen, arbeitslosenhilfe, untersuchungshaft, erlöschen des anspruchs, aufnahme einer erwerbstätigkeit, sozialhilfe, entschädigung, vollzug, sozialleistung, auflage

Oberlandesgericht Köln, 7 U 137/99
Datum:
13.01.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 U 137/99
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 5 0 425/98
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 4. Mai 1999 verkündete Urteil
der 5. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 5 O 425/98 - teilweise
abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefaßt: Das beklagte Land wird
verurteilt, an die Klägerin 7.771,63 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Mai
1998 zu zahlen. Die Anschlußberufung des beklagten Landes wird
zurückgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen werden
dem beklagten Land auferlegt. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
1
Die klagende Gemeinde, die zugunsten des Beschuldigten Bruno Trockenbroch und
dessen Ehefrau Sozialhilfeleistungen erbracht hat, nimmt das beklagte Land unter
Berufung auf das Vorliegen eines gesetzlichen Forderungsübergangs gemäß § 116
SGB X auf Zahlung einer Entschädigung für den Vollzug von Untersuchungshaft gemäß
§ 2 StrEG in Anspruch.
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Der Beschuldigte befand sich vom 24.09.1996 bis zum 10.10.1997 in
Untersuchungshaft. Mit Urteil vom 10.10.1997 wurde er freigesprochen. Gleichzeitig
wurde gemäß § 8 StrEG die Entschädigungspflicht der Staatskasse festgestellt. Der
Beschuldigte selbst hat wegen des immateriellen Schadens (§ 7 Abs. 3 StrEG) eine
Entschädigung erhalten. Weitere Ansprüche hat er nicht geltend gemacht. Die
Entschädigung für den Vermögensschaden beansprucht die Klägerin.
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Der Beschuldigte war schon vor der Untersuchungshaft arbeitslos und hatte
Arbeitslosenhilfe bezogen. Diese erhielt er während der Haft und auch nach deren
Beendigung nicht mehr. Stattdessen gewährte die Klägerin ihm und seiner Ehefrau
Sozialhilfeleistungen. Die Klägerin meint, auf Grund dieser Leistungen sei der
Entschädigunganspruch des Beschuldigten auf sie übergegangen. Zu entschädigen
seien alle durch den Wegfall der Arbeitslosenhilfe entstandenen Nachteile
einschließlich der Zeit nach Beendigung der Untersuchungshaft, denn die Haft habe
auch bewirkt, dass der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe für die Zeit danach erloschen sei.
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Die Klägerin hat bei dem zuständigen Generalstaatsanwalt einen bezifferten Anspruch
für die Zeit bis zum 28.02.1998 geltend gemacht und sich für die Folgezeit weitere
Ansprüche vorbehalten. Der Generalstaatsanwalt hat eine Entschädigung für die Zeit ab
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dem 1.12.1997 abgelehnt. Die Entschädigung für die Zeit bis zum 30.11.1997 hat er auf
7.351,62 DM festgesetzt. Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin noch einen Anspruch in
Höhe von 7.771,63 DM. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 1.092,25 DM (nebst
Zinsen) stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Mit der Berufung und
Anschlußberufung verfolgen die Parteien ihre erstinstanzlichen Anträge weiter.
Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstandes einschließlich des genauen
Inhalts der gestellten Anträge wird auf das angefochtene Urteil und auf die von den
Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, ferner auf das im
Sitzungsprotokoll vom 11.11.1999 bezeichnete Sonderheft.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
7
Beide Rechtsmittel sind zulässig. Sachlichen Erfolg hat aber nur die Berufung der
Klägerin.
8
I.
9
Auf Grund der Entscheidung der Strafkammer vom 10.10.1997 ist das beklagte Land
verpflichtet, den Beschuldigten wegen der Schäden, die er durch den Vollzug der
Untersuchungshaft erlitten hat, zu entschädigen.
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1.
11
Der Schaden des Beschuldigten besteht darin, dass er infolge des Vollzugs der
Untersuchungshaft seinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe verloren hat.
12
a)
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Während der Dauer der Untersuchungshaft erfüllte der Beschuldigte die
Anspruchsvoraussetzungen deshalb nicht, weil er der Arbeitsvermittlung nicht mehr zur
Verfügung stand (§ 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFG). Eine den üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes entsprechende Beschäftigung (§ 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
AFG) konnte er während der Haft nicht ausüben. Auch war er nicht in der Lage, das
Arbeitsamt täglich aufzusuchen (§ 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AFG).
14
b)
15
Die Haft führte darüber hinaus zum Verlust des Anspruchs für die Zukunft. Nach § 135
Abs. 1 Nr. 2 erster Halbsatz AFG erlischt der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, wenn seit
dem letzten Tage des Bezugs von Arbeitslosenhilfe ein Jahr vergangen ist. Dies war bei
dem Beschuldigten infolge der mehr als einjährigen Haftdauer der Fall. Der
Ausnahmetatbestand des § 135 Abs. 1 Nr. 2 zweiter Halbsatz a AFG, wonach sich die
Frist verlängert, wenn der Arbeitslose nur deshalb keinen Anspruch auf
Arbeitslosenhilfe hat, weil er nicht bedürftig ist, lag nicht vor. Durch die während der Haft
von der Justizvollzugsanstalt gewährten Leistungen, die sich im wesentlichen auf
Unterkunft und Verpflegung beschränkten, war die Bedürftigkeit nicht aufgehoben.
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Eine erneute Anwartschaft auf Arbeitslosenhilfe hätte der Beschuldigte durch eine die
Beitragspflicht begründende Beschäftigung in der Justizvollzugsanstalt erwerben
können (§§ 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 b, 107 Abs. 1 Nr. 6, 168 Abs.3 AFG). Eine derartige
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Beschäftigung hat er unstreitig nicht ausgeübt. Ob er dazu die Möglichkeit hatte, spielt
für den Anspruchsgrund keine Rolle. Die Folgen einer eventuellen Verletzung der
Schadensminderungspflicht beurteilen sich nach § 254 Abs. 2 BGB (dazu nachstehend
unter Ziffer 5).
2.
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Der Verlust der Arbeitslosenhilfe ist ein von der Entschädigungspflicht erfaßter
Vermögensschaden im Sinne des § 7 Abs. 1 StrEG.
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Das Erlöschen des Anspruchs auf Arbeitslosenunterstützung ist
schadensersatzrechtlich nicht anders zu bewerten als der Verlust von
Arbeitseinkommen. Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe treten an die Stelle des
Arbeitsverdienstes und haben damit wirtschaftlich und rechtlich eine
"Lohnersatzfunktion". Dementsprechend ist anerkannt, dass der Verlust der
Arbeitslosenunterstützung einen Erwerbsschaden im weiteren Sinne darstellt (BGHZ
90, 334, 337 f.).
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Die von der Klägerin gewährte Sozialhilfe hat nicht die Wirkung, dass der Schaden des
Beschuldigten entfallen ist. Sozialleistungen führen nicht zur Entlastung des
Schädigers, sondern bewirken den Übergang des Schadensersatzanspruchs auf den
Sozialleistungs- bzw. Sozialhilfeträger (§ 116 SGB X). Nach dem Zweck der
Sozialleistung hat eine Anrechnung selbst dann zu unterbleiben, wenn ausnahmsweise
ein Forderungsübergang nicht stattfindet (vgl. BGH, NJW-RR 1989, 670, 672). Insoweit
gelten für den hier vorliegenden Fall, dass der Geschädigte durch das
Schadensereignis den Anspruch auf eine Sozialleistung (Arbeitslosenhilfe) verliert und
stattdessen das Recht auf eine andere Sozialleistung (Sozialhilfe) erwirbt, keine
Besonderheiten.
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Ein Schaden ist allerdings zu verneinen, wenn sich die Wirkung eines Ereignisses auf
die bloße "Umformung" von Sozialleistungen beschränkt (BGHZ 90, 334, 339).
Derartige, insbesondere im Recht der Unfall- und Rentenversicherung vorkommende
Fälle sind dadurch gekennzeichnet, dass die Voraussetzungen zum Bezug der
weggefallenen Sozialleistung auf Seiten des Berechtigten an sich weiter gegeben sind.
Der Wechsel der Leistung (und des Leistungsträgers) hat seinen Grund allein darin,
dass nach dem System der Sozialversicherung ein Doppelbezug von Leistungen
vermieden werden soll, die beide demselben Zweck der sozialen Versorgung dienen.
Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat der Bundesgerichtshof bereits im Verhältnis
zwischen der Sozialhilfe und dem Krankengeld verneint (a. a. O.). Zwischen der
Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe sind die Unterschiede noch erheblich größer.
Insbesondere besteht keine wechselseitige Abhängigkeit derart, dass die eine Leistung
(Arbeitslosenhilfe) nur deshalb nicht mehr gewährt wird, weil durch das
Schadensereignis zusätzlich die Voraussetzungen für den Bezug der anderen Leistung
(Sozialhilfe) eingetreten sind.
22
II.
23
Die Gewährung der Sozialhilfeleistungen hat bewirkt, dass der
Entschädigungsanspruch des Beschuldigten gemäß § 116 Abs. 1 SGB X auf die
Klägerin übergegangen ist.
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Durch den gesetzlichen Forderungsübergang soll verhindert werden, dass der
haftpflichtige Dritte auf Kosten des Trägers der Sozialversicherung bzw. der Sozialhilfe
entlastet und der Anspruchsberechtigte doppelt entschädigt wird (BGH VersR 1981,
477, 478; Wussow/Schloen, Unfallhaftpflichtrecht, 14. Auflage, Rn. 2357). Dieser
Gesetzeszweck gebietet die Einbeziehung aller Forderungen, die der Restitution von
Einbußen in den Rechtsgütern des Geschädigten dienen (Wannagat/Eichenhofer, SGB
X, § 116 Rn. 16). Dementsprechend ist anerkannt, dass von dem Forderungsübergang
auch öffentlich-rechtliche Aufopferungsansprüche erfaßt werden (Geigel/Plagemann,
Der Haftpflichtprozeß, 22. Auflage, Kapitel 13, Rn. 11; Kater in : Kasseler Kommentar
Sozialversicherungsrecht, 2. Auflage, SGB X, § 116 Rn. 51).
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Es besteht kein Anlaß, die Entschädigung nach dem StrEG, die einen spezialgesetzlich
geregelten Fall der Aufopferung bildet, hiervon auszunehmen. Die gegenteilige
Auffassung des beklagten Landes hat die unhaltbare Konsequenz, dass es zu einer
Doppelentschädigung des Beschuldigten kommen kann. Diese Gefahr mag in concreto
nicht mehr drohen, da der Beschuldigte nur seinen immateriellen Schaden geltend
gemacht hat und inzwischen wegen Fristablaufs mit weiteren Ansprüchen
ausgeschlossen ist. Von den Absichten des Geschädigten und den sonstigen
Umständen des Einzelfalles macht das Gesetz den Forderungsübergang aber nicht
abhängig. Bei der gebotenen abstrakt-generalisierenden Betrachtungsweise wird nur
durch den Forderungsübergang gewährleistet, dass eine Doppelentschädigung des
Beschuldigten unterbleibt. Davon abgesehen dient der Forderungsübergang speziell
auf den Träger der Sozialhilfe auch der Verwirklichung des für die Sozialhilfe geltenden
Subsidiaritätsgrundsatzes (§ 2 BSHG).
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Dem Forderungsübergang nach § 116 SGB X steht auch nicht entgegen, dass
Ansprüche, die dem Entschädigungsberechtigten gegen Dritte zustehen, nach § 15 Abs.
2 StrEG auf die Staatskasse übergehen. Hiervon werden Ansprüche des
Entschädigungsberechtigten gegen Sozialversicherungs- und Sozialhilfeträger schon
deshalb nicht erfaßt, weil die Vorschrift ausdrücklich nur für solche Ansprüche gilt, die
aus rechtswidrigen Handlungen im Zusammenhang mit der Strafverfolgung herrühren.
Grundsätzlich wird dadurch, dass die Staatskasse ihrerseits kraft Gesetzes Forderungen
gegen Dritte erwerben kann, der Übergang der gegen sie gerichteten Forderung nach §
116 SGB X nicht ausgeschlossen.
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Ebensowenig wird der Forderungsübergang dadurch in Frage gestellt, dass der Vollzug
der Untersuchungshaft für die "Gesamtheit" der Leistungsträger (Bundesanstalt für
Arbeit und Sozialhilfeträger) von Vorteil ist, da sich die Leistungen durch die
Untersuchungshaft insgesamt ermäßigt haben. Für derartige Überlegungen ist im
Rahmen des § 116 SGB X kein Raum, da es auf einen "Schaden" der Leistungsträger
nicht ankommt (BGHZ 90, 334, 343).
28
III.
29
Die Klage ist auch der Höhe nach in vollem Umfang gerechtfertigt.
30
1.
31
Für die Schadenshöhe gilt folgendes:
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Die Arbeitslosenhilfe, die der Beschuldigte während der Dauer der Untersuchungshaft
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bezogen hätte, beläuft sich unstreitig auf 12.065,82 DM. Hiervon abzusetzen sind die
von der Justizvollzugsanstalt erbrachten Verpflegungsleistungen, die der Beschuldigte
sich als ersparte Aufwendungen anrechnen lassen muß. Ihr Wert beträgt unstreitig
4.401,50 DM. Außer Streit ist auch die Höhe der Arbeitslosenhilfe, die der Beschuldigte
in dem Zeitraum zwischen der Haftentlassung und dem 28.02.1998 bezogen hätte. Sie
beträgt 4.461,80 DM.
Hinzu kommt der Schaden, den die Ehefrau des Beschuldigten dadurch erlitten hat,
dass sie infolge des Wegfalls der Arbeitslosenhilfe den ihr durch die Bundesanstalt für
Arbeit gewährten Krankenversicherungsschutz verlor (§§ 155 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs.
3 Satz 2, 157 Abs. 1 AFG). Auch hierfür ist das beklagte Land entschädigungspflichtig (§
11 Abs. 1 StrEG). Der Höhe nach bemißt sich der Schaden nach den Aufwendungen,
die getätigt werden mußten, um den Versicherungsschutz aufrechtzuerhalten. Diese
Aufwendungen sind von der Klägerin erbracht worden, in dem sie für die Ehefrau des
Beschuldigten freiwillige Beiträge zur Krankenversicherung für Sozialhilfeempfänger an
die AOK A. entrichtet hat. Die Höhe der von ihr bis zum 28.02.1998 gezahlten Beiträge
hat die Klägerin auf 4.851,05 DM beziffert. Diese Zahl hat als zugestanden zu gelten, da
das Land das Vorbringen der Klägerin nicht wirksam bestritten hat (§ 138 Abs. 3 ZPO).
Der diesbezügliche Inhalt des nachgelassenen Schriftsatzes vom 30.11.1999 kann nicht
berücksichtigt werden, da dem Land der Schriftsatznachlaß lediglich zum Zwecke der
Erwiderung auf neues tatsächliches Vorbringen im Schriftsatz der Klägerin vom
10.11.1999 gewährt worden ist. Dieser Schriftsatz enthält aber zur Höhe der
Krankenversicherungsbeiträge keinen neuen Tatsachen. Die Zahlen hat die Klägerin
bereits in der Klageschrift vorgetragen. In der Berufungserwiderung hat das Land das
Vorbringen der Klägerin zur Höhe der Aufwendungen noch nicht bestritten, sondern nur
den Kausalzusammenhang mit dem Vollzug der Untersuchungshaft in Zweifel gezogen.
Dieser ergibt sich aber ohne weiteres daraus, dass die Ehefrau des Beschuldigten
durch die Bundesanstalt für Arbeit kraft Gesetzes mitversichert war (§§ 155, 157 Abs.1
AFG). Die Notwendigkeit, sie freiwillig weiter zu versichern, ergab sich erst aus dem
Erlöschen der Arbeitslosenhilfe (§ 155 Abs. 3 Satz 2 AFG).
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Im Ergebnis ist dem Beschuldigten und seiner Ehefrau hiernach folgender Schaden
entstanden:
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Entgangene Arbeitslosenhilfe während der Haft 12.065,82 DM
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abzüglich ersparte Verpflegung 4.401,50 DM
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verbleiben 7.664,32 DM
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entgangene Arbeitslosenhilfe bis zum
39
28.02.1998 4.461,80 DM
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Krankenversicherungbeiträge 4.851,05 DM
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zusammen 16.977,17 DM
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Eine Minderung des Entschädigungsanspruchs aus dem Gesichtspunkt einer
Verletzung der Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 BGB) kommt jedenfalls für die
Zeit bis zum 28.02.1998 nicht in Betracht.
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Ob es zutrifft, dass sich der Beschuldigte während der Haft nicht um eine den Anspruch
auf Arbeitslosenunterstützung erhaltende Tätigkeit bemüht hat, kann dahinstehen. Es
steht jedenfalls nicht fest, dass entsprechende Bemühungen des Beschuldigten Erfolg
gehabt hätten. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt hat dazu in seiner vom
Generalstaatsanwalt eingeholten Auskunft vom 2.07.1998 mitgeteilt, dass die Anstalt
aus Mangel an ausreichenden Arbeitsplätzen nicht in der Lage sei, jedem
arbeitswilligen Gefangenen eine Arbeit zuzuweisen. Die hiernach verbleibenden
Zweifel gehen zu Lasten des beklagten Landes, dem im Rahmen des § 254 Abs. 2 BGB
die Darlegungs- und Beweislast obliegt.
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Die Darlegungs- und Beweislast erstreckt sich auch darauf, ob der Beschuldigte es im
Anschluß an die Haft in vorwerfbarer Weise unterlassen hat, sich um die Aufnahme
einer Erwerbstätigkeit zu bemühen. Hierzu hat das Land nichts vorgetragen. In der
Berufungserwiderung heißt es dazu lediglich, nach der "Gesamtsituation" spreche viel
dafür, dass der Beschuldigte sich "kaum wieder in den Arbeitsprozeß eingliedern"
werde (Seite 10, GA, Bl. 111). Daraus läßt sich für eine Verletzung der
Schadensminderungspflicht nichts ableiten. Das Land muß es deshalb hinnehmen,
dass es für die Folgen des Erlöschens der Arbeitslosenhilfe jedenfalls für den hier in
Rede stehenden Zeitraum bis zum 28.02.1998 aufzukommen hat. Über die
darauffolgende Zeit ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.
45
3.
46
Inwieweit die Entschädigungsansprüche nach § 116 SGB X auf die Klägerin
übergegangen sind, bemißt sich nach der Höhe der von ihr erbrachten
Sozialhilfeleistungen.
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Insoweit ist das Landgericht im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass von dem
Forderungübergang die Ansprüche beider Ehegatten erfaßt werden, da die Klägerin
beiden Sozialhilfe gewährt hat. Dem Landgericht kann aber nicht gefolgt werden, soweit
es den Übergang der Ansprüche des Ehemannes allein nach den Leistungen bemißt,
die ihm selbst gewährt worden sind. Mit dieser Berechnung kommt das angefochtene
Urteil zu dem nicht zu rechtfertigenden Ergebnis, dass ein erheblicher Teil des
Entschädigungsanspruchs mangels Übergangs gemäß § 116 SGB X bei dem
Beschuldigten verbleibt, während die Klägerin insoweit leer ausgeht, obwohl sie an die
Ehefrau entsprechend höhere Leistungen erbracht hat. § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X setzt
nicht voraus, dass der Ersatzberechtigte, dessen Anspruch auf den
Sozialversicherungs- bzw. Sozialhilfeträger übergeht, zugleich der Empfänger der
Sozialleistungen ist. Mögliche Empfänger sind neben dem Geschädigten selbst
typischerweise auch seine unterhaltsberechtigten Angehörigen. Dementsprechend sind
die von der Ehefrau des Beschuldigten empfangenen Leistungen, soweit sie die ihr
nach § 11 StrEG zustehende Entschädigung übersteigen, bei der Ermittlung des
Übergangs der Ansprüche des Beschuldigten selbst mitzuberücksichtigen. Im Ergebnis
ist daher für den Forderungsübergang der zusammengerechnete Wert der an beide
Ehegatten erbrachten Leistungen maßgebend.
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Allerdings beschränkt sich der Forderungsübergang der Höhe nach auf die durch den
Vollzug der Untersuchungshaft entstandenen Mehraufwendungen. Dies folgt unmittelbar
aus dem Wortlaut des § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X, wonach die Sozialleistungen, um den
Forderungsübergang zu bewirken, "aufgrund des Schadensereignisses" erbracht
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worden sein müssen. Dem hat die Klägerin Rechnung getragen, indem sie die
Leistungen, die sie dem Beschuldigten und seiner Ehefrau ohnehin hätte gewähren
müssen, von der Gesamtsumme der Aufwendungen abgezogen hat.
Das Vorbringen der Klägerin zum Umfang der Aufwendungen hat das beklagte Land in
erster Instanz und auch in der Berufungserwiderung noch nicht bestritten. Das
Bestreiten in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 30.11.1999 ist nicht zu
berücksichtigen, da es keine Erwiderung auf neues tatsächliches Vorbringen in dem
Schriftsatz der Klägerin vom 10.11.1999 darstellt. Die Klägerin hat ihr Vorbringen zur
Höhe der Aufwendungen in diesem Schriftsatz nur noch in einem Punkt ergänzt,
nämlich hinsichtlich des von der Gesamtsumme abzusetzenden Betrags der Leistungen,
die auch ohne den Vollzug der Untersuchungshaft hätten erbracht werden müssen. Nur
in diesem Punkt hatte das Land das Zahlenwerk der Klägerin bereits in der
Berufungserwiderung angegriffen. Die in dem Schriftsatz der Klägerin vom 10.11.1999
nachgetragenen Zahlen hat das Land in dem nachgelassenen Schriftsatz nicht mehr
bestritten. Damit hat das Vorbringen der Klägerin zur Höhe der Aufwendungen
insgesamt als zugestanden zu gelten.
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Im Ergebnis errechnet sich der Forderungsübergang wie folgt:
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Sozialhilfeaufwand während der Haft 13.341,25 DM
52
Sozialhilfeaufwand nach der Haft 6.528,82 DM
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zusammen 19.870,07 DM
54
abzüglich "Ohnehin"- Aufwand während der
55
Haft 3.464,01 DM
56
abzüglich "Ohnehin"-Aufwand nach der Haft 1.282,81 DM
57
verbleiben 15.123,25 DM
58
Darauf hat das beklagte Land aufgrund des Bescheides des Generalstaatsanwalts vom
10.08.1998 7.351,62 DM bezahlt. Es verbleibt der mit der Klage beanspruchte Betrag
von 7.771,63 DM, der noch zu zahlen ist. Der zuerkannte Zinsanspruch ergibt sich aus
§§ 284 Abs. 1, 288 Abs. 1 Satz 1 BGB.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.
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Es besteht kein Anlaß, die Revision zuzulassen.
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Berufungsstreitwert (gleich maximale Beschwer):7.771,63 DM.
63
(davon Berufung: 6.679,38 DM; Anschlußberufung: 1.092,25 DM)
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