Urteil des OLG Köln vom 05.03.2004

OLG Köln (Vergewaltigung, Form, Nötigung, Beischlaf, Erfüllung, Gewaltanwendung, Beweiswürdigung, Geldstrafe, Verweigerung, Einwilligung)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Köln, Ss 493/03
05.03.2004
Oberlandesgericht Köln
1. Strafsenat
Beschluss
Ss 493/03
I.
Soweit der Angeklagte wegen Vergewaltigung verurteilt worden ist, wird
er unter teilweiser Aufhebung des angefochtenen Urteils freigesprochen.
II.
Zum Schuldspruch wegen sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger
Personen wird die Revision als unbegründet verworfen.
III.
Im Rechtsfolgenausspruch wird das angefochtene Urteil mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Zur neuen Verhandlung und
Entscheidung zur Rechtsfolgenseite hinsichtlich des Schuldspruchs
wegen sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen wird die
Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts Köln
zurückverwiesen, die auch über die Kosten der Revision (einschließlich
der Auslagen der Nebenklägerin) zu entscheiden hat.
G r ü n d e
Das Amtsgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im übrigen "wegen
Vergewaltigung und wegen sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen" zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt
(Einzelfreiheitsstrafen: 8 Monate und 4 Monate).
Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten verworfen.
Die Revision des Angeklagten rügt Verletzung materiellen Rechts.
Die Revision hat zu einem Teil Erfolg.
Soweit der Angeklagte wegen Vergewaltigung verurteilt worden ist, ist er unter teilweiser
Aufhebung des angefochtenen Urteils freizusprechen.
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Zum Schuldspruch wegen Vergewaltigung hat die Strafkammer im wesentlichen
Folgendes festgestellt:
"Die anhaltende Anspannung und Unzufriedenheit des Angeklagten hatten indes im
Sexualleben der Eheleute bereits ihre Spuren hinterlassen. Wiederholt geriet der
Geschlechtsverkehr zum Eklat, indem der Angeklagte ihn rücksichtslos seinen
Vorstellungen entsprechend vollzog, während die Zeugin C. ihm zumindest im Nachhinein
zu vermitteln versuchte, dass sie sich dabei mehr Zärtlichkeit wünsche. Der Angeklagte
dagegen vermutete hinter der zunehmenden Verweigerung sexueller Kontakte durch die
Zeugin C. ein "übles Spiel", in dem er sexuell gegängelt werden sollte, wenn er nicht "nach
ihrer Pfeife tanzte". ...
Kurze Zeit darauf ging die Zeugin C. ihrerseits auf den Angeklagten zu, um mit ihm
geschlechtlich zu verkehren, weil sie sich davon einen angenehmeren Verlauf
entsprechend ihren Vorstellungen versprach. Dies vermittelte sie ihm dadurch, dass sie
während des Austauschs von Zärtlichkeiten wiederholt sagte, diese Form des sexuellen
Umgangs finde sie gut, so habe sie es sich immer gewünscht. Der Angeklagte reagierte
darauf mit zustimmenden Bemerkungen, die der Zeugin den Eindruck vermittelten, dass er
sie verstand und gleichermaßen empfand. Man versuchte es zuerst im Stehen, und dann in
der Form, dass der Angeklagte sich auf das Bett legte und die Zeugin sich auf ihn setzte.
Da beides indes nicht zum gewünschten Erfolg führte, begab die Zeugin sich schließlich in
die vom Angeklagten bevorzugte Position, indem sie sich vor dem Bett auf den Boden
kniete, mit den Armen am Bett abstützte und der Angeklagte von hinten in ihre Scheide
eindrang. Dabei vertraute sie darauf, dass der Angeklagte sich aufgrund der
vorangegangenen Gespräche auf sie einlassen und weiterhin zärtlich sowie rücksichtsvoll
mit ihr verfahren werde. Zudem fühlte sie sich sicher, da ihr die Möglichkeit verblieb, nach
vorne auszuweichen. Der Geschlechtsverkehr verlief in dieser Form zunächst auch eine
kurze Zeit für die Zeugin zufriedenstellend, bis der Angeklagte plötzlich unvermittelt und
überraschend die Pobacken der Zeugin auseinander riss und derart heftig sein Glied in ihre
Scheide stieß, dass die Zeugin bis in den Oberbauch Schmerzen verspürte. Überdies
schlug er sie auf das Gesäß und begleitete das Ganze mit Ausdrücken der Vulgärsprache.
Der Angeklagte hielt es dabei zumindest für möglich, über die von der Zeugin für die
Ausübung des Geschlechtsverkehrs gesteckten Grenzen hinauszugehen, setzte sich
darüber jedoch hinweg und nahm dies billigend in Kauf. Die Zeugin reagierte auf diese
Entwicklung des Geschlechtsakts, indem sie durch eine Bewegung nach vorn auswich und
den Angeklagten mit dem Fuß wegstieß. Wütend verließ sie das Schlafzimmer und
kündigte ihm an, nie wieder Sex mit ihm haben zu wollen."
Diese Feststellungen tragen eine Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung (§
177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB) nicht. Sie ergeben nicht, dass der Angeklagte seine
Ehefrau – wie von der Strafkammer angenommen – mit Gewalt zum Beischlaf genötigt hat.
Zwar erfüllt auch die durch Gewalt erzwungene Fortsetzung eines anfänglich
einvernehmlich – oder auch nur geduldeten – Beischlafs den (objektiven) Tatbestand der
Vergewaltigung. Da § 177 StGB das höchstpersönliche Rechtsgut der freien
Selbstbestimmung über den eigenen Körper uneingeschränkt schützt, ist die einmal
gegebene Einwilligung kein Freibrief, sondern jederzeit widerruflich (BGH GA 70, 57;
SenatsE v. 16.01.2001 – Ss 469/00).
Die Feststellungen im angefochtenen Urteil belegen indes keinen durch Gewalt des
Angeklagten erzwungenen Geschlechtsverkehr. Als besonders schwerer Fall der sexuellen
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Nötigung setzt der Tatbestand der Vergewaltigung wie diese voraus, dass das
Nötigungsmittel – als solches kommt hier nur das der "Gewalt" in Betracht – eingesetzt
wird, um gerade hierdurch einen entgegenstehenden Willen des Opfers zu überwinden und
so das angestrebte sexuelle Ziel zu erreichen. Ein Handeln allein gegen den Willen des
Opfers oder dessen bloßes Nichteinverstandensein genügt für die Erfüllung des
Tatbestandes nicht, da dieser die erkennbare Beugung der Willensfreiheit unter Strafe stellt
(so insgesamt BGH NJW 2003, 1263 = StraFo 2003, 61). An einer solchen "finalen
Verknüpfung" (vgl. BGH a.a.O.; BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 8; BGH NStZ-RR/J 1998,
322 Nr. 10; Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., § 177 Rdnr. 8 m.w.N.) zwischen
Nötigungsmittel und Willensbeugung des Opfers fehlt es in Fällen einer Gewalthandlung z.
B. dann, wenn die Vorgehensweise des Täters nicht auf Überwindung eines
Abwehrwillens, sondern auf bloße Überrumpelung angelegt ist (BGHSt 31, 76; BGH NStZ
1995, 230; NJW 2003, 1263) oder ausschließlich der Lustbefriedigung dient (vgl. BGHSt
17, 1).
So liegt der Fall hier. Nach den getroffenen Feststellungen war die Vorgehensweise des
Angeklagten erkennbar nicht darauf angelegt, einen entgegenstehenden Willen seiner
Ehefrau zu beugen. Die Zeugin fühlte sich bei der für die weitere Durchführung des
Geschlechtsverkehrs zuletzt – auf dem Boden vor dem Bett – eingenommenen Position
sicher, "da ihr die Möglichkeit verblieb, nach vorne auszuweichen". Diese Möglichkeit hat
der Angeklagte der Zeugin auch zu keinem Zeitpunkt genommen. Wie die Strafkammer
festgestellt hat, reagierte die Zeugin auf die Entwicklung des Geschlechtsverkehrs, indem
sie durch eine Bewegung nach vorn auswich und den Angeklagten mit dem Fuß wegstieß.
Nach dem Zusammenhang der Feststellungen diente das Handeln des Angeklagten
ausschließlich der Lustbefriedigung und nicht auch der Willensbeugung. Dass er es für
möglich hielt, dabei über die von der Zeugin für die Ausübung des Geschlechtsverkehrs
festgesetzten Grenzen hinauszugehen, wie das Landgericht annimmt, reicht – wie oben
dargelegt – zur Begründung der für den Tatbestand der Vergewaltigung erforderlichen
finalen Verknüpfung zwischen Gewaltanwendung und Beischlaf nicht aus.
Angesichts der Feststellungen und der Beweiswürdigung des Landgerichts erscheint es
ausgeschlossen, dass im Falle einer Zurückverweisung neue Feststellungen getroffen
werden können, die die rechtsfehlerfreie Verurteilung des Angeklagten wegen
Vergewaltigung tragen könnten. Der Senat ist daher befugt, den Angeklagten insoweit
freizusprechen.
Soweit es den Schuldspruch wegen sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger
Personen angeht, ist die Revision dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft entsprechend
als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, weil die Nachprüfung des angefochtenen
Urteils in dieser Hinsicht keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat
(§ 349 Abs. 2 StPO).
Im Rechtsfolgenausspruch ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Der
Gesamtstrafenausspruch entfällt zwangsläufig wegen des durch den Senat erfolgten
Teilfreispruchs.
Der Teilfreispruch bedingt hier aber auch die Aufhebung des Urteils hinsichtlich der zum
Schuldspruch wegen sexueller Nötigung widerstandsunfähiger Personen verhängten
Einzelfreiheitsstrafe, für die das Landgericht nach der Annahme eines minderschweren
Falles (§ 179 Abs. 5 StGB) ausweislich der Strafzumessungsbegründung auf die
Mindestfreiheitsstrafe erkannt hat, mithin auf 3 Monate (insoweit – bewusst oder
versehentlich – abweichend von der Entscheidung des Amtsgerichts, das insoweit eine
Einzelfreiheitsstrafe von 4 Monaten verhängt hat). Der Senat kann nicht ausschließen, dass
die Strafkammer von der durch § 47 Abs. 2 StGB eröffneten Möglichkeit, statt der kurzen
Freiheitsstrafe auf eine Geldstrafe zu erkennen, keinen Gebrauch gemacht hat, weil sie bei
der – bejahten – Frage nach der Unerlässlichkeit der Verhängung einer (kurzen)
Freiheitsstrafe den Schuldspruch wegen Vergewaltigung in ihre Erwägungen einbezogen
hat. Dass hier der (alleinige) Schuldspruch nach § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB die Verhängung
einer kurzen Freiheitsstrafe unerlässlich macht, liegt keinesfalls auf der Hand, zumal
zwischen dem Angeklagten und der Zeugin eine intime Beziehung/Ehe bestand und damit
ein Umstand vorlag, der als Milderungsgrund in Betracht kommt (vgl. BGH StV 1998, 76;
2001, 453; NStZ-RR 2003, 168; SenatsE v. 13.01.2004 – Ss 560/03).