Urteil des OLG Köln vom 07.05.1993

OLG Köln (beherrschung des fahrzeugs, stgb, vollstreckung der strafe, vollzug der strafe, strafkammer, nicht naheliegen, günstige prognose, verteidigung, strafe, aussetzung)

Oberlandesgericht Köln, Ss 122/93 - 59 -
Datum:
07.05.1993
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
Ss 122/93 - 59 -
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben, soweit dem Angeklagten
Strafausset-zung zur Bewährung versagt worden ist. In diesem Umfang
wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
Köln zurückverwiesen.
G r ü n d e :
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A.
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Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrläs-siger Gefährdung des
Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von
neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat;
zugleich hat es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Füh-rerschein
eingezogen und eine Sperrfrist von drei Jahren für die Erteilung einer neuen
Fahrerlaubnis angeordnet.
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Nach den Feststellungen im amtsgerichtlichen Urteil hatte der Angeklagte am 20.
Dezember 1992 auf seiner Betriebsfeier so erhebliche Mengen Alkohol zu sich
genommen, daß seine Blutalkoholkonzentra-tion mindestens 2,25 %o betrug, als er
sich gegen 17.45 Uhr an das Steuer seines Pkws setzte. Nach einer Fahrstrecke von
drei Kilometern kam der Angeklagte in einer langgestreckten Linkskurve der B 237
über die Straßenmitte und stieß mit der vorderen linken Seite seines Fahrzeugs
gegen den hinteren Teil eines entgegenkommenden Müllwagens. Der Angeklagte
driftete mit seinem Fahrzeug weiter nach links auf die Gegenfahrbahn und stieß dort
mit einem entgegenkommenden Pkw zusammen, dessen Fahrer tödliche
Verletzungen erlitt.
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Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt, die sie auf das
Strafmaß be-schränkt hat.
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Das Landgericht hat die Berufung als wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch
beschränkt angesehen. Es hat gegen den Angeklagten eine Freiheitsstrafe von
einem Jahr ohne Bewährung verhängt und die Maßre-gelentscheidung des
Amtsgerichts aufrechterhalten.
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Im Rahmen der Strafbemessung hat die Strafkammer unter anderem ausgeführt (UA
S. 9):
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"Die Blutalkoholkonzentration bei dem Angeklagten lag bei Fahrtantritt um 17.45 Uhr
bei mindestens 2,25 und höchstens 2,68%o. Während für eine Schuld-fähigkeit des
Angeklagten nichts ersichtlich war, ließ sich nicht ausschließen, daß der Angeklagte
die Fahrt in einem einsichtsgetrübten Zustand antrat und daher seine Schuldfähigkeit
zum Tatzeit-punkt erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB war."
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Zur Strafaussetzungsfrage hat die Strafkammer aus-geführt:
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"Die gegen den Angeklagten verhängte Strafe konnte nicht zur Bewährung
ausgesetzt werden. Gemäß § 56 Abs. 3 StGB wird bei der Verurteilung zu Freiheits-
strafe von mindestens sechs Monaten die Vollstrek-kung nicht ausgesetzt, wenn die
Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet. Die Verteidigung der Rechtsordnung
gebietet die Vollstreckung der Frei-heitsstrafe dann, wenn eine Aussetzung der Voll-
streckung im Hinblick auf schwerwiegende Besonder-heiten des Einzelfalles für das
allgemeine Rechts-empfinden unverständlich erscheinen müßte und das Vertrauen
der Bevölkerung in die Unterbrüchlichkeit des Rechts und in den Schutz der
Rechtsordnung vor kriminellen Angriffen dadurch erschüttert wer-den könnte. Bei
einer Verurteilung wegen einer Trunkenheitsfahrt mit schweren Unfallfolgen ist die
Aussetzung der zwischen sechs Monaten und einem Jahr betragenden
Freiheitsstrafe zwar nicht schon in aller Regel ausgeschlossen; die Befürchtung, die
Aussetzung der Strafe werde auf das Unverständnis der Bevölkerung stoßen und
deren Rechtstreue ernst-lich beeinträchtigen, liegt aber bei einer solchen Tat näher
als bei sonstigen Rechtsverletzungen (BGHSt 24, 40 ff, 64 ff; BGH VRS 77, 347 ff).
Die hiernach erforderliche umfassende Würdigung von Tat und Täter führt zu dem
Ergebnis, daß die Vollstrek-kung der Strafe geboten ist....Schon die Tatsache, daß
sich der Angeklagte im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit hinter das Steuer
seines Wagens gesetzt hat, obwohl ihm aufgrund der großen Menge an Alkohol, die
er ausweislich seines später festgestellten Blutalkoholgehalts vor der Fahrt zu sich
genommen haben muß, seine Fahruntüchtigkeit hätte bewußt werden müssen,
spricht für ein hohes Maß an Verantwortungslosigkeit....Dem Angeklagten ist...weiter
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vorzuhalten, daß er sich zu einem Zeitpunkt betrunken hinter das Steuer seines
Wagen gesetzt hat, zu dem aufgrund der herrschenden Wit-terungsverhältnisse die
Beherrschung des Fahrzeugs alle Aufmerksamkeit auch eines nicht alkoholisier-ten
Fahrers beanspruchte und zu welchem bereits geringe Fahrfehler zu
schwerwiegenden Folgen führen konnten. Dies alles ist noch vor dem Hintergrund zu
sehen, daß über die Gefahren des Alkohols am Steuer ständig in den
verschiedensten Medien aufge-klärt wird. Durch diese Handlung hat der Angeklagte
den Tod des Geschädigten K. verursacht und damit einen nicht wieder
gutzumachenden Schaden angerich-tet. Schließlich war bei der Abwägung zu Lasten
des Angeklagten zu berücksichtigen, daß ihn das Alleinverschulden an dem
schweren Verkehrsunfall trifft. Er ist infolge eines Fahrfehlers auf die Gegenfahrbahn
geraten und hat dort den Geschädigten K. erfaßt, der keine Chance hatte, dem Unfall
zu entgehen. Bei dieser Lage ändert auch der Umstand, daß der Angeklagte selbst
an den Folgen des Unfall zu leiden hat, sowie der Umstand, daß es sich um ein
einmaliges, fahrlässiges Verhalten des bislang weder straf- noch ordnungsrechtlich
in Erscheinung getretenen Angeklagten handelte, der sich auch schon um eine
Mitfahrgelegenheit bemüht hatte, nichts daran, daß die Aussetzung der Vollstreckung
der Strafe auf das Unverständnis der Bevölkerung stoßen und deren Rechtstreue
ernstlich beeinträch-tigen würde; dazu sind die Unfallfolgen, wie sie den Angeklagten
getroffen haben, im Vergleich auch zu seiner durch den letztgenannten Umstand
mitbe-stimmten Schuld zu gering."
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Gegen das Berufungsurteil richtet sich die aus-drücklich auf die Versagung der
Strafaussetzung beschränkten Revision des Angeklagten mit der Sachrüge.
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B.
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Die Revision hat (vorläufigen) Erfolg.
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Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit dem Angeklagten
Strafaussetzung zur Bewäh-rung versagt worden ist, und in diesem Umfang zur
Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
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I.
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Mit Recht ist das Landgericht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf
den Rechtsfolgenaus-spruch und damit von der Rechtskraft des Schuld-spruchs im
erstinstanzlichen Urteil ausgegangen. Die tatsächlichen Feststellungen des
Amtsgerichts zur Schuldfrage lassen den Unrechts- und Schuld-gehalt der Tat
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hinreichend erkennen (vgl. Klein-knecht/Meyer, StPO, 40. Aufl., § 318 Rdnr. 16).
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Die Beschränkung der Revision auf die Versagung der Strafaussetzung ist ebenfalls
wirksam, weil die Strafzumessungserwägungen eine hinreichende Grundlage für die
Strafaussetzungsfrage darstellen (Senatsentscheidung vom 24. März 1993 - Ss 37/93
) und zwischen der Strafzumessung und der Maßregel-entscheidung einerseits und
der Entscheidung über die Strafaussetzungsfrage andererseits im vorlie-genden Fall
keine inneren Abhängigkeiten bestehen, sondern diese Aspekte getrennt beurteilt
werden können (vgl. Senatsentscheidung vom 23. März 1993 - Ss 75/93;
Kleinknecht/Meyer a.a.O., § 353 Rdnr. 6, § 344 Rdnr. 7, § 318 Rdnr. 20 m.N.).
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II.
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Die Erwägungen im angefochtenen Urteil, mit denen die Strafkammer es abgelehnt
hat, die erkannte Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, halten rechtlicher
Nachprüfung nicht stand (vgl. Senats-entscheidung vom 15. Februar 1977 - Ss
745/76 = VRS 53, 264). Sie sind in revisionsrechtlich bedeutsa-mer Weise materiell-
rechtlich unvollständig.
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1)
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Bei Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu einem Jahr schreibt § 56 StGB die
Strafaussetzung vor, wenn dem Täter eine günstige Sozialprognose gestellt werden
kann (§ 56 Abs. 1 StGB) und die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung
nicht gebietet (§ 56 Abs. 3 StGB). Voraussetzung für die Erörterung der
Strafaussetzungsfrage unter dem Gesichtspunkt "Verteidigung der Rechtsordnung" (§
56 Abs. 3 StGB) ist, daß die günstige Sozial-prognose (§ 56 Abs. 1 StGB) zu bejahen
ist (vgl. Ruß in Leipziger Kommentar, StGB, 10. Aufl., § 56 Rdnr. 34). Die Prognose
darf nicht offengelassen werden (Senatsentscheidung a.a.O.; zustimmend: Ruß in
Leipziger Kommentar a.a.O.; Stree in Schön-ke/Schröder, StGB, 24. Aufl., § 56 Rdnr.
45; Dre-her/Tröndle, StGB, 46. Aufl., § 56 Rdnr. 8 a; vgl. auch Molketin, NZV 1990,
289, 290), auch wenn letztlich die Vorausetzungen der Versagung zur Verteidigung
der Rechtsordnung bejaht werden können (Schäfer, Praxis der Strafzumessung,
Rdnr. 628). Die beiden Gesichtspunkte "günstige Prognose" und "Verteidigung der
Rechtsordnung" werden vom Gesetz zwar einander gegenübergestellt, woraus zu
entneh-men ist, daß der Begriff "Verteidigung der Rechts-ordnung" keine
spezialpräventiven Elemente enthält (Ruß in Leipziger Kommentar a.a.O.).
Spezialprä-ventive Momente spielen jedoch insofern in den Begriff hinein, als der
Grad der Wahrscheinlichkeit künftigen straflosen Verhaltens von Einfluß darauf sein
kann, ob nach § 56 Abs. 3 StGB der Vollzug der Strafe erforderlich ist (Ruß in
Leipziger Kommentar a.a.O.). Das Maß der persönlichen Bewährungswür-digkeit ist
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auch im Rahmen der Abwägung nach § 56 Abs. 3 StGB mit von Bedeutung
(Senatsentscheidung a.a.O.).
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Diese Grundsätze gelten auch für Trunkenheitsfahr-ten mit schweren Unfallfolgen.
Zwar liegt bei solchen Fallgestaltungen die Befürchtung einer Be-einträchtigung der
Rechtstreue der Bevölkerung nahe (Senatsentscheidung a.a.O.). In den meisten
dieser Fälle kann auch ein besonders günstiges Persönlich-keitsbild des Täters eine
Aussetzung der Freiheits-strafe schwerlich begründen (Senatsentscheidung a.a.O.;
vgl. BGHSt 24, 64,69 = NJW 1971, 664 = VRS 40, 253). Auch in diesen Fällen darf
jedoch das Gericht nicht darauf verzichten, eine abschließen-de Zukunftsprognose zu
stellen (Senatsentscheidung a.a.O).
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Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen der Strafkammer zur
Strafaussetzungsfrage nicht. Die Strafkammer hat über den Gesichtspunkt der
"Vertei-digung der Rechtsordnung" (§ 56 Abs. 3 StGB) ent-schieden, ohne dem
Angeklagten zuvor eine mit Grün-den versehene günstige Sozialprognose gestellt
und diese in die Gesamtwürdigung nach § 56 Abs. 3 StGB einbezogen zu haben (vgl.
Senatsentscheidung a.a.O.).
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Die Erwägungen der Strafkammer zur Strafausset-zungsfrage weisen darüber hinaus
eine weitere rechtsfehlerhafte Unvollständigkeit auf.
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Die Entscheidung nach § 56 Abs. 3 StGB, ob dem Täter trotz günstiger
Sozialprognose die Aussetzung der Vollstreckung zu versagen ist, hängt von der
Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände des
Einzelfalles ab (BGH St 24, 64, 66 ). Danach mußte sich hier der Straf-kammer
aufdrängen, in diese Gesamtwürdigung auch die Tatsache einzubeziehen, daß der
Angeklagte - wie von der Strafkammer angenommen - "die Fahrt in einem
einsichtsgetrübten Zustand antrat und daher seine Schuldfähigkeit zum Tatzeitpunkt
er-heblich vermindert im Sinne des § 21 StGB war." Die schriftlichen Urteilsgründe
lassen indes nicht erkennen, daß die Strafkammer diesen Gesichtspunkt, der zur
Strafrahmenverschiebung geführt hat (§§ 49 Abs. 1, 21 StGB), auch in diesem
Zusammenhang berücksichtigt hat. Ihre Ausführungen, schon die Tatsache, daß sich
der Angeklagte im Zustand alko-holbedingter Fahruntüchtigkeit hinter das Steuer
seines Wagens gesetzt habe, obwohl ihm aufgrund der großen Menge an Alkohol
seine Fahruntüchtigkeit hätte bewußt werden müssen, spreche für ein hohes Maß an
Verantwortungslosigkeit, dem Angeklagten sei weiter vorzuhalten, daß er sich zu
einem Zeitpunkt betrunken hinter das Steuer seines Wagens gesetzt habe, zu dem
aufgrund der herrschenden Witterungs-verhältnisse die Beherrschung des Fahrzeugs
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alle Aufmerksamkeit auch eines nicht alkoholisierten Fahrers beansprucht hätte,
lassen vielmehr besor-gen, daß der Umstand verminderter Schuldfähigkeit (§ 21
StGB) in die Abwägung nach § 56 Abs. 3 StGB nicht eingeflossen ist. -
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Es ist nicht auszuschließen, daß sich vorgenannte Rechtsfehler bei der
Entscheidung der Strafausset-zungsfrage zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt
haben, mag letztlich eine Strafaussetzung zur Bewährung auch nicht naheliegen,
zumal im Hin-blick auf die Tatzeitblutalkoholkonzentration des Angeklagten von mehr
als 2 %o, die für eine über-durchschnittliche Alkoholgewöhnung spricht (vgl.
Mühlhaus/Janiszewski, StVO, 13. Aufl., StVG § 2 Rdnr. 11), bereits eine günstige
Sozialprognose (§ 56 Abs. 1 StGB) nicht auf der Hand liegt.
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Für die neue Hauptverhandlung wird bemerkt, daß eine Strafverbüßung zur
Verteidigung der Rechtsord-nung nicht geboten ist, falls eine ausreichende
Genugtuung mit einer Auflage gemäß § 56 b StGB erreicht werden kann (Stree in
Schönke/Schröder a.a.O., § 56 Rdnr. 44 am Ende; vgl. auch BGH NJW 1990, 193,
194 am Ende von Nr. 3 = VRS 77, 347).
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