Urteil des OLG Koblenz vom 07.10.2009

OLG Koblenz: wiedereinsetzung in den vorigen stand, öffentliches interesse, unbeteiligter dritter, meinungsfreiheit, kritik, angriff, herausgabe, befangenheit, vertragsfreiheit, skrupellos

OLG
Koblenz
07.10.2009
2 Ss 130/09
1. Bei der Prüfung, ob ehrverletzende Werturteile in einer kompletten Meinungsäußerung dem Schutzbereich des Art. 5
Abs 1 GG unterfallen, sind die fraglichen Elemente in ihrem Gesamtzusammenhang und nicht einzeln zu betrachten.
2. Bei der Kundgabe von Werturteilen besteht kein Grundrechtsschutz, wenn es sich um einen Angriff auf die
Menschenwürde, Schmähkritik oder eine Formalbeleidigung handelt.
3. eine Schmähung ist gegeben, wenn in der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die
Diffamierung der Person und ihre Herabsetzung im Vordergrund stehen. Auch insoweit sind die beanstandeten
Äußerungen in dem Gesamtzusammenhang zu beurteilen, in dem sie gefallen sind. Sie dürfen nicht aus dem sie
betreffenden Kontext herausgelöst und einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden.
4. Handelt es sich um eine Meinungsäußerung, die die vorgenannten Grenzen nicht verletzt, ist eine Abwägung
zwischen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz geboten, bei der alle wesentlichen Umstände des Falls zu berücksichtigen
sind und bei der es auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter ankommt.
5. Bei der Abwägung ehrverletzender Äußerungen gegen einen Richter muss auch ins Gewicht fallen, dass an einer
unparteilichen und objektiven, ausschließlich Gesetz und Recht folgenden Rechtsprechung ein überragendes
öffentliches Interesse besteht; ein Beteiligter muss und darf daher - sofern nur die aufgezeigten Grenzen eingehalten
werden - Kritik üben und angebliches oder tatsächliches Fehlverhalten aufzeigen dürfen, ohne sogleich befürchten zu
müssen, Strafverfolgung ausgesetzt zu sein.
Geschäftsnummer:
2 Ss 130/09
3 Ss 130/09 – GenStA Koblenz
3431 Js 99/05 – 6 Ns – StA Mainz
In der Strafsache
g e g e n
A… E…,
geboren am … 1943 in D…,
wohnhaft:
- Verteidiger:Rechtsanwalt
w e g e n Beleidigung
hier: Revision des Angeklagten
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Völpel
sowie die Richter am Oberlandesgericht Mille und Pott
am 7. Oktober 2009 einstimmig
b e s c h l o s s e n :
1. Dem Angeklagten wird auf seine Kosten (§ 473 Abs. 7 StPO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die
Versäumung der Revisionsbegründungsfrist gewährt.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 6. kleinen Strafkammer des Landgerichts Mainz vom 4. Juni
2008 aufgehoben.
Der Angeklagte wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu
tragen.
G r ü n d e :
I.
Das Amtsgericht … verurteilte den Angeklagten am 26. September 2007 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 40
Tagessätzen zu je 10 €. Gegen dieses Urteil legten die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte Berufung ein. Auf das
Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft änderte das Landgericht das amtsgerichtliche Urteil dahingehend ab, dass der
Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt wird, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte;
die Berufung des Angeklagten verwarf es als unbegründet.
Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte Revision ein und beantragte, ihm für die Begründung der Revision einen
Rechtsanwalt beizuordnen. Den diesen Antrag zurückweisenden Beschluss des Landgerichts hob der Senat durch
Beschluss vom 23. März 2009 (2 Ws 635/08) auf. Der Strafkammervorsitzende ordnete daraufhin die Beiordnung eines
Pflichtverteidigers an. Der Beschluss wurde dem Verteidiger am 19. Mai 2009 zugestellt, der mit am 26. Mai 2009 beim
Landgericht eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragte und die Revision mit einem
weiteren, am 19. Juni 2009 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz begründete.
II.
Dem Angeklagten ist auf seinen rechtzeitig gestellten Antrag (§ 45 Abs. 1 S. 1 StPO), Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründung zu gewähren.
Die damit zulässige Revision hat mit der Sachrüge Erfolg. Des Eingehens auf die gleichfalls erhobenen Verfahrensrügen
bedarf es daher nicht. Das angefochtene Urteil hat keinen Bestand, weil das Landgericht in unzulässiger Weise einzelne
Elemente einer komplexen Äußerung aus ihrem Gesamtzusammenhang herausgenommen und einzeln betrachtet hat.
Dadurch hat es verkannt, dass die Äußerungen des Angeklagten (noch) in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5
Abs. 1 GG) fallen und von § 193 StGB gedeckt werden.
1.
a) Nach den Urteilsfeststellungen lehnte der Angeklagte in einem gegen ihn anhängigen Zivilrechtsstreit die erkennende
Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Nachdem er die dienstliche Äußerung der Richterin erhalten hatte,
nahm er dazu wie folgt Stellung:
„In der Sache ...-Bank gegen E... will diese Direktorin als Richterin mir gegenüber die Änderung der Zivilprozessordnung
und damit das Verfahrensrecht ab 2002 einfach nicht anwenden – das macht sie befangen.
Sie will sich einfach rabiat und skrupellos über das Gesetz hinwegsetzen, was sie bisher mir gegenüber schon – immer?
– machte.
Dass sie das nicht einsehen will, ist aus meiner Sicht zurückzuführen auf eine kaum vorstellbare Dreistigkeit mir
gegenüber, dies hat sie schon als Berichterstatterin der 8. Kammer beim LG Mainz bewiesen, dies setzt sie auch als für
mich zuständige Richterin beim AG … fort.
Beispiele:
Man nehme die Akten des ersten Verfahrens gegen mich, das ist die Sache: D…haus F… ./. E..., AZ 3 C 367/01.
Sie verurteilte mich völlig zu unrecht.
In ihrem Urteil stellt sie sich so völlig entsetzlich dumm dar, als wäre ihr ein oberster Rechtsgrundsatz der Vertragsfreiheit
nicht bekannt.
Heißt konkret, in den Geschäftsbedingungen des D…hauses steht, dass eine Fälligkeit einer Anzeige den Empfang der
Rechnung voraussetzt. Und ich zahlte sofort, nachdem ich die Rechnung erhielt.
Sie aber erfindet unter völliger Außerachtlassung die wahrheitswidrige Behauptung: „Die Erteilung einer Rechnung
durch die Klägerin ist keine Fälligkeitsvoraussetzung.“
Die Wahrhaftigkeit hat bei dieser Frau den Wert vom feuchten Dreck. Was diese Frau sich rumwurschtelt, das ist ganz,
ganz schlimm. Das ist ganz, ganz anwiderlich.
Man kann alle ihre Urteile gegen mich nehmen, ihnen allen liegt aus meiner Sicht fortgesetzte Rechtsbeugung zugrunde.
Weiter nehme man beispielhaft die Sache: O… ./. E..., AZ 3 C 63/03.
Da verurteilte sie mich sogar zur Herausgabe einer Original Software, die ich nie hatte!!! Und die Gegenseite nur die
Herausgabe des Updates beantragte.
Diese Frau kümmert sich einfach einen feuchten Dreck um die Wahrhaftigkeit, einen feuchten Dreck ums Recht.
Sie macht nur schnell, schnell – in völliger Verantwortungslosigkeit vor der Sache und vor der Wahrheit und wider
jegliches Recht.
Das ganze kann man (ich) nur begreifen, wenn man weiß, dass ich durch einen völlig ungerechtfertigen Haftbefehl des
ehemaligen Direktors … – wegen rund 70,00 DM aus dem Jahre 1989 und seitdem arbeitslos wurde.
Seitdem geht dieser Rechtsstaat gegen mich vor, weil der Rechtsstaat sein Verbrechen durch seine Richter einfach nicht
wahrhaben will.
Mit den Urteilen der Richterschaft wird mir mein Vermögen von knapp 2 Millionen DM einfach weggenommen.
Ich kann mich gegen Ungerechtigkeiten nicht wehren. Leider habe ich keine Befähigung eines Michael Kohlhaas – bei
dieser Direktorin wäre aber aus meiner Sicht ein solcher mal angezeigt.
Jurist zu sein, ist aus meiner Sicht ein schöner Beruf – leider kommen aus meiner Sicht die meisten Schwerverbrecher,
siehe vor zwei Generationen: den Richter R… F…,
vor einer Generation: den Düsseldorfer RA als Entführer und Erpresser einer der beiden …-Brüder,
heute, das erste Staatsexamen in der Tasche habend: den Mörder des kleinen … Bankierssohnes, eines 10jährigen
Kindes.
Letztendlich kommt es auf das Gefühl der Richterin nicht an, das ist eher Sache für ihren Mann, so sie einen hat, hier
kommt es darauf an, dass ich Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Richterin und aus meiner Sicht auch bewiesen
habe.“
b) Rechtlich würdigt das Landgericht das Schreiben des Angeklagten wie folgt:
„Mit den Formulierungen
- „sie will sich einfach rabiat und skrupellos über die Gesetze hinwegsetzen, was sie bisher mir gegenüber schon –
immer? – machte“
- „in ihrem Urteil stellt sie sich so völlig entsetzlich dumm dar, als wäre ihr ein oberster Grundsatz der Vertragsfreiheit
nicht bekannt“
- „die Wahrhaftigkeit hat bei dieser Frau ganz offensichtlich den Wert von feuchtem Dreck. Was diese Frau rumwurschtelt,
das ist ganz, ganz schlimm, das ist ganz, ganz widerlich“
- „man kann alle ihre Urteile gegen mich nehmen, ihnen allen liegt aus meiner Sicht fortgesetzte Rechtsbeugung
zugrunde“
- „diese Frau kümmert sich einfach einen feuchten Dreck um die Wahrhaftigkeit, einen Dreck ums Recht“
- „sie macht nur schnell, schnell – in völliger Verantwortungslosigkeit vor der Sache und der Wahrheit und wider jegliches
Recht“
hat der Angeklagte ein Werturteil über die Direktorin des Amtsgerichts … abgegeben, das deutlich über die Grenze der
harten und schonungslosen Kritik hinausgeht, der sich jede Person – auch ein Richter – zu stellen hat. Die Kritik muss
jedoch sachbezogen sein, wenn sie vom Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Artikel 5 Grundgesetz gedeckt sein soll.
Wie die Zitate zeigen, handelt es sich hier um eine Anhäufung von bloßer Schmähkritik, mit der das Ehrgefühl der
Richterin verletzt wird. Da der Angeklagte davon ausgehen musste und ausging, dass ein anderer Richter über seinen
Befangenheitsantrag entscheiden wird, wusste er auch, dass seine Stellungnahme mit der Schmähkritik von dieser
Person gelesen wird. Damit nahm er zumindest billigend in Kauf, dass die Geschädigte durch seine schriftlichen
Äußerungen gegenüber Anderen eine Ehrkränkung erfährt und diskreditiert wird.“
2.
Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Bei den Äußerungen des Angeklagten handelt es sich, wie dies die
Strafkammer zutreffend angenommen hat, um die Kundgabe von Werturteilen. Das Schreiben des Angeklagten vom 16.
November 2004 enthält eine auf Tatsachenelementen beruhende, komplexe Meinungsäußerung, die grundsätzlich
insgesamt dem Schutz des
Art. 5 Abs. 1 GG
unterliegt (
BVerfG StV 2000, 416
, 418).
a) Der Grundrechtsschutz tritt nur dann zurück, wenn es sich um einen Angriff auf die Menschenwürde, Schmähkritik oder
Formalbeleidigung handelt (
BVerfG NJW 1999, 2262
,2263). Dies ist hier nicht der Fall.
aa) Von einem Angriff auf die Menschenwürde der Richterin in dem Sinn, dass ihr die personale Würde abgesprochen
wird, sie als unterwertiges Wesen beschrieben werden sollte (vgl.
BVerfG NJW 1987, 2661
, 2662), kann im Hinblick auf
die Umstände der Äußerung, ihren Inhalt und ihr Argumentationsziel nicht die Rede sein.
bb) Der Äußerung fehlen aber auch die Merkmale der Schmähung. Sie ist gegeben, wenn in ihr nicht mehr die
Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person und ihre Herabsetzung im Vordergrund stehen
(
BVerfGE 93, 266
, 294;
BVerfG NJW 1994, 2413
, 2414). Das trifft vorliegend nicht zu.
Dabei sind, was das Landgericht übersehen hat,die beanstandeten Äußerungen in dem Gesamtzusammenhang zu
beurteilen, in dem sie gefallen sind. Sie dürfen nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst und einer rein
isolierten Betrachtung zugeführt werden (BGH NJW 1997, 2513; BVerfG NJW 2009, 3016, 3018). Im vorliegenden Fall ist
deshalb zu berücksichtigen, dass die vom Angeklagten gegen die Richterin erhobenen Vorwürfe der näheren
Begründung seines Befangenheitsantrages (§ 41 ZPO) dienten. Die Besorgnis der Befangenheit leitete der Angeklagte
aus dem Umstand ab, dass die abgelehnte Richterin seiner Ansicht nach den Prozess verfahrensfehlerhaft – „will mir
gegenüber die Änderung der Zivilprozessordnung und damit das Verfahrensrecht ab 2002 einfach nicht anwenden“ –
geführt hat. Den Vorwurf, sie setze sich „rabiat und skrupellos“ über das Gesetz hinweg, begründet der Angeklagte mit
den – aus seiner Sicht – falsch entschiedenen Vorverfahren. In dem Verfahren 3 C 367/01 soll die Richterin – entgegen
den anders lautenden allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin – davon ausgegangen sein, dass die Erteilung
einer Rechnung durch das D…haus F… keine Fälligkeitsvoraussetzung sei, und den Angeklagten deshalb völlig zu
Unrecht verurteilt haben. Hierauf bezieht sich die Aussage des Angeklagten, in ihrem Urteil stelle sich die Richterin „so
völlig entsetzlich dumm dar, als wäre ihr ein oberster Rechtsgrundsatz der Vertragsfreiheit nicht bekannt“. In dem
Verfahren 3 C 63/03 soll die abgelehnte Richterin den Angeklagten zur Herausgabe der Originalsoftware, die dieser
angeblich nie besessen hat, verurteilt haben, obwohl der Kläger lediglich die Herausgabe der Updates verlangt hatte.
Hierauf beziehen sich die Äußerungen des Angeklagten, „sie mache nur schnell, schnell – in völliger
Verantwortungslosigkeit vor der Sache und vor der Wahrheit und wider jegliches Recht“. Insgesamt liegt aus Sicht des
Angeklagten allen gegen ihn ergangenen Urteilen eine „fortgesetzte Rechtsbeugung zugrunde.“
Aus dem Gesamtzusammenhang des Schreibens ergibt sich, dass die Sachauseinandersetzung und nicht die
Diffamierung der Richterin oder die Herabsetzung ihrer Persönlichkeit im Vordergrund steht. Die Vorwürfe sind Glieder
einer Argumentationskette des Angeklagten, aus der sich die angebliche Befangenheit der Richterin ergeben soll. Es
handelt sich um die Begründung eines typischen (prozessualen) Werturteils, nämlich der vom Standpunkt des
Ablehnenden aus zu beurteilenden Besorgnis, die Richterin stehe ihm nicht unparteiisch und unvoreingenommen
gegenüber.
cc) Ebenso ist im Ergebnis die Frage nach dem Vorliegen einer Formalbeleidigung zu beantworten. Deren Kennzeichen
ist es, dass sich die Kränkung bereits aus der Form der Äußerung ohne Rücksicht auf ihren Inhalt ergibt. Auch davon
kann keine Rede sein; der Angriff auf die abgelehnte Richterin ergibt sich aus dem Inhalt der dem Angeklagten
vorgeworfenen Äußerung und nicht aus ihrer Form.
b) Handelt es sich hiernach um eine Meinungsäußerung, die die vorgenannten Grenzen nicht verletzt, ist eine Abwägung
zwischen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz geboten, deren Ergebnis verfassungsrechtlich nicht vorgegeben ist, bei der
jedoch alle wesentlichen Umstände des Falls zu berücksichtigen sind und bei der es auf die Schwere der
Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter ankommt (
BVerfG NJW 1996, 1529
; 1999, 2262, 2263; 2009, 3016, 3019).
Dabei ist auf der Seite der Meinungsfreiheit zunächst wesentlich, dass der Angeklagte seine Äußerungen nicht als
unbeteiligter Dritter, sondern als Beteiligter an einem gerichtlichen Verfahren im Kampf um Rechtspositionen gemacht
hat, wobei es nicht darauf ankommt, dass der Angeklagte seine Kritik auch anders hätte formulieren können (
BVerfG StV
1991, 458
, 459). Dabei darf ein Verfahrensbeteiligter auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte
benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen (BverfG a.a.O.).Der Grundrechtsposition des Angeklagten steht die
Schwere der Ehrkränkung der angegriffenen Richterin und ihr Anspruch auf Wahrung ihrer Persönlichkeitsrechte
gegenüber. Wenn die Angriffe des Angeklagten auch (gerade noch) nicht die Qualität von Wertungsexzessen erreichen
(BayObLG NJW 2001, 1511 m. w. N.), kann nicht zweifelhaft sein, dass der - ausdrücklich oder implizit - erhobene
Vorwurf der Rechtsbeugung für jeden Richter eine schwere, nicht akzeptable Kränkung bedeutet.
Gleichwohl muss jedenfalls in Fällen wie hier, in denen der Vorwurf nicht selbständig im Raum steht, vielmehr lediglich
Teil einer (komplexen) Meinungsäußerung ist, die der Durchsetzung legitimer prozessualer Rechte dient und jedenfalls
aus der Sicht des Äußernden auch nicht völlig aus der Luft gegriffen ist und daher nicht die Qualität eines
Wertungsexzesses erreicht oder sonst missbräuchlich erscheint, der Meinungsfreiheit der Vorzug gegeben werden. Bei
der Abwägung muss nicht zuletzt ins Gewicht fallen, dass an einer unparteilichen und objektiven, ausschließlich Gesetz
und Recht folgenden Rechtsprechung ein überragendes öffentliches Interesse besteht; ein Beteiligter muss und darf
daher - sofern nur die aufgezeigten Grenzen eingehalten werden - Kritik üben und angebliches oder tatsächliches
Fehlverhalten aufzeigen dürfen, ohne sogleich befürchten zu müssen, Strafverfolgung ausgesetzt zu sein (vgl. KG
StV
1997, 485
, 486; BayObLG NStZ-RR 2002, 40 ff. sowie Senatsbeschluss vom 12. Juni 2003 – 2 Ss 126/03 -).
Ist der Meinungsäußerungsfreiheit des Angeklagten der Vorrang vor dem Ehrschutz zu geben, sind die Äußerungen des
Angeklagten im Schriftsatz vom 5. November 2004 zugleich nach § 193 StGB gerechtfertigt; denn diese Vorschrift enthält
eine besondere Ausprägung des Grundrechts der Meinungsfreiheit (vgl. Fischer, StGB, 56. Aufl. § 193 Rdnr. 17 m.w.N.).
3.
Die aufgezeigte Rechtslage führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteiles und zur Freisprechung des Angeklagten
aus Rechtsgründen gemäß § 354 Abs. 1 StPO. Es ist auszuschließen, dass sich in einer neuen Hauptverhandlung
weitergehende, schuldbegründende Feststellungen treffen lassen. Die bisherigen Feststellungen sind vollständig; sie
geben die in Rede stehenden Meinungsäußerungen des Angeklagten lückenlos wieder. Eine Verurteilung wegen
anderer Straftatbestände scheidet aus, insbesondere tragen die Feststellungen keinen Schuldspruch nach §§ 186, 187
oder 164 StGB. Der Angeklagte ist daher mit der Kostenfolge aus § 467 Abs. 1 StPO freizusprechen.
Völpel Mille Pott