Urteil des OLG Koblenz vom 04.01.2007

OLG Koblenz: selbstbehalt, unterhalt, verkündung, verfügung, scheidung, rente, pfändung, quelle, offenkundig, betrug

Familienrecht
OLG
Koblenz
04.01.2007
11 WF 1200/06
Die Billigkeitsabwägung im Rahmen des § 1581 BGB kann dazu führen, dass dem Unterhaltspflichtigen nur der
notwendige Selbstbehalt verbleibt, wenn dies den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 I Satz 1 BGB) entspricht.
Geschäftsnummer:
11 WF 1200/06
7 F 448/06
AG Andernach
OBERLANDESGERICHT
KOBLENZ
BESCHLUSS
in der Familiensache
U… M…,
- Kläger und Beschwerdeführer -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
gegen
M… M…,
- Beklagte -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
wegen nachehelichem Unterhalt (Abänderungsklage).
Der 11. Zivilsenat – 3. Senat für Familiensachen – des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Richter am
Oberlandesgericht Diener als Einzelrichter
am 4. Januar 2007
beschlossen:
Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengerichts – Andernach vom
20.11.2006 wird zurückgewiesen.
Gründe:
Es wird zunächst auf den ausführlich begründeten Beschluss des Amtsgerichts vom 20.11.2006 und auf den
Nichtabhilfebeschluss vom 12.12.2006 Bezug genommen.
Der Kläger ist der Auffassung, dass sich aus dem Urteil des BGH, FamRZ 2006, 683 ff. eine Änderung der
höchstrichterlichen Rechtsprechung hinsichtlich des Selbstbehalts gegenüber einem Anspruch auf nachehelichen
Ehegattenunterhalt ableiten lasse, die im hier zu entscheidenden Fall zu einer Abänderung des Urteils des Amtsgerichts
– Familiengerichts – Andernach vom 20.1.1998 – 7 F 182/97 – führen müsse. Diese Auffassung ist nicht zutreffend.
Zwar ist es richtig, dass eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung einen Abänderungsgrund im Sinne des §
323 I BGB darstellen kann (vgl. BGH, FamRZ 2003, 848 ff., 851). Jedenfalls im vorliegenden Fall rechtfertigt jedoch die
Entscheidung des BGH (FamRZ 2006, 683 ff.) eine Abänderung des Urteils des Amtsgerichts
– Familiengerichts – Andernach vom 20.1.1998 nicht. Zum Zeitpunkt der Verkündung dieses Urteils haben beide
Parteien bereits eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezogen, der Kläger in Höhe von 1.574,34 DM und die Beklagte in Höhe
von 1.107,38 DM. Die Hälfte der Differenz betrug rund 233,00 DM. Das Amtsgericht Andernach hat in seinem Urteil vom
20.1.1998 den Vergleich vom 13.2.1990 – 7 F 43/89 AG Andernach - dahingehend abgeändert, dass der Kläger an die
Beklagte ab 1.7.1997 einen Unterhalt von 233,00 DM zu zahlen hat. Dass es für die Zeit vom 1.10.1996 bis zum
30.6.1997 den Unterhalt mit 221,00 DM bemessen hat, ist hier nicht von Bedeutung.
Das Amtsgericht Andernach hat festgestellt, dass der damals geltende notwendige Selbstbehalt in Höhe von 1.300,00
DM (Düsseldorfer Tabelle, Stand: Januar 1996) nicht unterschritten wird. Soweit es in dem nachfolgenden Absatz
ausführt, dass für eine Erhöhung des Mindestselbstbehalts von 1.300,00 DM auf 1.650,00 DM kein Raum sei, sondern
nur eine geringfügige Erhöhung auf 1.341,34 DM in Betracht komme, ist dies missverständlich. Der Betrag von 1.341,34
DM stellt die Differenz zwischen den damaligen Renteneinkünften des Klägers von 1.574,34 DM und dem zu zahlenden
Unterhalt von 233,00 DM dar. Das Amtsgericht hat auch keinerlei Ausführungen dazu gemacht, aufgrund welcher
Billigkeitsüberlegungen eine Erhöhung des Selbstbehalts gerechtfertigt wäre. Vielmehr beruht das Urteil auf dem in
dieser Sache ergangenen Beschluss des OLG Koblenz vom 12.11.1997 – 13 WF 885/97 – (S. 71 ff. der Akten 7 F 182/97
AG Andernach), der in dem Urteil vom 20.1.1998 wörtlich zitiert wird und in dem Ausführungen zu einer Erhöhung des
Selbstbehalts nicht erfolgt sind. Das Oberlandesgericht Koblenz ist in seinem Beschluss jedoch offenkundig davon
ausgegangen, dass angesichts der ehelichen Lebensverhältnisse der Parteien es nicht gerechtfertigt wäre, dem Kläger
den angemessenen Selbstbehalt zu belassen, den der Kläger selbst unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OLG
Koblenz, FamRZ 1997, 426 mit 1.650,00 DM beziffert hat.
Der BGH hat in seiner Entscheidung FamRZ 2006, 683 ff. ausgeführt, dass der Selbstbehalt gegenüber einem Anspruch
auf Trennungsunterhalt oder nachehelichen Ehegattenunterhalt in der Regel mit einem Betrag zu bemessen ist, der
zwischen dem angemessenen Selbstbehalt und dem notwendigen Selbstbehalt liegt. In den Gründen hat er ausgeführt,
dass es geboten sei, den Selbstbehalt gegenüber dem Unterhaltsanspruch eines geschiedenen Ehegatten nach § 1581
BGB mit einem Betrag zu bemessen, der nicht unter dem notwendigen (§ 1603 II BGB), aber auch nicht über dem
angemessenen (§ 1603 I BGB) Selbstbehalt liegt. Es sei auch nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter für diesen
Ehegattenselbstbehalt im Regelfall von einem etwa in der Mitte zwischen diesen Beträgen liegenden Betrag ausgehe.
Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass im Einzelfall auch von diesem Mittelbetrag nach unten oder oben abgewichen
werden kann, wenn es die Billigkeitsabwägung gemäß § 1581 BGB gebietet. Hiervon ist im vorliegenden Fall
auszugehen.
Die sich nach der Scheidung fortentwickelnden ehelichen Lebensverhältnisse (vgl. hierzu BGH, a.a.O., S. 685) waren
zum Zeitpunkt der Verkündung des Urteils des Amtsgerichts Andernach vom 20. Januar 1998 bereits durch den
beiderseitigen Bezug von Erwerbsunfähigkeitsrente geprägt. Das Einkommen der unterhaltsberechtigten Beklagten lag
nicht unerheblich unter dem notwendigen Selbstbehalt eines Unterhaltsverpflichteten, während das Einkommen des
Klägers nicht unerheblich unter dem angemessenen Selbstbehalt lag, der nach damaliger Rechtsprechung des Senats
(OLG Koblenz, FamRZ 97, 426) zuzubilligen war, der auf die Zahlung nachehelichen Unterhalts in Anspruch genommen
wurde. Den sich aus den fortentwickelten ehelichen Lebensverhältnissen ergebenden Unterhaltsbedarf (§ 1587 I S. 1
BGB) hat das Amtsgericht Andernach in seinem Urteil vom 20.1.1998 unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OLG
Koblenz vom 12.11.1997 zutreffend mit 233,00 DM ermittelt. Es wäre nicht richtig gewesen, die Billigkeitsabwägung
gemäß § 1581 BGB in der Weise vorzunehmen, dass dem Kläger wegen Unterschreitens des angemessenen
Selbstbehalts von 1.650,00 DM seine Rente voll verbleibt. Auch wenn die Ehe fortgeführt worden wäre, hätte beiden
Ehegatten nicht ein Betrag von jeweils 1.650,00 DM zur Verfügung gestanden.
Die derzeitigen Nettorenten der Parteien nach Abzug der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge belaufen sich auf
Seiten des Klägers auf 851,65 € und auf Seiten der Beklagten auf 628,40 €. Die Beklagte hat in Höhe eines über 81,65 €
hinausgehenden Unterhaltsbetrages (Differenz zwischen dem Einkommen des Klägers von 851,65 € und dem
Mindestselbstbehalt von 770,00 € gemäß den Leitlinien des OLG Koblenz Stand: 1.7.2005) auf die Rechte aus dem Urteil
des Amtsgerichts Andernach vom 20.1.1998 verzichtet und insoweit die Pfändung der Rentenbezüge des Klägers
zurückgenommen. Eine weitere Reduzierung der Unterhaltsansprüche der Beklagten kann bei der gemäß § 1581 BGB
vorzunehmenden Billigkeitsabwägung vor dem Hintergrund der ehelichen Lebensverhältnisse (§ 1578 I S. 1 BGB) nicht
erfolgen. Der Klägerin stehen auch nach Einbeziehung des noch zu zahlenden Unterhalts von 81,65 € nur 710,05 € zur
Verfügung.
Diener