Urteil des OLG Koblenz vom 20.04.2009

OLG Koblenz: nichteinhaltung der frist, ablauf der frist, unfallversicherung, schwager, arbeitsfähigkeit, quelle, invalidität, diagnose, versicherungsnehmer, leistungsfähigkeit

OLG
Koblenz
20.04.2009
10 U 1088/08
Zum Erfordernis fristgerechter Invaliditätsfeststellungen bezüglich sämtlicher Einzelbeeinträchtigungen jeweils für sich
(Geruchssinn, Geschmackssinn, Sensibilitätsstörungen aufgrund Frontalhirnsyndrom usw.)
Geschäftsnummer:
10 U 1088/08
1 O 99/00 LG Koblenz
in dem Rechtsstreit
Klägerin und Berufungsklägerin,
-Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
g e g e n
Beklagte und Berufungsbeklagte,
-Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, die
Richterin am Oberlandesgericht Schwager-Wenz und die Richterin am Oberlandesgericht Zeitler-Hetger
am 20. April 2009
einstimmig
beschlossen:
Der Senat erwägt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen. Die Gründe werden nachfolgend
dargestellt. Der Klägerin wird eine Frist zur Stellungnahme gesetzt bis zum
25. Mai 2009
Die Voraussetzungen nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind nach Auffassung des Senats gegeben. Die Rechtssache hat
keine grundsätzliche Bedeutung. Auch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht. Die Berufung hat auch keine Aussicht auf Erfolg.
Das Landgericht hat der Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung lediglich in Höhe von 6.135,50 € stattgegeben
und die Klage im Übrigen abgewiesen, weil die Klägerin hinsichtlich der übrigen geltend gemachten gesundheitlichen
Beeinträchtigungen die Fristen nach § 20 Nr. I (1) Satz 3 AKB 88, § 8 Nr. II (1) Satz 1 Halbsatz 2 AUB 61 nicht gewahrt
habe. Hiergegen erinnert die Berufung nichts Erhebliches.
Die Klägerin verfolgt mit der Berufung nur noch die Berücksichtigung des Frontalhirnsyndroms, des Verlustes des
Geschmackssinnes sowie der Missempfindungen und Sensibilitätsstörungen im Gesicht. Insoweit macht sie ohne Erfolg
geltend, die von den im vorliegenden Rechtsstreit tätigen Sachverständigen Dr. med. A. und Dr. med. B. festgestellten
Funktionsbeeinträchtigungen seien im Sinne der versicherungsvertraglichen Regelungen fristgerecht ärztlich festgestellt
und geltend gemacht worden. Das fristgerecht bei der Beklagten eingereichte hausärztliche Attest enthalte einen
unfallbedingten Ausfall des Geruchssinnes; damit sei zugleich als weitere Auswirkung derselben neurologischen
Schädigung der Verlust des Geschmackssinnes fristgerecht ärztlich festgestellt und von ihr geltend gemacht worden. Im
übrigen dürfe sich die Beklagte nicht auf eine etwaige Versäumung der vertraglichen Ausschlussfristen berufen, da die
Klägerin sich unzähligen schweren Operationen unterzogen und verschiedene Symptome daher irrtümlich zunächst für
akute Folgen der jeweiligen operativen Eingriffe gehalten habe. Der Zweck einer Unfallversicherung würde vereitelt,
wenn Ansprüche wegen fehlender fristgerechter ärztlicher Feststellung und Geltendmachung nicht bestünden aufgrund
eingeschränkter diagnostischer Möglichkeiten, die zum Beispiel während eines Komazustandes bestehen.
In der Rechtsprechung ist anerkannt (vgl. BGH VersR 2007, 1114 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen), dass allein
das Vorliegen einer durch einen Unfall verursachten dauernden Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen
Leistungsfähigkeit für sich allein nicht für einen Anspruch aus der Unfallversicherung genügt, es vielmehr für den
Anspruch auf Invaliditätsleistung zusätzlich der Beachtung bestimmter Fristen bedarf. Das dient dem berechtigten
Interesse des Versicherers an der baldigen Klärung seiner Einstandspflicht und führt selbst dann zum Ausschluss von
Spätschäden, wenn den Versicherungsnehmer an der Nichteinhaltung der Frist kein Verschulden trifft. Zwar ist in
Übereinstimmung mit dem Berufungsvorbringen davon auszugehen, dass nach den erstinstanzlich eingeholten
Sachverständigengutachten des Dr. med. B. und des Dr. med. A. von einer Unfallursächlichkeit der mit der Berufung von
der Klägerin weiterhin verfolgten körperlichen Beeinträchtigungen auszugehen ist. Es fehlt jedoch jeweils an einer
fristgerechten ärztlichen Feststellung innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall und einer entsprechend fristgerechten
Geltendmachung dieser Schäden bei der Beklagten. Die ärztliche Feststellung dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen
erfolgte erstmals durch die erstinstanzlich eingeholten Sachverständigengutachten vom 20. April 2007 und vom 25.
Januar 2008 und damit mehr als 11 Jahre nach dem maßgeblichen Unfall. Dementsprechend ist auch die erforderliche
fristgerechte ärztliche Geltendmachung durch die Klägerin bei der Beklagten nicht gegeben. Die Klägerin kann sich
insoweit auch nicht darauf berufen, dass der Sachverständige Dr. med. A. das Frontalhirnsyndrom als auf den ersten
radiologischen Bildern möglicherweise noch nicht nachweisbar angesehen hat. Unklar bleibt insoweit auch, inwieweit
durch das Frontalhirnsyndrom und die von der Klägerin geklagten neurologischen Beeinträchtigungen überhaupt eine
Invalidität im Sinne einer dauernden Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit gegeben ist. Völlig offen ist, ob diese
Gesundheitsschädigungen – entsprechend den Versicherungsbedingungen – innerhalb eines Jahres vom Unfalltag an
gerechnet
eingetreten
Die Klägerin verweist bezüglich des Verlustes des Geschmackssinnes ohne Erfolg darauf, dass es sich dabei um
dieselbe neurologische Schädigung wie bei dem (entschädigten) Verlust des Geruchssinnes handele und es daher
lediglich um die Feststellung einer weiteren Auswirkung derselben körperlichen Beeinträchtigung gehe. Ein derart enger
Zusammenhang zwischen dem Geruchssinn und dem Geschmackssinn ist nicht erkennbar, es handelt sich um zwei
verschiedene Sinne. Soweit die Klägerin nunmehr einen derart engen Zusammenhang behauptet und Einholung eines
Sachverständigengutachtens dazu sowie zu einem Zusammenhang zwischen der Hirnschädigung, den
Missempfindungen bzw. Sensibilitätsstörungen im Gesicht und dem bei der Beklagten fristgerecht geltend gemachten
Symptom, nämlich der Beeinträchtigung des Geruchssinnes, begehrt, kann dem nicht gefolgt werden. Der Sachvortrag
der Klägerin hierzu ist neu und gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Dies gilt auch für den neuen Sachvortrag der
Klägerin, sie habe verschiedene körperliche Beeinträchtigungen zunächst für akute Folgen der operativen Eingriffe
gehandelt.
Selbst wenn durch die zahlreichen Operationen, denen sich die Klägerin unterziehen musste, eine Diagnose
verschiedener gesundheitlicher Störungen der Klägerin erschwert worden wäre, führt dies nicht dazu, dass die Beklagte
sich nicht auf die versicherungsvertraglich vereinbarten Fristen berufen dürfte. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die
Klägerin sich bis zum Ablauf der Frist zur ärztlichen Feststellung von Gesundheitsschäden und der Frist zur
Geltendmachung derselben in einer so hilflosen Lage befunden hätte, dass sie die Fristen nicht hätte wahrnehmen
können.
Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 33.750 € festzusetzen.
Weiss Schwager-Wenz Zeitler-Hetger