Urteil des OLG Köln vom 07.05.2002

OLG Köln: vollstreckbares urteil, sicherheitsleistung, zwangsvollstreckung, vorläufiger rechtsschutz, hauptsache, rechtskraft, unterhalt, gefahr, zustand, scheidung

Oberlandesgericht Köln, 4 UF 76/02
Datum:
07.05.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 UF 76/02
Vorinstanz:
Amtsgericht Brühl, 32 F 534/99 EA/UE
Tenor:
Der Antrag des Beklagten vom 22.03.02 (Bl. 92 GA) auf Abänderung der
einstweiligen Anordnung des Amtsgerichts - Familiengericht - Brühl vom
2. März 2000 - 32 F 534/99 EA UE - wird zurückgewiesen. Auf den
Antrag des Beklagten vom 22.03.2002 auf einstweilige Einstellung der
Zwangsvollstreckung (Bl. 92 GA) wird die Zwangsvollstreckung aus der
vorgenannten einstweiligen Anordnung des Familiengerichts Brühl
gegen Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt, soweit die Klägerin
daraus wegen eines über 409,50 EUR hinausgehenden Monatsbetrages
vollstreckt. Die Höhe der Sicherheitsleistung beträgt 125 % des jeweils
über den Monatsbetrag von 409,50 EUR hinausgehenden zu
vollstreckenden Betrages.
G r ü n d e :
1
Der gemäß § 620 b) Abs. 1 ZPO zulässige Antrag des Beklagten auf Abänderung der im
Beschlusstenor näher bezeichneten einstweiligen Anordnung ist unbegründet, da die
Voraussetzungen des § 620 f Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht vorliegen und auch sonstige
Abänderungsgründe nicht ausreichend dargetan sind.
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Nach § 620 f Abs. 1 Satz 1 ZPO tritt eine einstweilige Anordnung u. a. beim
Wirksamwerden einer anderweitigen Regelung mit der Folge außer Kraft, dass sie
entweder ganz aufzuheben oder in Ansehung der anderweitigen Regelung
entsprechend abzuändern ist. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist aber das
Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Brühl vom 6. Februar 2002 - 32 F 534/99 - (Bl.
374 bis 380 GA 4 UF 40/02), mit welchem der Beklagte für die Zeit ab 1.01.2002
lediglich zur Zahlung von monatlichem Trennungsunterhalt in Höhe von 409,50 EUR
verurteilt worden ist, keine "anderweitige Regelung" im Sinne von § 620 f ZPO
gegenüber der hier angegriffenen einstweiligen Anordnung vom 2. März 2000 des
Familiengerichts Brühl - 32 F 534/99 EA UE -, mit welcher der Beklagte einstweilen
verpflichtet worden ist, an die Klägerin ab dem 01.02.2000 einen monatlichen Unterhalt
von 1.006,00 DM (entsprechend 514,36 EUR) zu zahlen.
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Das Unterhaltsurteil in der Hauptsache ist nämlich noch nicht rechtskräftig. Beide
Parteien haben hiergegen Berufung eingelegt.
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Ob ein noch nicht rechtskräftiges Unterhaltsurteil in der Hauptsache eine "anderweitige
Regelung" gegenüber einer einstweiligen Anordnung nach § 620 Ziffer 6 ZPO darstellt,
ist umstritten. Aus dem Wortlaut des § 620 f ZPO geht nicht hervor, wann
Unterhaltsurteile wirksam werden. Nach der Auffassung des Bundesgerichtshofes (so
Urteil des XII. Zivilsenates vom 27.10.1999 - XII ZR 239/97 - , veröffentlicht in FamRZ
2000, 751) werden Urteile, durch die eine Partei vorläufig vollstreckbar zur
Unterhaltszahlung verurteilt wird, erst mit Eintritt der Rechtskraft wirksam. Nach anderer
Meinung sollen solche Urteile wirksam werden, wenn sie ohne Sicherheitsleistung
vorläufig vollstreckbar sind und die Vollstreckung nicht nach § 711 abgewendet werden
darf (vgl. u. a. Gießler, Vorläufiger Rechtsschutz in Ehe- Familien- und
Kindschaftssachen, 3. Auflage, 2000, Rnr. 607 sowie u. a. OLG Stuttgart FamRZ 2001,
359). Das OLG Düsseldorf (so FamRZ 96, 745 m. w. N.) unterscheidet außerdem dahin,
dass, soweit ein vorläufig vollstreckbares Urteil einem Ehegatten weniger Unterhalt
zuspricht, als eine vorausgegangene einstweilige Anordnung, diese sogleich außer
Kraft tritt; soweit es gleichhohen oder höheren Unterhalt zuspreche, bleibe die
Anordnung bestehen, wenn das Urteil nur mit Einschränkungen vorläufig vollstreckbar
sei. Die Oberlandesgerichte Hamm (so FamRZ 84, 718) und Zweibrücken (so FamRZ
2001, 259) behandeln vorläufig vollstreckbare Urteil schlechthin als wirksam.
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Der Senat schließt sich der Auffassung an, dass sämtliche Urteile in Unterhaltssachen
erst mit Eintritt der Rechtskraft wirksam werden (vgl. u. a. Zöller-Philippi, ZPO, 23.
Auflage 2002, § 620 f Rnr. 22). Hierfür spricht der Sinn des § 620 f ZPO. Einstweilige
Anordnungen sollen die Rechtskraft der Scheidung überdauern. Es soll verhindert
werden, dass ein regelungsloser Zustand zwischen einstweiliger und endgültiger
Lösung eintritt. Wird die einstweilige Anordnung durch ein nur vorläufig vollstreckbares
Urteil ersetzt, wird lediglich ein Provisorium durch ein anderes ausgetauscht. Denn ein
Urteil, das nur vorläufig vollstreckbar, aber noch nicht rechtskräftig ist, stellt keine
endgültige Lösung im Sinne des § 620 f ZPO dar. Die Ersetzung der einstweiligen
Anordnung durch die Regelung im nur vorläufig vollstreckbaren Urteil würde aber
gerade den zu vermeidenden regelungslosen Zustand zwischen einstweiliger und
endgültiger Lösung herbeiführen, wenn das Rechtsmittelgericht das vorläufig
vollstreckbare Urteil der Vorinstanz aufhebt und die Sache an die Vorinstanz
zurückverweist. Ein solcher regelungsloser Zustand würde auch dann eintreten, wenn
während des in der Berufungsinstanz noch anhängigen Rechtsstreites auf
Trennungsunterhalt die Ehe rechtskräftig geschieden wird. Denn nur bis zur Rechtskraft
der Scheidung könnte der unterhaltsberechtigte Ehegatte aus dem Titel auf Zahlung von
Trennungsunterhalt gegen den Unterhaltsschuldner vorgehen. Dagegen hätte die
einstweilige Anordnung auch noch nach Rechtskraft der Scheidung Bestand.
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Der Senat verkennt nicht, dass nach der von ihm vertretenen Auffassung der
Unterhaltsschuldner, hier der Beklagte, der Gefahr ausgesetzt ist, dass der
Unterhaltsberechtigte (hier die Klägerin) weiterhin aus der einstweiligen Anordnung
vollstreckt, obwohl ihm laut Urteil in der Hauptsache kein oder weniger Unterhalt
zusteht, als in der einstweiligen Anordnung tituliert worden ist. Hiergegen kann sich der
Unterhaltsschuldner aber mit der Vollstreckungsabwehrklage und dem Antrag zur Wehr
setzen, die Vollstreckung aus der einstweiligen Anordnung einstweilen einzustellen.
Daneben kann sich der Vollstreckungsschuldner im Rahmen des in der Hauptsache
anhängigen Berufungsverfahrens analog § 769 ZPO insoweit wehren, als er die
einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus der einstweiligen Anordnung
erstrebt.
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Auch sonstige Abänderungsgründe sind nicht ersichtlich. Ein solcher
Abänderungsgrund würde dann vorliegen, wenn es ganz offensichtlich wäre, dass der
Beklagte unter keinen Umständen einen höheren als den im Hauptsacheverfahren
ausgeurteilten Unterhalt schuldet.
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Hiervon kann vorliegend jedoch nicht ausgegangen werden. Sowohl die Klägerin wie
auch der Beklagte haben gegen das erstinstanzliche Urteil des Familiengerichts auf
Zahlung von Trennungsunterhalt Berufung eingelegt. Die Parteien tragen streitig zur
Leistungsfähigkeit des Beklagten und zur Bedürftigkeit der Klägerin vor. Insoweit bedarf
es einer weiteren Sachverhaltsaufklärung durch den Senat. Jedenfalls kann nicht von
vornherein ausgeschlossen werden, dass der Klägerin ab April 2002 der in der
einstweiligen Anordnung titulierte Unterhaltsbetrag tatsächlich zusteht. Das
summarische Verfahren nach § 620 ZPO soll nicht das Hauptsacheverfahren
vorwegnehmen. Es genügt eine hinreichende Glaubhaftmachung der Tatsachen, die
den geforderten Unterhaltanspruch rechtfertigen. Andererseits sieht der Senat die
Gefahr, dass der Beklagte Nachteile dadurch erleidet, dass weiterhin ohne
Einschränkung aus der einstweiligen Anordnung vollstreckt wird. Denn insoweit zu viel
gezahlte Unterhaltsbeträge können weder aus Bereicherungsrecht noch analog § 641
g), 717 Abs. 2, 945 ZPO zurückgefordert werden (vgl. insoweit BGH FamRZ 2000, 751,
752 f).
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Deswegen ist der Antrag des Beklagten auf einstweilige Einstellung der
Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung aus der einstweiligen Anordnung des
Familiengerichts Brühl vom 02.03.2000 gemäß dem Hilfsantrag analog § 769 ZPO
begründet. Der Beklagte kann gegen Sicherheitsleistung die einstweilige Einstellung
der Zwangsvollstreckung verlangen.
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Eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung kommt
nicht in Betracht, da insoweit das Gläubigerschutzinteresse vor dem
Schuldnerschutzinteresse Vorrang hat. Die einstweilige Einstellung der
Zwangsvollstreckung nach § 769 ZPO unterliegt denselben Voraussetzungen wie die
nach § 719 Abs. 1 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 707 ZPO. Nach Sinn und Zweck der
gesetzlichen Konzeption der §§ 709 bis 714 ZPO gebührt im Zweifel den Interessen des
Gläubigers der Vorrang. Angesichts dessen setzt die einstweilige Einstellung der
Zwangsvollstreckung gemäß § 719 Abs. 1 Satz 1 ZPO eine besondere Gefährdung des
Schuldnervermögens voraus, nämlich die Gefahr eines Schadens, der über die
allgemeinen Vollstreckungswirkungen hinausgeht. Ein solcher besonderer
Gefährdungstatbestand ist dadurch gegeben, dass die Klägerin aus der einstweiligen
Anordnung ohne Sicherheitsleistung auch wegen solcher Unterhaltsbeträge
vollstrecken kann, die über den titulierten Unterhaltsanspruch in der Hauptsache
hinausgehen. Von daher bedarf es der vorläufigen Einstellung der Zwangsvollstreckung
aus der einstweiligen Anordnung gegen Sicherheitsleistung.
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Eines weitergehenden Schutzes des Beklagten bedarf es nicht. Grundsätzlich sollen
einstweilige Anordnungen ohne weiteres vollstreckbar sein. Dieser Grundsatz muss
insoweit gelten, als der Beklagte auch im Hauptsacheverfahren zu Unterhaltszahlungen
verpflichtet worden ist. Deshalb verbleibt es bei der Zwangsvollstreckungsmöglichkeit
der Klägerin ohne Sicherheitsleistung. Lediglich für den überschiessenden Betrag soll
der Beklagte die Möglichkeit erhalten, die Zwangsvollstreckung gegen
Sicherheitsleistung abzuwenden, da anderenfalls die Gefahr besteht, dass zuviel
gezahlte Beträge nicht rückforderbar sind. Dagegen ist die Klägerin ausreichend
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dadurch geschützt, dass sie in Höhe von 409,50 EUR ohne weiteres vollstrecken kann.
Im Hinblick auf § 620 g ZPO ist eine Kostenentscheidung entbehrlich. Die im Verfahren
der einstweiligen Anordnung entstehenden Kosten gelten für die Kostenentscheidung
als Teil der Kosten der Hauptsache.
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Gegenstandswert des Abänderungsverfahrens:
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12 x (514,36 EUR - 409,50 EUR) = 1.258,32 EUR (= 2.461,00 DM).
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