Urteil des OLG Köln vom 09.07.2010

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Oberlandesgericht Köln, 2 Ws 418/10
Datum:
09.07.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 418/10
Tenor:
1. Auf die sofortige Beschwerde wird der angefochtene Beschluss
aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass nach vollständiger Verbüßung der Gesamt-
freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten aus dem
Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Mönchengladbach vom
1.6.2006 (Az. 13 Ls 114/04) Führungsaufsicht besteht.
3. Die Dauer der Führungsaufsicht beträgt vier Jahre.
4. Während der Dauer der Führungsaufsicht untersteht der Verurteilte
der für seinen Wohnsitz zuständigen Führungsaufsichtsstelle.
5. Der Verurteilte wird für diesen Zeitraum der Aufsicht und Leitung eines
für seinen Wohnsitz zuständigen Bewährungshelfers unterstellt.
6. Dem Verurteilten werden folgende Weisungen nach § 68 b Abs. 1
StGB erteilt:
a) Er hat der Aufsichtsstelle jeden Wechsel der Wohnung oder der
Arbeitsstelle unverzüglich zu melden.
b. Er hat sich um Arbeit zu bemühen und sich im Falle der
Arbeitslosigkeit bei der zuständigen Agentur für Arbeit oder einer
sonstigen zur Arbeitsvermittlung zugelassenen Stelle arbeitslos zu
melden.
7. Dem Verurteilten wird nach § 68 b Abs. 2 StGB die Weisung erteilt,
sich unverzüglich um die Fortsetzung der psychotherapeutischen
Behandlung zu bemühen und diese nicht ohne Zustimmung der
Aufsichtsstelle zu beenden.
8. Die Belehrung über die Bedeutung der Führungsaufsicht wird der
Strafvollstreckungskammer übertragen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Verurteilten
auferlegt.
G r ü n d e
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I.
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Der Verurteilte hat nach seiner Festnahme am 19.4.2004 die Freiheitsstrafe von einem
Jahr aus dem Urteil des Amtsgerichts Schwerin vom 13.7.2004 (Az. 38 Ds 298/01) und
die Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten aus dem
Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 1.6.2006 (Az. 13 Ls
114/04) vollständig verbüßt. Der Rest der Freiheitsstrafe von ursprünglich drei Jahren
aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Wermelskirchen vom 15.6.2005
(Az. 4 Ds 199/03) ist nach Teilverbüßung durch Beschluss der
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen vom 26.11.2009 (Az. 33 e StVK
205/09) zur Bewährung ausgesetzt worden. Der Senat hat die hiergegen gerichtete
sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach durch Beschluss vom
23.12.2009 (Az. 2 Ws 612/09) verworfen.
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Mit Beschluss vom 8.2.2010 (Az. 33 e StVK 4/10 FA) hat die Strafvollstreckungskammer
des Landgerichts Aachen angeordnet, dass die kraft Gesetzes eintretende
Führungsaufsicht entfällt. Diese Entscheidung hat die Staatsanwaltschaft Mönchen-
gladbach mit der fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde angefochten.
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II.
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Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 463 Abs. 3 S. 1, 454 Abs. 3 S. 1 StPO zulässig
und in der Sache auch begründet.
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Die Voraussetzungen für ein Entfallen des Führungsaufsicht nach § 68 f Abs. 2 StGB
liegen nicht vor.
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Die Strafvollstreckungskammer hat ihre Entscheidung auf die Gründe der Aussetzung
der Reststrafe zur Bewährung gestützt, die sie insbesondere unter Berücksichtigung des
nur noch relativ geringen Strafrestes und des Gesichtspunktes, dass es sich bei dem
Verurteilten um einen Erstverbüßer handelt, der sich fünfeinhalb Jahre in Haft befunden
hat, unter Zurückstellung von Bedenken für verantwortbar gehalten hat. Diese den
Anforderungen des § 57 Abs. 1 Ziff. 2 StGB gerecht werdende Einschätzung deckt sich
jedoch nicht mit der nach § 68 f Abs. 2 StGB zu stellenden Prognose, die entsprechend
§ 68 e Abs. 2 S. 1 StGB voraussetzt, dass zu erwarten ist, dass der Verurteilte auch
ohne die Führungsaufsicht keine Straftaten mehr begehen wird. Diese Erwartung muss
sich zwar nicht zur Gewissheit verdichten, erforderlich ist aber eine entsprechende hohe
Wahrscheinlichkeit, wobei Zweifel zu Lasten des Verurteilten gehen (SenE vom
13.1.2010 – 2 Ws 20 – 21/10 -;Schneider in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Auflage, §
68 e Rdn. 10 und § 68 f Rdn. 20). Die Anforderungen sind daher strenger als in § 57
Abs. 1 Ziff. 2 StGB, der nur eine realistische Chance im Sinne einer überwiegenden
Wahrscheinlichkeit künftiger Straffreiheit genügen lässt (SenE vom 9.1.2008 – 2 Ws
7/08 – und vom 4.5.2008 – 2 Ws 194/06 -; Schneider a.a.O. § 68 f Rdn. 20).
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Die konkrete Erwartung, dass der Verurteilte künftig keine Straftaten mehr begehen wird,
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besteht vorliegend nicht. Er ist seit seinem 14. Lebensjahr vielfach vorbestraft, wobei
sich Straftaten aus den unterschiedlichsten Bereichen finden, so Vermögensdelikte,
Körperverletzung, Urkundenfälschung, Nötigung, Bedrohung, falsche Verdächtigung,
Beleidigung, Sachbeschädigung, versuchte schwere Brandstiftung, Verstoß gegen das
Betäubungsmittelgesetz, Sexualdelikte und immer wieder Fahren ohne Fahrerlaubnis.
Der Sachverständige Dipl. Psych. E. hat in seinem von der Strafvollstreckungskammer
eingeholten Gutachten vom 10.9.2009 beim Verurteilten eine chronifizierte dissoziale
Persönlichkeitsprägung diagnostiziert, die aufgrund des Ausagierens von Affekten, der
unkritischen Unreflektiertheit und des defizitären Selbstempfindens bei deutlicher
narzisstischer Kränkbarkeit immer wieder neue Konfliktsituationen im sozialen Bereich
erwarten lasse, da er insbesondere auch dann aggressiv werde, wenn er unter Druck
gerate. Mehr als die bloße Chance künftiger Straffreiheit lässt sich unter diesen
Umständen nicht prognostizieren. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom
23.12.2009 daher auch im Wesentlichen auf die lange Zeit des erstmals erlittenen
Strafvollzuges abgestellt, die eine Vermutung künftiger Straffreiheit zu begründen
vermag, für eine konkrete Erwartung i.S.d. §§ 68 e Abs. 2 S. 1, 68 f Abs. 2 StGB aber
nicht ausreicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.
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