Urteil des OLG Köln vom 13.05.1997

OLG Köln (anhörung des kindes, persönliche anhörung, anhörung, kind, eltern, erhebliche bedeutung, beschwerde, anwesenheit, abwesenheit, ermessen)

Oberlandesgericht Köln, 25 WF 58/97
Datum:
13.05.1997
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
25. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
25 WF 58/97
Vorinstanz:
Amtsgericht Bergheim, 62 F 276/95
Normen:
FGG §§ 19, 50 b
Leitsätze:
1. Die richterliche Anordnung der persönlichen Anhörung eines Kindes
im Sorgerechtsverfahren ist eine beschwerdefähige Zwischenverfügung.
2. Ob das Gericht die persönliche Anhörung des Kindes in Abwesenheit
der Eltern und sonstiger Verfahrensbeteiligter durchführt, entscheidet es
nach seinem pflichtgemäßen Ermessen. 3. Zum Absehen von der
persönlichen Anhörung des Kindes aus schwerwiegenden Gründen.
Tenor:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des
Amtsgerichts - Familiengericht - Bergheim vom 5. Februar 1997, soweit
darin die richterliche Anhörung des oben genannten Kindes angeordnet
worden ist, wird zurückgewiesen. Die Kosten des
Beschwerdeverfahrens werden der Antragsgegnerin auferlegt.
G r ü n d e
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Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist gemäß § 1634 BGB, §§ 19, 15, 50 b FGG
zulässig. Der angefochtene Beschluß des Familiengerichts enthält nur eine
Zwischenverfügung im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Zwischenverfügungen
sind nur ausnahmsweise mit der Beschwerde anfechtbar, soweit sie bereits in die
Rechte Beteiligter eingreifen (Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 13. Aufl., Rn.9 zu § 19). Hier
greift die Anordnung der richterlichen Anhörung, die in Abwesenheit der Eltern und ihrer
Verfahrensbevollmächtigten stattfinden soll, wie sich aus dem Nichtabhilfebeschluß des
Familiengerichts vom 20. März 1997 ergibt und es auch in der Regel praktiziert wird (vgl.
a.a.0. Rn. 18 zu § 50 b), in die Rechte der Beschwerdeführerin ein, da die auch im FGG-
Verfahren geltenden Grundsätze des rechtlichen Gehörs und der Parteiöffentlichkeit ein
Recht der Beteiligten auf Anwesenheit begründen können. Insoweit könnte
möglicherweise in ein bestehendes Recht der Beschwerdeführerin eingegriffen worden
sein (vgl. dazu auch OLG Hamm, FamRZ 1979, 1065). Die Anfechtbarkeit der in Form
eines Beschlusses ergangenen Zwischenverfügung ist daher zu bejahen.
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Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist jedoch nicht begründet.
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Die Vorschrift des § 50 b FGG ist durch die Neuregelung des Rechtes der elterlichen
Sorge vom 18. Juli 1979 eingefügt worden und erweitert gegenüber dem bisherigen
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Recht die Verpflichtung des Gerichts zur persönlichen Anhörung eines Kindes oder
Mündels in Sorgerechtsverfahren. Dabei beruht die Verpflichtung des Richters zur
persönlichen Anhörung auf der Erwägung, daß ein Kind sich nicht hinreichend
schriftlich äußern kann und bei schriftlicher Anhörung die Gefahr einer Beeinflussung
durch die Eltern besonders groß ist, außerdem aber auch darauf, daß dem Eindruck,
den das Gericht durch eine persönliche Anhörung gewinnt, erhebliche Bedeutung
zukommt (vgl. a. a. 0. Rn. 1 zu § 50 b). Nach dem Gesetzestext hört das Gericht in einem
Verfahren, das die Personen- oder Vermögenssorge betrifft, das Kind persönlich an,
wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von
Bedeutung sind oder wenn es zur Feststellung des Sachverhalts angezeigt erscheint,
daß sich das Gericht von dem Kind einen unmittelbaren Eindruck verschafft. Dazu
gehören auch die Fälle, bei denen es um den persönlichen Umgang des Kindes geht
(a.a.0., Rn. 5 zu § 50 b). Die persönliche Anhörung des Kindes wird regelmäßig in
Abwesenheit seiner Eltern und deren Verfahrensbevollmächtigten durchgeführt. Dieses
erscheint geboten, weil das Kind bei wahrheitsgemäßen Angaben in Konflikt zu seinen
Eltern geraten könnte und weil es durch die Anwesenheit der Eltern in seiner
Unbefangenheit beeinträchtigt wird. Das Gericht entscheidet über die Anwesenheit der
Eltern und ihrer Verfahrensbevollmächtigten nach pflichtgemäßem Ermessen, ist aber
nicht gehalten, die Anwesenheit nur ausnahmsweise im Einzelfall aus Gründen des
Kindeswohls einzuschränken oder auszuschließen (vgl. a. a. 0. Rn. 18 zu § 50 b). Nach
diesen Kriterien ist die angefochtene richterliche Anhörung des Kindes, die auf dem
Dienstzimmer des Familienrichters nur unter Beteiligung eines Vertreters des
Jugendamtes stattfinden soll, unbedenklich.
Gemäß Abs. 3 Satz 1 des § 50 b FGG darf das Gericht jedoch von der Anhörung aus
schwerwiegenden Gründen absehen. Ein schwerwiegender Grund, der es geboten
erscheinen läßt, von einer persönlichen Anhörung des Kindes abzusehen, kann
insbesondere dann vorliegen, wenn durch die Anhörung das Kind aus seinem
seelischen Gleichgewicht gebracht wird und eine Beeinträchtigung seines
Gesundheitszustandes zu besorgen ist (vgl. a. a. 0. Rn 27 zu § 50 b, BGH NJW-RR
1986, 1130). In einem solchen Fall ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, deren
Maßstab in erster Linie das Kindeswohl ist (a. a. 0. Rn. 26 zu § 50 b). Die
Beschwerdeführerin hat - gestützt durch eine Stellungnahme des von ihr beauftragten
Psychotherapeuten W. Beck aus Düsseldorf, bei dem sich das betroffene Kind seit dem
15. Juni 1993 in psychoanalytischer Einzelbehandlung befindet -vorgetragen, daß bei
dem Kind durch eine Anhörung vor Gericht erneut regressive Prozesse herbeigeführt
werden könnten, so daß sich die früheren Symptome (Trennungsängste, Einnässen,
Durchschlafstörungen, häufige Kopfschmerzen sowie Bauchschmerzen) über längere
Zeit wieder einstellen könnten und infolgedessen wiederum ein Zeitraum von mehreren
Monaten psychoanalytischer Arbeit nötig sein würde, um diesen regressiven Zustand
wieder abzuarbeiten. Im Rahmen der Interessenabwägung ist zu bedenken, daß es dem
Familienrichter ersichtlich zur Findung einer dem Kindeswohl entsprechenden
Entscheidung auf die persönliche Anhörung des Kindes unter Ausschluß der Eltern und
ihrer Verfahrensbevollmächtigten ankommt, nachdem bereits von der Einholung eines
Sachverständigengutachtens abgesehen worden ist. Ohne die persönliche Anhörung
des Kindes wäre der Richter in bezug auf eine aktuelle Feststellung der Neigungen,
Bindungen und des Willens des Kindes allein auf den Vortrag der Beschwerdeführerin
und den sie unterstützenden Ausführungen des von ihr beauftragten Therapeuten
angewiesen, da dem Vater seit längerer Zeit der unmittelbare Umgang mit dem Kind
verwehrt wird, so daß er insoweit keine zeitnahen Informationen beisteuern kann. Die
richterliche Entscheidung wäre daher einseitig vorprogrammiert. Davon abgesehen
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erscheinen die negativen Befürchtungen, die die Beschwerdeführerin in
Übereinstimmung mit dem Therapeuten an eine richterliche Anhörung knüpft, nicht
sachgerecht; sie scheinen vielmehr auf einer Fehleinschätzung der richterlichen
Tätigkeit, die sich gegebenenfalls auf das Kind übertragen könnte, zu beruhen. Die
richterliche Anhörung dürfte keinen Regressionsdruck ausüben, wenn das Kind in der
richtigen Art und Weise vorbereitet ist, was von der Beschwerdeführerin und dem von ihr
beauftragten Therapeuten, der das Kind seit mehreren Jahren behandelt, erwartet
werden darf. Denn die richterliche Anhörung dient lediglich der unparteiischen
richterlichen Überzeugungsbildung über die Neigungen, Bindungen und den Willen des
Kindes. Sie dient in erster Linie dem Wohle des Kindes. Das ist dem Kind von der
Beschwerdeführerin und dem Therapeuten unvoreingenommen klarzumachen. Ein
inzwischen acht Jahre alter Junge, dessen soziale Integration und Identitätsbildung
nach der Stellungnahme seines Therapeuten ansonsten altersentsprechend
vorangeschritten sind, müßte dafür Verständnis haben und eine Anhörung auch durch
einen ihm bis dahin fremden Richter ohne Angst und Verkrampfung und sonstige
negative Folgen durchstehen können. Die extreme Problematik der Vater-Kind-
Beziehung gehört zur Realität des hier betroffenen Kindes; durch Aussparung dieser
Problematik ist eine Identitätsbildung des Kindes nicht möglich. In diesem Sinne kann
auch die richterliche Anhörung der Entwicklung des Kindes letztlich nicht schädlich
sein. Der mit der Problematik vertraute Familienrichter wird im übrigen die richterliche
Anhörung schonend vornehmen. Er hat auch noch die Möglichkeit, die Anhörung
abzubrechen, falls das Kind verstört reagieren sollte. Das ist in sein pflichtgemäßes
Ermessen zu stellen.
Die Beschwerde hat nach alledem keinen Erfolg.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG.
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Wert des Beschwerdegegenstandes: 1.000,00 DM.
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