Urteil des OLG Köln vom 09.07.2010

OLG Köln (vernehmung von zeugen, anklage, beschwerde, höhe, verurteilung, umfang, beweisaufnahme, stpo, gkg, notwendigkeit)

Oberlandesgericht Köln, 2 Ws 325/10
Datum:
09.07.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 325/10
Tenor:
Die Beschwerde wird verworfen.
Gründe :
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I.
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Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts Köln vom 15.02.2006
wegen sexuellen Kindesmißbrauchs in einem Fall unter Einbeziehung einer früheren
Verurteilung wegen Untreue zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
Vom Vorwurf weiterer 20 Mißbrauchstaten wurde er freigesprochen. Nach der
Kostenentscheidung fallen die Verfahrenskosten sowie die notwendigen Auslagen des
Angeklagten im Umfang des Freispruchs der Staatskasse zur Last, während sie im
Umfang der Verurteilung von ihm selbst zu tragen sind. Mit (korrigierter) Kostenrechnung
vom 23.07.2008 sind dem Verurteilten von der Staatsanwaltschaft Köln die gesamten im
Verfahren entstandenen Gebühren und Auslagen in Höhe von 60.107,32 € in Rechnung
gestellt worden, wovon der weit überwiegende Teil in Höhe von 46.374,42 € auf
Vergütungen von Sachverständigen entfällt. Wegen der Zusammensetzung des
Betrages im übrigen wird auf den Kostenansatz (Bl. 1106 d.A.) Bezug genommen.
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Gegen den Kostenansatz hat der Verurteilte mit Verteidigerschriftsatz vom 19.08.2008
Einwendungen erhoben, die das Landgericht als Erinnerung gewertet hat. Diese hat das
Landgericht mit Beschluß vom 15.10.2008 als unbegründet erachtet, lediglich einen
vom Verurteilten bereits gezahlten Betrag von 1.600 € abgesetzt und ist so zu dem
Betrag von 58.457,32 € gelangt. Gegen diese Entscheidung hat der Verurteilte mit
Verteidigerschriftsatz vom 25.02.1999 Beschwerde eingelegt, mit der vorgebracht wird,
es könne angesichts des Freispruchs in der weitaus überwiegenden Anzahl der Fälle
nicht sein, dass er die gesamten Kosten müsse. Die einzige letztlich abgeurteilte Tat
wäre mutmaßlich vor dem Amtsgericht angeklagt worden, was zu entsprechend
geringeren Gerichtskosten und (übergegangenen) Anwaltsgebühren der Nebenklage
geführt hätte. Zur Aufklärung dieser einen Tat wäre der Umfang der Beweisaufnahme
mit 16-tägiger Hauptverhandlung nicht erforderlich gewesen. Der Verurteilte hält im
Ergebnis entsprechend dem Verhältnis von Freispruch und Verurteilung eine
Freistellung von den Kosten in Höhe von 20/21 für angemessen.
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Das Landgericht hat dem Rechtsmittel mit Beschluß vom 03.04.2009 nicht abgeholfen.
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Die Akten sind dem Senat erst unter dem 14.05.2010 vorgelegt worden.
II.
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Das nach § 66 Abs. 2 GKG als nicht fristgebundene einfache Beschwerde statthafte
Rechtsmittel, mit dem der Beschwerdewert von 200 € erreicht wird, bleibt ohne Erfolg.
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1. Ausgangspunkt der rechtlichen Prüfung ist die – bindende – Kostenentscheidung im
Urteil vom 15.02.2006. Das Landgericht hat insoweit von einer nach § 464 d StPO
zulässigen Bruchteilsentscheidung abgesehen und entschieden, die Feststellung von
bezogen auf die Freisprechungsfälle ausscheidbaren Kosten dem
Kostenfestsetzungsverfahren nach § 464 b StPO zu überlassen, in welchem nach der
Differenztheorie zu prüfen ist, welche Kosten und Gebühren entstanden wären, wenn
die Anklage von vorneherein so gelautet hätte wie das Urteil ( Meyer-Goßner, StPO, 53.
Aufl., § 465 Randnr. 8 m.w.N.)
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Die – wohl auch nur rein ergebnisorientiert geäußerte – Vorstellung des Verurteilten von
einer Kostenquotelung im Verhältnis von 1/21 zu 20/21 zu seinen Gunsten ist daher
schon im Ansatz verfehlt.
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2. Die aufgrund der Differenztheorie vorzunehmende Prüfung ergibt, dass
ausscheidbare Kosten nicht feststellbar sind. Das hat das Landgericht zutreffend
ausgeführt, der Senat tritt dem bei.
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Im einzelnen gilt zu den mit der Beschwerde erhobenen Einwendungen folgendes :
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a. Es kann nicht angenommen werden, dass wegen des Verurteilungsfalles, wenn nur
dieser verfolgt worden wäre, Anklage zum Schöffengericht erhoben worden wäre. Der
Vorwurf im Fall 21 der Anklage lautete auf schweren sexuellen Missbrauch eines
Kindes gem. § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB. Dass die Strafkammer sich von einem schweren
Fall nicht hat überzeugen können und nur den – durch sog. Schenkelverkehr bis hin
zum Samenerguß auf die entblößte Vagina des zur Tatzeit 11 Jahre alten Opfers
verwirklichten – Grundtatbestand des sexuellen Missbrauchs nach § 176 Abs. 1 StGB
für bewiesen erachtet hat, ist in diesem Zusammenhang bedeutungslos. Die Auffassung
der Verteidigung, der dem Verurteilten vorgeworfene Fall hätte durch Strafbefehl erledigt
werden können, erscheint abwegig.
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Zwar mag eine die Strafgewalt des Amtsgerichts übersteigende Straferwartung eine
Anklage wegen des Falles 21 zum Landgericht nicht zwingend erfordert haben. Die
Strafkammer hat aber zu Recht darauf verwiesen, dass nach § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG
wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit des jugendlichen Tatopfers mit einer
Anklage zur Jugendkammer zu rechnen gewesen wäre. Mit der genannten Regelung ist
u.a. bezweckt, Tatopfern durch Anklage zum Landgericht eine zweite Tatsacheninstanz
zu ersparen. Die Geschädigte war, wie sich aus den Urteilsgründen ergibt, in hohem
Maße schutzbedürftig. Wegen ihrer Traumatisierung befand sie sich über längere
Zeiträume in therapeutischer Behandlung und unternahm Ende 2004 / Anfang 2005
zwei Suizidversuche. Der Verurteilte hat daher die durch Anklageerhebung zum
Landgericht entstandenen Gerichtskosten sowie die von der Staatskasse zunächst
übernommenen Gebühren der Nebenklagevertreterin in Höhe von 5.920,37 € gem. § 59
RVG voll zu tragen.
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b. Für die Kosten der Beweisaufnahme gilt nichts anderes. Vorauszuschicken ist, dass
der Umfang der Beweisaufnahme an sich für die Frage der Ausscheidbarkeit von
Kosten ohne Belang ist. Wenn ein Teilfreispruch neben einer Verurteilung – selbst in
nur einem Fall – keine Bedeutung hat, können auch hohe Kosten einer umfangreichen
Beweisaufnahme den Angeklagten in vollem Umfang treffen. So liegt der Fall hier. Die
lediglich auf das reine Zahlenverhältnis von Freispruchs- bzw. Verurteilungsfällen
abstellende Betrachtungsweise des Beschwerdeführers greift zu kurz und wird den
Besonderheiten des Falles nicht gerecht.
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aa. Die Jugendkammer hat – soweit ersichtlich – 64 Zeugen vernommen. Wie den
Urteilsgründen ab S. 196 zu entnehmen ist, ist unter diesen Zeugen nicht ein Einziger
zu finden, dessen Aussage nicht auch zur Verurteilung des Beschwerdeführers
beigetragen hat. Die Freisprechungsfälle werden im Urteil nur kursorisch mit dem Satz
gestreift "Bis auf den nachfolgend festgestellten und letzten Übergriff auf die
Geschädigte am 6.5.1997 hat die Kammer diese Taten aber nicht mehr mit
hinreichender Sicherheit konkretisieren können". Die sehr ausführliche
Beweiswürdigung befasst sich mit den Freisprechungsfällen nicht mehr. Dass nur hierzu
Zeugen gehört worden sind, deren Bekundungen nicht auch zur Verurteilung und
Bestrafung des Angeklagten geführt haben, macht der Verteidiger, der an 8 Tagen an
der Hauptverhandlung selbst teilgenommen hat, nicht geltend. Ausscheidbare Kosten
im Zusammenhang mit der Vernehmung von Zeugen, die sich nach dem Kostenansatz
auf 6.521,82 € belaufen, sind daher nicht ersichtlich.
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bb. Für die Kosten der Sachverständigen – die in der Kostenrechnung mit 46.374,42 €
den Löwenanteil ausmachen – gilt Ähnliches. Dass das Verfahren bei Beschränkung
auf den Fall 21 der Anklage ohne Begutachtung der Glaubwürdigkeit der Geschädigten
ausgekommen wäre, ist aufgrund des Gewichts der Beschuldigung, des jugendlichen
Alters der durch das Geschehen traumatisierten Zeugin und des Einlassungsverhaltens
des Verurteilten, der sämtliche Vorwürfe bestritten hat, auszuschließen. Die Auffassung
der Verteidigung, die Jugendkammer hätte sich "bei einer so reduzierten und
vereinfachten Sachlage" zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Geschädigten auf
eigene Sachkunde stützen können, ist nicht haltbar. Selbst wenn die Staatsanwaltschaft
– die die Begutachtung im Ermittlungsverfahren angeordnet hatte – hiervon abgesehen
hätte, wäre die Begutachtung mit Sicherheit jedenfalls durch die Jugendkammer
veranlasst worden.
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Ob der Verurteilte ggfs mit zusätzlichen Kosten belastet werden darf, die durch die
Heranziehung von zwei Sachverständigen – Frau Dipl.Psych. D. sowie Frau Dipl.-
Psych. H. – für die Erstattung des Glaubwürdigkeitsgutachtens entstanden sind, betrifft
nicht die Frage der Ausscheidbarkeit solcher Kosten. Der Beschwerdeführer
beanstandet eigentlich die Notwendigkeit und die Höhe dieser Auslagen, für die die
Bestimmungen des JVEG gelten. Allerdings können auch solche Einwendungen
Gegenstand von Erinnerung und Beschwerde gegen den Kostenansatz sein (Hartmann,
Kostengesetze, 39. Aufl. 2009, § 66 GKG, Randnr. 20 m.w.N.; § 4 JEVG Randnr.18),
worüber das Landgericht der Sache nach auch entschieden hat. Die Jugendkammer hat
in der Nichtabhilfe-Entscheidung zutreffend ausgeführt, dass insoweit ein einheitlicher
Gutachtenauftrag an ein Team von zwei Aussagepsychologen erteilt worden ist, die sich
in die Erledigung des Auftrags geteilt haben. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die
Kosten geringer ausgefallen wären, wenn nur eine der beiden Sachverständigen tätig
geworden wäre. Insbesondere gibt die Liquidation vom 04.07.2003 für eine solche
Annahme nichts her.
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Die Auslagen der zu Sperma- und DNA-Spuren am Kinderslip der Geschädigten
eingeholten rechtsmedizinischen Sachverständigengutachten betreffen die Straftat,
wegen der der Beschwerdeführer verurteilt wurde. Sie sind mithin nicht ausscheidbar.
Gegen die Notwendigkeit der Untersuchungen und die Höhe der Kosten sind mit der
Beschwerde nähere Einwendungen nicht erhoben worden.
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Die Auslagen für die psychiatrische Begutachtung des Verurteilten sind ebenfalls nicht
ausscheidbar. Auch insoweit richten sich die Einwendungen des Verurteilten eigentlich
gegen die Notwendigkeit einer solchen Begutachtung, an der jedoch aus den von der
Jugendkammer in der Nichtabhilfe-Entscheidung angeführten Gründen kein Zweifel
bestehen kann.
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3. Der Senat hat noch geprüft, ob gem. § 465 Abs. 2 StPO Anlaß besteht, den
Verurteilten aus Billigkeitsgründen teilweise von Auslagen freizustellen, hat hierfür
jedoch keine genügende Veranlassung gesehen.
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4. Die Entscheidung ergeht nach § 66 GKG gebührenfrei und ohne Kostenerstattung.
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