Urteil des OLG Karlsruhe vom 23.01.2015

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OLG Karlsruhe Beschluß vom 23.1.2015, 2 UF 276/14
Kindesunterhalt: Unwirksamkeit der Unterhaltsbestimmung gegenüber einem
volljährigen Kind
Leitsätze
Auseinandersetzungen zwischen dem Kind und den Eltern über Mithilfe und
gegenseitige Rücksichtnahme im elterlichen Haushalt stellen typische Konflikte im
Rahmen des familiären Zusammenlebens dar. Sie rechtfertigen es allein noch nicht,
die Bestimmung der Eltern, dem volljährigen Kind den Kindesunterhalt in Form von
Naturalleistungen zu gewähren, als unwirksam anzusehen.
Tenor
Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die
Durchführung des Beschwerdeverfahrens gegen den Beschluss des Amtsgerichts -
Familiengericht - Schwetzingen vom 16.10.2014 (2 F 228/14) wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
1 Die Antragstellerin beantragt die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für ihre
beabsichtigte Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts -
Familiengericht - Schwetzingen vom 16.10.2014 (2 F 228/14).
2 Die am … 1996 geborene Antragstellerin ist die Tochter des Antragsgegners und
seiner Ehefrau. Seit Mitte September 2013 absolviert sie eine Ausbildung als
Erzieherin. Der Ausbildungsort befindet sich in der Nähe der Wohnung des
Antragsgegners. Die Antragstellerin erhält keine Ausbildungsvergütung. Das auf
sie entfallende Kindergeld wird ihr für den Zeitraum ab Mai 2014 durch die
Familienkasse überwiesen.
3 Bis Februar 2014 lebte die Antragstellerin gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder in
dem Haushalt des Antragsgegners und ihrer Mutter. Seitdem wohnt sie zusammen
mit ihrem Freund in der Wohnung von dessen Mutter. Vor dem Auszug der
Antragstellerin kam es zu Auseinandersetzungen zwischen ihr und ihrer Mutter vor
allem über die Verteilung der Pflichten im Haushalt. Nach ihrem Auszug konnten
sich die Antragstellerin und ihre Eltern nicht über die Ausgestaltung des Umgangs
zwischen ihr und ihrem jüngeren Bruder einigen.
4 Der Antragstellerin wurden von dem Antragsgegner und ihrer Mutter zur Deckung
ihres Lebensbedarfs neben Unterkunft und Verpflegung in der elterlichen
Wohnung die Überlassung des für die Antragstellerin gewährten Kindergeldes
sowie die Übernahme der Kosten für das MA...-Ticket zur Nutzung des öffentlichen
Nahverkehrs und für das Mobiltelefon angeboten.
5 Die Antragstellerin hat erstinstanzlich von dem Antragsgegner die Zahlung von
Kindesunterhalt in Höhe von monatlich 670,00 EUR für die Monate März und April
2014 und in Höhe von monatlich 486,00 EUR für den Zeitraum ab Mai 2014
begehrt.
6 Mit Beschluss vom 16.10.2014 hat das Amtsgericht den Antrag der Antragstellerin
abgewiesen. Wegen der tatsächlichen Feststellungen und der Einzelheiten der
Begründung wird auf den Inhalt des Beschlusses (AS I, 131 ff.) verwiesen.
7 Die Antragstellerin beantragt die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für ihre
beabsichtigte Beschwerde gegen die Entscheidung des Amtsgerichts, mit der sie
ihren Antrag weiterverfolgen möchte.
8 Zur Begründung trägt sie vor, es sei ihr nicht zumutbar, in die elterliche Wohnung
zurückzukehren. Zwischen ihr und ihrer Mutter sei es zu einem tiefgreifenden
Zerwürfnis gekommen. So habe die Mutter gegenüber Dritten geäußert, die
Antragstellerin sei der größte Fehler ihres Lebens gewesen. Zudem sei sie von der
Mutter mehrfach aufgefordert worden, doch einfach auszuziehen. Sie könne und
sie werde nicht in den Haushalt der Eltern zurückkehren. Bei einer Rückkehr in den
elterlichen Haushalt sei damit zu rechnen, dass sie gesundheitliche Schäden
erleide. Das Amtsgericht habe es fehlerhaft unterlassen, hierzu gegebenenfalls
Beweis zu erheben oder darauf hinzuweisen, dass noch nicht substantiiert
vorgetragen worden sei.
9 Der Antragsgegner tritt dem Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von
Verfahrenskostenhilfe entgegen und verteidigt die Entscheidung des Amtsgerichts.
Es sei der Antragstellerin zumutbar, im elterlichen Haushalt zu wohnen. Die Mutter
der Antragstellerin habe sich nicht wie von der Antragstellerin behauptet geäußert.
Die von der Antragstellerin erhobenen Einwendungen gesundheitlicher Art seien
vorgeschoben.
10 Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf die eingereichten
Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
11 Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das
Beschwerdeverfahren ist zurückzuweisen, weil die beabsichtigte Beschwerde
gegen den Beschluss des Amtsgerichts keine Aussicht auf Erfolg hat, §§ 113 Abs.
1 FamFG, 114, 119 ZPO.
12 Mit zutreffender Begründung hat das Amtsgericht den Anspruch der Antragstellerin
auf Zahlung von Kindesunterhalt aufgrund einer wirksamen Unterhaltsbestimmung
nach § 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB seitens des Antragsgegners zurückgewiesen. Zur
Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen des Amtsgerichts in
dem angegriffenen Beschluss vom 16.10.2014 Bezug genommen. Das
Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.
13 Der Antragsgegner und seine Ehefrau haben gemäß § 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB
wirksam bestimmt, dass der von ihnen der Antragstellerin geschuldete Unterhalt in
Form von Naturalleistungen gewährt werden soll. Die Antragstellerin kann
hiergegen nicht mit Erfolg geltend machen, dass auf ihre Belange nicht genügend
Rücksicht genommen wurde und die Unterhaltsbestimmung daher unwirksam ist.
Die Entscheidung, ob die Eltern die gebotene Rücksicht auf die Belange des
Kindes genommen haben, hängt von einer umfassenden Würdigung der
Interessen ab (OLG Karlsruhe, FamRZ 2004, 655). Dabei genießen die finanziellen
Interessen der Eltern einen hohen Stellenwert, denn § 1612 Abs. 2 BGB will sie vor
einer wirtschaftlichen Überforderung durch lange Ausbildungszeiten und hohe
Ausbildungskosten schützen (Wendl/Scholz, Unterhaltsrecht, 8. Aufl., § 2 Rn. 46).
Daher reichen für eine Unwirksamkeit der Unterhaltsbestimmung nur
schwerwiegende Gründe aus, die einem Zusammenleben mit den Eltern
entgegenstehen (OLG Brandenburg, FamRZ 2009, 236). Diese liegen hier jedoch
nicht vor.
14 Insbesondere kann nicht von einer tiefgreifenden, voraussichtlich nicht
behebbaren Entfremdung zwischen der Antragstellerin und ihren Eltern, die nicht
durch die Antragstellerin verschuldet wurde, ausgegangen werden (vgl. hierzu
Wendl/Scholz, a.a.O.; KG, FamRZ 2003, 619). Die dem Auszug der Antragstellerin
vorausgegangenen Streitigkeiten reichen hierfür nicht. Auseinandersetzungen
über Mithilfe und gegenseitige Rücksichtnahme im elterlichen Haushalt stellen
typische Konflikte im Rahmen des familiären Zusammenlebens dar. Dass während
solcher Auseinandersetzungen möglicherweise - wie von der Antragstellerin
behauptet- die Äußerung fiel, sie könne ausziehen, wenn es ihr nicht passe, wäre
nicht unüblich im Rahmen einer familiären Streitigkeit und begründet offensichtlich
keine Unzumutbarkeit ihrer Rückkehr in die elterliche Wohnung. Wie bereits von
dem Amtsgericht rechtsfehlerfrei ausgeführt, kann zudem dahinstehen, ob die
Mutter der Antragstellerin gegenüber Dritten geäußert hat, die Antragstellerin sei
der größte Fehler ihres Lebens gewesen. Eine solche unangemessene Äußerung
wäre zwar eine erhebliche Belastung für das gegenseitige Verhältnis, rechtfertigt
jedoch nicht die Annahme einer tiefgreifenden, nicht behebbaren Entfremdung.
Hierfür genügt auch die Auseinandersetzung zwischen der Antragstellerin und
ihren Eltern über Art und Umfang ihres Umgangs mit ihrem jüngeren Bruder nicht.
Vielmehr begründen die genannten Konflikte die gegenseitige Verpflichtung im
Rahmen des familiären Zusammenlebens eine Einigung zwischen allen Beteiligten
zu erreichen (vgl. OLG Brandenburg, a.a.O.). Dass allein die Eltern der
Antragstellerin dieser Verpflichtung nicht in ausreichendem Maß nachgekommen
sind, ist nicht ersichtlich.
15 Weitere schwerwiegende Gründe, die der Rückkehr der Antragstellerin in die
elterliche Wohnung entgegenstehen, sind nicht erkennbar. Ihre Ausbildungsstelle
liegt näher an der elterlichen Wohnung als an ihrer jetzigen Unterkunft. Das
Angebot des Antragsgegners und der Mutter der Antragstellerin, ihr kostenlose
Unterkunft und Verpflegung zu gewähren, ihr das auf sie entfallende Kindergeld zu
überlassen sowie die Kosten für das Mobiltelefon und für die Nutzung des
öffentlichen Nahverkehrs zu übernehmen, umfasst zudem den gesamten
Lebensbedarf der Antragstellerin.
16 Soweit sich die Antragstellerin darauf beruft, eine Rückkehr in den elterlichen
Haushalt sei ihr nicht zumutbar, weil sie hierfür psychisch zu labil sei und daher ein
gesundheitlicher Schaden drohe, so ist dieser Vortrag nicht substantiiert genug,
um ihn in der nach § 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlichen Gesamtwürdigung
aller Umstände berücksichtigen zu können. Das von ihr vorgelegte fachärztliche
Attest von Dr. med. S. vom 25.09.2014 (I, 121) enthält hierfür keine hinreichenden
Anknüpfungstatsachen. Darin wird eine Vorstellung der Antragstellerin wegen
depressiver Verstimmung beschrieben. Dr. med. S. führt aus, aus nervenärztlicher
Sicht erscheine es nach jetzigem Kenntnisstand nicht günstig, wenn (die
Antragstellerin) wieder zurück nach Hause ziehen würde; weitere
Auseinandersetzungen und eine Verschlechterung der Störung wären
wahrscheinlich. Dies lässt nicht erkennen, dass eine Rückkehr in den elterlichen
Haushalt für die Antragstellerin aus gesundheitlichen Gründen unzumutbar wäre.
Konkretere Angaben zu möglichen gesundheitlichen Schäden wurden auch in
dem Antrag auf Verfahrenskostenhilfe für die beabsichtigte Beschwerde nicht
gemacht.