Urteil des OLG Karlsruhe vom 22.11.2016

sicherungsverwahrung, wochenende, strafvollzug, überprüfung

OLG Karlsruhe Beschluß vom 22.11.2016, 2 Ws 208/16
Leitsätze
1. Erstrebt der Untergebrachte eine Ausweitung der Betreuung am Wochenende, kann dies nur durch einen
Verpflichtungs- oder Vornahmeantrag erfolgen; ein Antrag auf nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit
ist unzulässig.
2. Da § 12 JVollzGB I BW lediglich die Organisation der Justizvollzugsanstalten regelt, sind aus der Vorschrift
keine subjektiven Rechte des Untergebrachten abzuleiten.
3. § 8 JVollzGB V BW eröffnet dem Untergebrachten nur die Möglichkeit, einzelne konkrete
Behandlungsmaßnahmen einzufordern, nicht jedoch - allgemein - eine Betreuung als solche.
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer
- Freiburg vom 20. Mai 2016 wird als unzulässig verworfen.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen (§§ 121 Abs. 2 Satz 1 StVollzG,
83 JVollzGB V BW).
3. Der Gegenstandswert wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf 500 EUR festgesetzt (§§ 1 Abs. 1 Nr. 8,
65, 60, 52 Abs. 1 GKG).
Gründe
I.
1 Der Antragsteller befindet sich in der Sicherungsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt X. Nachdem die
Antragsgegnerin auf seinen am 23.4.2015 gestellten Antrag, ihm an den Wochenenden eine
(weitergehende) Betreuung anzubieten - nach dem unwidersprochenen Vorbringen des Antragstellers
erfolgt eine Betreuung am Wochenende nur durch Bedienstete des Allgemeinen Vollzugsdienstes -, nicht
reagiert hatte, stellte er am 13.5.2015 Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit dem Ziel festzustellen, dass
am Wochenende des 2. und 3.5.2015 keine ausreichende Betreuung im Sinn von § 12 Abs. 6 Satz 5
JVollzGB I BW i.V.m. § 66c StGB gewährleistet war. Das Landgericht Freiburg wies den Antrag mit dem
angefochtenen Beschluss vom 20.5.2016 als unzulässig zurück. Gegen diesen ihm am 24.5.2016
zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner am 3.6.2016 zu Protokoll der
Geschäftsstelle des Amtsgerichts Freiburg eingelegten Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung
sachlichen und formellen Rechts rügt.
II.
2 Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil es nicht geboten ist, die Nachprüfung der angefochtenen
Entscheidung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu
ermöglichen (§§ 116 Abs. 1, 119 Abs. 3 StVollzG, 83 JVollzGB V BW).
3 Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig
verworfen; der Fall gibt auch keinen Anlass dafür, Leitsätze für die Auslegung des danach allein
maßgeblichen formellen Rechts aufzustellen.
4 1. Unzulässig ist der Antrag dabei bereits deshalb, weil die vom Antragsteller gewählte Antragsart zur
Erreichung des von ihm verfolgten Begehrens nicht zugelassen ist. Es entspricht gefestigter
obergerichtlicher Rechtsprechung (OLG Zweibrücken ZfStrVo 1982, 318; OLG Frankfurt NStZ-RR 2004, 29;
KG Beschluss vom 14.3.2007 - 2/5 Ws 325/05, juris; vgl. auch Kamann/Spaniol in Feest/Lesting, StVollzG, 6.
Aufl., § 109 Rn. 32; Laubenthal in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 6. Aufl., § 109 Rn. 22), dass
der - im Gesetz nur in Form des Fortsetzungsfeststellungsantrags (§ 115 Abs. 3 StVollzG) geregelte -
Feststellungsantrag gegenüber Anfechtungs- und Verpflichtungsantrag subsidiär ist. Vorliegend geht es dem
Antragsteller nach seinem Vorbringen darum, eine Ausweitung der Betreuung am Wochenende zu
erreichen. Dieses Ziel kann er aber im Weg eines Verpflichtungsantrags bzw. - solange eine Bescheidung
durch die Antragsgegnerin nicht erfolgt ist - eines Vornahmeantrags (vgl. § 113 StVollzG) verfolgen. Hierauf
hat bereits das Landgericht den Antragsteller mit Verfügung vom 25.4.2016 hingewiesen. Der Antragsteller
ist forensisch erfahren und hat in zahlreichen Rechtsbeschwerdeverfahren bewiesen, dass er seine
Interessen im gerichtlichen Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG ohne Beistand eines Rechtsanwalts
sachgerecht vertreten kann, was sich schon daran zeigt, dass er mit seinen Rechtsbeschwerden in der
Vergangenheit vielfach Erfolg hatte. Er war daher nach der Auffassung des Senats in der Lage, den vom
Landgericht erteilten Hinweis, auf den er mit Schreiben vom 7.5.2016 reagierte, zutreffend zu erfassen und
einzuordnen, weshalb es der Beiordnung eines Verteidigers nach §§ 83 JVollzGB V BW, 109 Abs. 3 StVollzG
nicht bedurfte.
5 2. Ohne dass es danach für die Entscheidung noch darauf ankäme, schließt sich der Senat im Übrigen der im
angefochtenen Beschluss vertretenen Auffassung an, dass der gestellte Antrag auch mangels
Konkretisierung der begehrten Maßnahme unzulässig ist.
6 Nach §§ 83 JVollzGB V BW, 109 Abs. 1 und 2 StVollzG kann die gerichtliche Entscheidung nur gegen eine
Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Vollzugs freiheitsentziehender
Maßregeln begehrt werden, soweit der Antragsteller geltend macht, durch die Maßnahme oder ihre
Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein. Was zum Gegenstand eines solchen
Antrags gemacht werden kann und welche Anforderungen an seine Begründung zu stellen sind, hängt dabei
von der materiellen Anspruchsnorm ab.
7 a. Insoweit schließt sich der Senat zunächst der in der Stellungnahme des gemäß § 111 Abs. 2 StVollzG am
Verfahren beteiligten Ministeriums der Justiz und für Europa Baden-Württemberg vom 28.7.2016
vertretenen Auffassung an, dass sich der Antragsteller für sein Begehren nicht auf § 12 Abs. 6 Satz 5
JVollzGB I BW stützen kann. Nach dieser Vorschrift ist zwar eine Betreuung der in der
Sicherungsverwahrung Untergebrachten in den Wohngruppen auch in der beschäftigungsfreien Zeit,
insbesondere am Wochenende im erforderlichen Umfang zu gewährleisten. Der mit
„Aufgabenwahrnehmung“ überschriebene § 12 JVollzGB I BW findet sich im Dritten Abschnitt des Ersten
Teils des baden-württembergischen Justizvollzugsgesetzbuchs, der nach seiner Überschrift (lediglich) die
Organisation der Justizvollzugsanstalten regelt. Dass mit den dabei getroffenen Regelungen entgegen der
systematischen Einordnung im Gesetz subjektive Rechte der Untergebrachten begründet werden sollten,
ergibt sich auch nicht aus den Gesetzgebungsmaterialien (vgl. LT-Drs. 15/2450 S. 90).
8 b. Die Rechtsstellung der Untergebrachten und hieraus sich ergebende Ansprüche im Hinblick auf die
Betreuung bzw. Behandlung der Untergebrachten, deren Einhaltung im Weg des §§ 83 JVollzGB V BW, 109
StVollzG zur gerichtlichen Überprüfung gestellt werden kann, ist vielmehr maßgeblich in § 8 JVollzGB V BW
geregelt, der die ihrerseits auf verfassungsgerichtliche Rechtsprechung (grundlegend BVerfGE 128, 326)
zurückgehenden bundesgesetzlichen Vorgaben in § 66c Abs. 1 Nr. 1 StGB für den Vollzug der
Sicherungsverwahrung in baden-württembergischen Vollzugsanstalten konkretisiert. Danach sind den
Untergebrachten - unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse und des ggf. bestehenden
Erfordernisses zur Entwicklung individueller Behandlungsangebote - die zur Erreichung der in § 1 JVollzGB V
BW normierten Vollzugsziele erforderlichen Behandlungsmaßnahmen anzubieten, bei denen die
verschiedenen Fachrichtungen, ggf. unter Einbeziehung externer Fachkräfte, eng zusammenwirken.
9 § 8 Abs. 1 JVollzGB V BW stellt damit die einzelnen Behandlungsmaßnahmen in den Vordergrund, die von
den Untergebrachten eingefordert werden können. Aus der Fassung des § 66c Abs. 1 Nr. 1 lit. a StGB ergibt
sich nichts anderes. Insoweit ist darauf zu verweisen, dass es auch der Vorstellung des für die Regelung des
gerichtlichen Verfahrens im Verfahren des Vollzugs freiheitsentziehender Maßregeln zuständigen
Bundesgesetzgebers entspricht, dass Gegenstand gerichtlicher Überprüfung nach § 109 ff. StVollzG (nur) die
einzelnen Behandlungsmaßnahmen sein können, die in ihrer Gesamtheit die in § 66c Abs. 1 Nr. 1 lit. a StGB
umschriebenen Anforderungen erfüllen müssen. Die Vorschrift des § 66c wurde durch das Gesetz zur
bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5.12.2012
(BGBl. I S. 2425) in das Strafgesetzbuch eingefügt, wobei die in § 66c Abs. 1 Nr. 1 StGB festgeschriebenen
Betreuungsanforderungen bereits in dem der Vollziehung der Maßregel der Sicherungsverwahrung
vorgelagerten Strafvollzug einzuhalten sind (§ 66c Abs. 2 StGB). Gleichzeitig wurde in § 119a StVollzG eine
regelmäßige gerichtliche Prüfung der Einhaltung der Vorgaben des § 66c Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 StGB
eingeführt. Ein diesbezügliches Initiativrecht des Gefangenen hat der Gesetzgeber dabei wegen der
„weitergehende[n] Möglichkeit, einen Antrag nach § 109 Absatz 1 StVollzG zu stellen, mit dem er nicht nur
eine bloße Feststellung erstreben, sondern ganz bestimmte Betreuungsmaßnahmen einfordern oder
anfechten kann“, nicht für erforderlich gehalten (BT-Drs. 17/9874 S. 28 f.). Da sich die Rechtsschutzsituation
insoweit durch die Verlegung aus dem Strafvollzug in den Vollzug der Maßregel nicht ändert, lässt sich diese
Bewertung auch auf die in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten übertragen.
10 Der Senat ist danach der Auffassung, dass der Untergebrachte, der die von der Anstalt angebotenen
Behandlungsmaßnahmen für unzureichend erachtet, das von ihm vermisste Angebot konkret bezeichnen
muss. Das sich daraus ergebende Erfordernis, ein von ihm empfundenes Defizit zu beschreiben und die aus
seiner Sicht zur Abhilfe für erforderlich gehaltene(n) Maßnahme(n) zu formulieren, wäre dem Antragsteller
im vorliegenden Verfahren zweifellos selbst möglich gewesen, so dass auch insoweit die Beiordnung eines
Verteidigers nach §§ 83 JVollzGB V BW, 109 Abs. 3 StVollzG nicht geboten gewesen wäre.