Urteil des OLG Köln vom 21.05.1996

OLG Köln (cisg, kläger, schaden, verhalten, fahrzeug, sache, haftung, verkäufer, zweifel, wert)

Oberlandesgericht Köln, 22 U 4/96
Datum:
21.05.1996
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
22. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
22 U 4/96
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 5 O 189/94
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 16.11.1995 verkündete Urteil
des Landgerichts Köln - 5 O 189/94 - wird zurückgewiesen. Die Kosten
des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt. Das Urteil ist
vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im übrigen zulässige Berufung der
Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
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Zutreffend hat das Landgericht entschieden, daß dem Kläger gegen die Beklagte
gemäß Artikel 74, 35, 45 Abs. 1 b des Übereinkommens der Vereinten Nationen über
den internationalen Warenkauf - CISG - vom 11.04.1980 (BGBl 1989 II Seite 588) ein
Schadensersatzanspruch in Höhe von 20.000,00 DM zusteht. Zur Anwendbarkeit des
UN-Abkommens im vorliegenden Fall wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die
Begründung des Landgerichts Bezug genommen.
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1.
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Artikel 35 CISG knüpft die Haftung des Verkäufers an die Vertragsmäßigkeit der
Leistung an. Es steht außer Frage, daß in dieser Sache ein Haftungsfall im Sinne des
Artikels 35 CISG gegeben ist. Für die Festlegung der Vertragsmäßigkeit kommt es auf
die im konkreten Vertrag durch quantitative und qualitative Daten und Beschreibungen
festgelegten Eigenschaften an. Unter qualitativen Daten sind dabei alle tatsächlichen
und rechtlichen Verhältnisse zu verstehen, die die Beziehung der Sache zur Umwelt
betreffen; ob sie wegen ihrer Art und Dauer die Brauchbarkeit oder den Wert der Sache
beeinträchtigen, ist im Rahmen der Vertragsmäßigkeit nach Artikel 35 Abs. 1 CISG nicht
relevant. Ausgehend hiervon steht außer Zweifel, daß das gelieferte Fahrzeug deshalb,
weil es weder aus dem angegebenen Zulassungjahr stammte, noch die angegebene
Kilometerlaufleistung aufwies, eine nicht vertragsgemäße Leistung der Beklagten
darstellt mit der Folge der grundsätzlichen Haftung der Beklagten aus Artikel 35 Abs. 1
CISG.
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2.
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Die Haftung der Beklagten ist entgegen der von ihr in der Berufungsinstanz vertretenen
Ansicht auch nicht gemäß Artikel 35 Abs. 3 CISG ausgeschlossen. Denn sie hat bei
Abschluß des Vertrages mit dem Kläger arglistig gehandelt.
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Ausweislich der von der Beklagten selbst in der Berufungsinstanz vorgelegten
Antragsschrift ihres damaligen Bevollmächtigten, Rechtsanwalt St., aus August 1993 im
Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung vor dem Landgericht Stuttgart war
jedenfalls Rechtsanwalt St. bekannt, daß das veräußerte Fahrzeug erstmalig bereits im
März 1990 zugelassen worden ist. Es widerspricht jeder Lebenserfahrung, daß diese
Information Rechtsanwalt St. nicht von der Beklagten selbst erteilt worden ist. Wußte die
Beklagte aber von der Zulassung des Fahrzeugs seit März 1990, so liegt es nach
Überzeugung des Senats auf der Hand, ohne daß es angesichts des Verschweigens
des Alters des Fahrzeuges letztendlich für die Entscheidung relevant ist, daß der
Beklagten ebenfalls bewußt war, daß die Laufleistung des Mercedes nicht lediglich
knapp 15.000 km betrug. Dies zumal angesichts der Tatsache, daß das Fahrzeug von
einem Handelsvertreter geleast war, wobei dieser Mitgliederberufsgruppe
bekanntermaßen nicht gerade wenige Kilometer im Jahr zurücklegen. Keine
rechtserhebliche Rolle spielt in diesem Zusammenhang, wer letztlich die Änderung in
den Kraftfahrzeugpapieren bzw. am Tacho vorgenommen hat.
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Aber selbst wenn man von der Behauptung der Beklagten selbst nichts von der
Zulassung im Jahre 1990 gewußt zu haben, haftet sie wegen arglistigen Verschweigens
eines Fehlers. Denn jedenfalls wußte Rechtsanwalt St. um die Erstzulassung im Jahre
1990 und er war es, der als Vertreter der Beklagten beim Vertragsschluß mitgewirkt hat
und der die das Fahrzeug betreffenden Fahrzeugpapiere mit der - falschen -
Erstzulassung 1992 ins Deutsche übersetzt hat. Das Verhalten ihres Vertreters muß sich
die Beklagte wie eigenes arglistiges Verhalten zurechnen lassen.
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Bei Arglist des Verkäufers ist aus dem Grundgedanken des Artikel 40 CISG, wonach der
Verkäufer sich nicht auf ein Verhalten des Käufers berufen kann, wenn ihn selber ein
größerer Vorwurf trifft, in Verbindung mit Artikel 7 Abs. 1 CISG zu folgern, daß der
Verkäufer selbst dann einzustehen hat, wenn der Käufer über den Mangel nicht in
Unkenntnis sein konnte. Deshalb kommt es auf die Ausführungen der Beklagten zu den
angeblichen Erkenntnismöglichkeiten der Ehefrau des Klägers - die, worauf ergänzend
hinzuweisen sei, nicht gleichzusetzen sind mit der Erkenntnismöglichkeit des Klägers
selbst - nicht an. Selbst der grob fahrlässig unwissende Käufer erscheint schutzwürdiger
als der arglistig handelnde Verkäufer (vgl. von Caemmerer/Schlechtriem, Kommentar
zum CISG, 2. Auflage, Artikel 35 Rn. 37 m.w.N.). Bei arglistigen Verhalten des
Verkäufers folgt somit aus Artikel 40 i.V.m. Artikel 7 Abs. 1 CISG die Unanwendbarkeit
des Artikel 35 Abs. 3 CISG.
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3.
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Auch der zwischen den Parteien bei Abschluß des Kaufvertrages vereinbarte
Haftungsausschluß steht einer Haftung der Beklagten nicht entgegen. Aufgrund des von
der Beklagten in der Berufungsinstanz vorgelegten Rechnungsentwurfs des Klägers,
der sodann ins Italienische übersetzt und zur Grundlage der Rechnung der Beklagten
gemacht worden ist, ist zwar davon auszugehen, daß der Kauf unter Ausschluß
jeglicher Gewährleistung erfolgt ist. Ein derartiger Gewährleistungsausschluß ist nach
Artikel 6 CISG jederzeit zulässig, wobei sich die Inhaltskontrolle einer solchen
Freizeichnungsklausel jedoch nicht nach den CISG richtet (vgl. von
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Caemmerer/Schlechtriem, a.a.O., Artikel 35 Rn. 42). Die Inhaltskontrolle richtet sich
vielmehr nach dem nationalen Recht. Da eine subsidiäre Rechtswahl fehlt, Artikel 27
EGBG mithin nicht anwendbar ist, greift Artikel 28 Abs. 1 Satz 2 EGBGB ein. Berufen ist
hiernach das nationale Recht des Staates, in dem die gegen mißbräuchliche
Freizeichnung zu schützende Partei niedergelassen ist und ihren gewöhnlichen
Aufenthalt hat (vgl. von Caemmerer/Schlechtriem, a.a.O., Artikel 79 Rn. 64 m.w.N.). Der
individualvertragliche Gewährleistungsausschluß ist mithin an deutschem Recht und
hier an § 476 BGB zu messen. Gemäß § 476 BGB greift aber bei arglistigen Verhalten
des Verkäufers der zwischen den Vertragsparteien vereinbarte
Gewährleistungsausschluß nicht durch.
4.
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Der von dem Kläger geltend gemachte Schaden ist ersatzfähig im Sinne von Artikel 74
ff. CISG. Der Schaden des Klägers ist ein sogenannter Folgeschaden im Sinne des
Artikel 74 CISG in Form eines Haftungsschadens, der dadurch entstanden ist, daß die
Vertragsverletzung der Beklagten den Kläger Dritten gegenüber haftbar gemacht hat.
Der Kläger hat seinen Schaden, wie dies das CISG erfordert, konkret berechnet.
Ersatzfähig wäre der Schaden unter diesen Voraussetzungen nur dann nicht, wenn er
im Sinne von Artikel 74 Satz 2 CISG als nicht voraussehbarer Schaden einzustufen
wäre. Dies ist zu verneinen.
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Der Beklagten war bekannt, daß der Kläger den Wagen nicht für seinen Eigengebrauch,
sondern in seiner Eigenschaft als Kfz-Händler gekauft hat. Sie mußte mithin damit
rechnen, daß die Lieferung einer vertragswidrigen Ware den Kläger seinem Abkäufer
gegenüber haftbar machen werde. Angesichts dessen wäre die Voraussehbarkeit des
Schadens nur dann zu verneinen, wenn dieser als so außergewöhnlich hoch
anzusehen wäre, daß die Beklagte damit nicht rechnen mußte. Im Hinblick auf das um
zwei Jahre höher liegende Alter des Fahrzeugs und insbesondere angesichts der
erheblich höheren Laufleistung steht außer Zweifel, daß die freiwillige Zahlung des
Klägers in Höhe von 20.000,00 DM bei einem Kaufpreis von 95.000,00 DM nicht zu
hoch gegriffen war. Mit einem Schaden in dieser Gröpenordnung mußte die Beklagte
somit rechnen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Streitwert für das Berufungsverfahren und zugleich Wert der Beschwer für die Beklagte:
20.000,00 DM.
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