Urteil des OLG Koblenz vom 22.09.2003

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Verkehrsunfallrecht
OLG
Koblenz
22.09.2003
12 U 948/02
1. Bei der Klage auf Zahlung eines "Schmerzensgeldvorschusses" handelt es sich nicht um eine verdeckte Teilklage,
wenn die Auslegung ergibt, dass davon nur unvorhersehbare künftige immaterielle Schäden abgegrenzt werden.
2. § 8a Abs. 1 Satz 1 StVG a.F. lässt die Haftung des Fahrzeugführers und -halters nach dem Straßenverkehrsgesetz für
Personenschäden der Insassen beim Verkehrsunfall entfallen, aber nicht deren Ansprüche aus unerlaubter Handlung.
Insoweit bedarf es des Nachweises eines Verschuldens.
Geschäftsnummer:
12 U 948/02
4 O 165/01
LG Trier
Verkündet
am 22.09.2003
Matysik, Amtsinspektor,
als Urkundsbeamter der
Geschäftsstelle
OBERLANDESGERICHT
KOBLENZ
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
in dem Rechtsstreit
W……. L…..,
Kläger, Berufungskläger und Berufungsbeklagter,
- Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältinnen
gegen
1. D….. K….,
2. E….. Schadenversicherung AG,
Beklagte, Berufungsbeklagte und Berufungskläger,
- Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
wegen Schadensersatzes aus einem Verkehrsunfall.
Der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dierkes,
die Richterin am Oberlandesgericht Frey und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Eschelbach
auf die mündliche Verhandlung vom 25. August 2003
für R e c h t erkannt:
Die Berufung des Klägers gegen das am 17. Juni 2002 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des
Landgerichts Trier wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Beklagten wird das genannte Urteil teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen fallen dem Kläger zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I. Die Parteien streiten um den Ersatz der Schäden, die der Kläger bei einem Verkehrsunfall erlitten hat, der sich am 12.
Oktober 2000 gegen 22.00 Uhr auf der Bundesstraße .. bei B……. ereignet hat. Der Beklagte zu 1. war im Unfallzeitpunkt
Halter und Fahrer des Pkw VW, der bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversichert ist; der Kläger war sein Beifahrer. Das
Fahrzeug fuhr in Richtung N………, als ihm hinter einer Kuppe auf bewaldeter Strecke in einer Linkskurve das Fahrzeug
eines unbekannt gebliebenen Fahrzeugführers mit aufgeblendeten Scheinwerfern - aus der Perspektive der Parteien des
Rechtsstreits auf ihrer Fahrspur - entgegenkam. Deshalb wich der Erstbeklagte aus und kam von der Fahrbahn ab; sein
Fahrzeug überschlug sich. Der Kläger erlitt ein Halswirbelsäulensyndrom und Schnittverletzungen.
Der Kläger hat die Zahlung eines „Schmerzensgeldvorschusses" nebst Zinsen, ferner die Feststellung der
gesamtschuldnerischen Ersatzpflicht der Beklagten für alle künftigen Schäden aus dem Unfallereignis erstrebt. Die
Beklagten haben dagegen die Auffassung vertreten, die Klage sei hinsichtlich des Schmerzensgeldantrags unbestimmt
und im Übrigen unbegründet. Das Landgericht hat dem Feststellungsantrag hinsichtlich der künftigen materiellen
Schäden stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen.
Gegen dieses Urteil wenden sich beide Parteien mit der Berufung. Der Kläger verfolgt seinen vom Landgericht
verneinten Schmerzensgeldanspruch weiter; er beantragt seine Vernehmung als Partei und verweist auf das Urteil des
Amtsgerichts Wittlich vom 7. September 2001 - 8013 Js 8903/01 - 3 OWi, mit dem der Erstbeklagte wegen einer fahrlässig
begangenen Ordnungswidrigkeit verurteilt wurde. Die Beklagten begehren mit ihrem Rechtsmittel die Klageabweisung.
II. Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das gleichfalls zulässige Rechtsmittel der Beklagten hat dagegen
in der Sache Erfolg.
1. Allerdings ist der Klageantrag auf Zahlung eines Schmerzensgeldes nicht unbestimmt. Bei Ansprüchen, die auf eine
billige Entschädigung gerichtet sind, ist die Anbringung unbezifferter Anträge zulässig. Um § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu
genügen, muss der Kläger nur die Größenordnung des geltend gemachten Betrages angeben (BGHZ 132, 341, 350;
140, 335, 341; BGH NJW 2002, 3769, 3770 f.). Dem ist dadurch Rechnung getragen worden, dass das Schmerzensgeld
mit einer „Höhe von mindestens 6000,00 DM" beziffert wurde (Bl. 3 GA). Bei der Klage auf Zahlung eines
„Schmerzensgeldvorschusses“ handelt es sich auch nicht um eine verdeckte Teilklage. Freilich kommt ein
„Schmerzensgeldvorschuss“ im Wortsinn als Klagegegenstand nicht in Frage. Verlangt, wie hier, der Kläger aufgrund
einer Körperverletzung die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, so wird der Streitgegenstand maßgeblich
von dem zur Anspruchsbegründung vorgetragenen Verletzungstatbestand geprägt. Durch den zum Ausgleich des
immateriellen Schadens zuerkannten Betrag sollen daher alle diejenigen Verletzungen und Beschwerden des Klägers
abgegolten werden, die sich aus dem Streitstoff ergeben, den die Prozessparteien dem Gericht in der letzten mündlichen
Verhandlung zur Beurteilung unterbreitet haben und auf den der Kläger sein Schmerzensgeldbegehren gestützt hat.
Lediglich solche Verletzungsfolgen, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingetreten oder nicht erkennbar waren und die
deshalb zwangsläufig bei der Bemessung des Schmerzensgeldes unberücksichtigt geblieben sind, werden von der vom
Gericht ausgesprochenen Rechtsfolge nicht umfasst und können die Grundlage für einen Anspruch auf weiteres
Schmerzensgeld bilden (
BGHZ 18, 149
, 167). Davon sollte der Klageantrag auf Zahlung eines
„Schmerzensgeldvorschusses“ hier aber nicht abweichen. Das wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
klargestellt. Es geht dem Kläger nur um eine von der Klage auf Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für
künftige immaterielle Schäden zu unterscheidende Forderung.
2. Jedoch ist die Berufung des Klägers unbegründet; das Rechtsmittel der Beklagten hat Erfolg. Die Klage ist bereits
unschlüssig, so dass es weder auf die vom Kläger beantragte Parteivernehmung noch auf das als Beweisurkunde
verfügbare Urteil des Amtsgerichts Wittlich aus dem Bußgeldverfahren ankommt. Auch der erste Anschein dafür, dass der
Unfall durch Abkommen des Fahrzeugs von der Fahrbahn vom Fahrzeugführer schuldhaft verursacht wurde (vgl. OLG
Oldenburg ZfS 1986, 97), ist durch die unstreitigen weiteren Einzelheiten des Geschehensablaufs widerlegt, wonach ein
unbekannter Dritter den Erstbeklagten zum Ausweichen veranlasst hat, weil er ihm mit aufgeblendeten Scheinwerfern auf
seiner Fahrspur entgegenkam.
a) Eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist gemäß § 8a Abs. 1 Satz 1 StVG in der Fassung des Gesetzes über Maßnahmen
auf dem Gebiete des Verkehrsrechts und Verkehrshaftpflichtrechts vom 16. Juli 1957 (BGBl. I S. 710) ausgeschlossen.
Dieser Haftungsausschluss ist aufgrund des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften vom 19.
Juli 2002 (BGBl. I S. 2674) erst für Fälle, in denen das schädigende Ereignis ab dem 1. August 2002 eingetreten ist,
entfallen (Art. 229 § 8 Abs. 1 Nr. 4 EGBGB). Er gilt deshalb hier fort. Nach § 8a Abs. 1 StVG a.F. haftet der Halter, wenn
eine durch sein Kraftfahrzeug beförderte Person verletzt worden ist, auf Grund von § 7 StVG nur dann, wenn es sich um
eine entgeltliche, geschäftsmäßige Personenbeförderung gehandelt hat. Wer als Insasse in ein Kraftfahrzeug einsteigt,
genießt nach dem Regelungsgedanken der Haftungsbeschränkungsnorm grundsätzlich nicht den Schutz der
Gefährdungshaftung der §§ 7 ff StVG. Nur die Entgeltlichkeit oder Geschäftsmäßigkeit der Beförderung bewirkt ein
Äquivalent für den Wegfall des Haftungsausschlusses und lässt die Gefährdungshaftung des Halters für
Personenschäden der Insassen bestehen (vgl. BGHZ 80, 303, 306 f.; 114, 348, 350). Das erklärt sich aus der
Entstehungsgeschichte der Regelung (vgl. BT-Drucks. 14/7752 S. 31). Entgeltlichkeit oder Geschäftsmäßigkeit lag bei
der Beförderung des Klägers nicht vor. Daraus ergibt sich hier der Haftungsausschluss gemäß § 8a Abs. 1 Satz 1 StVG
a.F.
Aus der zugleich vorliegenden Eigenschaft des Klägers nicht nur als Halter, sondern auch als Fahrzeugführer folgt nichts
anderes, weil Halter und Fahrer nach § 18 Abs. 1 Satz 1 StVG a.F. im gleichen Umfang haften. § 18 Abs. 1 Satz 1 StVG
a.F. verweist auf die §§ 7 – 15 StVG; davon ist § 8a Abs. 1 Satz 1 StVG a.F. umfasst (vgl. Kunschert, in: Geigel, Der
Haftpflichtprozess, 23. Aufl., 25. Kap. Rn. 252; für den Haftungsausschluss nach § 8 StVG a.F. ebenso BGH VersR 1977,
228 f.).
b) § 8a Abs. 1 Satz 1 StVG a.F lässt die Haftung nach dem Straßenverkehrsgesetz für Personenschäden der Insassen
entfallen, aber nicht deren Ansprüche aus unerlaubter Handlung gemäß § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB (vgl. Kunschert
a.a.O. Rn. 254). Für eine solche Haftung fehlt es indes bereits nach dem unstreitigen Sachverhalt an einem Verschulden
des Erstbeklagten. Der Kläger hat eingeräumt, es sei ein Fahrzeug entgegengekommen und er sei geblendet worden (Bl.
115 f GA). Auch der Erstbeklagte hat von einer Blendung durch das entgegenkommende Fahrzeug nach Überqueren
einer Anhöhe gesprochen und betont, er sei sich sicher, dass das fremde Fahrzeug ihm auf seiner Fahrspur
entgegengekommen sei (Bl. 116 GA); dem ist vom Kläger nicht widersprochen worden. Danach ist der Unfall unstreitig
von einem Dritten verursacht und verschuldet worden. Soweit die Berufungsbegründung ‑ ohne Erörterung des
Verschuldens eines Dritten ‑ zur ursprünglichen Vortragsversion in der Klageschrift zurückkehrt, allein überhöhte
Geschwindigkeit sei die Unfallursache gewesen, kann dadurch das Vorbringen der Parteien nicht revidiert werden. Bei
der Prüfung, welcher Stand des Vorbringens erreicht ist, geht das Vorbringen einer Partei demjenigen ihres
Prozessbevollmächtigen vor, soweit jedenfalls der Mandant als Beteiligter des Geschehens die bessere
Tatsachenkenntnis hat. Dass ein ‑ gegebenenfalls auch nur mitwirkendes ‑ Verschulden des Erstbeklagten infolge
überhöhter Fahrgeschwindigkeit vorgelegen hätte, ist nicht substantiiert behauptet worden. Zur Höhe der
Geschwindigkeit fehlen jegliche Angaben.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf
§§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
IV. Der Streitwert für die Berufungsinstanz beträgt 6.000 Euro. Hier wurde der erstinstanzliche Klageantrag auf
Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für künftige immaterielle Schäden nicht mehr gestellt. Mit Blick darauf wird
der Streitwert hinsichtlich des Schmerzensgeldanspruchs anhand der Bezifferung durch den Kläger auf 3.000 Euro und
bezüglich des verbliebenen Antrags auf Feststellung der Einstandspflicht für künftige materielle Schäden mit Blick auf die
geltend gemachte Besorgnis von Dauerfolgen der Verletzungen für die Berufstätigkeit des Klägers auf weitere 3.000
Euro festgesetzt, zusammen also auf 6.000 Euro. Dem entspricht die Beschwer des Klägers.
V. Für eine Revisionszulassung nach § 543 Abs. 2 ZPO ist kein Raum. Weder hat die Sache grundsätzliche Bedeutung
noch ist die Revisionszulassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
erforderlich. Die Entscheidung beruht vor allem auf den tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalls. Eine Divergenz zur
sonstigen obergerichtlichen Rechtsprechung ist nicht ersichtlich.
Dierkes Frey Dr. Eschelbach