Urteil des OLG Köln vom 24.05.2000

OLG Köln: sorgfalt, komplikationen, ermittlungsverfahren, aufmerksamkeit, klinik, ergänzung, verwertung, datum

Oberlandesgericht Köln, 5 U 28/00
Datum:
24.05.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 28/00
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 11 O 186/99
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 4. Oktober 1999 verkündete
Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 11 O 186/99 - wird
zurückgewiesen. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens
zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe
1
Die zulässige Berufung der Klägerin bleibt in der Sache ohne Erfolg.
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Das Landgericht hat die auf Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 116
SGB X gerichtete Klage auf der Grundlage des im staatsanwaltschaftlichen
Ermittlungsverfahrens gegen den Beklagten eingeholten Gutachtens des
Sachverständigen Prof. Dr. G. vom 27. Mai 1997 und der Ergänzung vom 16. Oktober
1997, gegen deren Verwertung keine Partei Einwendungen erhoben hat, mit im
wesentlichen zutreffenden Erwägungen, die der Senat teilt und auf die zur Vermeidung
von Wiederholungen Bezug genommen wird (§ 543 Abs. 1 ZPO), abgewiesen. Das
Berufungsvorbringen gibt lediglich zu folgenden Ergänzungen Anlaß:
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Dem Beklagten kann nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er Herrn L. während der
Durchführung der Phlebographie nicht angeschnallt hat. Der Sachverständige Prof. Dr.
G. hat die ihm konkret gestellte Frage, ob das Anlegen eines Bauchgurtes bei einer
Phlebographie üblich ist, für den Regelfall klar und eindeutig verneint. Dies hat er damit
begründet, dass ein angelegter Gurt wegen notwendiger Drehbewegungen des
Patienten während der Untersuchung gelockert werden müßte und durch die damit
einhergehende Zeitverzögerung wegen des natürlichen Kontrastmittelabstroms kein
optimales Röntgenergebnis mehr erzielt werden könne (BA 56 unter 1.). Er hat ferner
darauf hingewiesen, dass in der Anfangsphase der Untersuchung ein unmittelbarer
Nahkontakt zum Patienten bestehe, so dass ein durch eine Bewußtlosigkeit des
Patienten verursachter Sturz von dem Mitarbeiter, der neben dem Patienten steht,
verhindert werden könne (BA 57 unter 2.). Und schließlich hat der Sachverständige es
für ausreichend gehalten, im weiteren Verlauf der Untersuchung Sprechkontakt zum
Patienten zu halten, um eine sich in aller Regel abzeichnende Bewußtlosigkeit
frühzeitig erkennen und hierauf - etwa durch Absenken der Untersuchungsliege -
reagieren zu können (BA 57 unter 3.). Mit diesen Ausführungen hat der Sachverständige
allgemein den üblichen fachärztlichen Standard beschrieben; lediglich darüber hinaus
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hat er vermerkt, dass es auch in der von ihm geleiteten Klinik nicht üblich sei, einen
Patienten im Regelfall anzuschnallen. Gegen diese Feststellungen, die dem Senat in
jeder Hinsicht nachvollziehbar und überzeugend erscheinen, hat die Klägerin mit der
Berufungsbegründung Einwendungen auch nicht mehr erhoben, denn diese hebt
alleine darauf ab, es dem Beklagten zum Vorwurf zu machen, nicht dafür gesorgt zu
haben, dass sich während der gesamten Untersuchung eine Person in unmittelbarer
Nähe des Patienten aufhält.
Damit läßt sich der Vorwurf mangelnder Sorgfalt bei der Durchführung der
Phlebographie bei Herrn L. indes nicht begründen. Die Klägerin, die sich insoweit auf
die Feststellungen des Sachverständigen auf. S. 4 seines Gutachtens unter Ziffer 2. (BA
57) stützt, verkennt, dass sich die dortigen Ausführungen lediglich auf die Anfangsphase
der Untersuchung beziehen. In dieser Phase besteht ein unmittelbarer Nahkontakt zum
Patienten, weil die Kontrastmittelinjektion und die Anfertigung der Röntgenaufnahmen
am Unterschenkel und in der Kniegelenksregion zeitgleich erfolgen. Für den weiteren
Verlauf der Untersuchung hält der Sachverständige, wie unter Ziffer 3. dargelegt, einen
Sprechkontakt mit dem Patienten für ausreichend, um einen drohenden
Bewußtseinsverlust alsbald erkennen zu können. Unabhängig davon dürfte die
Forderung, dass während der gesamten Untersuchung eine Person unmittelbar neben
dem Patienten zu stehen hat, wegen der Strahlenbelastung, der diese Person dann
ausgesetzt wäre, nicht zu verantworten sein (vgl. insoweit OLG Karlsruhe, Urt. v. 23.
Oktober 1996 - 7 U 7/95 -, MedR 1997, 219 = Dtsch.med.Wschr. 1997, 699).
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Besondere Sorgfaltspflichten trafen den Beklagten nicht. Nach den ihm vorliegenden
Krankenunterlagen waren bereits 1991 und 1995 zwei Phlebographien vorgenommen
worden, ohne dass Komplikationen aufgetreten waren. Der vage Hinweis des Zeugen L.
darauf, dass ihm früher bei einer solchen Untersuchung schon einmal übel war - der
Zeuge will nach seiner Darstellung für kurze Zeit benommen gewesen sein -, mußte den
Beklagten noch nicht veranlassen, vorsorglich einen Beckengurt anzulegen, zumal der
Zeuge damals nicht bewußtlos geworden war. Allenfalls war der Beklagte zu erhöhter
Aufmerksamkeit verpflichtet. Dem ist er aber dadurch nachgekommen, dass er den
Zeugen L. - wie dieser selbst bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht bekundet hat
- "laufend" gefragt hat, ob es ihm gutgehe. Damit hatte der Beklagte hier die gebotenen
Vorsichtsmaßnahmen getroffen.
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Etwas anderes läßt sich weder aus der von der Klägerin herangezogenen Entscheidung
des OLG München (NJW 1997, 1642), die nichts über die erforderlichen
Schutzmaßnahmen bei einer Phlebographie aussagt, noch der Bemerkung des
Sachverständigen Prof. Dr. G., der Bewußtseinsverlust des Zeugen L. sei aufgrund
einiger weniger "Sekunden der Unaufmerksamkeit" nicht rechtzeitig erkannt worden,
herleiten. Diese Äußerung, die nicht mehr als eine bloße Mutmaßung darstellt, ist schon
deswegen nicht von Relevanz, weil dem Sachverständigen der genaue Ablauf der
Untersuchung durch den Beklagten bei Abfassung des Gutachtens nicht bekannt war.
Insbesondere konnte er die Angaben des Zeugen L. zum genauen Ablauf der
Untersuchung nicht berücksichtigen, weil dieser sich im Ermittlungsverfahren über seine
Anwälte dazu nur knapp geäußert und insbesondere nicht mitgeteilt hat, dass der
Beklagte ihn "laufend" angesprochen hatte, um sich davon zu überzeugen, dass er bei
Bewußtsein war. Unter Berücksichtigung dieser Bekundungen läßt sich der Vorwurf
mangelnder Sorgfalt bei der Durchführung der Phlebographie nicht rechtfertigen.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Berufungsstreitwert
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und Wert der Beschwer der Klägerin: 10.806,14 DM
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