Urteil des OLG Karlsruhe vom 03.05.2016

religiöse erziehung, gemeinsame elterliche sorge, wohl des kindes, im bewusstsein

OLG Karlsruhe Beschluß vom 3.5.2016, 20 UF 152/15
Übertragung der Entscheidungsbefugnis über die Religionszugehörigkeit des Kindes
Leitsätze
Es ist nicht geboten, ein knapp 3jähriges Kind, dessen getrennt lebende, jedoch gemeinsam sorgeberechtigte
Eltern aus verschiedenen Kulturkreisen stammen und verschiedenen Religionsgemeinschaften angehören,
bereits jetzt endgültig in eine Religionsgemeinschaft zu integrieren.
Eine Entscheidung über das religiöse Bekenntnis löst nicht das Spannungsverhältnis, welches durch die
Konfrontation des Kindes mit den unterschiedlichen Praktiken der Religionsausübung von Mutter und Vater
bedingt ist. Es obliegt den Eltern, religiöse Toleranz gegenüber dem jeweils anderen Bekenntnis walten zu
lassen und das verstandesmäßig noch nicht gereifte Kind insoweit keinen unnötigen Spannungen auszusetzen.
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Vaters wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Pforzheim vom
21.09.2015 - 1 F 219/14 - in Nr. 1. des Tenors aufgehoben. Der Antrag der Mutter wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1 Die Eltern und das Kind M. sind deutsche Staatsangehörige. Die Eltern hatten unverheiratet
zusammengelebt. Ihre Trennung erfolgte im Juli 2014. Seither lebt M. bei der Mutter, die wieder verheiratet
ist und in ihrer neuen Familie den evangelischen Glauben praktiziert. Der Vater ist türkischer Abstammung,
in Deutschland geboren und besitzt seit 2006 die deutsche Staatsangehörigkeit. Er arbeitet seit 13 Jahren
bei demselben Unternehmen als Versand- und Lagerarbeiter. Der Vater neigt dem mohammedanischen
Glauben zu, zieht das türkische dem deutschen Essen vor und lehnt das Essen von Schweinefleisch ab. Er ist
beschnitten und wünscht dies auch von seinem Sohn, ohne dies durchsetzen zu wollen.
2 Es besteht die gemeinsame elterliche Sorge für M., die die Eltern noch vor der Geburt des Kindes durch
Abgabe entsprechender Sorgeerklärungen gewählt haben.
3 Die Mutter hat ursprünglich die elterliche Sorge für M. begehrt, da die Eltern bezüglich der religiösen und
kulturellen Entwicklung des Kindes nicht zusammenarbeiten könnten. M. solle im christlichen Glauben
erzogen und getauft werden und in der Schule am evangelischen Religionsunterricht teilnehmen. Die Mutter
macht geltend, dass M. während des Umganges mit dem Vater von diesem gegen den christlichen Glauben
eingestellt und zu Gunsten muslimischer Glaubensgrundsätze beeinflusst werde.
4 Zuletzt hat die Mutter beantragt,
5
ihr das Recht zur Entscheidung über die Religionszughörigkeit für M. zu übertragen.
6 Der Vater hat Antragszurückweisung beantragt.
7
Er sieht keinen Anlass für eine frühzeitige Festlegung der Religionszugehörigkeit des Kindes.
8 Durch den angegriffenen Beschluss hat das Familiengericht der Mutter das Recht zur Entscheidung über die
Religionszugehörigkeit für M. übertragen. Auf die Beschlussgründe wird Bezug genommen.
9 Dagegen richtet sich die rechtzeitig eingegangene Beschwerde des Vaters. Der Vater meint, der
angegriffene Beschluss verstoße gegen das Gesetz über die religiöse Kindererziehung und Art. 14 UN-
Kinderrechtskonvention. Eine Entscheidung über die Religionszugehörigkeit des Kindes sei in Anbetracht
dessen geringen Alters nicht erforderlich, auch wenn Mutter und Vater das Kind je in ihre eigene Religion
einführten. Der Vater wünscht sich religiöse Toleranz der Eltern; dies würde auch den zwischen ihnen
bestehenden Konflikt entschärfen.
10 Der Vater beantragt,
11 die Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - Pforzheim vom 21.09.2015.
12 Die Mutter beantragt
13 Beschwerdezurückweisung.
14 Die Mutter weist darauf hin, dass die jetzige Entscheidung über die Religionszugehörigkeit des Kindes nicht
endgültig und lebenslang sei. Die unterschiedliche Orientierung der Eltern führe das Kind in einen immer
größer werdenden Konflikt. Da das Kind bei der Mutter lebe, entspreche es dem Kindeswohl, dass das Kind
demselben Glauben angehöre wie die Mutter.
15 Der Verfahrensbeistand berichtet, dass M. aufgrund seines Alters zu religiösen Inhalten keine Stellung
nehmen könne. Beide Elternteile seien bestrebt, ihm ihre Religion nahe zu bringen. Nach Aussagen der
Mutter führe dies zu Auffälligkeiten bei M., insbesondere beim Beten. Der Verfahrensbeistand befürchtet
angesichts der Haltung der Eltern massive innere Konflikte des Kindes aufgrund eines jahrelangen
Machtkampfs der Eltern. Deshalb sei die von dem Familiengericht getroffene Entscheidung dem Kindeswohl
entsprechend.
16 Der Senat hat mit Beschluss vom 22.10.2015 die Vollziehung des angegriffenen Beschlusses des
Familiengerichts vorläufig ausgesetzt.
17 Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und Sitzungsniederschriften verwiesen.
II.
18 Die gem. §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde des Vaters ist begründet. Es besteht derzeit kein Anlass, aus
Gründen des Kindeswohls eine Entscheidung über dessen Religionszugehörigkeit zu treffen.
19 Können sich Eltern in einer einzelnen Angelegenheit der elterlichen Sorge, deren Regelung für das Kind von
erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen, so kann das Familiengericht gem. § 1628 BGB auf Antrag eines
Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Die Religionszugehörigkeit eines Kindes und damit
auch seine Taufe ist für das Kind von erheblicher Bedeutung, weshalb der Antrag der Mutter zulässig ist.
Eine auch nur teilweise Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist deswegen nicht erforderlich (BGH
FamRZ 2005, 1167).
20 Der Antrag der Mutter ist nicht begründet, da derzeit eine Entscheidung über die religiöse Erziehung des
Kindes M. nicht geboten ist.
21 Art. 6 Abs. 2 GG gewährleistet das Recht der Eltern auf Erziehung des Kindes auch in weltanschaulich-
religiöser Hinsicht. Dieses Recht genießt zusätzlich den Schutz der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG).
Da die Elternrechte beider Eltern gleichwertig sind, kann nur das Kindeswohl einen Eingriff in das
Elternrecht des jeweils benachteiligten Elternteils rechtfertigen. Eine staatliche Entscheidung, die das
Elternrecht beeinträchtigt, aber nicht dem Wohl des Kindes dient, verletzt deshalb Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.
Dabei muss auch das Kind in seiner Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigt werden
(Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Art. 6 Rn. 126 (Mai 2013)). Können sich die gemeinsam
sorgeberechtigten Eltern über die religiöse Erziehung ihres Kindes nicht einigen, kann nach § 2 Abs. 3 KErzG
die Entscheidung des Familiengerichts beantragt werden, für die die Zwecke der Erziehung maßgebend sind.
Diese erfordern hier nicht eine Entscheidung über die Religionszugehörigkeit des Kindes.
22 Maßgebend hierfür ist im Wesentlichen das geringe Alter des Kindes M. von knapp drei Jahren. M. ist, wie
auch der Verfahrensbeistand aufgezeigt hat, nicht in der Lage, Fragen des religiösen Bekenntnisses sinnvoll
zu verstehen. Er ahmt lediglich das ihm von seinen Eltern aufgezeigte Verhalten nach, ohne hiermit
Sinnhaftes verknüpfen zu können. Bei dieser Sachlage ist eine Entscheidung über sein religiöses Bekenntnis
aus Gründen seiner Erziehung nicht geboten.
23 Dies entspricht auch der gesellschaftlichen Realität in Deutschland, wie eine Orientierungshilfe zu
Verständnis und Praxis der Taufe in der evangelischen Kirche des Rats der evangelischen Kirche in
Deutschland mit dem Titel „Die Taufe“ zu entnehmen ist. Danach ist zwar im Bewusstsein der Mitglieder
evangelischer Kirchen fest verankert, dass getauft zu sein das zentrale Merkmal eines evangelischen
Christenmenschen ist. Allerdings muss nach Konfessionen, Milieus und Lebensformen unterschieden werden:
Kinder aus konfessionsverbindenden Ehen werden überproportional in der evangelischen Kirche getauft. Mit
der starken Orientierung an der Familie hängt es aber auch zusammen, dass die Taufquote von Kindern nicht
verheirateter evangelischer Mütter lediglich bei ca. 25% liegt. Deshalb wird mit der Taufe das Ideal einer
vollständigen und intakten Familie verknüpft, die hier jedoch gerade nicht gegeben ist, da die Beteiligten
nicht in einer Familie zusammenleben.
24 Auch wird die Erwachsenentaufe heute in vielen evangelischen Gemeinden nicht mehr als Alternative zur
Kindertaufe wahrgenommen, sondern als eine eigenständige Form, die sich aus der individuellen Lebens-
und Glaubensgeschichte begründet. Deutlich wächst insbesondere der Anteil von Taufen im Umfeld der
Konfirmation. Zudem entfernt sich der gewöhnliche Tauftermin von Kindern in den letzten 50 Jahren
zunehmend vom Ereignis der Geburt, so dass aus der klassischen Säuglingstaufe zunehmend eine
Kindertaufe, und zwar teilweise (erst) im erinnerungsfähigen Alter wird.
25 Hinzu kommt, dass M. durch seinen Aufenthalt in der mütterlichen Familie und den Umgang mit dem Vater
ständig mit unterschiedlichen Praktiken der Religionsausübung konfrontiert wird. Eine Entscheidung über
sein religiöses Bekenntnis löst dieses Spannungsverhältnis nicht. Vielmehr obliegt es den
erziehungsberechtigten Eltern religiöse Toleranz gegenüber dem jeweils anderen Bekenntnis walten zu
lassen und das verstandesmäßig noch nicht gereifte Kind keinen unnötigen Spannungen hinsichtlich der
unterschiedlichen Bekenntnisse der Eltern auszusetzen. Bei hieran orientiertem Verhalten der Eltern kann
heute nicht die von dem Verfahrensbeistand vermutete Prognose eines immer stärker werdenden
Loyalitätskonfliktes des Kindes bestätigt werden, so dass heute es nicht dem Wohl M‘s entspricht, eine
Entscheidung über seine Religionszugehörigkeit zu fällen. Sollte sich allerdings ein Elternteil
verantwortungslos gegenüber M. als eigenständigem Grundrechtsträger verhalten, ist ein Eingriff in das
elterliche Sorgerecht dieses Elternteils nicht ausgeschlossen.
26 Deshalb erscheint es gerade vor dem Hintergrund, dass die Eltern M‘s aus verschiedenen Kulturkreisen
stammen und verschiedenen Religionsgemeinschaften angehören, aus der Sicht des weltanschaulich
neutralen Staates geboten, das Kind nicht bereits jetzt endgültig in eine Religionsgemeinschaft zu
integrieren, wie es insbesondere durch die Taufe der Fall wäre (OLG Hamm FamRZ 2014, 1712 im Fall acht
Jahre alter Kinder, die katholisch getauft werden wollen; OLG Düsseldorf FamRZ 2010, 1255; OLG Schleswig
FamRZ 2003, 1948 im Fall eines dreijährigen Kindes, das an dem kirchlichen Gemeindeleben teilnimmt).
27 Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG, die Wertfestsetzung auf einer entsprechenden
Anwendung des § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.
28 In Anbetracht der einheitlichen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte liegen die Voraussetzungen des § 70
Abs. 2 FamFG zur Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht vor; im Übrigen beruht die vorliegende
Entscheidung auf den Besonderheiten des Einzelfalls.