Urteil des OLG Köln vom 17.02.2004

OLG Köln: polizei, fahrzeug, versicherungsnehmer, ermittlungsverfahren, verfügung, verschulden, entwendung, nachlässigkeit, kenntnisnahme, erfahrung

Oberlandesgericht Köln, 9 U 116/03
Datum:
17.02.2004
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 116/03
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 24 O 331/02
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 5. Juni 2003 verkündete Urteil
der 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 24 O 331/02 - wird zurück-
gewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
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I.
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Der Kläger begehrt die Zahlung einer Kaskoentschädigung wegen der behaupteten
Entwendung seines Fahrzeugs am 29.1.2002 in H.. Wegen des Sach- und Streitstandes
wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil vom 5.6.2003
Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
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Mit der Berufung rügt der Kläger eine fehlerhafte Rechtswürdigung und
Tatsachenfeststellung. Er meint, das Landgericht sei zu Unrecht von einer vorsätzlichen
Falschangabe ausgegangen.
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Erstmals mit der Berufung behauptet der Kläger, dass er sich nach Erhalt des
Fragebogens der Beklagten nicht in der Lage gesehen habe, diesen auszufüllen. Er
habe deshalb telefonisch einen Besprechungstermin mit dem Versicherungsagenten
der Beklagten, dem Zeugen T., vereinbart. In dem Termin, bei dem auch ein Freund des
Klägers, der Zeuge E., zugegen gewesen sei, habe der Zeuge T. den Fragebogen
ausgefüllt. Bei der Frage nach Vorschäden habe der Kläger ausdrücklich gefragt, ob alle
Vorschäden benannt werden müssten oder nur der letzte aktuelle Vorschaden. Er, der
Kläger, gehe davon aus, dass nur der letzte Schaden benannt werden müsse, was der
Zeuge T. bejaht habe. Deshalb sei nur der letzte Schaden aufgenommen worden. Ein
Täuschungsvorsatz scheide auch deshalb aus, weil in dem E.-Gutachten zu dem letzten
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Unfall Vorschäden ausdrücklich aufgeführt worden seien.
Der Kläger behauptet weiter, dass er Anfang Januar 2004 das von ihm als gestohlen
gemeldete Fahrzeug in C. gesehen habe. Er habe dies der Polizei gemeldet. Der jetzige
Halter des Fahrzeugs sei der Polizei bekannt. Gegen den noch unbekannten Täter habe
die Polizei ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, was der Polizeibeamte L. aus H. als
Zeuge bestätigen könne. Der Kläger gehe davon aus, dass das Ermittlungsverfahren
unter dem Aktenzeichen der beigezogenen Akte StA Essen 87 UJs 2610/02 geführt
werde.
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Der Kläger beantragt,
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das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn
10.737,13 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 1.4.2002 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Sie ist der Auffassung, dass der
von ihr bestrittene neue Sachvortrag des Klägers aus prozessualen Gründen nicht
berücksichtigungsfähig sei.
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Der Senat hat den Kläger im Termin vom 27. Januar 2004 auf eine beabsichtigte
Nichtzulassung seines neuen Vorbringens zum Ausfüllen der Schadensanzeige
hingewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf
die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die
Sitzungsniederschrift vom 27. Januar 2004 Bezug genommen.
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I.
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Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
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Das Landgericht hat die Klage aufgrund des erstinstanzlichen Vortrags zu Recht mit der
Begründung abgewiesen, dass der Kläger bereits nicht das äußere Bild der
Fahrzeugentwendung beweisen kann.
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Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. nur BGH VersR 84, 29; 96, 1135; r+s 95, 288)
kommen dem Versicherungsnehmer, der eine Entschädigung wegen des Diebstahls
seines kaskoversicherten Fahrzeugs verlangt, Beweiserleichterungen zu Gute. Der
Versicherungsnehmer braucht nur darzulegen und zu beweisen, dass ein äußeres Bild
vorliegt, das mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf einen Diebstahl schließen lässt.
Dafür genügt es, dass er darlegt und beweist, dass er oder ein anderer Berechtigter das
Fahrzeug an einer bestimmten Stelle zu einem bestimmten Zeitpunkt abgestellt und es
später gegen seinen Willen dort nicht wieder vorgefunden hat. Hinsichtlich dieser
Minimaltatsachen ist der Vollbeweis zu erbringen; Beweiserleichterungen gibt es
insoweit nicht (vgl. BGH r+s 93, 169; VersR 99, 1535; Urteil des Senats vom 4.9.2001 –
9 U 18/01 – veröffentlicht in VersR 2002, 478).
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Dem Kläger stehen keine Zeugen für das äußere Bild der Fahrzeugentwendung zur
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Verfügung. Die im Termin beantragte Vernehmung des Polizeibeamten L. als Zeugen ist
zum Beweis des äußeren Bildes des Diebstahls nicht geeignet. Der Kläger hat den
Zeugen L. dafür benannt, dass der Kläger bei der Polizei angezeigt habe, dass er sein
als gestohlen gemeldetes Fahrzeug vor einigen Tagen in C. gesehen habe, und die
Polizei daraufhin ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt eingeleitet habe. Weder die
weitere Anzeige des Klägers bei der Polizei noch die (erneute) Einleitung eines
Ermittlungsverfahrens gegen unbekannt können beweisen, dass der Kläger am
29.1.2002 in H. sein Fahrzeug abgestellt und es später gegen seinen Willen dort nicht
wieder vorgefunden hat.
Stehen dem Versicherungsnehmer keine Zeugen zur Verfügung, um die genannten
Mindesttatsachen zu beweisen, kommt zwar grundsätzlich eine Anhörung des Klägers
gemäß § 141 ZPO in Betracht; jedoch setzt der Nachweis des äußeren Bildes durch
eigene Angaben des Versicherungsnehmers voraus, dass dieser uneingeschränkt
glaubwürdig ist. Es dürfen keine Zweifel an der persönlichen Glaubwürdigkeit und an
der Richtigkeit der Sachverhaltsschilderung bestehen (vgl. BGH, r+s 1997, 277; Senat,
r+s 2001, 496; r+s 2000, 320). Welche Umstände von Bedeutung sind, ist Frage des
Einzelfalls. Dabei fallen insbesondere Verfehlungen im Zusammenhang mit dem
aktuellen Versicherungsfall ins Gewicht. Zu Recht hat das Landgericht angenommen,
dass sich durchgreifende Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Klägers aus der
vorsätzlich falschen Beantwortung der Frage nach Vorschäden in dem
Schadensformular ergeben.
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Es ist in der Rechtsprechung allgemein anerkannt, dass die im Schadensformular
gestellte Frage nach Vorschäden eines Fahrzeugs aus Sicht eines durchschnittlichen
Versicherungsnehmers so zu verstehen ist, dass nach sämtlichen Vorschäden und nicht
nur nach dem letzten Vorschaden gefragt wird (OLG Koblenz VersR 2001, 1420 L;
VersR 99, 1536; OLG Bremen VersR 1998, 1149). In dem streitgegenständlichen
Schadensformular sind die Fragen eindeutig und unmissverständlich formuliert. In der
ersten Frage wird auf den "bisherigen Betrieb des Kfz" abgestellt. Schon aus der
Verwendung des Begriffs "bisherigen" ergibt sich, dass es auf die gesamte Betriebszeit
ankommt und nicht nur auf den letzten Unfall. Die Verwendung des Plurals – "welche
Vorschäden" – schließt die Interpretation des Klägers, es sei nur nach dem letzten
Vorschaden gefragt, unzweifelhaft aus. Die Fragen sind auch für einen Laien, der keine
Erfahrung im Umgang mit Versicherungsangelegenheiten hat, einfach zu verstehen. Der
Kläger hat die Frage objektiv falsch beantwortet, indem er nur den letzten Vorschaden
und nicht die weiteren drei erheblichen Frontschäden aus Oktober 2000, Mai und
August 2001 angegeben hat.
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Zu Recht hat das Landgericht aufgrund des erstinstanzlichen Vortrags eine vorsätzliche
Falschbeantwortung des Klägers angenommen. Bereits die falsche Beantwortung der
eindeutig gestellten Fragen ist Indiz für ein vorsätzliches Handeln des Klägers. Bei
Zweifeln an der richtigen Auslegung der Frage hätte der Kläger, wie das Landgericht
richtig herausstellt, bei der Beklagten oder ihrem Agenten nachfragen müssen. In der
ersten Instanz hat der Kläger gerade nicht vorgetragen, dass er diese Nachfrage beim
Versicherungsagenten unternommen hat.
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Umstände, die den Kläger entlasten können, sind nach dem erstinstanzlichen
Tatsachenvortrag nicht ersichtlich. Eine Kenntnisnahme der Beklagten im Rahmen der
üblichen Recherche ändert an dem Verschulden des Klägers nichts. Insbesondere steht
einem vorsätzlichen Handeln nicht entgegen, dass in dem E.-Gutachten zu dem letzten
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Verkehrsunfall Vorschäden erwähnt wurden. Es ist reine Spekulation, ob der Kläger sich
bei der Beantwortung der Fragen im Schadensformular konkret daran erinnerte, dass
der Gutachter Vorschäden erwähnte. Im Übrigen wurden im Gutachten lediglich zwei
reparierte Vorschäden ohne nähere Angaben zum Unfalldatum erwähnt. Der Kläger, der
nach eigenen Angaben nicht erfahren mit Schadensanzeigen ist, musste nicht
unbedingt mit einer Recherche und der Aufdeckung seiner falschen Angaben rechnen.
Die vorsätzlich falsche Beantwortung der Frage nach Vorschäden reicht aus, um die
Zuverlässigkeit des Klägers insgesamt in Zweifel zu ziehen. Es ist allgemein anerkannt,
dass der Versicherer ein berechtigtes Interesse daran hat, Kenntnis von Anzahl und
Umfang der Vorschäden zu erlangen (vgl. OLG Koblenz VersR 99, 1536). Vorschäden
sind für die Wertermittlung von entscheidender Bedeutung. Der Kläger hat drei
erhebliche Vorschäden aus den letzten beiden Jahren vor der Entwendung
verschwiegen, die auf der Basis fiktiver Reparaturkosten abgerechnet wurden. Diese
Falschangabe war geeignet, die Schadensberechnung in beträchtlichem Umfang zu
Lasten des Versicherers zu beeinflussen.
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Eine andere rechtliche Bewertung ergibt sich nicht aus dem neuen Sachvortrag des
Klägers in der Berufungsbegründung. Denn die mit der Berufung vorgetragenen neuen
Tatsachen zu den Umständen, wie das Formular ausgefüllt worden sein soll, sind
gemäß §§ 529 Abs. 1, 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen.
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Es bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der vom Landgericht
festgestellten entscheidungserheblichen Tatsachen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). In den
erstinstanzlichen Schriftsätzen erwähnt der Kläger nicht, dass er Rücksprache mit dem
Versicherungsagenten der Beklagten gehalten habe und dieser sogar das Formular
ausgefüllt habe. In den Entscheidungsgründen führt das Landgericht aus, dass die
Prozessbevollmächtigte des Klägers im Termin hervorgehoben habe, dass der Kläger
im Zusammenhang mit seinen Angaben im Schadensformular in Kontakt mit dem
Versicherungsagenten gestanden habe. Den Erhalt einer falschen Antwort habe der
Kläger aber nicht behauptet. Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit
dieser Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung sind weder ersichtlich noch
vom Kläger konkret dargetan. Einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung, der auch das
in den Entscheidungsgründen wiedergegebene tatsächliche Vorbringen erfasst hätte,
hat der Kläger nicht gestellt.
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Die Voraussetzungen für eine Zulassung des neuen Vorbringens gemäß § 531 Abs. 2
ZPO liegen nicht vor. Das Landgericht hat die Bedeutung der Umstände, wie die
Angaben im Schadensformular zustande gekommen sind, weder übersehen noch für
unerheblich gehalten (§ 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Vielmehr stellt das Landgericht gerade
in der Begründung entscheidend auf den Gesichtspunkt ab, dass der Kläger bei der
Beklagten nicht nachgefragt habe.
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Ein Verfahrensfehler des Landgerichts gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO liegt nicht vor.
Bereits in der Klageerwiderung hatte die Beklagte das Problem der vorsätzlichen
Falschangabe in dem Schadensformular angesprochen. In der Replik hat der Kläger zu
dieser Frage Stellung genommen. Für das Gericht war deshalb erkennbar, dass dem
Kläger die Bedeutung dieser Frage bewusst war. Ausweislich des Protokolls wurde die
Sach- und Rechtslage erörtert. Dass die Prozessbevollmächtigte des Klägers im Termin
dessen Kontakt zu dem Versicherungsagenten erwähnte, zeigt, dass auch über die
Umstände des Zustandekommens der falschen Angaben im Termin gesprochen wurde.
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Das Gericht durfte davon ausgehen, dass der anwaltlich vertretene Kläger vollständig
vorträgt. Eines ausdrücklichen gerichtlichen Hinweises oder weiterer Nachfragen des
Gerichts bedurfte es deshalb nicht.
Der Kläger hat nicht dargelegt, dass der fehlende Vortrag in der ersten Instanz nicht auf
Nachlässigkeit beruht (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO). Der Kläger ist insoweit
darlegungspflichtig (Zöller/Gummer, ZPO, 24. Aufl., § 531 Rn. 34). Der Kläger hat trotz
des Hinweises des Senats im Termin keinerlei Erklärung dafür gegeben, warum die
tatsächlichen Gegebenheiten beim Ausfüllen des Schadensformulars erstmals mit der
Berufung geltend gemacht werden. Ein plausibler Grund ist auch nicht erkennbar.
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Zu Recht beruft sich die Beklagte auch auf Leistungsfreiheit wegen vorsätzlicher
Verletzung der Aufklärungsobliegenheit gemäß §§ 7 I Abs. 2 S. 3, V Abs. 4 AKB, 6 Abs.
3 VVG. Der Kläger hat seine Aufklärungsobliegenheit verletzt, indem er – wie gezeigt –
vorsätzlich falsche Angaben zu Vorschäden im Schadensformular gemacht hat. Die
Obliegenheitsverletzung ist folgenlos geblieben, so dass die sog.
Relevanzrechtsprechung des BGH (VersR 1984, 228; r + s 1993, 308) anzuwenden ist.
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Die Nichtangabe von erheblichen Vorschäden ist generell geeignet, die Interessen des
Kaskoversicherers ernsthaft zu gefährden. Den Kläger trifft nach dem Sachvortrag in der
ersten Instanz ein erhebliches Verschulden. Der Kläger hat mehrere erhebliche
Schäden aus den beiden Vorjahren verschwiegen. Die Fragen im Formular waren
eindeutig formuliert. Bei Zweifeln hätte er angesichts der erkennbaren Bedeutung der
Frage für die Bestimmung des Wiederbeschaffungswertes bei der Beklagten nachfragen
müssen. Die Beklagte hat den Kläger gut erkennbar, unmittelbar vor der
Unterschriftszeile über die Folgen einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung
ordnungsgemäß belehrt (s. Seite 5 zum Schreiben vom 5.2.2002 der Beklagten).
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Der neue Sachvortrag des Klägers zu den Umständen, wie das Schadensformular
ausgefüllt worden ist, ist auch hinsichtlich der Obliegenheitsverletzung gemäß §§ 529
Abs. 1, 531 Abs. 2 ZPO unbeachtlich. Es wird auf die obigen Ausführungen Bezug
genommen.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10,
711, 713 ZPO.
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Ein Anlass, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen, besteht nicht. Die
Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung des
Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
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Streitwert: 10.737,13 EUR.
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