Urteil des OLG Köln vom 11.12.2000

OLG Köln: vaterschaft, wirtschaftliches interesse, exhumierung, abstammung, vormund, verfügung, gutachter, jugendamt, beweismittel, stadt

Oberlandesgericht Köln, 14 UF 130/00
Datum:
11.12.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
14. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
14 UF 130/00
Vorinstanz:
Amtsgericht Köln, 52 VII L 24/94
Tenor:
Der Prozeßkostenhilfeantrag zur Durchführung einer Be-schwerde
gegen den Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 27.9.2000 (52 VII L
24/94) wird zurückgewiesen.
G R Ü N D E
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I.
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Die minderjährige am 7.10.1993 geborene Antragstellerin ist Tochter der Frau M. L.
(geb. 18.9.1960), die drogenabhängig ist. Die Antragstellerin ist der Auffassung, der am
2.10.1994 vermutlich an einer Drogenüberdosis verstorbene M. C. (geb. 4.3.1966) sei ihr
Vater, weil ihre Mutter erklärt habe, in der Empfängniszeit ausschließlich mit M. C.
verkehrt zu haben. Das Kind lebt seit Jahren in einer Pflegefamilie und das Jugendamt
der Stadt K. ist Vormund.
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Schon am 14.8.1995 hat der Vormund - mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts -
beantragt festzustellen, dass der am 2.10.1994 geborene M. C. Vater des Kindes sei.
Die Eltern von M. C. sind verstorben. Das Amtsgericht hat die Großmutter von M. C.,
Frau A. C. (geb. 28.7.1907) 1997 in ihrer Wohnung vernommen. Sie hat bekundet, M. C.
habe sich als Kindesvater angesehen. Nach zahlreichen Versuchen und mehreren
erfolglosen Vorführungsbefehlen ist es schließlich am 15.4.1999 gelungen, eine
schriftliche Erklärung der Kindesmutter beizubringen, in der diese erklärt, in der
Empfängniszeit nur mit Herrn C. verkehrt zu haben. Zur Blutentnahme ist Frau L. erst
nach mehreren ergebnislosen Vorführungsbefehlen am 30.5.2000 erschienen. Prof. Dr.
P. hat unter Einbeziehung des Kindes Lo. , der Kindesmutter, der Urgroßmutter des
Kindes Frau A. C. und einer Tante des M. C. ein Blutgruppengutachten erstattet. Das
Gutachten hat einen Wahrscheinlichkeitswert von 55,0826 % für die Vaterschaft von M.
C. ergeben. Er konnte nicht als Erzeuger des Kindes ausgeschlossen werden, aber der
Gutachter hat bemerkt, dass die Vaterschaft völlig ungeklärt sei, da die untersuchten
Personen mit dem Vater nicht nah genug verwandt waren.
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Das Amtsgericht hat den Vaterschaftsfeststellungsantrag zurückgewiesen.
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Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Jugendamts der Stadt K.
als Vormund. Es meint, unter den gegebenen Umständen müsse auch die festgestellte
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Vaterschaftswahrscheinlichkeit genügen, da nähere Verwandte nicht zur Verfügung
stünden und Herr C. sich zu Lebzeiten als Vater des Kindes bezeichnet habe.
Der Senat hat darauf hingewiesen, dass nur durch eine Exhumierung des Vaters und
eine Gewebeuntersuchung die Vaterschaft hinreichend sicher festgestellt werden
könne. Es möge daher das Interesse an der Vaterschaftsfeststellung näher dargelegt
werden und mitgeteilt werden, wo der Verstorbene beerdigt sei und ob die
zustimmungsberechtigten Angehörigen mit einer Störung der Totenruhe einverstanden
seien.
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Das Jugendamt hat dazu erklärt, es bestehe nur das allgemeine Interesse jedes
Menschen an der Klärung seiner Herkunft, es gehe nicht um wirtschaftliche Fragen der
Erbenstellung. Es hat keine Angaben zum Beerdigungsort gemacht, weil es eine
Exhumierung für unnötig hält und meint, schon aufgrund der Erklärungen der
Kindesmutter und des Verstorbenen könne die Vaterschaft festgestellt werden.
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II.
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Das Prozeßkostenhilfegesuch zur Durchführung der Beschwerde war zurückzuweisen,
da die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
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1)
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Gegen den Beschluss des Amtsgerichts, mit dem der Antrag auf Feststellung der
Vaterschaft zurückgewiesen worden ist, ist gem. § 621e II ZPO, der § 1600e II BGB
besonders erwähnt, i.V.m. § 55b FGG die befristete Beschwerde statthaft
(Keidel/Kuntze/Engelhardt, FGG, 14. Aufl. (1999) § 55 b Rn. 10). Diese ist auch
rechtzeitig eingelegt worden.
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Zwar hat das Amtsgericht noch als Vormundschaftsgericht entschieden, nach Art. 15 § 1
II KindRG ist der Senat aber als Beschwerdegericht zuständig, da die Entscheidung
nach dem 1.7.1998 ergangen ist.
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Gem. §§ 1592 Nr.3, 1600 d I BGB kann die Vaterschaft auf Klage (Antrag) des Kindes
gerichtlich festgestellt werden, wenn - wie im Streitfall - keine Vaterschaft nach §§ 1592
Nr.1, 2, 1593 BGB besteht. Die Feststellung kann sich auch auf einen Vater beziehen,
der bereits verstorben ist (§ 1600e II BGB; § 1600n II a.F. BGB).
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2)
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Das Persönlichkeitsrecht des Kindes umfaßt das Recht auf Kenntnis seiner
Abstammung (BVerfG FamRZ 1989, 255 (258); FamRZ 1994, 881; Art. 7 I UN-
Kinderrechtskonvention (BGBl. II 1992, 990; FamRZ 1992, 253 ff.) . Es kommt daher
nicht darauf an, ob das Kind ein wirtschaftliche Interessen mit dem Antrag auf
Feststellung der Vaterschaft verfolgt. Anderseits verleiht Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG
kein Recht auf Verschaffung von Kenntnissen der eigenen Abstammung, sondern
schützt nur vor der Vorenthaltung erlangbarer Informationen (BVerfG FamRZ 1989, 255
(258).
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Da im Abstammungsprozeß der Amtsermittlungsgrundsatz gilt (§§ 640 I, 616 I ZPO;
Zöller/Philippi, ZPO, 22. Aufl. (2001), § 640 Rn. 30), muss das Gericht alle Beweismittel
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benutzen, die erreichbar sind und Aufklärung versprechen. Dazu gehört nach heutigem
Kenntnisstand auch die Beweiserhebung durch DNA- Gutachten anhand von
Gewebeproben eines bereits Verstorbenen, selbst wenn dazu dessen Exhumierung
erforderlich ist (vgl. allgemein zum Beweiswert von DNA-Analysen Gaul FamRZ 2000,
1461 (1470) m.w.N.). Insoweit muss in sog. Defizienzfällen über die Einbeziehung von
zur Verfügung stehenden Verwandten hinaus auch eine Gewebeuntersuchung bereits
Verstorbener in Betracht gezogen werden. Sie wird jedenfalls dann einer Einbeziehung
entfernter Verwandter in die Begutachtung vorzuziehen sein, wenn z.B. noch
Gewebeproben oder Blutreste bei Krankenhäusern, in denen der Verstorbene behandelt
worden ist, zur Verfügung stehen (Rahm/Künkel, Handbuch des
Familiengerichtsverfahrens, III C 193 (Erg.lief. von September 2000) erwähnt diese
Möglichkeit noch nicht).
3)
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Auch in Verfahren mit Amtsermittlungsmaxime muss aber die Erfolgsaussicht der
Rechtsverfolgung dargetan werden, insbesondere muss der Antragsteller oder
Beschwerdeführer darlegen, dass das Beweismittel erreichbar ist.
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Er muss daher im Streitfall erklären, wo der Verstorbene, der als Vater in Betracht
kommt, begraben ist und dass die Totensorgeberechtigten mit einer Exhumierung
einverstanden sind.
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Es gehört nicht zu den Aufgaben des Gerichts im Rahmen der Amtsermittlung von sich
aus diese Voraussetzungen der Amtsermittlung zu klären, wenn es ist dem Antragsteller
möglich und zumutbar ist, diese Voraussetzungen zu klären (Keidel/Kuntze/Kayser, 14.
Aufl. (1999), § 12 Rn. 88). Auf die Notwendigkeit der Darlegung dieser Voraussetzungen
ist der Beschwerdeführer ausdrücklich vom Senat hingewiesen worden.
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Der Beschwerdeführer hat nicht geltend gemacht, die Darlegung sei ihm nicht möglich,
sondern ist bei seiner Auffassung verblieben, eine Exhumierung sei nicht erforderlich,
da die Vaterschaft des Verstorbenen schon aufgrund der Zeugenvernehmungen bzw.
des vorliegenden Sachverständigengutachtens als erwiesen angesehen werden könne.
Dem ist nicht zu folgen. Bloße Erklärungen von Zeugen, daß der Verstorbene sich als
Vater des Kindes angesehen hätte, reichen zur Feststellung der Vaterschaft nicht aus.
Sie können zahlreichen Irrtümern unterliegen, was insbesondere im Streitfall gilt, in dem
beide Eltern drogenabhängig sind bzw. waren. Das gilt auch für die Erklärung der
Mutter, sie habe in der Empfängniszeit - die Jahre zurückliegt - mit keinem anderen
Mann verkehrt.
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Das Sachverständigengutachten hat nur eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 55,
0826 % ergeben. Der Gutachter hat zutreffend erklärt, dass damit völlig ungeklärt sei, ob
der Verstorbene Vater des Kindes sei. Entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers sind die Anforderungen an den Nachweis der Vaterschaft nicht
deshalb zu senken, weil nur entfernte Verwandte in die Begutachtung einbezogen
werden konnten. Den Nachteil der fehlenden Feststellung hat vielmehr der zu tragen,
der die Vaterschaft des Verstorbenen geltend macht (vgl. zur Feststellungslast im
Antragsverfahren Keidel/Kuntze/Kayser, a.a.O., § 12 Rn. 191).
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Im Prozeßkostenhilfeverfahren muss der Antragsteller außerdem dartun, dass die
Rechtsverfolgung nicht mutwillig ist, dass also auch ein Antragsteller, der das Verfahren
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selbst finanzieren muss, die Kosten für die Aufklärung seiner Abstammung in Kauf
nehmen würde ( Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozeßkostenhilfe und
Beratungshilfe, 2. Aufl. (1999), Rn. 447 m.w.N.) . Eine Gleichbehandlung der begüterten
mit der bedürftigen Partei verlangt nicht, dass Prozeßkostenhilfe auch dann gewährt
wird, wenn eine vernünftige begüterte Partei von der Rechtsverfolgung absehen würde.
Es liegt auf der Hand, dass die Kosten in Exhumierungsfällen eine beträchtliche Höhe
erreichen können. Öffentliche Mittel für die Aufklärung können auch von einer
bedürftigen Partei nur in Anspruch genommen werden, wenn sie dartut, dass die
gerichtliche Feststellung der Vaterschaft für sie von irgendeiner konkreten Bedeutung
ist. Unabhängig davon, dass kein wirtschaftliches Interesse für ein
Rechtsschutzinteresse an der Vaterschaftsfeststellung zu verlangen ist, muss daher bei
der Inanspruchnahme öffentlicher Mittel doch dargetan werden, dass ein berechtigtes
Interesse an der Aufklärung der Vaterschaft besteht, dieses ergibt sich bei
Inanspruchnahme öffentlicher Mittel nicht schon aus dem Persönlichkeitsrecht als
solchem.
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