Urteil des OLG Karlsruhe vom 23.09.2016

erwerb, berufsunfähigkeit, versicherung, sicherheitsleistung

OLG Karlsruhe Beschluß vom 23.9.2016, 9 U 27/15
Auswirkungen einer betrieblichen Umorganisation auf die Berufsunfähigkeit des
mitarbeitenden Betriebsinhabers
Leitsätze
1. Die Berufsunfähigkeit eines mitarbeitenden Betriebsinhabers kann entfallen, wenn sich durch eine
betriebliche Umorganisation neue Tätigkeitsbereiche für den Versicherten ergeben. Auf ein nachträgliches
Entfallen seiner Leistungspflicht kann sich der Versicherer allerdings nur dann berufen, wenn die maßgeblichen
Umstände - Umorganisation des Betriebes oder zumutbare Möglichkeit einer Umorganisation - nach dem
ursprünglichen Anerkenntnis des Versicherers eingetreten sind.
2. Betriebliche Veränderungen, die dem mitarbeitenden Betriebsinhaber neue Tätigkeitsbereiche eröffnen,
stehen der Berufsunfähigkeit nur dann entgegen, wenn der Versicherte auf Grund vertraglicher Obliegenheiten
oder auf Grund seiner Schadensminderungspflicht gegenüber dem Versicherer verpflichtet war, diese
Veränderungen herbeizuführen. Zum Erwerb eines anderen Unternehmens (hier: Erwerb eines
Busunternehmens durch einen Transportunternehmer) ist der Versicherte in der Regel nicht verpflichtet.
Hinweis: Die Berufung wurde mit weiterem Beschluss des Senats vom 23.09.2016 zurückgewiesen.
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 21.01.2015 - 1 O
105/11 - wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Entscheidung des Senats und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar ohne
Sicherheitsleistung. Die Beklagte kann eine Vollstreckung des Klägers abwenden durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 120 % des nach der Entscheidung des Senats vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 54.701,99 EUR festgesetzt.
5. Das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 21.01.2015 wird in Ziffer 1 und 2 des Tenors wie folgt
berichtigt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 40.087,02 EUR nebst Zinsen in Höhe 5 Prozentpunkten
über dem jeweiligen Basiszinssatz
aus 3.340,58 EUR seit dem 02.10.2011,
aus weiteren 3.340,59 EUR seit dem 02.01.2012,
aus weiteren 3.340,59 EUR seit dem 02.04.2012,
aus weiteren 3.340,58 EUR seit dem 02.07.2012,
aus weiteren 3.340,58 EUR seit dem 02.10.2012,
aus weiteren 3.340,59 EUR seit dem 02..01.2013,
aus weiteren 3.340,59 EUR seit dem 02.04.2013,
aus weiteren 3.340,58 EUR seit dem 02.07.2013,
aus weiteren 3.340,58 EUR seit dem 02.10.2013,
aus weiteren 3.340,59 EUR seit dem 02.01.2014,
aus weiteren 3.340,59 EUR seit dem 02.04.2014 und
aus weiteren 3.340,58 EUR seit dem 02.07.2014,
zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ab dem 01.10.2014 bis zum Ablauf der
streitgegenständlichen Versicherung am 30.06.2029, längstens bis zum Tode des Klägers, eine
Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von jährlich 13.362,34 EUR, zahlbar jeweils vierteljährlich im Voraus
mit jeweils 3.340,59 EUR im ersten und zweiten Quartal und jeweils 3.340,58 EUR im dritten und
vierten Quartal nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab
Fälligkeit zu zahlen.
Gründe
1 Die Zurückweisung der Berufung beruht auf § 522 Abs. 2 ZPO. Der Senat ist einstimmig davon überzeugt,
dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat. Die in § 522 Abs. 2 Ziffern 2, 3 und 4 ZPO genannten
Gesichtspunkte stehen einer Zurückweisung durch Beschluss nicht entgegen. Zur weiteren Begründung
verweist der Senat auf die den Parteien bekannten Ausführungen im Beschluss vom 30.06.2016. Auf diesen
Beschluss wird auch wegen des Sachverhalts verwiesen (vgl. I. der Gründe im Beschluss vom 30.06.2016).
2 Aus der Stellungnahme des Beklagtenvertreters vom 07.08.2016 ergeben sich gegenüber den Ausführungen
im Beschluss vom 30.06.2016 keine neuen entscheidungserheblichen Gesichtspunkte, die zu einer
abweichenden Beurteilung führen könnten. Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:
3 1. Es trifft nicht zu, dass der Rechtstreit eine Fülle rechtlicher Probleme aufweisen würde, die eine
mündliche Verhandlung zweckmäßig erscheinen lassen. Die maßgeblichen versicherungsrechtlichen
Rechtsfragen (Anforderungen an eine Änderungsmitteilung in der BU-Versicherung, Berücksichtigung einer
betrieblichen Umorganisation in der BU-Versicherung und Verletzung von Mitwirkungspflichten) sind in der
obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt und vorliegend einfach gelagert. Auch angesichts der
Ausführungen im Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 07.08.2016 wären neue Erkenntnisse nach einer
Erörterung in einer mündlichen Verhandlung nicht zu erwarten.
4 2. Die betriebliche Umorganisation des Klägers durch den Erwerb eines Busunternehmens mit mehreren
Bussen im Jahr 2009 lässt die Leistungspflicht der Beklagten nicht entfallen, ohne dass es darauf ankäme, ob
der Kläger ab 2009 in erheblichem Umfang Busfahrten durchgeführt hat oder gesundheitlich dazu in der
Lage wäre. Rechtlich entscheidend ist allein, dass der Kläger auf dem Boden der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht zum Erwerb des Busunternehmens nicht
verpflichtet war (vgl. die Ausführungen des Senats im Beschluss vom 30.06.2016, Seite 11 - 13).
5 Die Beklagte kann demgegenüber nicht einwenden, der Erwerb des Unternehmens sei
versicherungsrechtlich zu berücksichtigen, da die unternehmerische Entscheidung für den Kläger nicht mit
Risiken verbunden gewesen sei. Jeder Erwerb eines anderen Unternehmens ist generell mit wirtschaftlichen
Risiken verbunden und kann daher im Verhältnis zum Berufsunfähigkeitsversicherer nicht Bestandteil einer
Schadensminderungspflicht sein. Auf die konkreten Zahlen des erworbenen Unternehmens und auf den
Inhalt des Kaufvertrages kommt es mithin entgegen der Auffassung der Beklagten nicht an. Ein
Ausnahmefall, wie in der bereits früher vom Senat zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom
17.02.1993 (NJW-RR 1993, 721) liegt nicht vor.
6 3. Der Senat hat bereits in der Entscheidung vom 30.06.2016 ausführlich begründet, weshalb eine
versicherungsrechtlich relevante Verletzung von Mitwirkungspflichten des Klägers nicht in Betracht kommt.
Es ist zu verweisen auf die Ausführungen im Beschluss vom 30.06.2016 (Seite 13 - 15). Im Hinblick auf die
Ausführungen des Beklagtenvertreters im Schriftsatz vom 07.08.2016 ist Folgendes zu ergänzen:
7 a) Es trifft nicht zu, dass der Beklagte - wahrheitswidrig - eine Tätigkeit „zuvor heftig mehrfach bestritten“
hätte. Wie im Beschluss vom 30.06.2016 ausgeführt (Seite 14/15) enthalten die verschiedenen Angaben des
Klägers - allenfalls - eine leicht fahrlässige geringe Ungenauigkeit.
8 b) Dass der Kläger weiter in geringem Umfang Tätigkeiten ausgeübt hat, war aus seinen Angaben für die
Beklagte ohne weiteres erkennbar. In der früheren Erklärung vom Dezember 2007 hat der Beklagte
angegeben, dass er pro Tag noch etwa 2,25 h im Büro tätig sei. Der Hinweis „keine Tätigkeit“ in dem
Fragebogen vom 05.05.2009 (Anlage K 8) war zwar nicht zutreffend; die Beklagte hat es jedoch versäumt,
insbesondere im Hinblick auf die früheren Angaben vom Dezember 2007 den Kläger um eine Konkretisierung
zu bitten, was er mit dem Ankreuzen von „selbstständig“ zum Ausdruck bringen wollte. Auf spätere
Rückfragen der Beklagten hat der Kläger in den Schreiben vom 12.01.2011 (Anlage K 13) und vom
25.02.2011 (Anlage K 15) Tätigkeiten in geringem zeitlichen Umfang eingeräumt (Tätigkeiten bei
Abwesenheit seiner Ehefrau sowie Busfahrten im äußersten Notfall).
9 c) Der Kläger war - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht verpflichtet, von sich aus auf den Erwerb
eines Busführerscheins hinzuweisen. Der Senat hat bereits im Beschluss vom 30.06.2016 darauf
hingewiesen, dass die Voraussetzungen für eine Mitteilungspflicht gemäß § 9 Abs. 13 BUZ nicht vorlagen.
Denn es ist nicht ersichtlich und von der Beklagten nicht bewiesen, dass der Kläger in einem für die
Berufsunfähigkeit relevanten Umfang Fahrten mit einem Bus durchgeführt hätte.
10 d) Der Kläger war - entgegen der Auffassung der Beklagten - unter keinem denkbaren rechtlichen
Gesichtspunkt verpflichtet, seine Geschäftspartnerin, die S., von der Schweigepflicht zu entbinden. Ob die
Geschäftspartnerin des Klägers in irgendeiner Weise einer Behörde im Sinne von § 9 Abs. 6 BUZ entspricht,
ist dabei entgegen der Auffassung der Beklagten ohne Bedeutung. Ergänzend zu den Ausführungen im
Beschluss vom 30.06.2016 (Seite 15) ist auf Folgendes hinzuweisen:
11 aa) Mitwirkungspflichten des Klägers kamen nur insoweit in Betracht, als bestimmte Umstände im
Nachprüfungsverfahren Relevanz haben konnten. Damit war die Aufforderung zu einer
„Schweigepflichtentbindung“, welche die aus der Sicht der Beklagten relevanten Umstände nicht
konkretisierte, von vorneherein vertragswidrig.
12 bb) Die Umorganisation durch den Erwerb des Busunternehmens war aus Rechtsgründen im Verhältnis des
Klägers zur Beklagten unerheblich (siehe oben). Daher spielten Umstände im Vertragsverhältnis zwischen
dem Kläger und seiner Auftraggeberin, der S., im Verhältnis zur Beklagten keine Rolle.
13 d) Aus der vom Beklagtenvertreter zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Saarbrücken vom
06.02.2013 - 5 U 106/10 - ergeben sich keine rechtlichen Gesichtspunkte für den vorliegenden Fall zu
Gunsten der Beklagten.
14 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
15 Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
16 5. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 48 Abs. 1 GKG, 9 ZPO.
17 6. Der Senat hat den Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung gemäß § 319 Abs. 1 ZPO geringfügig
berichtigt. Bei einem unstreitigen Jahresbetrag der Rente von 13.362,34 EUR ergeben sich bei einer
vierteljährlichen Zahlung zwei Zahlungen von jeweils 3.340,59 EUR und zwei Zahlungen von jeweils
3.340,58 EUR.