Urteil des OLG Karlsruhe vom 08.11.2016

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OLG Karlsruhe Urteil vom 8.11.2016, 17 U 187/15
Widerrufsbelehrung im Verbraucherdarlehensvertrag "2 Wochen (1 Monat)1" ist unklar
Leitsätze
1. Die Angabe zweier Fristen "2 Wochen (1 Monat)" mit Erläuterung in einer Fußnote in der Widerrufsbelehrung
des Verbraucherdarlehensvertrags genügt nicht dem Erfordernis eindeutiger Belehrung, wenn nicht
unmissverständlich ist, wann welche Frist gilt.
2. Die Klage auf Feststellung, dass sich der Verbraucherdarlehensvertrag durch den Widerruf in ein
Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt hat, ist zulässig. Einzelne Berechnungsparameter zur Ermittlung
eines Saldos für die Rückabwicklung eines Darlehensvertrages können dagegen nicht Gegenstand einer
Feststellungsklage sein.
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 12. Oktober 2015 - 10 O
222/15 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Feststellungsausspruch wie folgt lautet:
Es wird festgestellt, dass sich der zwischen den Parteien geschlossene Darlehensvertrag mit der Nr. ...
durch den Widerruf der Kläger vom 18.03.2015 in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt hat.
2. Die Anschlussberufung der Kläger wird zurückgewiesen.
3. Der Beklagten fallen die Kosten des Berufungsrechtszuges zur Last.
4. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar.
1. Die Zwangsvollstreckungsschuldnerin darf die Zwangsvollstreckung der Gläubiger gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die
Vollstreckungsgläubiger vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils beizutreibenden
Betrages leisten.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
6. Der Streitwert für die Berufungsinstanz und - in Abänderung des Beschlusses des Landgerichts vom
11.10.2015 - auch für den ersten Rechtszug wird auf 45.092,99 EUR festgesetzt.
Gründe
A.
1 Die Parteien streiten um die Berechtigung der Kläger zum Widerruf eines Verbraucherdarlehens.
2 Am 03./15.05.2007 schlossen die Kläger zur Finanzierung eines Immobilienerwerbs mit der Beklagten in
deren Filiale in K. ein Verbraucherdarlehen aus dem KfW-Wohneigentumsprogramm zur Finanzierung des
Neubaus eines Wohnhausneubaus zur Selbstnutzung über einen Nennbetrag von 100.000 EUR zu einem bis
30.06.2017 festgeschriebenen Zinssatz von 4,2 % (Anlage K 1). Die von den Klägern erteilte Belehrung über
ihr Widerrufsrecht (Anlage K 2) lautet wie folgt:
3
„Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen (einem Monat)1 ohne Angabe von Gründen
in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Der Lauf der Frist für den Widerruf beginnt einen Tag
nachdem Ihnen - ein Exemplar dieser Widerrufsbelehrung - die Vertragsurkunde, der schriftliche
Vertragsantrag oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des Vertragsantrags zur Verfügung gestellt
wurden. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs.“ --------------------------------
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1) Die Widerrufsfrist beträgt gemäß § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB einen Monat, wenn die Widerrufsbelehrung
erst nach Vertragsschluss in Textform dem Kunden mitgeteilt wird bzw. mitgeteilt werden kann.
5 Mit Anwaltsschreiben vom 18.03.2015 machten die Kläger geltend, dass ihnen ein Recht zum Widerruf ihrer
auf den Abschluss des ursprünglichen Darlehensvertrages gerichteten Willenserklärungen zustehe (Anlage K
4). Die Beklagte widersprach mit Schreiben vom 30.03.2015 (Anlage K 4). Die Kläger haben Feststellung
begehrt, dass ihnen das behauptete Recht nach wie vor zustehe.
6 Wegen der weiteren Feststellungen, der erstinstanzlichen Anträge und näheren Einzelheiten des
Parteivorbringens wird auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
7 Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Feststellungsbegehren sei zulässig und begründet. Die
erteilte Widerrufsbelehrung enthalte zwei alternative Fristen und sei damit nicht eindeutig, vielmehr
verwirrend und daher unwirksam. Der Einwand der Verwirkung sei unbegründet. Es fehle jedenfalls am
Umstandsmoment.
8 Wegen der weiteren Einzelheiten der Ausführungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des
angefochtenen Urteils Bezug genommen.
9 Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten
. Die Feststellungsklage sei bereits unzulässig. Im Übrigen
wiederholt die Beklagte ihre bereits im ersten Rechtszug vorgetragene Rechtsauffassung. Sie hält den
Widerruf für unwirksam, weil die Widerrufsbelehrung für jeden Verbraucher in der konkreten Situation der
Kläger die Widerrufsfrist von zwei Wochen hinreichend deutlich vor Augen führe. Denn in einer
Präsenzsituation könne nicht zweifelhaft sein, dass mit Aushändigung der Vertragsurkunde der
Darlehensvertrag geschlossen sei und damit die zweiwöchige Widerrufsfrist in Gang gesetzt werde.
10 Die Kläger treten der Berufung entgegen. Sie beantragen Zurückweisung der Berufung sowie Feststellung,
dass der Darlehensvertrag durch den nach Erlass des landgerichtlichen Urteils von den Klägern am
23.10.2015 erklärten Widerruf (Anlage BB 2) beendet worden ist. Mit der unselbständigen Anschließung
begehren die Kläger darüber hinaus Feststellung von Einzelheiten der Rückabwicklung des widerrufenen
Darlehensvertrages wie die Begrenzung des von den Klägern geschuldeten Wertersatzes für die
Gebrauchsüberlassung auf die marktüblichen Zinsen und die Pflicht der Beklagten, die an sie geleisteten
Tilgungs- und Zinszahlungen zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszins zu erstatten.
11 Die Beklagte hält die mit der Anschlussberufung unterbreiteten weiteren Feststellungsanträge für
unzulässig, jedenfalls für unbegründet.
12 Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die im Berufungsrechtszug
gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
B.
13 Die zulässige Berufung der Beklagten ist ebenso wie die Anschlussberufung der Kläger nicht begründet.
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I. Berufung der Beklagten
15 Die Feststellungsklage ist, nachdem die Kläger den Darlehensvertrag wirksam widerrufen haben, in dem im
Senatstermin klargestellten Umfang zulässig und begründet. Zu Unrecht zieht die Berufung diese
Rechtsauffassung des Landgerichts in Zweifel.
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1.
Die gegenüber der ursprünglichen Feststellungsklage bestehenden Zulässigkeitszweifel sind nach
zwischenzeitlich erfolgten Widerrufserklärungen der Kläger gegenstandslos.
17 Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann - abgesehen von der Echtheit oder Unechtheit einer Urkunde - lediglich die
Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden. Gegenstand
einer Feststellungsklage können daher nicht bloße Elemente oder tatbestandliche Voraussetzungen eines
Rechtsverhältnisses sein, sondern allenfalls für das Rechtsverhältnis bedeutsame Umstände, die sich
ihrerseits als eigenständige Rechtsverhältnisse desselben darstellen und daher als solche selbst Objekt von
Feststellungsklagen sein können (Becker-Eberhard, in: MünchKomm-ZPO, 4. Aufl. 2013, § 256 Rn. 24).
18 Diese Anforderungen hat das Landgericht lediglich aus prozessökonomischen Gründen bejaht. Mit ihrem
letzten Antrag stellen die Kläger ein konkretes Rechtsverhältnis zur Entscheidung, das sich nach der
Behauptung der Kläger aus den inzwischen erfolgten Widerrufserklärungen ergeben soll. Diese
Widerrufsfolge ist einer Feststellungsklage zugänglich. Die Kläger haben auch ein rechtliches Interesse an
der beantragten Feststellung, weil mit dem erstrebten Urteil Rechtsklarheit über die Umwandlung des
Darlehens in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis geschaffen werden soll.
19
2.
Im Ergebnis hält das Urteil des Landgerichts auch in der Sache selbst der berufungsgerichtlichen
Überprüfung stand. Den Klägern steht hinsichtlich des streitig gewordenen Realkredits ein Widerrufsrecht
nach §§ 491 Abs. 1, 495 Abs. 1, 355 BGB in der bis zum 10.06.2010 geltenden Fassung (a.F.) zu. Einer
Widerrufserklärung der Kläger steht die Widerrufsfrist nicht entgegen, weil mangels ordnungsgemäßer
Widerrufsbelehrungen der Lauf der Widerrufsfrist nicht begonnen hat (§ 355 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. in
Verbindung mit Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 EGBGB).
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a)
Die Belehrung über das Widerrufsrecht für die Finanzierungsvertragserklärungen der Kläger war
unzutreffend. Denn sie ließ die Kläger bei der Beurteilung, ab wann die Widerrufsfrist läuft, im Unklaren und
konnte sie deshalb von der Ausübung des Widerrufs abhalten. Folge ist, dass die 14-tägige Widerrufsfrist
nicht in Gang gesetzt wurde (§ 355 Abs. 3 Satz 3 BGB a.F.) und die Kläger den Widerruf auch noch im Jahr
2015 wirksam erklären konnten.
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aa)
Der Belehrungstext ließ die Kläger bei der Beurteilung, ab wann die Widerrufsfrist läuft, im Unklaren.
Auch hinsichtlich der Dauer der Widerrufsfrist ist die Information intransparent.
22 Nach § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. beginnt die Widerrufsfrist mit dem Zeitpunkt, zu dem dem Verbraucher
eine deutlich gestaltete Belehrung über sein Widerrufsrecht, die ihm seine Rechte deutlich macht, in
Textform mitgeteilt worden ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss die
Widerrufsbelehrung umfassend, unmissverständlich und für den Verbraucher eindeutig sein. Der
Verbraucher soll dadurch nicht nur von seinem Widerrufsrecht Kenntnis erlangen, sondern auch in die Lage
versetzt werden, dieses auszuüben. Er ist deshalb auch über den Beginn der Widerrufsfrist eindeutig zu
informieren (vgl. BGH, Urteil vom 13.01.2009 - XI ZR 118/08, WM 2009, 350 Rn. 18 mwN).
23
(1)
Legt man diese Maßstäbe zugrunde, folgt die Unwirksamkeit der Widerrufsbelehrung schon aus der
Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 10.03.2009 (XI ZR 33/08, BGHZ 180, 123). Die dort
zugrundeliegende Fallkonstellation ist mit der hiesigen zwar nicht identisch, hinsichtlich der rechtlichen
Ausgangsproblematik im Ergebnis aber zu vergleichen. In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall
war dem von der Bank übersandten Darlehensangebot - wie hier - eine Widerrufserklärung beigefügt. Durch
die Formulierung der in diesem Vertragsangebot - wie hier - enthaltenen Belehrung, die Widerrufsfrist
beginne „einen Tag“ nach Mitteilung „dieser“ Belehrung und Zurverfügungstellung einer Vertragsurkunde,
entstand aus der Sicht eines unbefangenen durchschnittlichen Kunden der Eindruck, diese Voraussetzungen
seien bereits mit der Übermittlung des die Widerrufsbelehrung enthaltenden Vertragsantrags der Bank
erfüllt und die Widerrufsfrist beginne ohne Rücksicht auf eine Vertragserklärung des Verbrauchers bereits
am Tag nach Zugang des Angebots der Bank zu laufen (BGH, a.a.O., Rn. 16).
24 Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es dabei auch nicht auf die Kausalität der Fehlerhaftigkeit
der Widerrufsbelehrung im konkreten Fall an. Entscheidend ist vielmehr, ob die erteilte Belehrung durch ihre
missverständliche Fassung - wie hier - objektiv geeignet ist, den Verbraucher von der Ausübung seines
gegen den Darlehensvertrag gerichteten Widerrufsrechts abzuhalten (BGH, Urteil vom 23.06.2009 - XI ZR
156/08, WM 2009, 1497 Rn. 25). Mit der unbestimmten Bezeichnung der für den Fristbeginn maßgeblichen
Vertragserklärung wird dem Darlehensnehmer nicht verdeutlicht, dass es gerade auf seine eigene
Darlehensvertragserklärung ankommt.
25
(2)
Die verwendete Widerrufsbelehrung ist zudem in Bezug auf die Dauer der Widerrufsfrist
missverständlich und für den Verbraucher nicht eindeutig.
26 Denn sie nennt zwei unterschiedliche Fristen (zwei Wochen/einen Monat), ohne ausreichend deutlich zu
machen, wann denn nun welche Frist Geltung beansprucht. Zwar wird hinter dem - an sich schon
verwirrenden, da die unmittelbar zuvor genannte Frist wieder konterkarierenden - Klammerzusatz „(einem
Monat)“ mit einer Fußnote darauf hingewiesen, dass die Widerrufsfrist gemäß § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB dann
einen Monat betrage, wenn die Belehrung erst
nach Vertragsschluss in Textform dem Kunden mitgeteilt
werde bzw. werden könne (Hervorhebung nur hier). Doch kann dieser Hinweis nach dem soeben unter (1)
Ausgeführten nicht für die notwendige Deutlichkeit der Fristdauer sorgen, da der Zeitpunkt des
Vertragsschlusses für den Verbraucher gerade nicht in jedem Fall klar erkennbar ist und er damit nicht
zuverlässig erkennen kann, ob ihm lediglich zwei Wochen oder doch ein Monat Überlegungsfrist zustehen.
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bb)
Der Beklagten steht auch kein Vertrauensschutz mit Blick auf die Schutzwirkung des § 14 Abs. 1 BGB-
InfoV (mit dem Muster der Anlage 2 in der bis zum 10.06.2010 geltenden Fassung) zu. Der
Bundesgerichtshof hat zwar mit Entscheidung vom 15.08.2012 (VIII ZR 378/11, WM 2012, 1886 Rn. 14)
klargestellt, dass sich der Verwender der Musterbelehrung auf die Schutzvorschrift des § 14 Abs. 1 BGB-
InfoV berufen kann. Das gilt jedoch nur im Falle vollständiger Identität der erfolgten Belehrung mit der
vorgenannten Musterbelehrung, sowohl inhaltlich als auch der äußeren Gestaltung nach (BGH, Urteile vom
19.07.2012 - III ZR 252/11, WM 2012, 1668 Rn. 14 ff. und vom 28.06.2011 - XI ZR 349/10, WM 2011,
1799 Rn. 36, 37 m.w.N.).
28 An einer solchen Identität fehlt es hier. Eine nicht nur geringfügige inhaltliche Abweichung von der
Musterbelehrung liegt zunächst im Hinblick auf die Formulierung zur Dauer der Widerrufsfrist vor. In der
Widerrufsbelehrung heißt es nicht, wie in der Musterbelehrung, „Sie können Ihre Vertragserklärung
innerhalb von zwei Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (…) widerrufen“, sondern „Sie können
Ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen (einem Monat)1 ohne Angabe von Gründen (…)
widerrufen“ (vgl. BGH, Urteil vom 12.07.2016 - XI ZR 564/15 -, juris Rn. 24 f.).
29 Eine weitere nicht nur geringfügige inhaltliche Abweichung von der Musterbelehrung hat die Beklagte im
Hinblick auf die Formulierung zum Fristbeginn vorgenommen. In der Widerrufsbelehrung heißt es nicht, wie
in der Musterbelehrung, „Die Frist beginnt nach Erhalt dieser Belehrung in Textform (…)“, sondern „Der Lauf
der Frist für den Widerruf beginnt einen Tag nachdem Ihnen (…)“.
30 Schließlich liegt eine weitere nicht nur geringfügige inhaltliche Abweichung von der Musterbelehrung im
Hinblick auf die Formulierungen unter „Finanzierte Geschäfte“ vor, wie der Senat bereits zu einer
weitgehend identischen Belehrung entschieden hat (Urteil vom 15.12.2015 - 17 U 145/14, juris Rn. 29 ff.;
ebenso OLG Stuttgart, Urteil vom 29.09.2015 - 6 U 21/15, juris Rn. 30 ff.; OLG Frankfurt, Urteil vom
27.01.2016 - 17 U 16/15, juris Rn. 29; vgl. BGH, Urteil vom 12.07.2016 - XI ZR 564/15 -, juris Rn. 24 f.).
31
b)
Die Ausübung des Widerrufsrechts durch die Kläger ist weder verwirkt (aa) noch anderweitig
rechtsmissbräuchlich (bb).
32
aa)
Verwirkung setzt voraus, dass der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend gemacht hat,
obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre, und dass der Gegner sich mit Rücksicht auf das gesamte
Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in
Zukunft nicht geltend machen werde, und die verspätete Geltendmachung daher gegen Treu und Glauben
verstößt (vgl. etwa BGH, Urteile vom 18.10.2004 - II ZR 352/02, WM 2004, 2491 Rn. 23 vom 28.03.2006 -
XI ZR 425/04, BGHZ 167, 25 Rn. 35, vom 13.07.2004 - XI ZR 12/03, WM 2004, 1680, 1682 und vom
25.11.2008 - XI ZR 426/07, juris Rn. 22 ). Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom
Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalles.
33 In diesem Zusammenhang spielt der bloße Zeitablauf vom Vertragsschluss bis zur Erklärung des Widerrufs
keine Rolle. Auch wenn im Streitfall zwischen der auf den Abschluss des Finanzierungsvertrags gerichteten
Willenserklärung der Kläger von Mai 2007 und der Erklärung des Widerrufs am 18.03.2015 fast acht Jahre
lagen, kommt es darauf schon deshalb nicht entscheidend an, weil die ausgegebenen Darlehen noch nicht
zurückgeführt sind und die Zinsbindung der Kläger fortdauert. Neben dem „Zeitmoment“ ist für die
Annahme einer Verwirkung überdies auch ein „Umstandsmoment“ erforderlich. Hierfür müssen besondere
Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen
lassen. Letzteres ist der Fall, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des
Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde. Ferner muss sich
der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet
haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde.
34 Nach diesen Maßstäben fehlt es im Streitfall an hinreichenden, das „Umstandsmoment“ begründenden
Tatsachen, so dass eine Verwirkung nicht bejaht werden kann (vgl. Senat, ZIP 2015, 1011). Zum einen fehlt
es bereits an Vorbringen der Beklagten dazu, dass sie sich im Vertrauen auf das Verhalten des Klägers in
ihren Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihr durch die verspätete Durchsetzung des Widerrufsrechts ein
unzumutbarer Nachteil entstünde. Dass und weshalb sie ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht nur darauf
vertraut habe, der Kläger würde von seinem Widerrufsrecht keinen Gebrauch mehr machen, sondern dass
und ggf. welche Dispositionen von ihr im Vertrauen auf das Ausbleiben eines Widerrufs danach
vorgenommen worden sind, trägt die Beklagte nicht vor. Zum anderen hätte es die Beklagte jederzeit in der
Hand gehabt, durch eine nachträglich erteilte wirksame Belehrung den Lauf der - dann auf einen Monat
verlängerten - Frist in Gang zu setzen und den Schwebezustand zu beenden (vgl. § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB
a.F. OLG Frankfurt/M., Urteil vom 25.10.2000 - 9 U 59/00, juris Rn. 31; OLG Brandenburg, Urteil vom
21.08.2013 - 6 U 55/08, juris Rn. 62; Soergel/Pfeiffer, BGB, 13. Aufl., § 355 Rn. 60).
35
bb)
Der Ausübung des Widerrufsrechts kann auch nicht mit dem Einwand des Rechtsmissbrauchs begegnet
werden. Dass es entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten jedenfalls grundsätzlich nicht auf die hinter
dem Widerruf stehende Motivlage des Verbrauchers ankommt, folgt bereits aus der gesetzlichen Wertung
des § 355 Abs. 1 Satz 2 BGB aF, wonach der Widerruf keine Begründung enthalten muss.
36 Das Recht zum Widerruf bedarf keines Grundes und setzt insbesondere kein berechtigtes Interesse des
Verbrauchers voraus. Vielmehr steht der Widerruf im Belieben der zum Widerruf berechtigten Partei und ist
grundsätzlich nicht von dem Motiv des Widerrufenden abhängig (BGH, Urteil vom 12.07.2016 - XI ZR
564/15, Rn. 42 ff.; Urteil vom 12.07.2016 - XI ZR 501/15, Rn. 17 ff.; OLG Dresden, Urteil vom 11.06.2015 -
8 U 1769/14, Rn. 36 m.w.N.; OLG Nürnberg, Urteil vom 11.11.2015 - 14 U 2439/14, juris Rn. 37). Die
Rechtsausübung unterliegt nicht einer besonderen Rechtfertigung mit Blick auf die Kausalität des Mangels
der Widerrufsbelehrung (so auch OLG Stuttgart, Urteil vom 06.10.2015 - 6 U 148/14, juris Rn. 44 m.w.N.).
Nach den gesetzlichen Voraussetzungen des Verbraucherwiderrufs kommt es nicht darauf an, ob sich die
Motivation des Verbrauchers für den Widerruf mit der des Gesetzgebers für dessen Einführung deckt. Auch
die Ausübung des Widerrufsrechts kann nicht mit dem Argument als unzulässig angesehen werden, der
Verbraucher verfolge zweckwidrige Ziele. Deswegen kommt ein Ausschluss des Widerrufsrechts wegen
Rechtsmissbrauchs beziehungsweise unzulässiger Rechtsausübung nur ausnahmsweise - unter dem
Gesichtspunkt besonderer Schutzbedürftigkeit des Unternehmers - in Betracht, etwa bei arglistigem
Verhalten des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer (BGH, Urteil vom 16.03.2016 - VIII ZR 146/15,
juris Rn. 16 m.w.N.).
37 Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Ein im Verhältnis zu den Vorstellungen des Gesetzgebers
möglicherweise zweckwidriges Motiv des Widerrufs reicht allein nicht aus, um den Vorwurf des
Rechtsmissbrauchs zu begründen. Der abweichenden Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom
21.01.2016 (I-6 U 296/14 -, juris), wonach es eine gemäß § 242 BGB unzulässige Rechtsausübung darstellen
soll, wenn der Verbraucher einen Darlehensvertrag erst widerruft, nachdem das marktübliche Zinsniveau für
solche Darlehen um mehr als 30% unter den Vertragszins gefallen war, obwohl er das mit den Mitteln des
Darlehens erworbene Grundeigentum weiterhin zu eigenen Zwecken nutzt und sich der von ihm mit der
Bank vereinbarte Festzins im Rahmen des seinerzeit marktüblichen Zinsniveaus bewegt hat, ist mit den
Urteilen des Bundesgerichtshof vom 12.07.2016 die Grundlage entzogen.
38 Im Übrigen hat der Gesetzgeber mit der Möglichkeit zur Nachbelehrung (§ 355 Abs. 2 Satz 3 BGB a.F.; vgl.
jetzt § 492 Abs. 6 BGB) eine maßgebliche Interessenbewertung bereits vorgenommen. Es lag in der Hand
der Beklagten, mittels der Nachbelehrung für klare Rechtsverhältnisse zu sorgen und so den Konflikt in
Fällen dieser Art selbst aufzulösen. War die Beklagte aber in der Lage, ihr Risiko durch die Erteilung einer
ordnungsgemäßen Nachbelehrung zu begrenzen, so kann sie sich nicht auf eine unzulässige
Rechtsausübung der nicht hinreichend aufgeklärten Vertragspartner berufen.
39 Nach alldem ist davon auszugehen, dass die Widerrufserklärung der Kläger vom 18.03.2015 wirksam ist und
sich der Darlehensvertrag vom 03./15.05.2007 daher in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis umgewandelt
hat.
40 Der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs kann insbesondere nicht mit dem offenkundigen Motiv der Kläger
begründet werden, sich von der eingegangenen Zinsbindung zu lösen, um sich künftig die Vorteile der
gegenwärtig niedrigen Marktzinsen zu sichern. Auf die Motivation des Verbrauchers für die Ausübung seines
Widerrufsrechts kommt es indessen nicht an. Kein Gegenargument ist der Einwand, die Motivlage der
Rechtsinhaber müsse jedenfalls für die Ausübung des Gestaltungsrechts beachtlich sein. Dasselbe gilt für das
Argument, es könne nicht darauf ankommen, dass die Beklagte das Risiko der Rückabwicklung selbst durch
eine unzulängliche Widerrufsbelehrung hervorgerufen habe, weil auf diese zirkuläre Weise die
Rechtsmissbräuchlichkeit der Ausübung des Widerrufsrechts allein mit dessen Existenz ausgeräumt würde.
41
II. Anschlussberufung der Kläger
42 Die mit der Anschlussberufung der Kläger verfolgten Rechtsschutzziele sind unzulässig, so dass die
Anschließung zurückzuweisen ist.
43 Der Antrag 1 ist auf eine einzelne Widerrufsrechtsfolge, nämlich auf die der Beklagten im Rahmen der
Rückabwicklung allenfalls zustehenden Ansprüche auf Wertersatz gerichtet und damit unzulässig. Die
Kläger erstreben mit diesem Antrag die Klärung der Rechtsfrage, in welcher Höhe der Wertersatzanspruch
der Beklagten bei der Rückabwicklung des Darlehens anzusetzen ist. Gegenstand des Antrags ist damit
ausschließlich eine Vorfrage bezüglich des Rückabwicklungsschuldverhältnisses der Vertragsparteien nach
Verbraucherwiderruf.
44 Ebenso fehlt es an der Zulässigkeit des Antrags 2, mit welchem die Kläger geklärt wissen wollen, in welchem
Umfang sie im Rahmen der Rückabwicklung des widerrufenen Darlehens ihre Darlehensraten nebst
Nutzungsersatz in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszins heraus verlangen können. Auch insoweit
geht es den Klägern lediglich um die Feststellung einer abstrakten Widerrufsfolge und nicht um die
Feststellung eines konkreten Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien.
C.
45 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 in Verb. mit § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Gründe für die Zulassung der
Revision bestehen nicht. Das Berufungsurteil orientiert sich an der höchstrichterlichen Rechtsprechung,
insbesondere an den Urteilen des Bundesgerichtshofs vom 12.07.2016 in den Sachen XI ZR 501/15 und XI
ZR 564/15.
46 Gemäß § 63 Abs. 2 GKG war der Streitwert entsprechend der Höhe der bis zum Zeitpunkt der
Klageerhebung von den Klägern bereits erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen (vgl. BGH, Beschluss vom
12.01.2016 - XI ZR 366/15, juris Rn. 12 ff.) festzusetzen. Damit ist auch das wirtschaftliche Interesse der
mit der Anschlussberufung der Kläger verfolgten Feststellung erfasst.