Urteil des OLG Köln vom 24.07.1991

OLG Köln (hindernis, kläger, fahrzeug, abstand, unfall, fahrspur, zeuge, zpo, betrug, verschulden)

Oberlandesgericht Köln, 27 U 10/91
Datum:
24.07.1991
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
27. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
27 U 10/91
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 20 O 143/90
Normen:
§§ 7, 17, 18 StVG; 18 StVO
Leitsätze:
Fährt ein Pkw-Fahrer auf der zweiten Überholspur einer
Bundesautobahn auf ein vor ihm befindliches Fahrzeug auf, weil dieses
beim Einscherversuch auf die erste Überholspur ins Schleudern
gekommen und in die linke Leitplanke gefahren war, spricht der Beweis
des ersten Anscheins für einen zu geringen Sicherheitsabstand oder für
eine Unaufmerksamkeit des Auffahrenden. Ihm ist ein
Mitverursachungsbeitrag von 50 % anzulasten.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 05. Dezember 1990
verkündete Urteil der 20. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 20 O
143/90 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die nach §§ 511, 511 a ZPO statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und
begründet worden (§§ 516, 518, 519 ZPO) und damit zulässig. Sie ist sachlich jedoch
nicht gerechtfertigt. Da keine der Parteien den ihr obliegenden Beweis, daß der Unfall
für sie unabwendbar war, geführt hat, hat das Landgericht im Ergebnis mit Recht eine
hälftige Schadensteilung angenommen (§ 17 StVG).
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Nach den Angaben des unbeteiligten Zeugen , auf die sich beide Parteien beziehen,
deren Richtigkeit von ihnen auch nicht in Zweifel gezogen wird, und die deshalb der
Entscheidung zugrunde gelegt werden können, ist der Zeuge auf der zweiten Spur
(ersten Überholspur) gefahren, als ihn der Beklagte zu 1) auf der dritten Spur (2.
Überholspur) überholte. Daraufhin ist der Zeuge seinerseits auf die 2. Überholspur
ausgeschert und hat sich hinter das Fahrzeug des Beklagten zu 1) gesetzt. Da die dritte
Spur nach ca. 1 km endete, wollte der Beklagte zu 1) in die zweite Spur einscheren.
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Dies gelang ihm indessen nicht, weil die auf der zweiten Spur fahrenden Fahrzeuge
bremsten, so daß sich keine Lücke fand. Bei dem Einscherversuch kam der Beklagte zu
1) ins Schleudern und fuhr in die Leitplanke. Der Beklagte bremste sofort scharf ab, als
sein Abstand zum Beklagten zu 1) noch etwa 50 bis 70 Meter betrug. Da die Räder
seines PKW blockierten und er immer näher an das Fahrzeug des Beklagten zu 1)
"heranrutschte", ließ er die Bremsen wieder los und wich nach rechts in die zweite Spur
aus. Dem hinter ihm fahrenden Kläger gelang es nicht, seinen PKW vor dem mittlerweile
querstehenden Fahrzeug des Beklagten zum Stehen zu bringen oder nach rechts
auszuweichen.
Bei diesem Unfallhergang erweist sich das angefochtene Urteil als richtig.
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Es kann keine Rede davon sein, daß der Unfall für den Kläger im Sinne von § 7 Abs. 2
StVG unabwendbar war. Er hat entweder seine Geschwindigkeit nicht den
Verhältnissen entsprechend angepaßt (§ 3 Abs.1 StVO), indem er aus Unachtsamkeit
diese
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nicht rechtzeitig herabgesetzt hat, oder nicht den gebotenen Abstand zum
vorausfahrenden Fahrzeug eingehalten (§§ 4 Abs.1, 18 Abs. 6 Nr. 1 StVO), denn
ansonsten wäre es nicht zu dem Unfall gekommen.
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Ausgangspunkt der Beurteilung ist die ständige Rechtsprechung des BGH, wonach bei
Unfällen durch Auffahren, auch wenn sie sich auf Autobahnen ereignen, der erste
Anschein für ein Verschulden des Auffahrenden spricht (vgl. VersR 1962, 672; 1987,
1241). Das Auffahren auf ein die Fahrbahn versperrendes Kraftfahrzeug erlaubt
grundsätzlich eine alternative Schuldfeststellung dahin, daß entweder der Bremsweg
des Auffahrenden länger als die Sichtweite oder seine Reaktion auf die rechtzeitig
erkennbare Gefahr unzureichend gewesen sein muß (vgl. BGH VersR 1965, 88).
Abweichendes kann für Fallgestaltungen gelten, in denen der Anhalteweg aufgrund
besonderer Umstände ohne Verschulden des Auffahrenden verkürzt worden ist, etwa
durch ein von der Seite her in den Anhalteweg geratenes Hindernis, mit dem der
Auffahrende nicht rechnen konnte. So liegt der Fall hier indessen nicht.
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Der Beklagte zu 1) ist nicht plötzlich und unvermutet von der Seite in die Fahrspur des
Klägers geraten. Er ist vielmehr bei dem Versuch, von der Fahrspur des Klägers in die
nebenliegende Spur zu wechseln, ins Schleudern geraten und hat zunächst und in
erster Linie für den Zeugen und dann erst auch für den Kläger ein Hindernis gebildet. Da
der Kläger jedenfalls einen Abstand von mindestens der halben Geschwindigkeit zum
Vorausfahrenden einzuhalten hatte, der Abstand des Zeugen zum Beklagten zu 1)
wiederum mindestens 50 Meter betrug, hat sich das Hindernis somit in einer Entfernung
von etwa 100 Metern vor dem Kläger gebildet. Unter diesen Umständen kann von einer
unvermuteten Hindernisbereitung keine Rede sein.
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Freilich hat der BGH entschieden, daß der nachfolgende Kraftfahrer nach § 4 Abs. 1
StVO nicht verpflichtet ist, generell den Abstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug so
zu wählen, daß er rechtzeitig vor einem durch den Vorausfahrenden zunächst
verdeckten Hindernis anhalten kann, wenn dieser vor dem Hindernis die Fahrspur
wechselt (vgl. VersR 1987, 358). Das gilt indessen nur, wenn der Vorausfahrende ohne
zu bremsen unmittelbar vor dem Hindernis die Fahrspur wechselt. Hier hat der Zeuge
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indessen mit dem Bremsen begonnen, als sich das Hindernis bildete, und ist erst nach
einiger Zeit, nämlich nachdem er befürchtete, in das Hindernis hineinzurutschen, nach
rechts ausgewichen. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, daß das Hindernis durch das
vorausfahrende Fahrzeug des Zeugen verdeckt und deshalb nicht vom Kläger
wahrnehmbar war.
Der Beklagte zu 1) stand schräg zur Fahrbahn und war gegen die Leitplanke geprallt,
bevor er zum Stehen kam. Diese Ereignisse hätte der Kläger bei gehöriger
Aufmerksamkeit wahrnehmen können.
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Nach allem trifft den Kläger ein Mitverschulden am Unfall, so daß es gem. § 17 StVG zu
einer Schadensteilung kommen muß. Der Senat folgt dem Landgericht darin, daß bei
der gegebenen Sachlage ein Mitverursachungsbeitrag von 50 % angemessen ist.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Wert der Beschwer: unter 60.000,00 DM.
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