Urteil des OLG Köln vom 13.04.1999

OLG Köln (kläger, venire contra factum proprium, treu und glauben, zugang, kommentar, auflage, zpo, keller, 1995, rechtskraft)

Oberlandesgericht Köln, 15 U 148/98
Datum:
13.04.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 U 148/98
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 29 O 41/98
Schlagworte:
Anspruch auf Einräumung von Sondereigentum gegen die anderen
Wohnungseigentümer
Normen:
BGB § 24, WEG §§ 3, 5
Leitsätze:
Im Einzelfall kann sich aus § 242 BGB ein schuldrechtlicher Anspruch
auf Einräumung von Sondereigentum gegen die anderen
Wohnungseigentümer ergeben.
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 24.9.1998 verkündete Urteil
der 29. Zivilkammer des Landgeichts Köln- 29 O 41/98- wird mit der
Maßgabe zurückgewiesen, daß die Verurteilung der Beklagten "als
Gesamthandsschuldner" anstelle "als Gesamt-schuldner" erfolgt. Die
Kosten des Berufungsverfahrens sind von den Beklagten zu tragen. Das
Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Berufung der Beklagten ist zulässig, in der Sache jedoch nicht gerechtfertigt. Das
Landgericht hat die Beklagten mit dem angefochtenen Urteil zu Recht dazu verurteilt, an
den Kläger den im Aufteilungsplan mit G 1 bezeichneten Flur 1 als Sondereigentum
aufzulassen und die Eintragung im Grundbuch zu bewilligen. Allerdings handelt es sich
dabei- ohne daß dies im Ergebnis an der Verurteilung der Beklagten etwas ändert- um
eine gemeinschaftliche Schuld der Beklagten und nicht um eine gesamtschuldnerische
Verpflichtung; denn die entsprechenden Erklärungen müssen von allen Beklagten
abgegeben werden, nicht etwa bewirkt die Erklärung durch einen von ihnen Erfüllung
zugunsten der anderen (vgl. dazu Palandt/ Heinrichs, BGB- Kommentar, 57. Auflage,
Überbl. vor § 420, Rdn. 7 u.8). Da das Gemeinschaftseigentum an dem Gebäude ein
Sondervermögen darstellt, hatte dementsprechend die Verurteilung der Beklagten als
"Gesamthandsschuldner" zu erfolgen.
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Der Kläger hat gegen die Beklagten gemäß § 242 BGB einen schuldrechtlichen
Anspruch auf Übertragung von Sondereigentum an dem im Aufteilungsplan der
Teilungserklärung vom 29.5.1984 (Bl. 8ff d.A.) mit G1 bezeichneten Flur 1 Im Souterrain
des Hauses S., weil dieser Flur nicht mehr als Zugang zu den im Keller befindlichen
Gemeinschaftseinrichtungen benötigt wird, nachdem der Kläger einen anderweitigen
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Zugang erstellt hat, und die Beklagten dadurch, daß sie zu seinem Bau in Ansehung der
von dem Kläger zu erbringenden Aufwendungen ihre Zustimmung erteilten, einen
Vertrauenstatbestand geschaffen haben, der das Verlangen des Klägers nach
Anpassung an die veränderten tatsächlichen Verhältnisse rechtfertigt.
Der Senat verkennt nicht, daß die auf Treu und Glauben gestützte Generalklausel des §
242 BGB keinen Rechtssatz mit deskriptiven Tatbestandsmerkmalen beinhaltet und
deshalb für sich genommen außerhalb von Gesetz und Vertrag grundsätzlich keine
Anspruchsgrundlage liefern kann (vgl. dazu BGH NJW 1981, 1729). Jedoch ist
anerkannt, daß die dieser Generalklausel neben anderen Funktionskreisen
innewohnende Korrekturfunktion (vgl. MüKo/ Roth, Münchener Kommentar zum BGB, 3.
Auflage, § 242 Rdn. 94 + 100; Soergel- Teichmann, BGB- Kommentar, 12. Auflage, §
242 Rdn. 58) dazu dient, eine Anpassung der rechtlichen Verhältnisse an wesentliche
Veränderungen der tatsächlichen Umstände zu ermöglichen und so als ultima ratio den
Fällen Rechnung zu tragen, in denen einer Partei das unveränderte Festhalten an der
bestehenden rechtlichen Regelung nicht zugemutet werden kann. Im
Anwendungsbereich der zu § 242 BGB entwickelten Grundsätze über das Fehlen bzw.
den Fortfall der Geschäftsgrundlage kann deshalb im Einzelfall ein zwingendes
Bedürfnis nach Angleichung an eine tatsächliche Entwicklung sowohl zu einer
anderweitigen Beurteilung der dinglichen Rechtslage führen (vgl. dazu
Palandt/Heinrichs, BGB- Kommentar, 57. Auflage § 242 Rdn. 16 sowie auch den
Beispielsfall bei Bärmann/Pick/Merle, WEG- Kommentar. 7. Auflage, § 3 Rdn. 9) als
auch einen schuldrechtlichen Anspruch auf Ausgleich bzw. Anpassung an die
veränderten Verhältnisse zur Entstehung bringen (vgl. dazu etwa BGH NJW 1958, 906
sowie NJW 1989, 1991). Mit dem Landgericht ist der Senat der Auffassung, daß der
Kläger nach Maßgabe dieser Grundsätze einen schuldrechtlichen Anspruch auf
Übertragung von Sondereigentum an dem im Streit befindlichen Flur hat, der unstreitig
innerhalb der im Souterrain des Hauses befindlichen und im Sondereigentum des
Klägers stehenden Teileigentumseinheit G 1 verläuft und nach der notariellen
Teilungserklärung vom 29.5.1984 ursprünglich auch diesem als Sondereigentum
zugewiesen war. Die Tatsache, daß dieser Flur in der Vergangenheit den einzigen
Zugang zu den im Keller des Hauses befindlichen Versorgungseinrichtungen, unter
anderem zu der Heizungsanlage, bildete, hat zwar dazu geführt, daß der Kläger
zunächst durch Beschluß des Amtsgerichts Köln vom 9.4.1991 (204 II 6/90 AG Köln) auf
Antrag der Beklagten zu 1) verpflichtet wurde, den Beklagten bei akutem Bedarf den
Zutritt zu den Versorgungsräumen zu gewähren, und später in einem weiteren Verfahren
durch die 5. Zivilkammer des Landgerichts Köln (Urteil vom 30.5.1995 - 5 O 23/95,
Anlage K 3, Bl. 30- 37 d.A.) auf Antrag der Beklagten zu 1) dazu verurteilt wurde, einer
Berichtigung des Grundbuches dahingehend zuzustimmen, daß dieser Flur nicht mehr
Bestandteil des im Souterrain gelegenen Teileigentums des Klägers, sondern
Gemeinschaftseigentum ist. Dieses Urteil ist rechtskräftig geworden, nachdem der
Kläger unter im einzelnen zwischen den Parteien streitigen Umständen seine hiergegen
gerichtete Berufung in der mündlichen Verhandlung vor dem 22. Zivilsenat
zurückgenommen hat, und es ist auch die entsprechende Grundbuchberichtigung
erfolgt. Ihre sachliche Rechtfertigung fand die von der Teilungserklärung abweichende,
faktisch mit einer teilweisen Enteignung des Klägers verbundene rechtliche Beurteilung
allein in dem Umstand, daß der Zweck des Flures seinerzeit (auch) darauf gerichtet war,
der Gesamtheit der Wohnungseigentümer den ungestörten Gebrauch der im
Gemeinschaftseigentum stehenden Versorgungseinrichtungen zu ermöglichen und zu
erhalten, weshalb er- so hat die 5. Zivilkammer in ihrem Urteil vom 30.5.1995 unter
Bezugnahme auf die in NJW 1991, 2909 veröffentlichte Entscheidung des BGH
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ausgeführt- gemäß § 5 Abs. 2 WEG nicht Gegenstand von Sondereigentum sein konnte.
Diese Bedeutung für den Gemeinschaftszweck hat der streitgegenständliche Flur nun
aber dadurch verloren, daß der Kläger zwischenzeitlich einen separaten, gemäß § 93
BGB im Gemeinschaftseigentum stehenden Zugang zu den Heizungsräumen
geschaffen hat. Dieser neue Zugang stellt nach Auffassung des Senats eine annähernd
gleichwertige, jedenfalls aber zumutbare Alternative zu dem im Aufteilungsplan als Flur
1 gekennzeichneten Zugang dar, auch wenn die in den Keller führende Wendeltreppe
verhältnismäßig eng sein mag und nur von außen zu begehen ist; denn dieser Umstand
bedingt allenfalls vergleichsweise unbedeutende Unbequemlichkeiten bei der
Benutzung des Zugangs, der unstreitig baubehördlich genehmigt ist und deshalb
zumindest den üblichen Sicherheitsanforderungen entspricht. Unter normalen
Bedingungen erscheint nach dem Eindruck, den der Senat anhand der von den
Beklagten zu den Akten gereichten Lichtbilder gewonnen hat, die Begehung der neu
geschaffenen Kellertreppe ohne weiteres zumutbar. Dabei ist zu berücksichtigen, daß
die Wohnungseigentümer oder von ihnen beauftragte Personen, wie zum Beispiel
Handwerker, die Heizungsanlage und die übrigen im Keller des Gebäudes befindlichen
Versorgungseinrichtungen nur im Bedarfsfalle aufsuchen werden, wobei in erster Linie
an gelegentliche Wartungen und Kontrollen zu denken ist, welche im allgemeinen bei
Tage durchgeführt zu werden pflegen. Die Überlegung der Beklagten, den - unstreitig
beleuchteten- Kellerabgang "bei Nacht und Nebel, Wind und Wetter" benutzen zu
müssen, stellt sich allenfalls für äußerst seltene Extremfälle und kann von daher bei
realistischer Betrachtungsweise vernachlässigt werden. Weitaus schwerer fällt
demgegenüber ins Gewicht, daß der Kläger durch die derzeit bestehende Regelung in
der Nutzung seines Sondereigentums nachhaltig gestört wird, weil dieses keine
abgeschlossene Einheit mehr bildet. Ob die neue Treppe auch für den Transport sehr
schwerer Gegenstände, wie etwa eines Heizkessels, die notwendigen statischen
Voraussetzungen bietet, kann dahingestellt bleiben; denn eine solche Notwendigkeit
wird sich aller Voraussicht nach ebenfalls nur als äußerst seltene Ausnahme ergeben,
für die den Beklagten notfalls der bereits erwähnte Beschluß des Amtsgerichts Köln vom
9.4.1991 weiterhin einen Titel gegen den Kläger liefert. Nach Auffassung des Senats
kann jedenfalls kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, daß die in dem Verfahren 5 O
23/95 LG Köln getroffene Entscheidung über den Grundbuchberichtigungsantrag der
Beklagten zu 1) nicht zu deren Gunsten ausgefallen wäre, wenn damals bereits der
jetzige separate Zugang existiert hätte.
Es kommt entscheidend hinzu, daß die Beklagten durch ihre Zustimmung zu der
Baumaßnahme einen Vertrauenstatbestand geschaffen haben, der den Kläger in der
Annahme bestärkte, daß der auf seine Kosten hergestellte zweite Kellerzugang eine
weitere Benutzung von Flur 1 durch die Eigentümergemeinschaft obsolet machen
werde. Ausweislich des Protokolls über die Eigentümerversammlung vom 28.8.1996 (Bl.
40 d.A.) haben alle Beklagten- teilweise vertreten durch die Beklagte zu 1)- ihr
Einverständnis mit dem Bau eines Kellerzugangs von außen her erklärt. Dabei war den
Beklagten nach der Überzeugung des Senats klar, daß der Kläger mit der von ihm
vorgeschlagenen, nach dem Willen der Beklagten allein auf seine Kosten
durchzuführenden Baumaßnahme bezweckte, sich das Sondereigentum an dem Flur 1
zu erhalten bzw. wieder zu verschaffen. Selbst wenn der Kläger weder in der
Berufungsverhandlung vor dem 22. Zivilsenat am 13.2.1996 noch im Rahmen der im
August 1996 abgehaltenen Eigentümerversammlung sein Junktim zwischen dem Bau
des zusätzlichen Kellerzuganges und der weiteren Zuordnung des umstrittenen Flures
zu seinem Sondereigentum klar zum Ausdruck gebracht haben sollte, konnten die
Beklagten zumindest nicht die Augen davor verschließen, daß der Kläger mit der
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Baumaßnahme eine für ihn günstige Regelung hinsichtlich des Flures erreichen wollte.
Dies war unter den gegebenen Umständen so eindeutig, daß es keiner entsprechenden
Erklärungen des Klägers bedurfte. Insbesondere vor dem Hintergrund der gerichtlich
ausgetragenen Streitigkeiten zwischen den Parteien konnten die Beklagten nicht
ernstlich annehmen, daß der Kläger der Eigentümergemeinschaft ohne jeden eigenen
Vorteil eine Zuwendung machen wolle. Einer Beweisaufnahme hinsichtlich der im Zuge
der Berufungsverhandlung vor dem 22. Zivilsenat abgegebenen Erklärungen, die zur
Rücknahme der Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Köln vom 30.5.1995
führten, bedarf es deshalb nicht, zumal es nicht bei dieser alleinigen Zustimmung der
Beklagten zu 1) zu der Schaffung des zweiten Kellerzugangs geblieben ist, sondern
auch die übrigen Beklagten in der Eigentümerversammlung vom 28.8.1996 hierzu
einstimmig eine positive Äußerung abgegeben haben. Indem die Beklagten der zum
Nutzen der Gemeinschaft durchzuführenden Baumaßnahme zustimmten, ohne dem
Kläger gegenüber deutlich zu machen, daß sich hierdurch an den Rechtsverhältnissen
in Bezug auf den Flur 1 nach ihrem Willen nichts zu seinen Gunsten ändern sollte,
schufen sie einen Vertrauenstatbestand, von dem sie sich nun, nachdem der Kläger die
Baumaßnahme auf seine alleinigen Kosten durchgeführt hat, nicht durch schlichtes
Bestreiten der Zusammenhänge lösen können (sog. Verbot des venire contra factum
proprium). Die Rechtskraft des landgerichtlichen Urteils vom 30.5.1995 steht dieser
Beurteilung nicht entgegen, wie das Landgericht bereits zutreffend in dem
angefochtenen Urteil gemeint hat: Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse, die
sich wie hier nach der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatrichter ergeben
haben, werden von der Rechtskraft nicht erfaßt, § 767 Abs. 2 ZPO.
Der nicht nachgelassene Schriftsatz vom 09.04.1999 gibt keine Veranlassung zur
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.
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Das erstinstanzlich noch geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht wegen der von dem
Kläger aus der vermeintlichen Vermietung des Flures gezogenen Nutzungen haben die
Beklagten nicht zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gemacht, so daß sich ein
Eingehen durch den Senat hierauf erübrigt.
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Die Berufung war nach allem mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen;
die sonstigen prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 708 Nr. 10, 713
ZPO.
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Der Anregung der Beklagten, die Revision zuzulassen, hat der Senat nicht Folge
geleistet. Bei dem vorliegenden Urteil handelt es sich weder um eine
Divergenzentscheidung noch ist die Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung,
weshalb die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 546 Abs. 1
ZPO nicht gegeben waren.
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Wert des Berufungsverfahrens : 15.000,- DM
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Beschwer der Beklagten : jeweils unter 60.000,- DM
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