Urteil des OLG Köln vom 19.01.1994

OLG Köln (operation, arzt, stationäre behandlung, behandlung, eingriff, risiko, medikamentöse behandlung, aufklärung, patient, gefahr)

Oberlandesgericht Köln, 27 U 152/90
Datum:
19.01.1994
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
27. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
27 U 152/90
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 25 O 77/88
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 25. September 1990
verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 25 O
77/88 - wird zurückgewiesen. Die Klägerin hat die Kosten des ersten
und des zweiten Rechtszuges sowie diejenigen der Revision zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
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Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Schaden-seratz aufgrund einer am 11.
März 1986 bei ihr durchgeführten Schilddrüsenoperation.
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Die Klägerin unterzog sich erstmals im Jahre 1967 einer doppelseitigen
Schilddrüsenresektion. Auf Anraten ihres Hausarztes stellte sie sich am 17. Februar
1986 bei dem Beklagten, dem Chefarzt der chirurgischen Abteilung des
Evangelischen Kranken-hauses ...., zur Untersuchung vor. Dieser diagno-stizierte
aufgrund der ihm vorgelegten Befunde zwei kalte Knoten im Bereich der
Restschilddrüse und empfahl der Klägerin eine erneute Schild-drüsenoperation. Die
Klägerin willigte ein und vereinbarte mit dem Beklagten, daß sie sich am 10. März
1986 in die stationäre Behandlung in das
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Krankenhaus .... zur Vornahme des Eingriffs bege-ben werde. Bei ihrer Aufnahme im
Krankenhaus wurde der Klägerin ein "Merkblatt zum Aufklärungsge-spräch mit dem
Arzt über die Kropfoperation (Stru-mektomie)" ausgehändigt. In dem Merkblatt heißt
es unter der Überschrift "mögliche Komplikationen":
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"Wegen der engen Nachbarschaft der Schilddrüse zu anderen Organen (z. B.
Luftröhre) sowie Nerven und wichtigen Blutgefäßen lassen sich Nervenverletzun-gen
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nicht mit letzter Sicherheit ausschließen.
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Nach der Operation gelegentlich auftretende Hei-serkeit, Sprach- und Atemstörungen
bilden sich meist zurück, insbesondere, wenn sie nur auf Schleimhautschwellungen
beruhen.
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Bleibende Schäden eines oder beider Stimmbandner-ven sind selten".
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Die Klägerin unterzeichnete die auf dem Formular vorgedruckte
Einwilligungserklärung und übergab das Merkblatt dem Beklagten.
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Am 11. März 1986 entfernte der Beklagte die Stru-ma-Knoten nach der
Operationsmethode des sog. Ko-cher`schen Kragenschnitts. Der Eingriff hatte eine
Schädigung des linken Stimmbandnerven zur Folge, was zur Heiserkeit führte.
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Die Klägerin hat behauptet, weder bei der ambu-lanten Untersuchung am 17. Februar
1986 noch nach ihrer stationären Aufnahme vom Beklagten über die Gefahr einer
Stimmbandlähmung unterrichtet worden zu sein. Eine etwaige Risikoaufklärung
erstmals am Tag vor dem Eingriff wäre - so meint sie - ohnehin
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verspätet gewesen. Der Beklagte habe auch eine zu risikoreiche Operationsmethode
angewendet, ob-wohl eine risikoärmere, nämlich das Verfahren nach Fuchsig und
Keminger zur Verfügung gestanden habe. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten,
der Beklagte sei verpflichtet gewesen, sie auf diese Möglichkeit hinzuweisen. Wäre
sie über das in dem Merkblatt - auch verharmloste - hohe Risiko der vom Beklagten
angewandten Technik aufgeklärt wor-den, so hätte sie sich von einem anderen Arzt
nach der risikoärmeren Methode operieren lassen. Im üb-rigen habe der Beklagte
einen Operationsfehler be-gangen, indem er die Stimmbandnerven nicht darge-stellt
habe.
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Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Ersatz des ihr bis zum 30. Juni 1990
entstandenen Verdienst-ausfalls sowie die Zahlung eines Schmerzensgeldes und
die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklag-ten für alle künftigen materiellen
Schäden infolge der Verletzung des Stimmbandnerven.
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Sie hat beantragt,
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1. den Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld wegen
der Fol-gen der Rezidivstruma-Operation vom 11. März 1986 zu zahlen, mindestens
jedoch 25.000,-- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 25. April 1987,
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2. den Beklagten zu verurteilen an sie 12.360,-- DM nebst 4 % Zinsen seit Rechts-
hängigkeit zu zahlen,
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3. festzustellen, daß der Beklagte ver-pflichtet sei, ihr allen materiellen Scha-den zu
erstatten, den sie als Folge der Rekurrensparese anläßlich der Rezidivstru-ma-
Operation vom 10. März 1986 in Zukunft erleide, soweit Ansprüche dieser Art nicht
auf öffentlich-rechtliche Versicherungsträ-ger übergehen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat behauptet, die Klägerin sowohl im Untersu-chungstermin am 17. Februar 1986
als auch am Tag vor der Operation auf das Risiko einer Stimmband-nervverletzung
und deren Folgen hingewiesen zu haben. Bei der von ihm angewandten Operations-
technik komme es ohnehin nur äußerst selten zu Rekurrensschädigungen. Das
Verfahren nach Fuchsig und Keminger werde dagegen in der medizinischen
Wissenschaft allein für einseitige Rezidiv-Knoten empfohlen. Ursache der
Rekurrensparese bei der Klägerin sei offenbar eine Nachblutung. Im übrigen
bestreite er den behaupteten Schaden seinem Umfang nach.
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Nach Beweiserhebung durch Einholung eines Sachver-ständigengutachtens und
durch Zeugenvernehmung hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
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Auf die Berufung der Klägerin hat der Senat mit Grund- und Teilurteil vom 10. April
1991 die Zahlungsanträge dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und dem
Feststellungsantrag stattgegeben.
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Der Bundesgerichtshof hat auf die Revision des Beklagten unter dem 7. April 1992 -
VI ZR 192/91 - das Urteil vom 10. April 1991 aufgehoben und die Sache zur
anderweitigen Verhandlung und Entschei-dung, auch über die Kosten der Revision,
an den Senat zurückverwiesen.
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Nunmehr behauptet die Klägerin, für die Operation am 11. März 1986 habe keine
dringliche Indikation bestanden. Wenn ihr das hohe Risiko einer Verlet-zung des
Stimmbandnerven bekannt gewesen wäre, hätte sie sich zu diesem Zeitpunkt nicht
operieren lassen, zumal der Verdacht auf einen malignen Pro-zeß durch die
Feinnadelbiopsie ausgeräumt worden sei und eine Radio-Jod-Therapie eine
Behandlungs-alternative dargestellt habe.
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Der Beklagte behauptet, die Klägerin habe letzt-lich keine andere Wahl als die von
ihm durchge-führte Operation gehabt und hätte sich auch in je-dem Fall dafür
entschieden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
von den Par-teien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
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Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des
Sachverständigen Prof. Dr. H.. Hin-sichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme
wird
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auf das schriftliche Gutachten vom 2. Februar 1993 (Bl. 292 ff.) sowie auf das
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Ergänzungsgutachten vom 17. Juli 1993 (Bl. 319 ff.) verwiesen. Im
Verhandlungstermin am 22. Dezember 1993 ist die Klägerin schließlich zur Frage der
hypothetischen Einwilligung persönlich angehört worden (Bl. 351 ff. d.A.).
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
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Der Klägerin stehen Ansprüche auf Ersatz mate-rieller und immaterieller Schäden als
Folge der Schilddrüsenoperation vom 11. März 1986 gegen den Beklagten weder
wegen einer positiven Verletzung des Behandlungsvertrages noch aus dem
Rechtsgrund der unerlaubten Handlung (§§ 823, 847 BGB) zu.
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Die Klägerin hat nicht bewiesen, daß der Beklagte bei dem Eingriff am 11. März 1986
einen Opera-tionsfehler begangen hat.
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Für eine Verletzung der ärztlichen Sorgfalts-pflicht spricht selbst dann, wenn der
Stimmband-nerv bei der Operation verletzt worden ist, nicht schon der Beweis des
ersten Anscheins. Wegen der
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unterschiedlichen Bedingungen, auf die der Arzt in der Behandlung trifft und die auch
den Behand-lungsverlauf bestimmen, ist für die Anwendung des Anscheinsbeweises
eher selten Raum (Steffen, Neue Entwicklungslinien der BGH-Rechtsprechung zum
Arzthaftungsrecht, 5. Aufl., S. 148). Ein typi-scher Geschehensablauf, der die
Vermutung einer Sorgfaltspflichtverletzung begründen könnte, liegt auch bei der
Operation von Strumarezidiven nicht vor. Wie noch darzulegen sein wird, ist die
Gefahr von Stimmbandnervverletzungen ein typisches Risiko solcher Eingriffe. Ein
derartiges Risiko kann sich auch dann verwirklichen, wenn der operierende Arzt die
Regeln der Operationstechnik beachtet.
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Ein Behandlungsfehler ist auch nicht darin zu sehen, daß der Beklagte - was die
Klägerin rügt - sich nicht der von Fuchsig und Keminger entwickel-ten
Operationstechnik bedient hat. Dies hat der Senat bereits in den
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Entscheidungsgründen seines Urteils vom 10. April 1991, auf die zur Vermeidung
von Wiederholungen Bezug genommen wird, im einzel-nen ausgeführt.
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Der Vorwurf eines Behandlungsfehlers rechtfertigt sich schließlich nicht daraus, daß
der Beklagte - worauf sich die Klägerin beruft - es unterlassen hat, bei der
Schilddrüsenoperation den Nervus recurrens in der Weise darzustellen, daß der Nerv
präpariert sowie vorsichtig beiseite und unter Kontrolle gehalten wird. Aus dem von
der Klägerin selbst vorgelegten Auszug aus dem Lehrbuch von Naumann (dort Seite
375) folgt nämlich, daß bei
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Anwendung der Kocher`schen Methode der Nervus la-ryngeus recurrens zwar
geschont, nicht aber grund-sätzlich freigelegt werden muß. Dies entspricht den
Erkenntnissen, die der Senat in anderen Ver-fahren gewonnen hat. So hat etwa in
dem Rechts-streit 27 U 27/91 der auf Schilddrüsenerkrankungen spezialisierte
Sachverständige Prof. Dr. B. ausge-führt, die Darstellung des Nervus recurrens bei
Schilddrüsenoperationen werde in der medizinischen Wissenschaft nach wie vor
kontrovers diskutiert. Auch heute - im Jahre 1992 noch - werde eine star-ken
Mindermeinung in der Literatur und ärztlichen Praxis vertreten, nach welcher die
Darstellung des Stimmbandnerven bei Eingriffen an der Schilddrüse nicht prinzipiell
notwendig sei. Die grundsätzli-che Darstellung der Nervus recurrens sei im Jahre
1989, als sich der dort zu entscheidende Streit-fall zugetragen hatte, kein
medizinischer Standard gewesen. Das Gutachten des Sachverständigen Prof. B. vom
07.01.1992, das der Senat den Parteien zugänglich gemacht hat, überzeugt und kann
im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden, zumal die Klägerin gegen die
Ausführungen von Prof. B. keine sachlichen Einwände vorgebracht hat. Der von dem
Sachverständigen Prof. B. geschilderte Meinungs-streit im Jahre 1989 muß erst recht
für den hier maßgeblichen Zeitpunkt - das Jahr 1986 - gelten, in welchem sich die
Ansicht, eine Darstellung des Stimmbandnerven sei unabdingbar, in keinem Fall
durchgesetzt hatte. Dies entspricht den Entschei-dungen anderer Gerichte. So hat
etwa das Oberlan-
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desgericht Koblenz in einem Urteil vom 24.10.1986 (abgedruckt in AHRS Kza
2360/12) hervorgehoben, bezüglich der Freilegung oder Darstellung des Nervus
recurrens bei einer Strumektomie gebe es verschiedene gegensätzliche Meinungen.
Auch der Hinweis des erstinstanzlichen Sachverständigen Dr. H., die "Forderung
nach der Schonung des N. recurrens unter Sicht" werde "heute immer stärker"
erhoben, zeigt, daß es im Jahre 1986 keinen Operationsfehler bedeutet hat, den
Stimmbandnerven nicht freizupräparieren.
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2.
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Der operative Eingriff vom 11. März 1986 ist auch nicht mangels einer wirksamen
Einwilligung der Klägerin aufgrund einer Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht
rechtswidrig.
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Zwar hat der Beklagte die Klägerin vor dem Ein-griff nicht ausreichend über die mit
der Operation verbundenen Risiken unterrichtet. Verletzungen des Nervus recurrens
im Zusammenhang mit einer Schild-drüsenoperation bilden gewissermaßen den
Schulfall für ein vom Arzt nicht mit Sicherheit vermeidbares Operationsrisiko. Die
Schädigungen des Stimmband-nerven und ihre Auswirkungen sind eine spezifische
Gefahr dieses Eingriffs, mit dem ein darüber nicht aus besonderem Grund bereits
unterrichteter Patient nicht zu rechnen braucht. Deshalb ist hier der gleichsam
klassische Fall eines aufklärungs-pflichtigen Risikos gegeben (BGH VersR 1961,
1035; NJW 1980, 1334). Dieser Aufklärungspflicht ist der
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Beklagte nicht in genügender Weise nachgekommen. Dies hat der Senat in seinem
Urteil vom 10. April 1991, dem sich der Bundesgerichtshof insoweit an-geschlossen
hat und auf dessen Auführungen verwie-sen wird, im einzelnen begründet.
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Aufgrund des inzwischen ergänzten Sachvortrags und der durchgeführten
Beweisaufnahme geht der Senat jedoch nunmehr davon aus, daß die unzureichende
Aufklärung für die Einwilligung der Klägerin in den operativen Eingriff nicht ursächlich
gewesen ist. Zwar trifft den Arzt die Beweislast dafür, daß der Patient auch bei
ordnungsgemäßer Aufklä-rung in die Behandlung eingewilligt hätte (BGH NJW 1990,
2929). Dieser Obliegenheit ist der Arzt nicht schon dann enthoben, wenn der Eingriff
vital indiziert war und ein vernünftiger Patient ihn nicht abgelehnt hätte. Selbst bei
vitaler Indikation eines Eingriffs verlangt das Selbstbe-stimmungsrecht des Patienten,
daß der Arzt ihm die Möglichkeit beläßt, über den Eingriff selbst zu entscheiden und
ihn ggfls. abzulehnen, auch wenn ein solcher Entschluß medizinisch unvernünftig ist
(BGHZ 90, 105; BGH, Urteil vom 09.11.1993 - VI ZR 248/92 -, S. 12). Indes ist der
Arzt mit der Beweislast für seine Behauptung, der Patient würde bei
ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt haben, nur dann zu
belasten, wenn der Patient zur Überzeugung des Tatrichters plausibel macht, daß er -
wären ihm rechtzeitig die Risiken der Operation verdeutlicht worden - vor einem ech-
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ten Entscheidungskonflikt gestanden hätte, ob er die ihm empfohlene Behandlung
gleichwohl ablehnen solle (BGH NJW 1990, 2929; Revisionsurteil des BGH vom
07.04.1992 S. 14, 15). Plausible Gründe für einen wirklichen Entscheidungskonflikt
hat die Klägerin jedoch nicht dargelegt.
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Wie der Bundesgerichtshof in der Revisionsent-scheidung ausgeführt hat, hätte die
Klägerin bei ordnungsgemäßer und vollständiger Aufklärung nur vor der Wahl
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gestanden, entweder die indizierte Operation überhaupt nicht oder nach der von dem
Beklagten vorgesehenen Art durchführen zu lassen. Wegen der Möglichkeit zur Wahl
zwischen zwei ver-schiedenen Operationsverfahren konnte sie deswegen nicht in
einen Entscheidungskonflikt geraten, weil die Methode von Fuchsig und Keminger
nur für das einseitige Struma-Rezidiv, nicht aber auch zur Entfernung doppelseitiger
Rezidivknoten, wie sie bei der Klägerin vorlagen, empfohlen wird und damit hier
keine in Betracht kommende Behandlungs-alternative dargestellt hat. Wie das
Gutachten des Sachverständigen Prof. H. und die persönliche An-hörung der
Klägerin ergeben haben, wäre die Kläge-rin auch bei hinreichender Aufklärung über
das Für und Wider des Eingriffs nicht ernsthaft vor die Frage gestellt worden, ob sie
ihre Einwilligung in die Operation erteilen solle oder nicht.
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Wenngleich die Schilddrüsenoperation nicht im Sin-ne einer unmittelbar
bestehenden Lebensgefahr vi-tal indiziert war, so hat doch eine dringliche In-
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dikation des Eingriffs bestanden. Der Sachverstän-dige Prof. H. hat dazu ausgeführt,
die beschriebe-ne Befundkonstellation, nämlich eine Rezidivstruma mit knotigen
Veränderungen in beiden Seitenlappen sowie die Klassifizierung der Knoten als
sonogra-phisch echoarm und gleichzeitig szintigraphisch minderspeichernd (kalt)
bedeute eine absolute Operationsindikation. Das Krebsrisiko bei sonogra-fisch
echoarmen und gleichzeitig szintigraphisch kalten Knoten betrage bis zu 25 % und
werde im medizinischen Schrifttum für Fälle der vorliegen-den Art zum Teil auf bis zu
45 % beziffert. Wenn die Bösartigkeit einer solchen Geschwulst nicht erkannt werde,
sei die Chance einer frühzeitigen operativen Therapie in einem lokal begrenzten
Tumorstadium versäumt worden. Beim Vorliegen eines Schilddrüsenkarzinoms
könne jede Verzögerung der adäquaten Behandlung zu einer weiteren Ausbreitung
des Tumors sowohl lokal als auch in Form von Metastasen führen, weshalb bei
suspekten Schild-drüsenknoten immer eine baldige operative Entfer-nung angezeigt
sei. Eine ernsthafte Behandlungs-alternative zur Operation im Fall der Malignität der
kalten Knoten hat es - so Prof. H. - bei der Klägerin nicht gegeben. Eine weitere
medikamentöse Therapie hätte allenfalls das Wachstum der Struma aufhalten, der
Gefahr der Tumorausbreitung aber nicht begegnen können. Auch für die sichere Aus-
räumung des Malignitätsverdachts kam nur die Stru-maoperation in Frage. Wie der
Sachverständige wei-ter ausgeführt hat, kann zwar die Entnahme einer
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Feinnadelbiopsie grundsätzlich als Diagnosemittel eingesetzt werden. Indessen
werden in etwa 5 % der Fälle falsche negative Befunde erhoben, so daß die sichere
Bestätigung oder Ausräumung des Krebsver-dachts nur durch eine histologische
Begutachtung des vollständigen Operationspräparates möglich ist. Eine
Feinnadelbiopsie war bei der Klägerin auch bereits durchgeführt worden; dem dabei
erho-benen negativen Befund mangelte es jedoch wegen der statistischen
Fehlerquote dieses Verfahrens an der notwendigen Zuverlässigkeit. Um den Maligni-
tätsverdacht sicher abzuklären und eine etwaige Krebserkrankung, für die ein hohes
Risiko bestand, frühzeitig zu bekämpfen, war eine alsbaldige Stru-ma-Operation
erforderlich. Die von der Klägerin erwähnte Radio-Jod-Therapie kam, wie der
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Sachver-ständige betont hat, als Behandlungsmaßnahme nicht in Betracht, weil
szintigraphisch kalte Knoten nicht im Stande sind, appliziertes Radiojod in
therapeutisch relevanten Mengen aufzunehmen.
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Zusätzlich zu dem beträchtlichen Krebsrisiko und dem Gebot raschen Handelns im
Falle der Bösartig-keit der kalten Knoten sind bei der Frage nach dem
Entscheidungskonflikt auch die Beschwerden zu berücksichtigen, unter denen die
Klägerin seiner-zeit gelitten hatte. Nach dem Befundbericht des Nuklearmediziners
Dr. L. vom 21.01.1986 hatte die Klägerin über ein Enge- und Druckgefühl im Hals-
bereich, über Schluckstörungen sowie über Atembe-schwerden geklagt. Die
konservative Behandlung mit
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einem Thyroxinpräparat über einen Zeitraum von vier Jahren hatte - worauf Prof. H.
hingewiesen hat - weder die Bildung noch den nodösen Umbau der Rezidivstruma
verhindern können, so daß allein durch eine weitere medikamentöse Behandlung
eine Rückbildung der Knoten und damit eine Beseitigung der Beschwerden aller
Voraussicht nach nicht hätte erreicht werden können. Wie der Sachverständige
betont hat, hätte bei einer ausschließlich medi-kamentösen Behandlung sogar die
Gefahr eines wei-teren Strumawachstums und einer dadurch bedingten
Verschlimmerung der Beschwerden für die Klägerin bestanden; möglicherweise hätte
sich bei einer Zu-nahme des Strumavolumens auch das Risiko einer Re-
kurrensschädigung bei einer späteren Operation er-höht. Nach alledem waren die
Indikation des opera-tiven Eingriffs dringlich und das Austauschrisiko für die Klägerin
hoch.
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Bei ihrer Anhörung durch den Senat hat die Kläge-rin keine plausiblen Gründe dafür
angeben können, daß sie sich bei vollständiger Risikoaufklärung gleichwohl gegen
die verabredete Operation ent-schieden hätte. Ihre Erklärung, bei Kenntnis von dem
tatsächlichen Risiko einer Stimmbandschädigung hätte sie sich zum damaligen
Zeitpunkt keinesfalls operieren lassen, reicht hierfür nicht aus. Es ge-nügt auch nicht
ihr ergänzender Hinweis, sie würde jedenfalls "noch andere Ärzte" aufgesucht
haben, um sich "im einzelnen mit ihnen zu beraten". Die Klägerin hatte, bevor sie
sich wegen der Operation an den Beklagten gewandt hatte, bereits ihren Hausarzt
und daran anschließend den Nuklearmedi-
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ziner Dr. L. konsultiert, der ihr eine Operation empfohlen hat. Welche "anderen Ärzte"
sie nach einer Risikoaufklärung durch den Beklagten, dessen fachliche Kompetenz
und Erfahrung als Operateur sie selbst nicht in Zweifel zieht, noch hätte um Rat
ersuchen können, hat die Klägerin nicht darge-tan. Sie macht auch nicht geltend, bei
hinreichen-der Aufklärung würde sie sich der Strumaresektion nach der Methode des
Kocher'schen Kragenschnitts durch einen anderen Operateur unterzogen haben,
dem sie größeres Vertrauen entgegengebracht hätte. Die pauschale Erklärung der
Klägerin, trotz der Krebsgefahr und ihrer damaligen Atem- und Schluck-beschwerden
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hätte sie sich seinerzeit nicht ope-rieren lassen, ist nicht nachvollziehbar begründet
und macht einen echten Entscheidungskonflikt nicht plausibel. Deshalb beruft sich
der Beklagte mit Recht darauf, daß die Klägerin ihre Einwilligung in die
Schilddrüsenoperation auch bei ordnungsge-mäßer Aufklärung über die Risiken des
Eingriffs erteilt haben würde.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Da die Revision des Beklagten
im Ergebnis Erfolg hat, sind auch die Kosten des Revisionsverfahrens der Klägerin
aufzuerlegen.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbar-keit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.
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Hinsichtlich des Berufungsstreitwertes verbleibt es bei der Festsetzung durch
Beschluß vom 26. April 1991 (Bl. 219 d.A.).
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Beschwer für die Klägerin: unter 60.000,-- DM.
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