Urteil des OLG Köln vom 23.05.2003

OLG Köln (Doppelrelevante Tatsachen, Strafzumessung, Straftat, Einwirkung, Datum, Rechtskraft, Betrug, Geldstrafe, Bewährung, Verurteilter)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Köln, Ss 202/03
23.05.2003
Oberlandesgericht Köln
1. Strafsenat
Beschluss
Ss 202/03
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über
die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts
Köln zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Leverkusen hat den Angeklagten mit Urteil vom 28. Februar 2002 wegen
"tatmehrheitlich begangenen Betruges in einem Fall und gewerbsmäßigem Betrug in 12
Fällen" u. a. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Seine in der Berufungshauptverhandlung auf das Strafmaß beschränkte Berufung ist vom
Landgericht Köln mit Urteil vom 20. November 2002 als unbegründet verworfen worden.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge formellen und
materiellen Rechts.
II.
Das – hinsichtlich der Erfüllung seiner Zulässigkeitsvoraussetzungen unbedenkliche -
Rechtsmittel hat insoweit (vorläufigen) Erfolg, als es bereits auf die in zulässiger Weise
erhobene Sachrüge gemäß §§ 353, 354 Abs. 2 StPO zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts
führt. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die angegriffene Entscheidung auf
einem Rechtsfehler beruht (§ 337 StPO).
Während der Schuldspruch des amtsgerichtlichen Urteils aufgrund der - wirksamen -
Beschränkung der Berufung auf den Strafausspruch in Rechtskraft erwachsen ist, erweisen
sich die Gründe des angefochtenen Urteils hinsichtlich der Strafzumessung als materiell-
rechtlich unvollständig.
Zwar ist die Strafzumessung grundsätzlich Sache des Tatrichters, dessen Wertung vom
Revisionsgericht bis zur Grenze des Vertretbaren zu respektieren ist (vgl. BGH NStZ 1984,
360; st. Senatsrechtsprechung; vgl. SenE v. 24. 4. 1990 – Ss 78/90; SenE vom 17. 1. 2003
– Ss 535/02; SenE v. 18. 2. 2003 – Ss 36/03; SenE v. 18. 3. 2003 – Ss 105/03; Meyer-
Goßner, StPO, 46. Aufl., § 337 Rdnr. 34 m. w. N.). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass
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der Strafzumessung rechtsfehlerfreie Erwägungen zugrunde liegen (vgl. BGH NStZ-RR
2003, 52 (53(; Senat a. a. O.; Gribbohm in: Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl., § 46
Rdnr. 326; Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozeß, 6. Aufl., Rdnr. 440, jw. m. w. N.).
Dies ist hier nicht der Fall.
1.
Die Strafkammer hat den Angeklagten im Fall 1 wegen Betruges (§ 263 StGB) zu einer
Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt und hierzu in den Urteilsgründen ausgeführt (Bl.
18 UA):
"Im Fall 1 erschien eine kurze Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Angeklagten
unerlässlich (§ 47 Abs. 1 StGB)".
Mit diesen Ausführungen wird die Strafkammer den Anforderungen des § 47 Abs. 1 StGB
an die Begründung der Verhängung einer Freiheitsstrafe mit einer Dauer von weniger als
sechs Monaten – hier: Einzelfreiheitsstrafe von einem Monat – nicht gerecht.
Nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung des § 47 StGB soll die Verhängung
kurzer Freiheitsstrafen weitestgehend zurückgedrängt werden und nur noch
ausnahmsweise in Betracht kommen (vgl. BGHSt. 24, 40 (42 f.(; OLG Hamm VRS 97, 410
(411(; SenE v. 15. 8. 2000 – Ss 333/00 = VRS 99, 276 (281(, insoweit in NStZ-RR 2001, 86
nicht abgedruckt; SenE v. 9. 11. 2000 – Ss 457/00 = StraFo 2001, 93 (94(; SenE v. 28. 12.
2000 – Ss 513/00; SenE v. 14. 2. 2001 – Ss 25/01; SenE v. 16. 4. 2002 – Ss 136/02; SenE
v. 3. 1. 2003 – Ss 536/02, SenE v. 18. 2. 2003 – Ss 36/03, SenE v. 18. 3. 2003 – Ss
105/03). Daher ist eine Freiheitsstrafe von unter sechs Monaten regelmäßig nur noch dann
auszusprechen, wenn sich diese Sanktion aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat
und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist (vgl. BGH StV 1994,
370; BGH NStZ 1996, 429; OLG Hamm a. a. O.; Senat a. a. O.). Wegen dieses
Ausnahmecharakters erfordert die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe eine
eingehende und nachvollziehbare Begründung (vgl. BGH StV 1982, 366; BGH StV 1994,
370; SenE v. 17. 10. 1980 – 1 Ss 719/80 = NJW 1981, 411; Senat a. a. O.). Dies gilt auch
dann, wenn der Angeklagte – wie hier – erheblich vorbelastet ist. Zwar sind bei
wiederholter Rückfälligkeit des Angeklagten geringere Anforderungen an die vorstehend
dargelegte Begründungspflicht zu stellen (vgl. OLG Köln (3. Strafsenat) GoldtA 1980, 267;
SenE v. 9. 11. 2000 – Ss 457/00 = StraFo 2001, 93 (94(; SenE v. 14. 2. 2001 – Ss 25/01;
SenE v. 16. 4. 2002 – Ss 136/02; SenE v. 18. 2. 2003 – Ss 36/03; SenE v. 18. 3. 2003 – Ss
105/03; SenE v. 11. 4. 2003 – Ss 269/02, Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., § 47 Rdnr. 10 f.;
m. w. N.). Dennoch bedarf es aufgrund des in § 47 Abs. 1 StGB verankerten
Ausnahmecharakters der Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe auch insoweit jeweils
einer gesonderten Erörterung des Einzelfalles, welche sich nicht auf formelhafte
Wendungen beschränken bedarf (vgl. OLG Schleswig StV 1993, 29 (30(; SenE v. 9. 1.
1998 – Ss 723/97; SenE v. 25. 3. 1999 – Ss 85/99; SenE v. 9. 11. 2000 – Ss 457/00 =
StraFo 2001, 93 (95(; Senat a. a. O.).
Diesen Anforderungen werden die Strafzumessungserwägungen bezüglich der Tat zu 1.
mit ihrer pauschalen, unkommentierten Wiedergabe des Gesetzestextes des § 47 Abs. 1
StGB ("...wenn besondere Umstände...die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung
auf den Täter...unerlässlich machen") nicht gerecht.
2.
Des weiteren hat die Strafkammer den Angeklagten in den Fällen 2.-13. jeweils wegen
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"gewerbsmäßigen Betruges” zu Freiheitsstrafen zwischen sechs Monaten bzw. einem Jahr
und drei Monaten verurteilt. Sie hat insoweit die Strafen, wie auf Bl. 16 UA ausgeführt,
jeweils dem Rahmen des § 263 Abs. 3 StGB entnommen, welcher für den besonders
schweren Fall des Betruges Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren
vorsieht. Gemäß § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB liegt ein solcher besonders schwerer Fall
in der Regel dann vor, wenn der Täter gewerbsmäßig handelt.
Bei der Vorschrift des § 263 Abs. 3 StGB handelt es sich nicht um einen selbständigen
Straftatbestand, sondern um eine Strafzumessungsregel (vgl. statt aller Tröndle/Fischer a.
a. O., § 263 Rdnr. 119). Deshalb konnten die von dem Amtsgericht zum gewerbsmäßigen
Vorgehen des Angeklagten getroffenen Feststellungen durch die von dem Angeklagten
vorgenommene Berufungsbeschränkung auf das Strafmaß nicht bindend werden. Denn es
handelt sich dabei nicht um sogenannte "doppelrelevante" Tatsachen, die sowohl für den
Straftatbestand als auch für den Schuldumfang und damit die Rechtsfolgenentscheidung
Bedeutung haben (vgl. BGHSt 30, 340 = NJW 1982, 1295; zum Betrug: SenE v. 08.12.1998
– Ss 495/98 –). Vielmehr hatte die Strafkammer insoweit eigene Feststellungen zu treffen;
die Gewerbsmäßigkeit betrügerischen Vorgehens wird durch ein subjektives Moment
außerhalb des Tatbestands, nämlich die Absicht der Verschaffung einer dauerhaften
Einnahmequelle durch wiederholte Tatbegehung, begründet (vgl. BGH NStZ 1995, 85;
BGH NStZ 1998, 305; SenE v. 6. 8. 1991 – Ss 330/91 = NStZ 1991, 585; Tröndle/Fischer a.
a. O., vor § 52 Rdnr. 37 m. w. N.), so dass die entsprechenden amtsgerichtlichen
Feststellungen keine auch den Schuldspruch tragenden doppelrelevanten Tatsachen (vgl.
hierzu BGHSt. 29, 359 (368(; BGH NStZ 2000, 441; SenE v. 30. 1. 1996 – Ss 641/95;
Dahs/Dahs a. a. O., Rdnr. 76 und 457 m. w. N.) darstellen, die von einer auf den
Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung nicht erfasst werden (vgl. OLG Düsseldorf
OLGSt. StPO § 318 Nr. 8; SenE v. 1. 7. 1997 – Ss 364/97; SenE v. 4. 7. 1997 – Ss 340/97;
SenE v. 26. 2. 1999 – Ss 54/99; SenE v. 25. 6. 1999 – Ss 249/99; SenE v. 14. 7. 2000 – Ss
295/00 (jeweils zu § 243 Abs. 1 Nr. 3 StGB); SenE v. 6. 7. 1999 – Ss 303/99; SenE v. 13. 8.
2002 – Ss 359/02 (jeweils zu § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG); Meyer-Goßner a. a. O., § 318
Rdnr. 14 m. w. N.).
Eigene Feststellungen zur Gewerbsmäßigkeit des betrügerischen Handelns des
Angeklagten und damit zu den Voraussetzungen der Eröffnung des erhöhten Strafrahmens
des § 263 Abs. 3 StGB hat die Strafkammer jedoch nicht getroffen, sondern ist von einer
Bindung an die Feststellungen des Amtsgerichts ausgegangen. Ihre
Strafzumessungserwägungen erweisen sich deshalb insoweit als materiell-rechtlich
unvollständig.
III.
Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
1.
Soweit in der Strafzumessung auf ein Bewährungsversagen abgestellt wird, sind in den
Urteilsgründen auch dazu Feststellungen zu treffen, wann die betreffenden
Strafaussetzungsentscheidungen rechtskräftig bzw. widerrufen (§ 56f StGB) worden sind.
Denn ansonsten kann nicht nachvollzogen werden, ob der Angeklagte während der hier
festgestellten Taten unter laufender Bewährung stand (vgl. SenE v. 30. 10. 2001 – Ss
386/01; SenE v. 7. 1. 2003 – Ss 524/02; SenE v. 12. 5. 2003 – Ss 186/03; SenE v. 12. 5.
2003 – Ss 192/03; SenE v. 16. 5. 2003 – Ss 201/03).
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Die Strafkammer wird gemäß § 55 Abs. 1 StGB zu prüfen haben, ob anstelle einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten zwei Gesamtfreiheitsstrafen zu
bilden sind, nämlich einerseits aus der Einzelfreiheitsstrafe bezüglich der Straftat zu 1.
(Tatzeit: Februar bis April 2000) mit der unter Ziffer 9 der Vorbelastungen mitgeteilten
Verurteilung des Angeklagten durch das AG Wermelskirchen vom 31. Januar 2001 – 4 Cs
509 Js 1442/00 (19/01) - zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 50 DM und
andererseits aus den hier festgesetzten Einzelfreiheitsstrafen zu 2. – 13. Gemäß § 55 Abs.
1 Satz 1 StGB ist nämlich dann eine (nachträgliche) Gesamtstrafenbildung vorzunehmen,
wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt
oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren
Verurteilung begangen hat.
So verhält es sich hier, wenn die offensichtlich rechtskräftige - das Datum der Rechtskraft
ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen - Verurteilung des Angeklagten durch das AG
Wermelskirchen vom 31. Januar 2001 – was die Strafkammer nicht mitteilt - noch nicht
vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, weil die Straftat zu 1. mit ihrer Tatzeit Februar/April
2000 zeitlich vor diesem Urteil datiert und dieses daher eine Zäsur i. S. des § 55 Abs. 1
Satz 1 StGB darstellen würde (vgl. Tröndle/Fischer a. a. O., § 55 Rdnr. 9 m. w. N.). Sofern
die Geldstrafe aus dem Urteil vom 31. Januar 2001 jedoch bereits vollstreckt, verjährt oder
erlassen ist und deshalb für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung nicht mehr zur
Verfügung steht, wird die Strafkammer zu prüfen haben, ob in der von ihr vorzunehmenden
Gesamtstrafenbildung deshalb zugunsten des Angeklagten ein Härteausgleich
vorzunehmen ist (vgl. hierzu Tröndle/Fischer a. a. O., § 55 Rdnr. 21 ff., m. w. N.).