Urteil des OLG Koblenz vom 13.07.2006

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Versicherungsvertragsrecht
OLG
Koblenz
13.07.2006
10 U 803/05
Grobfahrlässige Unkenntnis des Fehlens der Empfangszuständigkeit des Agenten für eine Kündigung liegt nicht schon
voraussetzungslos immer vor, wenn die Beschränkung bei sorgfältiger Lektüre den AVB entnommen werden kann.
Vielmehr sind die Gesamtumstände des Einzelfalls, insbesondere der laufenden Geschäftsverbindung zu
berücksichtigen, möglicherweise auch die konkrete Fassung der AVB.
Geschäftsnummer:
10 U 803/05
3 O 303/04 LG Bad Kreuznach
In dem Rechtsstreit
C… Krankenversicherung AG,
Klägerin und Berufungsklägerin,
- Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
g e g e n
H… R…,
Beklagter und Berufungsbeklagter,
- Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, die
Richterin am Oberlandesgericht Zeitler-Hetger und die Richterin am Landgericht Dr. Beckmann
am 13. Juli 2006
e i n s t i m m i g
beschlossen:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 3. Zivilkammer/
Einzelrichter des Landgerichts Bad Kreuznach vom 6. Mai 2005
wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Gründe:
Die Berufung ist nicht begründet.
Der Senat hat mit Hinweisbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO vom 15. Dezember 2005 darauf hingewiesen, dass
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung habe, auch die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des
Berufungsgerichts nicht erfordere und die Berufung auch keine Aussicht auf Erfolg habe.
Der Kläger hat Einwendungen gegen die Zurückweisung der Berufung erhoben.
Der Senat sieht keine Veranlassung zu einer abweichenden Beurteilung. Er hält an seinem Hinweis fest und nimmt auf
ihn auch zur Begründung seiner abschließenden Entscheidung Bezug (§ 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO).
Die von der Klägerin in ihrer Stellungnahme vom 20. Februar 2005 vorgetragenen Argumente führen nicht zu einer
neuen Sicht der Dinge.
Insbesondere stellt die im Hinweisbeschluss dargestellte Beurteilung der Rechtslage unter Bezugnahme auf die
Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 24. März 1999 (BGH VersR 1999, 710) keine – wie die Klägerseite
einwendet – Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung dar: Der Senat hat sich gerade auf die vom
Bundesgerichtshof entwickelten Gedanken gestützt und diese unter Berücksichtigung der in der Berufungsinstanz
maßgeblichen Tatsachenfeststellung des Landgerichtes auf den vorliegenden Fall im Einzelnen angewendet. Dabei ist
der Senat auch auf die inhaltlichen Bedenken der Klägerseite eingegangen und hat sich mit ihnen auseinander gesetzt.
Es wird insoweit auf den Hinweisbeschluss Bezug genommen.
Die nunmehrige Stellungnahme der Klägerin enthält dem gegenüber keine neuen Gesichtspunkte, sondern vielmehr
eine erneute Nuancierung der bereits vorgebrachten Argumente und Sichtweisen.
Die von der Klägerseite zitierte Rechtsprechung bekräftigt den auch vom Senat nicht in Abrede gestellten
Ausgangspunkt, dass es grundsätzlich den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit begründen kann, wenn der
Versicherungsnehmer sich nach Erhalt der Versicherungsbedingungen von deren Inhalt keine Kenntnis verschafft.
Gleichwohl sind auch hier, wie stets, die Umstände des Einzelfalles für die abschließende Bewertung maßgeblich –
worauf auch der Bundesgerichtshof in der im Hinweisbeschluss zitierten Entscheidung (VersR 1999, 710 ff.) hinweist.
Ergeben sich aus den tatsächlichen Umständen des konkreten Versicherungsverhältnisses Anhaltspunkte dafür, dass
die Unkenntnis des Versicherungsnehmers von der beschränkten Vertretungsmacht des Versicherungsvermittlers trotz
Erhalt der Versicherungsbedingungen ausnahmsweise nicht als grob fahrlässig (in objektiver oder subjektiver Hinsicht)
zu bewerten ist, so kann ihm diese entsprechend § 47 VVG auch nicht entgegen gehalten werden.
Im vorliegenden Fall hatte das Landgericht – wie im Hinweisbeschluss ausführlich dargelegt – in nicht zu
beanstandender Weise Tatsachenfeststellungen zu den Umständen der behaupteten Unkenntnis des Beklagten
getroffen, deren Bewertung der Senat teilt.
Der Senat hat hierzu im Hinweisbeschluss ausgeführt:
„…weist der Senat darauf hin, dass gegen die Annahme einer groben Fahrlässigkeit im vorliegenden Fall auch die
Tatsache spricht, dass nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Beklagten, der gemäß § 138 ZPO als
zugestanden gilt, der Beklagte mit der Prämienerhöhung nicht einverstanden war und seit November 2003 versucht hat,
mit der Klägerin zu einer Einigung zu kommen, teilweise auch über die Versicherungsagentur M.... Auch der von der
Klägerin benannte Zeuge W... hat erklärt, dass der Beklagte im Dezember in K… oder bei der Hauptverwaltung
angerufen habe, wobei das so ablaufe, dass er einen Besuchsauftrag erhalte und dann den Vermittler verständige. Dies
sei hier Herr M... gewesen. Soweit er wisse, habe Herr M... Herrn R… ein Änderungsangebot zugeschickt. Dass der
Beklagte durch diese Vorgehensweise in seiner Fehlvorstellung, der Zeuge M... habe eine Empfangsvollmacht für vom
Versicherungsnehmer gegenüber dem Versicherer abzugebende Erklärungen, bestärkt wurde, bedarf keiner näheren
Ausführungen.“
Nach Auffassung des Senates liegen somit in dem konkret zu entscheidenden Sachverhalt Umstände vor, die zumindest
die für die Annahme grober Fahrlässigkeit erforderliche subjektive Vorwerfbarkeit der Unkenntnis entfallen lassen. Die
Klägerin hat durch ihr – aufgrund nicht zu beanstandender Tatsachenfeststellung feststehendes – Verhalten mit dazu
beigetragen, dass bei ihrem Versicherungsnehmer, dem Beklagten, zumindest eine Unklarheit über die Zuständigkeit für
die Entgegennahme der Kündigung entstehen konnte. Bei einer Gesamtwürdigung ist dessen Unkenntnis der
tatsächlichen Verhältnisse daher nach Auffassung des Senates zumindest nicht als subjektiv grob fahrlässig einzustufen.
Ob darüber hinaus auch bereits objektiv, aufgrund der konkreten Formulierung der Empfangszuständigkeiten in den AVB
der Vorwurf der grob fahrlässigen Unkenntnis entfiele, kann dahingestellt bleiben (Regelung von Kündigung und
Empfangszuständigkeit an verschiedenen Stellen ohne klarstellenden Hinweis bei der Kündigungsregelung, §§ 17 und
20 der AVB, entsprechend §§ 13 und 16 der MB/KK 94)..
Aus den dargelegten Gründen ist der Senat nach wie vor der Ansicht, dass die Berufung weder Aussicht auf Erfolg, noch
dass der vorliegende Fall grundlegende Bedeutung hat oder die Rechtsauffassung des Senates von in der
Rechsprechung entwickelten Grundgedanken abweicht.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.837,67 € festgesetzt.
Weiss Zeitler-Hetger Dr. Beckmann