Urteil des OLG Köln vom 27.11.2002

OLG Köln: haus, auszug, anschrift, bad, schulbesuch, umzug, erlass, verwertung, hauptsache, beschwerdeinstanz

Oberlandesgericht Köln, 4 UF 242/02
Datum:
27.11.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 UF 242/02
Vorinstanz:
Amtsgericht Rheinbach, 6 F 274/02
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
G r ü n d e
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Die gemäß § 621 Abs. 1 Nr. 7, § 621 g Satz 2, § 620 c Satz 1 ZPO statthafte und auch
im übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht (§ 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO) eingelegte
Beschwerde hat auch in der Sache selbst Erfolg. Für die vom Amtsgericht erlassene
einstweilige Anordnung ist vorliegend kein Raum, so dass die angefochtene
Entscheidung – ersatzlos – aufzuheben war.
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Nach der seit dem 1. Januar 2002 maßgebenden Rechtslage folgt die Zulässigkeit
einstweiliger Anordnungen, die – wie hier – die Zuweisung der Ehewohnung nach
Rechtskraft des Scheidungsurteils betreffen, nicht mehr aus der vom Amtsgericht
herangezogenen Bestimmung des § 13 Abs. 4 HausratsVO. Vielmehr gilt nunmehr die
durch Art. 4 Nr. 7 des Gesetzes zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei
Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der
Ehewohnung bei Trennung vom 11. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3513, 3515) neu in die
Zivilprozessordnung eingeführte Bestimmung des § 621 g ZPO. Nach dieser Vorschrift
kann das Gericht u. a. dann, wenn – wie vorliegend – ein Verfahren nach der
Verordnung über die Behandlung der Ehewohnung und des Hausrats anhängig ist, auf
Antrag Regelungen im Wege der einstweiligen Anordnung treffen. Dementsprechend
wurde durch Art. 12 Nr. 1 des vorbezeichneten Gesetzes vom 11. Dezember 2001 § 13
Abs. 4 HausratsVO durch eine anderweitige, im Streitfall nicht einschlägige Regelung
ersetzt.
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Nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 621 g Satz 1 ZPO kann eine einstweilige
Anordnung nur auf Antrag ergehen. Soweit dem gegenüber – soweit ersichtlich: allein –
in der Kommentierung von Zöller/Philippi, ZPO, 23. Aufl., § 621 g Rdn. 3 die Auffassung
vertreten wird, einstweilige Anordnungen könnten weiterhin von Amts wegen erlassen
werden, weil es an einer dem § 620 ZPO entsprechenden Regelung fehle, findet diese
Auffassung schon im eindeutigen Wortlaut von § 621 g Satz 1 ZPO, der gerade an die
Antragstellung anknüpft, keine Grundlage. Auch der weitere Hinweis von Zöller/Philippi
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(aaO) auf § 620 a Abs. 2 ZPO kann nicht überzeugen, weil die vorbezeichnete
Bestimmung nicht den ihr von Zöller/Philippi entnommenen Rückschluss gestattet. Mit
der im übrigen einhelligen aktuellen Kommentarliteratur (vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege,
ZPO, 24. Aufl., § 621 g Rdn. 4; Musielak/Borth, ZPO, 3. Aufl., § 621 g Rdn. 2;
MünchKommZPO/Finger, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 621 g Rdn. 3) ist vielmehr
davon auszugehen, dass einstweilige Anordnungen zur vorläufigen Regelung der
Nutzungsverhältnisse an der Ehewohnung nunmehr einer entsprechenden
Antragsstellung bedürfen. Dieses Rechtsverständnis deckt sich nicht zuletzt mit der - §
621 g ZPO im wesentlichen entsprechenden – Bestimmung des § 64 b Abs. 3 Sätze 1
und 2 FGG, die hinsichtlich der Regelung im Wege einstweiligen Rechtschutzes
ebenfalls an einen hierauf gerichteten Antrag anknüpft (vgl. dazu Schumacher, FamRZ
2002, 645, 657 f.).
Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat der Antragsteller weder
schriftsätzlich noch zu Protokoll des Familiengerichts gestellt. Schon aus diesem
Grunde kann der angefochtene Beschluss daher keinen Bestand haben.
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Unabhängig davon liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen
Anordnung entgegen der Auffassung des Amtsgerichts auch in der Sache selbst nicht
vor. Die in § 621 g ZPO geregelten einstweiligen Anordnungen ersetzen die von der
Rechtsprechung entwickelten vorläufigen Anordnungen und, wie eingangs dargelegt,
die in § 13 Abs. 4 HausratsVO vorgesehenen einstweiligen Anordnungen (vgl.
Zöller/Philippi aaO § 621 g Rdn. 1). Sie dürfen daher insbesondere nur dann erlassen
werden, wenn ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Einschreiten besteht, das ein
Abwarten bis zur entgültigen Entscheidung nicht gestattet, weil diese zu spät kommen,
die Interessen nicht mehr genügend wahren würde und eine Entscheidung im Sinne der
zunächst vorläufigen Maßnahme wahrscheinlich ist (vgl. OLG Köln FamRZ 2000, 1240;
OLG Frankfurt FamRZ 2000, 1037). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht
gegeben. Selbst wenn in den beiden beim Amtsgericht – Familiengericht – Bad
Neuenahr-Ahrweiler zu den Aktenzeichen 6 F 80/01 und 6 F 492/01 anhängigen
sorgerechtlichen Verfahren betreffend die drei Kinder der Parteien in diesem Jahre
keine rechtskräftige Endentscheidung mehr ergehen sollte, ist nicht ersichtlich, weshalb
der gegenwärtige Zustand betreffend die Nutzung des ehelichen Hauses – nachdem der
Antragsteller seit Oktober 2000 gemeinsam mit den Kindern unter seiner derzeitigen
Anschrift lebt – nunmehr eine einstweilige Regelung erforderlich machen sollte. Die in
diesem Zusammenhang in der Antragsschrift vom 9. Juli 2002 angeführten
Gesichtspunkte, es sei "nicht einzusehen" dass die Antragsgegnerin das eheliche Haus
alleine in Anspruch nehme, während der Antragsteller mit den drei Kindern in einer
Mietwohnung lebe und zusätzlich die Belastungen des Hauses trage, sind nicht von
solchem Gewicht, dass sie einen alsbaldigen Auszug der Antragsgegnerin aus dem in
ihrem Miteigentum stehenden Haus im Wege einer einstweiligen Regelung gebieten
könnten. Nichts anderes gilt für die vom Antragssteller des weiteren geltend gemachten
Umstände, wonach die Anmeldung der beiden älteren Kinder an weiterführenden
Schulen in S erforderlich sein soll und überdies die Antragsgegnerin bei einem Umzug
der Kinder in das Haus diese "eher besuchen" könne, als wenn die Kinder in H blieben
oder nach L zögen. Zum einen ist nicht dargetan, weshalb eine Schulanmeldung gerade
in S notwendig und demgegenüber ein Schulbesuch etwa in H selbst oder in C nicht
möglich oder auch ein Schulbesuch in S nicht von H aus in zumutbarer Weise zu
bewältigen sein soll. Zum anderen setzt ein Umzug des Antragstellers und der Kinder in
das Haus zwangsläufig den Auszug der Antragsgegnerin voraus, weshalb es
keinesfalls feststeht, dass diese – je nach dem, wo sie alsdann selbst Unterkunft findet –
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die Kinder unter erleichterten Umständen besuchen kann.
Auch die in der angefochtenen Entscheidung darüber hinaus angeführten Argumente,
die jedenfalls im schriftsätzlichen Vorbringen des Antragsstellers und in der
Sitzungsniederschrift des Amtsgerichts vom 4. Oktober 2002 keinen Niederschlag
gefunden haben, vermögen die angefochtene Entscheidung nicht zu rechtfertigen. So ist
zum einen an keiner Stelle nachvollziehbar dargetan, dass zwei Kindern in der
Wohnung des Antragsstellers tatsächlich nur Kinderzimmer von 7 bzw. 4 qm Größe zur
Verfügung stehen sollen. Nach der unwidersprochen gebliebenen Darstellung der
Antragsgegnerin in der Beschwerdebegründung bewohnt der Antragsteller gemeinsam
mit seiner Freundin ein Haus. Unabhängig davon, ob dieses Gebäude über eine
Wohnfläche von 190 qm oder lediglich von 90 qm (Flächenangaben auf S. 4 der
Beschwerdeschrift) verfügt, ist nicht ersichtlich, dass unter der derzeitigen Anschrift des
Antragstellers keine angemessene Unterbringung der Kinder erfolgen kann. Zum
anderen können – letztlich nur spekulative – Überlegungen zur voraussichtlichen Dauer
der beim Amtsgericht Bad Neuenahr-Ahrweiler anhängigen familiengerichtlichen
Verfahren und zur Überzeugungskraft der dort ergehenden Abschlussentscheidungen
eine so weitgehende Maßnahme, wie das Amtsgericht sie hier im Wege des
einstweiligen Rechtsschutzes getroffen hat, nicht rechtfertigen. Dabei ist auch zu
berücksichtigen, dass ein – je nach Ausgang der Sorgerechtsverfahren unter
Umständen nur vorläufiger – Auszug aus der ehelichen Wohnung die Antragsgegnerin,
die Sozialhilfeempfängerin ist, aktuell in wirtschaftlich stärkerem Maße belastet als den
berufstätigen Antragsteller die derzeitige Situation. Schließlich kann bei der
Entscheidung nicht unbeachtet bleiben, dass der Antragsteller die Antragsgegnerin mit
außergerichtlichem Schreiben vom 8. November 2002 (Bl. 30 des Sonderhefts EA I/WH)
unter Fristsetzung zum Auszug aus dem ehelichen Haus aufgefordert und ihr für den
Fall der Nichteinhaltung der gesetzten Frist den Antrag auf Einleitung eines
Teilungsversteigerungsverfahren angedroht hat. Diese Vorgehensweise legt die
Annahme nahe, dass es dem Antragsteller – dem bisherigen Vortrag der
Antragsgegnerin entsprechend – in erster Linie gar nicht um die eigene Nutzung des
ehelichen Hauses, sondern um dessen Verwertung geht. Auf den weiteren
Gesichtspunkt, dass die vom Antragsteller für den Auszug gesetzte Frist nicht einmal die
Räumungsfrist im angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts wahrt, kommt es in
diesem Zusammenhang nicht an.
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Nach alledem konnte die vom Amtsgericht getroffene Eilmaßnahme keinen Bestand
haben. Es ist entgegen der Einschätzung des Amtsgerichts bei der gegebenen
Sachlage auch insbesondere nicht sicher, dass bei fehlender Regelung im
einstweiligen Anordnungsverfahren zwangsläufig - jetzt schon - eine endgültige
Wohnungszuweisung an den Antragsteller erfolgen muss.
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Einer Kostenentscheidung – auch – für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht.
Gemäß § 621 g Satz 2, § 620 g ZPO gelten die im Verfahren der einstweiligen
Anordnung entstehenden Kosten für die Kostenentscheidung als Teil der Kosten der
Hauptsache. Das gilt regelmäßig auch für die Kosten einer erfolgreichen Beschwerde.
Insoweit findet der allgemeine Grundsatz Anwendung, dass in einem Beschluss, der der
Beschwerde statt gibt, über die Kosten der Beschwerdeinstanz nur zu entscheiden ist,
wenn im angefochtenen Beschluss über die Kosten zu entscheiden war (vgl.
Zöller/Philippi aaO § 620 g Rdn. 8). Im Streitfall besteht kein Anlass, hiervon
abzuweichen.
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