Urteil des OLG Köln vom 18.08.2010

OLG Köln (zpo, beschwerde, rechtsmittel, zustellung, zeitpunkt, schneider, antrag, sache, gebühr, erstattung)

Oberlandesgericht Köln, 17 W 181/10
Datum:
18.08.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
17. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
17 W 181/10
Schlagworte:
Kostenerstattung; Sachantrag; Verfahrensgebühr
Normen:
ZPO § 91 Abs. 1 Satz 1, § 522 Abs. 2; Nrn. 3200, 3201 VV RVG
Leitsätze:
Die volle 1,6fache Verfahrnesgebühr Nr. 3200 VV RVG ist vom
Berufungsführer zu erstatten, wenn der Rechtsmittelgegner den
Sachantrag auf Zurückweisung der Berufung nach Zustellung der
Berufungsbegründung gestellt hat und das Berufungsgericht
anschließend die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückweist, ohne
dass der Berufungsbeklagte zuvor noch eine Berufungserwiderung
eingereicht hat.
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Klägerin.
Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren: 5.531,12 Euro.
Gründe:
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Die gemäß § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO i. V. m. § 11 Abs. 1 RPflG statthafte und auch
ansonsten verfahrensrechtlich unbedenkliche, insbesondere fristgerecht (§ 569 Abs. 1
ZPO) eingelegte sofortige Beschwerde der Klägerin ist nicht begründet. Aus im Kern
zutreffenden Erwägungen, wie sie im Nichtabhilfebeschluss vom 10.08.2010
niedergelegt sind, hat der Rechtspfleger im Rahmen der angefochtenen Entscheidung
die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 08.06.2010 angemeldeten zweitin-stanzlichen
Kosten in voller Höhe berücksichtigt, also insbesondere, wie von der Beklagten
beantragt, eine 1,6 fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG in Ansatz gebracht.
Das Rechtsmittel der Klägerin, mit dem sie stattdessen den Ansatz lediglich der
ermäßigten 1,1 fachen Verfahrensgebühr Nr. 3201 VV RVG erstrebt, gibt zu einer
abweichenden Entscheidung keinen Anlass.
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Die Klägerin hatte gegen das landgerichtliche Urteil mit Schriftsatz vom 04.01.2010
Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel mit weiterem Schriftsatz vom 03.03.2010, der
den Prozessbevollmächtigten der Beklagten ohne Bestimmung einer Erwiderungsfrist
oder sonstige Auflagen zugestellt wurde und dort am 08.03.2010 zuging, begründet.
Unter dem 09.03.2010 bestellten sich die Prozessbevollmächtigten der Beklagten auch
für die zweite Instanz und stellten zugleich den Antrag, die Berufung zurückzuweisen;
darüber hinaus heißt es in dem betreffenden Schriftsatz, eine Berufungserwiderung
werde "auf ausdrückliche Aufforderung" des zuständigen Zivilsenats gefertigt, "sofern
dies noch erforderlich sein sollte". Mit Beschluss vom 25.03.2010 (9 U 2/10) wies der
Berufungssenat darauf hin, dass und aus welchen Gründen er beabsichtige, das
Rechtsmittel der Klägerin nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen. Nachdem die
Klägerin hierzu mit Schriftsatz vom 18.05.2010 Stellung genommen hatte, wurde die
Berufung sodann durch einstimmigen Beschluss des zuständigen Berufungssenats vom
01.06.2010 (Az. wie vor) kostenpflichtig zurückgewiesen.
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Bei dieser Sachlage ist die von der Beklagten für die Berufungsinstanz geltend
gemachte volle 1,6 fache Verfahrensgebühr Nr. 3200 VV RVG entstanden und auch
gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO erstattungsfähig:
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Die Beschwerde stellt nicht substantiell in Abrede, dass der von den
Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit Schriftsatz vom 09.03.2010 gestellte Antrag,
"die Berufung zurückzuweisen", einen Sachantrag i. S. von Nrn. 3200, 3201 VV RVG
darstellt, der gebührenrechtlich eine volle 1,6 fache Verfahrensgebühr entstehen ließ
(vgl. AnwK-RVG/N. Schneider 5 Aufl. VV 3200 Rn. 13; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe,
RVG 19. Aufl. VV 3201 Rn. 8). Die ermäßigte 1,1 fache Gebühr Nr. 3201 VV RVG bei
vorzeitiger Beendigung des Auftrags fällt lediglich an, wenn der Auftrag des Anwalts
endigt, bevor er – u. a. – einen Schriftsatz, der Sachanträge oder Sachvortrag enthält,
bei Gericht eingereicht hat. Ein solcher Fall liegt hier nicht jedoch gerade nicht vor.
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Die 1,6 fache Verfahrensgebühr ist auch nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO von der Klägerin
zu erstatten. Die Erstattungsfähigkeit i. S. v. § 91 ZPO ist allerdings grundsätzlich von
der Notwendigkeit der in Rede stehenden Maßnahmen zur zweckentsprechenden
Rechtsverfolgung bzw. –verteidigung abhängig. Die Erstattung von ihr aufgewandter
Kosten kann eine Partei danach nur insoweit erwarten, als sie der ihr aus dem
Prozessrechtsverhältnis obliegenden Pflicht nachgekommen ist, die Kosten möglichst
gering zu halten. Insoweit kann den Beklagten indes erstattungsrechtlich zunächst nicht
entgegen gehalten werden, die Einreichung eines Antrags auf Zurückweisung der
Berufung sei nicht notwendig gewesen. Denn mit der Vorlage der Berufungsbegründung
vom 03.03.2010 hatte die Klägerin ihre Absicht, das Rechtsmittelverfahren tatsächlich
mit dem Ziel der Abänderung des ihr nachteiligen erstinstanzlichen Urteils streitig
durchzuführen, eindeutig zu erkennen gegeben. Nach Eingang der
Berufungsbegründung war die Beklagte deshalb in der Lage, durch einen
entsprechenden Gegenantrag das Verfahren zu fördern. Die mit einem Sachantrag
anfallende Verfahrensgebühr Nr. 3200 VV RVG war jedenfalls ab diesem Zeitpunkt
notwendig i. S. von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO und damit kostenrechtlich erstattungsfähig
(vgl. BGH NJW 2009, 2220, 2221 Tz. 11; OLG Stuttgart JurBüro 2007, 36).
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Die Beklagte kann zudem auch nicht darauf verwiesen werden, sie könne nach
Maßgabe von § 91 ZPO nur Erstattung der ermäßigten 1,1 fachen Verfahrensgebühr Nr.
3201 VV RVG verlangen, weil – worauf die Klägerin mit ihrer Beschwerde abstellt – der
9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln im Beschlusswege auf die beabsichtigte
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Zurückweisung der Berufung hingewiesen und die Beklagte zudem über die Stellung
des Antrags auf Zurückweisung der Berufung hinaus nicht in der Sache selbst Stellung
genommen, insbesondere keine Berufungserwiderung vorgelegt hat.
Die Entscheidung des OLG Celle (OLGR 2008, 421), auf die die Beschwerde
diesbezüglich abhebt, hilft der Klägerin nicht weiter. Zum einen unterscheidet sich der
vorliegende Fall schon in wesentlichen Punkten von dem Sachverhalt, den seinerzeit
das OLG Celle zu beurteilen hatte. Dort waren die Berufungsbegründung und der
Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zugleich
zugestellt worden; überdies hatte der Berufungsbeklagte den Sachabweisungsantrag
schon vor Eingang der Berufungsbegründung gestellt. Zum anderen ist die vorgenannte
Entscheidung des OLG Celle jedenfalls zum letztgenannten Gesichtspunkt ohnehin
durch den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 01.04.2009 (NJW 2009, 2220)
überholt, wonach eine 1,6 fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG – auch –
dann erstattungsfähig ist, wenn der Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels bereits
vor Zustellung der Rechtsmittelbegründung gestellt worden war, das Rechtsmittel dann
aber begründet und durch das Gericht in der Sache entschieden wird. In dem vom BGH
entschiedenen Fall war dabei die Zurückweisung des Rechtsmittels schon vor Ablauf
der dem Rechtsmittelgegner dort gesetzten Stellungnahmefrist, mithin ohne dass – über
den Zurückweisungsantrag hinaus – eine sachliche Stellungnahme des Gegners vorlag,
erfolgt. Wenn aber schon der vor Eingang der Rechtsmittelbegründung gestellte
Zurückweisungsantrag – für den Fall, dass die Begründung sodann noch nachfolgt und
über das Rechtsmittel entschieden wird – die Erstattungsfähigkeit der vollen 1,6 fachen
Verfahrensgebühr begründet, dann muss das im hier vorliegenden Fall, in dem der
Sachantrag überhaupt erst nach Eingang der Berufungsbegründung gestellt wurde, erst
recht gelten. Hieraus folgt zugleich, dass die Erstattungsfähigkeit der vollen 1,6 fachen
Verfahrensgebühr in Prozesssituationen der vorliegenden Art nicht davon abhängen
kann, ob der Rechtsmittelbeklagte über die Stellung des Zurückweisungsantrags hinaus
noch eine Berufungserwiderung vorlegt. Löst nämlich allein der bereits vor Eingang der
Rechtsmittelbegründung, also zu einem Zeitpunkt, zu dem eine Erwiderung noch gar
nicht erfolgen kann, gestellte Zurückweisungsantrag – bei nachfolgender Einreichung
der Rechtsmittelbegründung und Entscheidung in der Sache – die Erstattungsfähigkeit
der vollen Gebühr aus (vgl. BGH NJW 2009, 2220), dann kann, wenn nach Eingang der
Rechtsmittelbegründung – nur – der Zurückweisungsantrag gestellt wird, nichts anderes
gelten. Dass allein schon der nach Vorlage der Berufungsbegründung gestellte,
seinerseits nicht begründete Zurückweisungsantrag die Erstattungsfähigkeit der 1,6
fachen Verfahrensgebühr nach sich zieht, entspricht auch der herrschenden
Kommentarliteratur (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe aaO VV 3200 Rn. 43; AnwK-
RVG/N. Schneider aaO VV 3201 Rn. 62). Der Bundesgerichtshof geht im vorgenannten
Beschluss vom 01.04.2009 ebenfalls ausdrücklich davon aus, dass die volle Gebühr
"bei einer Antragstellung nach Eingang der Rechtsmittelbegründung zweifellos auch
erstattungsfähig" ist (vgl. BGH NJW 2009, 2220, 2221 Tz. 11 a. E.).
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Eine andere Betrachtungsweise ist hier nicht deshalb veranlasst, weil der 9. Zivilsenat
des Oberlandesgerichts Köln – im Nachgang zu der am 04.03.2010 erfolgten Zustellung
der Berufungsbegründung – mit Beschluss vom 25.03.2010 einen Hinweis nach § 522
Abs. 2 Satz 1 ZPO erteilt hat. Nach der mit der herrschenden Auffassung im Schrifttum
(vgl. AnwK-RVG/N. Schneider aaO VV 3201 Rn. 62; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe aaO
VV 3200 Rn. 52) übereinstimmenden ständigen Rechtsprechung des erkennenden
Senats (vgl. Beschlüsse vom 28.07.2008 – 17 W 163/08 – und vom 16.08.2010 – 17 W
161/10) hat der Berufungsbeklagte grundsätzlich auch in den Fällen des § 522 Abs. 2
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ZPO ungeachtet der bereits vom Berufungsgericht erteilten Hinweise ein berechtigtes
und auch erstattungsrechtlich anzuerkennendes Interesse, auf das Verfahren in seinem
Sinne fördernd Einfluss zu nehmen. Im Streitfall kommt es hierauf freilich nicht einmal
entscheidend an, weil sich für die Beklagte allein schon aufgrund der – zu diesem
Zeitpunkt noch nicht mit gerichtlichen Hinweisen versehenen – Zustellung der
Berufungsbegründung und der hierdurch erkennbar werdenden Absicht der Klägerin,
das Rechtsmittelverfahren streitig durchzuführen, ein Gegenantrag als notwendig i. S.
von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO erweisen musste. Diese Notwendigkeit konnte nicht
nachträglich dadurch, dass der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts drei Wochen nach
Zustellung der Berufungsbegründung (und nach bereits erfolgter Stellung des
Gegenantrags) auf die fehlende Erfolgsaussicht des Rechtsmittels hinwies, nachträglich
wieder entfallen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren folgt aus der Differenz zwischen
dem von der Beklagten geltend gemachten und vom Landgericht insoweit auch
berücksichtigten Betrag für die zweitinstanzlichen außergerichtlichen Kosten (17.723,38
Euro) und der Summe, die sich bei dem mit der Beschwerde erstrebten Ansatz nur einer
1,1 fachen Verfahrensgebühr nebst Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer als
Erstattungsbetrag für die zweite Instanz ergeben würde (12.192,26 Euro).
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