Urteil des OLG Koblenz vom 25.11.2002

OLG Koblenz: erwerbstätigkeit, einkünfte, verfügung, wohnung, miete, selbstbehalt, lebensstellung, rentner, erwerbseinkommen, renteneinkommen

Unterhaltsrecht
OLG
Koblenz
25.11.2002
13 UF 465/02
Ein gesteigert Unterhaltsverpflichteter ist auch nach Erreichen der Regelaltersgrenze zu zusätzlichen,
über das normale Maß hinaus gehenden Anstrengungen verpflichtet, um den Unterhalt seiner
minderjährigen Kinder sicherzustellen, soweit ihm das möglich ist, jedenfalls solange der Unterhalt seiner
Kinder nicht einmal in Höhe des Regelunterhalts gesichert ist.
Entscheidungsgründe:
Die Kläger sind die minderjährigen Kinder des Beklagten aus dessen geschiedener Ehe mit der
Kindesmutter. Sie nehmen den Beklagten für die Zeit ab 16.04.2002 auf Zahlung von Kindesunterhalt in
Höhe des Regelunterhalts in Anspruch. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und dies im
Wesentlichen damit begründet, dass dem 65 Jahre alten Beklagten aufgrund seines Alters und des von
ihm behaupteten Bronchial-Asthma-Leidens eine Erwerbstätigkeit nicht mehr zugemutet werden könne.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Kläger, mit er sie ihr erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang
weiter verfolgen.
Das Rechtsmittel der Kläger ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden; in der Sache führt
es teilweise zum Erfolg. Der Beklagte schuldet den Klägern ab dem 16.04.2002 Kindesunterhalt in dem
aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang.
Den minderjährigen, unstreitig barunterhaltsbedürftigen Klägern, die im Haushalt ihrer Mutter leben und
von dieser in Erfüllung ihrer Unterhaltsverpflichtung betreut werden (§ 1606 Abs. 3 S. 2 BGB), steht
grundsätzlich ein Anspruch auf Kindesunterhalt nach §§ 1601 ff BGB gegen den Beklagten, ihren Vater,
zu. Das Maß des geschuldeten Unterhalts (§ 1610 Abs. 1 BGB) richtet sich, da minderjährige Kinder noch
keine selbständige Lebensstellung haben, grundsätzlich nach der in den Einkommensverhältnissen zum
Ausdruck kommenden Lebensstellung des barunterhaltspflichtigen Beklagten, von der sich diejenige der
Kläger ableitet.
Dieser hat inzwischen das 65. Lebensjahr vollendet und bezieht ab 01.05.2002, nachdem er zuvor
Erwerbsunfähigkeitsrente in gleicher Höhe erhalten hatte, Regelaltersrente in Höhe von 723,37 € bzw. ab
01.07.2002 736,57 €. Diese Einkünfte liegen im Bereich des dem Beklagten zur Deckung seines eigenen
notwendigen Lebensunterhalts mindestens zu belassenden Selbstbehalts von 730,- €. Bei
Berücksichtigung nur des Renteneinkommens wäre der Beklagte mithin nicht bzw. nur in ganz geringem
Umfang leistungsfähig.
Dem Beklagten ist vorliegend aber zuzumuten, einer Erwerbstätigkeit im Rahmen einer
Geringverdienertätigkeit nachzugehen, um hiermit seine Leistungsfähigkeit zu verbessern. Grundsätzlich
besteht zwar nach der Vollendung des 65. Lebensjahres keine Erwerbsobliegenheit des
Unterhaltspflichtigen mehr, allerdings trifft den Beklagten vorliegend keine „normale“
Unterhaltsverpflichtung; er ist vielmehr gemäß § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB gegenüber den Klägern
gesteigert unterhaltsverpflichtet. Dies beruht auf seiner besonderen familienrechtlichen Verantwortung
gegenüber seinen minderjährigen Kindern, die ihren Bedarf aufgrund ihres Alters selbst nicht
sicherstellen können, und zwar auch nicht über ihre Mutter, da diese Sozialhilfe bezieht und aufgrund
dessen nicht als „anderer unterhaltspflichtiger Verwandter“ i.S.d. § 1603 Abs. 2. S. 3 BGB zur Verfügung
steht. Für den Beklagten besteht daher eine Pflicht zur gesteigerten Ausnutzung seiner Arbeitskraft; er ist
verpflichtet, alle zumutbaren Erwerbsmöglichkeiten auszuschöpfen. Ihm werden deshalb über das
normale Maß hinaus gehende zusätzliche Anstrengungen zugemutet. Bei jüngeren Erwerbstätigen führt
dies dazu, dass sie neben einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit notfalls Überstunden leisten oder
Nebenbeschäftigungen aufnehmen müssen. Hieraus folgt, dass auch der Beklagte nach Erreichen der
Regelaltersgrenze zu zusätzlichen, über das normale Maß hinausgehenden Anstrengungen verpflichtet
ist, soweit sie ihm möglich sind, jedenfalls solange der Unterhalt seiner Kinder nicht einmal in Höhe des
Regelunterhalts gesichert ist. Mit dieser Rechtsauffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der
Entscheidung des 9. Senats vom 21.02.2001 – 9 UF 396/00 –, da der dortige Beklagte bereits 76 Jahre alt,
mithin mehr als 10 Jahre älter als der Beklagte des vorliegenden Verfahrens, war, worauf der 9. Senat in
seiner Entscheidung auch ausdrücklich hingewiesen hat („In seinem Alter, welches das Ruhestandsalter,
das üblicherweise 65 Jahre beträgt, jedenfalls – wie hier – bei weitem überschreitet, kann von dem
Beklagten die Aufnahme einer Arbeitstätigkeit nicht mehr erwartet werden“). Für Rentner im Alter des
Beklagten, die wie dieser aufgrund ihrer geringen steuerpflichtigen Einkünfte – versteuert wird nur der
Ertragsanteil der Rente – der Einkommenssteuerpflicht nicht unterliegen, werden dagegen – wie
allgemein bekannt sein dürfte – Tätigkeiten im Bereich der geringfügigen Beschäftigung immer wieder
angeboten und von diesen zur Aufbesserung der eigenen Renteneinkünfte auch angenommen. Schon
hieraus folgt, dass eine entsprechende Tätigkeit für Rentner nicht gänzlich unüblich und damit für den
Beklagten nicht grundsätzlich unzumutbar ist.
Die aus einer geringfügigen Beschäftigung erzielbaren und vom Beklagten ab 17.09.2002 tatsächlich
auch aus einer ab diesem Zeitpunkt aufgenommenen Erwerbstätigkeit erzielten Einkünfte in Höhe von bis
zu 325,- € werden weder auf die Erwerbsunfähigkeitsrente (§ 96 a Abs. 2 Nr. 2 SGB VI) noch auf die
Altersrente angerechnet. Dass er zu einer Erwerbstätigkeit in diesem Umfang aus gesundheitlichen
Gründen nicht in der Lage ist, hat der Beklagte nicht hinreichend nachvollziehbar dargetan. Nach dem von
ihm in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bericht des Radiologen Dr. B…. vom 03.09.2002 liegt ein
(Alters-)Lungenemphysem vor bei ansonsten altersentsprechendem unauffälligem Herz- und
Lungenbefund. Insbesondere konnten keine Pneumonie und keine Peribronchitis nachgewiesen werden.
Offensichtlich sind die hieraus folgenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beklagten auch eher
untergeordneter Natur, da nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung in den letzten 6
Wochen kein Arztbesuch stattgefunden hat und auch für die Zeit davor besondere
Krankheitsvorkommnisse und/oder die Notwendigkeit häufiger Arztbesuche nicht geschildert werden. Der
Senat geht deshalb davon aus, dass der Beklagte, der bereits mit anwaltlichem Schreiben vom
05.02.2002 zur Zahlung von Kindesunterhalt in Höhe des Regelbetrags aufgefordert worden war, von
Beginn des hier maßgeblichen Unterhaltszeitraum (16.04.2002) an verpflichtet und in der Lage war, einer
geringfügigen Beschäftigung nachzugehen und hieraus ein Einkommen in Höhe von monatlich 325,- € zu
erzielen.
Höheres Erwerbseinkommen – für die Zeit ab Bezug der Regelaltersrente – kann demgegenüber im
Hinblick auf das Alter des Beklagten nicht unterstellt werden, da dies auch nach der Auffassung des
Senats die Erwerbsobliegenheit nach Erreichen des regulären Ruhestandsalters – er ist am 20.04.2002
65 Jahre alt geworden – übersteigen würde.
Eine Erhöhung des Selbstbehalts wegen der vom Beklagten zu zahlenden Miete (Miete 300 €,
Wassergeld 15,- €, Heizung 50,- €, Strom 32,- €, insgesamt 397,- €; im Selbstbehalt ist demgegenüber nur
ein Betrag von 360,- € für die Warmmiete enthalten) kommt nicht in Betracht, da der Beklagte angesichts
seiner engen finanziellen Verhältnisse und der gegenüber den Klägern bestehenden gesteigerten
Unterhaltsobliegenheit verpflichtet gewesen wäre, eine preisgünstigere kleinere Wohnung – die jetzige
Wohnung hat nach seinen Angaben eine Wohnfläche von rund 70 m² – zu suchen.
Auf dieser Grundlage ist wie folgt zu rechnen:
26.04. bis 30.06.2002
Renteneinkommen 723,37 €
fiktives Arbeitseinkommen 325,00 €
abzüglich pauschale berufsbedingte
Aufwendungen 16,25 €
308,75 €
insgesamt rund 1.032,00 €
nach Abzug des dem Beklagten zu belassenden
Selbstbehalts, den der Senat aufgrund der unter-
stellten geringfügigen Tätigkeit maßvoll erhöht auf 750,00 €
stehen zur Erfüllung der Ansprüche der Kläger
insgesamt zur Verfügung 282,00 €
Da der Mindestunterhalt nach der vom Senat in ständiger Rechtsprechung als Orientierungshilfe
herangezogenen Düsseldorfer Tabelle für den 12 Jahre alten Kläger zu 1. 269,- € und für den 9 Jahre
alten Kläger zu 2. 228,- € beträgt, entfallen von den zur Verfügung stehenden 282,- € rund 54 % = 152,- €
auf den Kläger zu 1. und rund 46 % = 130,- € auf den Kläger zu 2.
Ab 01.07.2002
Renteneinkommen jetzt 736,57 €
Erwerbseinkommen (unverändert) 308,75 €
insgesamt rund 1.045,00 €
abzüglich Selbstbehalt (wie zuvor) 750,00 €
bleiben 295,00 €
Hiervon entfallen auf den Kläger zu 1. 159,00 €
und auf den Kläger zu 2. 136,00 €
Der Zinsanspruch beruht auf §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1, 247 BGB.
Die Kostenentscheidung für die Berufungsinstanz folgt aus §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.964,- € (Kläger zu 1. 3.228,- €, Kläger zu 2. 2.736,- €)
festgesetzt.
Hahn Wolff Schilz-Christoffel