Urteil des OLG Karlsruhe vom 30.12.2016

gebrechen, private unfallversicherung, anteil, krankheit

OLG Karlsruhe Urteil vom 30.12.2016, 12 U 97/16
Leitsätze
1. In der privaten Unfallversicherung genießt der Versicherungsnehmer im Grundsatz auch dann
Versicherungsschutz, wenn Unfallfolgen durch eine bereits vor dem Unfall vorhandene besondere
gesundheitliche Disposition verschlimmert werden; anders als im Sozialversicherungsrecht reichen im privaten
Unfallversicherungsrecht grundsätzlich auch sogenannte "Gelegenheitsursachen" aus (Anschluss BGH VersR
2016, 1492).
2. Die Bemessung des Invaliditätsgrades - hier: für die Schulter - hat sich auch außerhalb der Gliedertaxen an
den vereinbarten Taxen zu orientieren und darf insbesondere nicht zu einem Wertungswiderspruch mit diesen
führen (Fortführung BGH VersR 2015, 617; Anschluss OLG Hamm VersR 2008, 389; OLG Saarbrücken VersR
1997, 956).
3. Ein mitwirkendes Gebrechen i.S.d. § 182 VVG liegt vor, wenn bei der Gesundheitsbeschädigung oder der
Ausprägung der Unfallfolgen ein vorbestehender Zustand mitgewirkt hat, der über einen normalen Verschleiß
oder über das Maß einer unkritischen Normvariante hinausgeht, und dies auch unabhängig davon, ob deswegen
vor dem Unfall eine akute Behandlungsbedürftigkeit bestanden hat oder nicht (Anschluss BGH VersR 2016,
1492; OLG Schleswig VersR 2014, 1074).
4. Geht ein Degenerationszustand über das alterstypische Maß hinaus, ist er insgesamt als Gebrechen
anzusehen; eine Unterteilung der Degeneration in alterstypische und altersuntypische Anteile erfolgt dann
nicht, und alterstypische Anteile werden nicht herausgerechnet (Fortführung BGH VersR 2016, 1492).
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 06.05.2016 - 10 O 95/14 -
im Kostenpunkt aufgehoben, im Übrigen abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 11.000,- EUR sowie weitere 888,- EUR, jeweils nebst
Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.01.2015, zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung der Beklagten sowie die Berufung des Klägers werden zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 85% und die Beklagte zu 15% zu tragen.
4. Dieses Urteil und die angefochtene Entscheidung, soweit sie durch dieses Urteil aufrecht erhalten wird, sind
vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können die Vollstreckung der jeweiligen Gegenpartei durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die vollstreckende Partei
nicht zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1 Der Kläger macht Invaliditätsleistungen aus einer Unfallversicherung geltend.
2 Zwischen der E. GmbH als Versicherungsnehmerin und der Beklagten besteht ein
Unfallversicherungsvertrag (Anl. K1). Versicherte Person ist (u.a.) der Kläger. Die Versicherungsnehmerin hat
ihre Ansprüche auf Versicherungsleistungen an den Kläger abgetreten. Der Versicherungsvertrag beinhaltet
für unfallbedingte Invaliditätsschäden eine Grundsumme von 250.000 EUR als Berechnungsgrundlage.
Vertragsbestandteil sind u.a. die von der Beklagten gestellten besonderen „Bedingungen 2008 für die
Unfallfallversicherung für den Fall der Invalidität“ (im Folgenden: UB-Inv). Darin heißt es auszugsweise:
3
„§ 3 Invaliditätsgrade
4
1 Als feste Invaliditätsgrade gelten unter Ausschluss des Nachweises einer höheren oder geringeren
Invalidität
5 a) bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit:
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eines Armes
70 Prozent
eines Armes bis oberhalb des Ellenbogengelenks 65 Prozent
eines Armes unterhalb des Ellenbogengelenks
60 Prozent
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b) bei Teilverlust oder Funktionsbeeinträchtigung eines der vorstehenden Körperteile … der entsprechende
Teil des Prozentsatzes nach Nr. 1 a).
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2 Werden durch den Unfall Körperteile … betroffen, deren Verlust oder Funktionsunfähigkeit nicht nach Nr.
1 geregelt ist, so ist maßgebend, inwieweit die normale körperliche … Leistungsfähigkeit unter
ausschließlicher Berücksichtigung medizinischer Gesichtspunkte beeinträchtigt ist.
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4 Wird durch den Unfall eine körperliche … Funktion betroffen, die schon vorher dauernd beeinträchtigt
war, so wird ein Abzug in Höhe dieser Vorinvalidität vorgenommen. Die Vorinvalidität wird nach den Nrn. 1
bis 3 bemessen.
10 § 4 Mitwirkende Krankheiten oder Gebrechen
11 Abweichend von [den allgemeinen Unfallbedingungen der Beklagten] wird, wenn Krankheiten oder
Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis hervorgerufenen Gesundheitsschädigung oder deren Folgen
mitgewirkt haben, nicht die Leistung entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens gekürzt,
sondern der mitwirkende Anteil der Krankheit oder des Gebrechens bei der Bemessung des
Invaliditätsgrades abgezogen, wenn dieser Anteil 25 Prozent oder mehr beträgt.“
12 Am 03.12.2010 rutschte der damals 62-jährige Kläger aus und fiel auf die rechte Schulter. In der Folgezeit
wurde der Kläger wiederholt ärztlich untersucht und behandelt, teils auch operativ. Aufgrund einer
Komplettruptur der Rotatorenmanschette wurde eine Rekonstruktion durchgeführt. Beide Parteien
beauftragten vorprozessual Gutachten zum unfallbedingten Invaliditätsgrad, die zu unterschiedlichen
Ergebnissen kamen (auf Beklagtenseite Dr. D.: 20% von 1/5 Armschaden; auf Klägerseite Dr. T.: insgesamt
30%).
13 Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, er habe sich aufgrund des Sturzes vom 03.12.2010 eine Ruptur
der Rotatorenmanschette zugezogen. Infolgedessen sei eine dauerhafte Bewegungseinschränkung der
rechten Schulter eingetreten, die zu einer Gesamtinvalidität von 30% führe. Vor dem Sturz habe keine
Vorschädigung vorgelegen, insbesondere habe er weder unter Schmerzen noch unter sonstigen
Beeinträchtigungen gelitten. Er hat die Auffassung vertreten, es handele sich nicht um einen Armschaden
i.S.v. § 3 Nr. 1 a) UB-Inv. Ferner hat er vorgerichtliche Kosten für das eingeholte Gutachten (888,- EUR)
sowie einen von ihm eingeschalteten Versicherungsberater (1.890,91 EUR) geltend gemacht.
14 Der Kläger hat beantragt,
15 die Beklagte zu verurteilen, an ihn
16 1.) 75.000,- EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.11.2012,
2.) 888,- EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit und
3.) 1.890,91 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.11.2012
17 zu zahlen.
18 Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt.
19 Sie hat die Unfallkausalität der Schulterbeschwerden des Klägers bestritten. Eine Rotatorenmanschetten-
Veränderung bleibe häufig asymptomatisch. Der Zeitpunkt der klinischen Manifestation einer dortigen
Ruptur lasse keine Rückschlüsse auf den Zeitpunkt der Entstehung des Defekts zu.
20 Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.Auf dieser
Grundlage hat das Landgericht der Klage in Höhe eines Teilbetrags von 20.000,- EUR nebst Gutachtenkosten
(888,- EUR) und Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Die Bewegungseinschränkung in der
Schulter des Klägers sei kausal durch den Sturz verursacht worden. Die Einschränkung sei mit einer
Gesamtinvaliditätsquote von 14% zu bewerten. Hiervon sei eine Vorbeeinträchtigung abzuziehen, soweit
diese das alterstypische Maß überschritten habe; dieser Abzug sei mit 6% (bezogen auf den
Gesamtinvaliditätsgrad) zu schätzen. Altersbedingte Vorschäden seien nicht abzuziehen.
21 Dagegen wenden sich beide Parteien mit ihren wechselseitig eingelegten Berufungen.
22 Der Kläger verfolgt seinen Zahlungsantrag in der Hauptsache unvermindert weiter. Er macht geltend, das
Landgericht habe sich nicht ausreichend mit dem von ihm vorgelegten vorgerichtlichen Gutachten (Dr. T.)
auseinandergesetzt. Bei einer Beeinträchtigung der Schulter sei der Invaliditätsgrad nicht nach dem
Armwert, sondern frei anhand des 100%-Satzes zu bemessen. Bei der Vorinvalidität habe das Gericht nur
das betroffene Körperteil - die Schulter - berücksichtigen dürfen, nicht auch die zum Arm gehörende
vorgeschädigte Bizepssehne. Eine überaltersbedingte Degeneration sei nicht bewiesen. Im Übrigen seien
degenerative Vorschäden, die vor dem Unfall weder behandlungsbedürftig gewesen seien noch zu
Funktionsbeeinträchtigungen geführt hätten, nicht abzuziehen; so liege es im Fall des Klägers. Vor dem
Unfall habe weder eine Krankheit noch ein Gebrechen vorgelegen.
23 Der Kläger beantragt,
24 die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils und Zurückweisung der Berufung der Beklagten
zu verurteilen, an ihn - über die bereits zugesprochenen 20.000,- EUR hinaus - weitere 55.000,- EUR nebst
Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.11.2012 zu zahlen.
25 Die Beklagte beantragt,
26 unter Zurückweisung der Berufung des Klägers das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage
insgesamt abzuweisen.
27 Sie meint, der Sachverständige und das Landgericht hätten sich nicht hinreichend mit der Argumentation
der Beklagten auseinandergesetzt. Die vom Kläger angegebene direkte Gewalteinwirkung auf die Schulter
sei nicht geeignet, die Rotatorenmanschette zu schädigen. Das gelte umso mehr, wenn mehrere Abschnitte
der Rotatorenmanschette betroffen seien. Der kurz nach dem Unfall gefertigte kernspintomographische
Befundbericht vom 09.12.2010 habe ausschließlich verletzungsunspezifische Veränderungen nachgewiesen.
Der gerichtliche Sachverständige habe über weite Strecken den Beklagtenvortrag bestätigt, insbesondere
mehrere unfallunabhängige Erkrankungen und Gebrechen als gesichert angesehen. Vor diesem Hintergrund
sei es widersprüchlich und nicht nachvollziehbar, wenn der Sachverständige zu einer erheblichen
unfallbedingten Mitwirkung komme. Jedenfalls sei der vom Landgericht angenommene Prozentsatz (8%)
unzutreffend.
28 Der Senat hat Beweis erhoben durch erneute Anhörung des Sachverständigen
. …
II.
29 Die zulässige Berufung der Beklagten ist teilweise begründet. Einen Leistungsanspruch dem Grunde nach
hat das Landgericht zu Recht bejaht. Der Höhe nach beschränkt sich der Anspruch jedoch auf einen Betrag
von 11.000,- EUR (250.000,- EUR Grundsumme x 11% Invaliditätsgrad x 40% unfallbedingter
Mitwirkungsanteil).
30 1. Dem Grunde nach schuldet die Beklagte dem Kläger aufgrund des Sturzes vom 03.12.2010
Versicherungsleistungen, §§ 178, 180 BGB. Von der dafür erforderlichen unfallbedingten Invalidität ist hier
auszugehen.
31 a) Der Nachweis unfallbedingter Invalidität obliegt in der Unfallversicherung dem Versicherten. Dabei muss
er einen unfallbedingten ersten Gesundheitsschaden und die eine Invalidität begründende dauernde
gesundheitliche Beeinträchtigung im Wege des Strengbeweises nach § 286 ZPO beweisen, während für die
kausale Verknüpfung dieser beiden Umstände die Beweiserleichterung des § 287 ZPO gilt; d.h. die
Unfallbedingtheit der dauernden Beeinträchtigung kann nach § 287 ZPO bewiesen werden, wenn diese
Beeinträchtigung als solche und eine erste Unfallverletzung feststehen. Allerdings genügt auch nach diesem
erleichterten Beweismaßstab die bloße Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs von Unfallereignis
einerseits und fortdauernder Krankheit oder Invalidität andererseits nicht, sondern es ist jedenfalls eine
überwiegende Wahrscheinlichkeit erforderlich (BGH VersR 2011, 1171 mwN.).Wenn Beeinträchtigungen
erstmals nach einem Unfall auftreten, spricht eine Vermutung für eine (Mit-)Kausalität des Unfallereignisses.
Die Möglichkeit, dass nur bis dahin latente Schäden virulent wurden, schließt zumindest die Vermutung
einer Mitkausalität nicht aus; auch insoweit greifen die Beweiserleichterungen des § 287 ZPO. Insbesondere
genießt der Versicherungsnehmer im Grundsatz auch dann Versicherungsschutz, wenn Unfallfolgen durch
eine bereits vor dem Unfall vorhandene besondere gesundheitliche Disposition verschlimmert werden;
anders als im Sozialversicherungsrecht reichen im privaten Unfallversicherungsrecht grundsätzlich auch
sogenannte „Gelegenheitsursachen“ aus (BGH VersR 2016, 1492). Etwas anderes gilt nur, wenn
ausnahmsweise festgestellt werden kann, dass der Versicherte ohne den Unfall an den gleichen
Beschwerden leiden würde (vgl. Düsseldorf VersR 2004, 461; Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 29. Aufl., AUB
2010 § 2 Rn. 3). Degenerative oder anlagebedingte Schäden als solche beweisen nicht, dass Beschwerden
schon früher bestanden oder dass sie auch ohne das Ereignis später sicher eingetreten wären. Ob und
inwieweit Vorschädigungen bei der Verursachung der Invalidität ebenfalls eine Rolle gespielt haben, ist erst
beim Abzug wegen mitwirkender Gebrechen nach Ziff. 3 AUB 2010 - hier: § 4 UB-Inv - zu berücksichtigen
(vgl. Prölss/Martin/Knappmann, aaO. mwN.).
32 Nach diesen Maßstäben hat das Landgericht den Nachweis unfallbedingter Kausalität zu Recht als geführt
angesehen.
33 b) Davon, dass der Kläger bei dem Sturz einer direkten Gewalteinwirkung auf seine rechte Schulter in Form
einer Schulterprellung ausgesetzt war, geht auch die Beklagte aus. Dass beim Kläger eine - partielle -
Invalidität vorliegt, hat das Landgericht aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens zutreffend
festgestellt; dagegen wendet sich die Beklagte ebenfalls nicht.
34 c) Zu Recht hat das Landgericht auch eine Unfallkausalität bejaht. Dem steht nicht entgegen, dass bereits
vor dem Unfall erhebliche Beeinträchtigungen bestanden haben müssen und noch weitergehende, zuvor
klinisch stumme Veränderungen der Rotatorenmanschette vorlagen. Denn erst der Unfall hat dazu geführt,
dass zusätzliche Beeinträchtigungen auftraten.
35 Die diesbezüglichen Feststellungen des Landgerichts, die sich auf die Ausführungen des gerichtlichen
Sachverständigen stützen, sind im Berufungsverfahren nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zugrunde zu legen.
Hinreichende Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Feststellungen
begründen würden, sind nicht ersichtlich. Zutreffend hat das Landgericht insoweit auf die plastische
Erläuterung des Sachverständigen verwiesen, der Sturz sei der „Auslöser der Beschwerden“ und der
„Tropfen“ gewesen, der das „Wasserglas“ zum Überlaufen gebracht habe. Im schriftlichen Gutachten wird
der Nachweis einer unfallbedingten Schädigung insbesondere auf die kernspintomographisch befundeten
frischen Einblutungen gestützt. In der mündlichen Anhörung erster Instanz hat der Sachverständige dazu
bekräftigt, dies stehe für ihn fest.
36 Dass der Sachverständige in seiner Anhörung „nicht mit naturwissenschaftlicher Sicherheit gänzlich
ausschließen“ konnte, dass die nun vorliegende Invalidität nichts mit dem Unfall zu tun hat, steht dem nicht
entgegen. Denn er ist ausdrücklich „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ von einer Unfallkausalität ausgegangen;
es sei „alles plausibel“, einschließlich der Primärsymptomatik und der weiteren Befundung. Das steht
grundsätzlich auch in Einklang mit dem von der Beklagten selbst vorgerichtlich eingeholten Privatgutachten;
auch dort wurde „durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit“ dafür angenommen, „dass es hier bei
erheblicher Schadensanlage zu einer weitergehenden Schädigung kam, sozusagen 'der letzte Tropfen, der
das Fass zum Überlaufen brachte'“. Damit sind jedenfalls die Anforderungen des einschlägigen erleichterten
Beweismaßstabs nach § 287 ZPO erfüllt; dass das Landgericht sogar den Strengbeweis (§ 286 ZPO) als
geführt angesehen hat, ist unschädlich.
37 Soweit die Beklagte Auszüge aus dem schriftlichen Gerichtsgutachten zu solchen Vorschäden zitiert, die der
Sachverständige als eindeutig nicht unfallbedingt eingestuft hat, steht das der Mitkausalität des Unfalls nicht
entgegen. Vielmehr sind diese Vorschäden nach den oben ausgeführten Maßstäben erst im Rahmen
etwaiger Abzüge zu berücksichtigen. Ebenso wenig kann die Beklagte mit ihrem Einwand durchdringen, der
Unfallmechanismus in Form einer direkten Gewalteinwirkung auf die Schulter sei ungeeignet, die
Rotatorenmanschette zu schädigen. Denn auch der gerichtliche Sachverständige geht davon aus, dass die
Ruptur der Rotatorenmanschette bereits vor dem Unfall bestand, und hat dies berücksichtigt. Dass die
erlittene Schulterprellung hingegen geeignet war, „als letzter Tropfen“ zusätzliche
Funktionseinschränkungen auszulösen, ist durch das Sachverständigengutachten erwiesen; davon geht
ausdrücklich auch das Privatgutachten der Beklagten aus.
38 Damit ist die Unfallkausalität insoweit zu bejahen, als erst aufgrund des Unfalls weitere Beeinträchtigungen
eingetreten sind. Alles Weitere ist eine Frage der Abzüge wegen Vorinvalidität sowie wegen mitwirkender
Gebrechen (dazu unten 3.).
39 2. Invaliditätsgrad
40 Der Grad der beim Kläger nach dem Unfall bestehenden Invalidität ist mit insgesamt 11% anzusetzen
(bezogen auf den vollen Vom-Hundert-Satz, also nicht beschränkt auf einen Teilwert). Aufgrund des
zweitinstanzlichen Beweisergebnisses war der vom Landgericht geschätzte Wert (14%) leicht
herabzusetzen.
41 a) Zutreffend ist zunächst der rechtliche Ausgangspunkt des Landgerichts, dass Funktionseinschränkungen
der Schulter hier nicht bezogen auf den Armwert bemessen werden können, sondern dass auf die
Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit insgesamt abzustellen ist. Findet das Schultergelenk in
den Bestimmungen der Gliedertaxe über Verlust oder völlige Funktionsbeeinträchtigung eines Arms keine
Erwähnung, ist der Invaliditätsgrad bei einer Gebrauchsminderung der Schulter nicht nach der Gliedertaxe,
sondern nach den Regeln zur Invaliditätsbestimmung für andere Körperteile zu ermitteln (BGH VersR 2015,
617; Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 29. Aufl., Ziff. 2 AUB 2010 Rn. 33). So liegt es hier. In § 3 Nr. 1 a) UB-
Inv ist die Schulter nicht aufgeführt, so dass die differenzierten Gliedertaxen zum Arm keine Anwendung
finden.
42 Maßgebend ist deshalb gemäß § 3 Nr. 2 UB-Inv, inwieweit die normale körperliche Leistungsfähigkeit unter
ausschließlicher Berücksichtigung medizinischer Gesichtspunkte beeinträchtigt ist. Dies ist grundsätzlich
unter Hinzuziehung eines Sachverständigen zu ermitteln. Eine bloße Bezugnahme auf eine nicht
einschlägige Gliedertaxe ist dabei nicht zulässig (BGH VersR 2009, 492 Rn. 24). Andererseits können nach
allgemeiner Auffassung die in der Gliedertaxe getroffenen Wertungen auch nicht gänzlich unberücksichtigt
bleiben. Sie sind bei der individuellen Bewertung - wenn und soweit möglich - im Wege einer
Kontrollüberlegung mit zu berücksichtigen; die Bemessung des Invaliditätsgrades hat sich auch außerhalb
der Gliedertaxen an den vereinbarten Taxen zu orientieren und darf insbesondere nicht zu einem
Wertungswiderspruch mit diesen führen (OLG Hamm VersR 2008, 389; OLG Saarbrücken VersR 1997, 956;
Kloth, Private Unfallversicherung, 2. Aufl., G.191; Grimm, Unfallversicherung, 5. Aufl., AUB 2010 Ziff. 2 Rn.
42, 36; Bruck/Möller/Leverenz, VVG, 9. Aufl., AUB Ziff 2.1 Rn. 228; Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 29.
Aufl., § 180 Rn. 4 und AUB 2010 Ziff. 2 Rn. 40; Langheid/Rixecker, VVG, 5. Aufl., § 180 Rn. 5; je mwN.).
Soweit für Dauerschäden, die sich unter die Gliedertaxe nicht einordnen lassen, weder ein Vergleich mit der
Gliedertaxe für statthaft gehalten wird, noch dieser die konkrete Bemessung des Invaliditätsgrades ersetzen
oder auch nur ergänzen könne (so BGH VersR 2009, 492 Rn. 24 f.), beschränkt sich das auf Fälle, die sich
von vornherein jeder Vergleichbarkeit mit der Gliedertaxe entziehen (Bruck/Möller/Leverenz aaO.).
43 b) Dementsprechend erscheint es im Ergebnis nicht ausgeschlossen, dass die Bemessung des
Invaliditätsgrads einer Schulterbeeinträchtigung insgesamt zu vergleichbaren Ergebnissen führt wie die
Gliedertaxe für den Arm. Im Gegenteil liegt das sogar nahe (vgl. auch Kloth/Tschersich, r+s 2015, 321, 326).
Wenn eine völlige Funktionslosigkeit eines Arms nach der Gliedertaxe mit 70% vereinbart ist, spricht dies
dafür, dass ein Funktionsverlust der Schulter, soweit er vergleichbare Auswirkungen wie eine
Beeinträchtigung des Arms hat, im Ergebnis zu ähnlichen Werten führen wird (vgl. auch Grimm,
Unfallversicherung, 5. Aufl., AUB 2010 Ziff. 2 Rn. 36). Danach unterliegt der rechtliche Ansatz des
Landgerichts, die Schulter unter Berücksichtigung der Armtaxe, aber nicht „als“ Arm zu bewerten, keinen
grundlegenden Bedenken. Insbesondere liegt dabei entgegen der Auffassung der Beklagten kein
„Denkfehler“ vor. Vielmehr liegt offenbar auf Beklagtenseite eine Verwechslung von Armwert und
Gesamtinvaliditätsgrad zugrunde: Entgegen der Auffassung der Beklagten sind nämlich weder der
Sachverständige noch das Gericht von einer „Beeinträchtigung des Armes von 14%“ ausgegangen, sondern
von 1/5 des (zu Vergleichszwecken herangezogenen) Armwerts. Der Wert von 14% (1/5 von 70%) bezog
sich vielmehr von vornherein auf den Gesamtinvaliditätsgrad.
44 c) Angesichts der funktionellen Verbindung zum Arm teilt der Senat auch die vom Sachverständigen in der
Berufungsverhandlung erörterten Bedenken gegen eine in der medizinischen Fachdiskussion vertretene
Auffassung, die aufgrund der zitierten jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Anwendbarkeit
der Gliedertaxe (VersR 2015, 617) die medizinische Bewertung der Schulter in der Weise von der
Bewertung des Arms abkoppeln will, dass die Schulter so betrachtet wird, als sei der komplette Arm
unterhalb des Schultergelenks amputiert. Nach dieser Auffassung ergäbe sich selbst für eine - hier nicht in
Rede stehende - vollständige Funktionsaufhebung des Schultergelenks als Höchstwert ein Invaliditätsgrad
von lediglich 8% (vgl. „Konsensempfehlung“, abgedruckt in Versicherungsmedizin Heft 2/2016).
45 Schon der Ausgangspunkt dieser Auffassung, den Arm vollständig hinwegzudenken, geht aus rechtlicher
Sicht fehl. Die Funktionen der Schulter sind ohne Arm weitgehend nutzlos; Funktionsstörungen der Schulter
wirken sich insbesondere in Form entsprechender Einschränkungen des Arms aus und stehen unvermeidlich
in Beziehung zum Arm. Auch der Höhe nach würde eine derartige Geringbewertung der Schulter zu
erheblichen Wertungswidersprüchen führen, und zwar nicht nur gegenüber der bisher üblichen
Bewertungspraxis im Rahmen der Gliedertaxe des „Armes im Schultergelenk“ (vgl. dazu
Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 29. Aufl., Ziff. 2 AUB 2010 Rn. 32 mwN.), sondern vor allem gegenüber der
weiterhin bestehenden Gliedertaxe des Armes.
46 d) Andererseits folgt aus der freien Bestimmung außerhalb der Gliedertaxe nach § 3 Nr.2 UB-Inv, dass eine
Bindung an feste Armwerte (hier 14%) nicht besteht. Der Senat schließt sich deshalb den Ausführungen des
Sachverständigen an, soweit dieser sich in der Berufungsverhandlung an den gesonderten
Bewertungskriterien für Schulterschäden im European Disability Scale orientiert hat. Auf dieser Grundlage
schätzt der Senat den beim Kläger bestehenden Gesamtinvaliditätsgrad auf 11%.
47 Der European Disability Scale, der ein der Gliedertaxe vergleichbares Bewertungssystem für europäische
Beamte enthält, sieht in Art. 34-1-b für die Schultersteifheit auf der dominanten (hier: rechten) Seite bei
einer Beschränkung des Abspreizens auf 90° eine Spanne von 10% (bei sonst vollständiger Beweglichkeit)
bis 16% (falls keinerlei Drehung möglich) vor. Insoweit hat der Sachverständige im Termin anhand der von
ihm festgestellten Beweglichkeitseinschränkungen (Abspreizen bis 100° bei sonstiger Teil-Mobilität) letztlich
eine Einordnung bei „11 bis 12%“ vorgenommen. Dies erscheint dem Senat nachvollziehbar und
überzeugend. Insbesondere lässt sich das auch wertungsmäßig mit dem ähnlichen Ergebnis für
Funktionseinschränkungen des Armes (14%) in Einklang bringen.
48 Als endgültigen Schätzwert legt der Senat dabei 11% zugrunde. Für den niedrigeren der beiden vom
Sachverständigen genannten Werte spricht hier, dass die Funktionseinschränkung des Abspreizens beim
Kläger (100°) geringer ist als im Tabellenwert des European Disability Scale (90°). Einen höheren
Invaliditätsgrad hat der Kläger nicht bewiesen (zur Beweislast des Versicherungsnehmers vgl.
Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 29. Aufl., § 180 Rn. 6).
49 e) Für einen höheren Invaliditätsgrad kann sich der Kläger auch nicht mit Erfolg auf das vorgerichtliche
Privatgutachten Dr. T. stützen. Der dortige Schätzwert von 30% wird mit keinem Wort begründet,
geschweige denn anhand allgemeiner Bewertungssysteme eingeordnet und hängt damit vollständig „in der
Luft“. Mangels nachvollziehbarer Begründung war eine weitere Auseinandersetzung mit diesem willkürlich
gegriffenen Wert weder dem Sachverständigen noch dem Gericht möglich und damit - entgegen der
Auffassung des Klägers - auch nicht erforderlich.
50 3. Abzüge wegen Vorschädigungen
51 Der danach bestehende Invaliditätsgrad von 11% ist nicht insgesamt unfallbedingt. Dem Grunde nach zu
Recht hat das Landgericht vielmehr einen Abzug wegen Vorschäden vorgenommen. Der Höhe nach schätzt
der Senat den Anteil, der insgesamt auf die Vorinvalidität (§ 3 Nr. 4 UB-Inv) und die mitwirkenden
Gebrechen (§ 4 UB-Inv) entfällt, auf zumindest 60%, den verbleibenden unfallbedingten Anteil
dementsprechend auf 40%.
52 a) Abzüge kommen dabei unter zwei Gesichtspunkten in Betracht, nämlich einerseits wegen bestehender
Vorinvalidität nach § 3 Nr. 4 UB-Inv und andererseits - soweit eine Vorinvalidität verneint wird - wegen
mitwirkender Gebrechen nach § 4 UB-Inv.
53 Die Vorinvalidität betrifft Funktionsbeeinträchtigungen, die bereits vor dem Unfall bestanden und sich auch
geäußert haben. Sie ist nach denselben Grundsätzen wie die Invalidität (hier nach § 3 Nr. 2 UB-Inv) zu
bemessen; Vergleichsmaßstab ist wie dort die Leistungsfähigkeit eines Durchschnittsbürgers gleichen Alters
und Geschlechts (OLG Karlsruhe VersR 2003, 1524; Kloth, Private Unfallversicherung, 2. Aufl., G.107).
„Latente“ Vorschäden, die sich noch nicht praktisch ausgewirkt und damit bislang objektiv nicht zu
Funktionsbeeinträchtigungen geführt haben, sind nicht als Vorinvalidität zu berücksichtigen, sondern
können nach dem sonst zurücktretenden § 4 UB-Inv (mitwirkende Gebrechen) zu einer Anspruchsminderung
führen (vgl. Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 29. Aufl., AUB 2010 Ziff. 2 Rn. 42). Allerdings ist nicht
erforderlich, dass der Versicherte die - objektiv bestehende - Beeinträchtigung subjektiv bereits bemerkt
oder als „Leiden“ empfunden hat (vgl. OLG Karlsruhe VersR 2003, 1524).
54 Nur soweit sich nach dem Vorstehenden kein vorrangiger Abzug wegen Vorinvalidität ergibt, bleibt Raum für
einen Abzug für mitwirkende Krankheiten oder Gebrechen nach § 4 UB-Inv; ein Doppelabzug findet nicht
statt (Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 29. Aufl., AUB 2010 Ziff. 3 Rn. 3). Als mitwirkende Gebrechen
kommen insbesondere latente Vorschädigungen zum Tragen, die sich also vor dem Unfall noch nicht in
praktischen Funktionsbeeinträchtigungen geäußert haben (BGH VersR 2016, 1492; VersR 2009, 1525; OLG
Schleswig VersR 2014, 1074; vgl. auch Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 29. Aufl., AUB 2010 Ziff. 2 Rn. 42;
Kloth, Private Unfallversicherung, 2. Aufl., J.13; Kloth/Tschersich, r+s 2015, 321, 328 f.).
55 Ein Gebrechen wird als dauernder abnormer Gesundheitszustand definiert, der eine einwandfreie Ausübung
normaler Körperfunktionen (teilweise) nicht mehr zulässt. Demgegenüber sind Zustände, die noch im
Rahmen der medizinischen Norm liegen, selbst dann keine Gebrechen, wenn sie eine gewisse Disposition für
Gesundheitsstörungen bedeuten. Trägt eine früher erlittene Körperverletzung auch ohne zwischenzeitliche
Beschwerden zur Verstärkung der gesundheitlichen Folgen eines späteren Unfalls bei, so ist darin ein
Gebrechen im genannten Sinne zu sehen (BGH VersR 2016, 1492; VersR 2009, 1525). Dass vor dem Unfall
tatsächliche Beeinträchtigungen bestanden, ist also für das mitwirkende Gebrechen nicht erforderlich; das
unterscheidet das mitwirkende Gebrechen von der Vorinvalidität. Dies ist durch die Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs mittlerweile geklärt (aaO.; anders noch OLG Stuttgart VersR 2015, 99).
56 Nicht als Gebrechen anzusehen sind alterstypische Zustände wie Verschleißerscheinungen, auch wenn sie
eine gewisse Disposition für Gesundheitsstörungen bedeuten. Erforderlich ist vielmehr eine Abweichung
vom alterstypischen Normalzustand (OLG Saarbrücken r+s 2013, 618; OLG Celle VersR 2010, 205; vgl.
auch Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 29. Aufl., Ziff. 3 AUB 2010 Rn. 5). Ein Gebrechen liegt demnach vor,
wenn bei der Gesundheitsbeschädigung oder der Ausprägung der Unfallfolgen ein vorbestehender Zustand
mitgewirkt hat, der über einen normalen Verschleiß oder über das Maß einer unkritischen Normvariante
hinausgeht, und dies auch unabhängig davon, ob deswegen vor dem Unfall eine akute
Behandlungsbedürftigkeit bestanden hat oder nicht (OLG Schleswig VersR 2014, 1074;
Bruck/Möller/Leverenz, VVG, 9. Aufl., § 182 Rn. 5, 7, 19 f.; vgl. auch BGH VersR 2016, 1492; OGH Wien
VersR 2016, 214).
57 b) Die Darlegungs- und Beweislast liegt insoweit beim Versicherer. Das gilt nach § 182 VVG nicht nur für
mitwirkende Gebrechen, sondern auch für den Abzug wegen Vorinvalidität (vgl. Prölss/Martin/Knappmann,
VVG, 29. Aufl., § 182 Rn. 1). Der Versicherer muss dabei auch beweisen, dass unfallunabhängige
Verschleißerscheinungen, die er anspruchskürzend berücksichtigen will, über das altersgerechte Maß
hinausgehen.Bei einem Schätzungsrahmen ist die Minderung entsprechend der Beweislast eher an der
unteren Grenze auszurichten (Bruck/Möller/Leverenz, VVG, 9. Aufl., § 182 Rn. 19;
Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 29. Aufl., Ziff. 3 AUB 2010 Rn. 8). Der Mitwirkungsanteil lässt sich dabei
naturgemäß nicht naturwissenschaftlich exakt errechnen, sondern ist unter sachverständiger Beratung zu
schätzen (Grimm, Unfallversicherung, 4. Aufl., Ziff. 3 AUB 99 Rn. 4).
58 c) Hier sind beim Kläger Vorschäden an der rechten Schulter erwiesen, die deutlich über das Maß
alterstypischer Verschleißerscheinungen hinausgingen.
[wird ausgeführt]
59 d) Inwieweit sich die Vorschädigungen bereits in Funktionsstörungen äußerten oder aufgrund körpereigener
Ausgleichsmechanismen „stumm“ blieben, bedarf hier im Einzelnen keiner Abgrenzung. Denn in beiden
Fällen führen sie im Ergebnis zu einem Abzug: entweder als Vorinvalidität oder als mitwirkendes Gebrechen.
Auch der bei mitwirkenden Krankheiten und Gebrechen nach § 4 UB-Inv erforderliche Mindestanteil von
25% ist weit überschritten.
60 e) Den Anteil der Vorschädigungen an der nunmehr bestehenden Invalidität hat der Sachverständige
gegenüber dem unfallbedingten Anteil als deutlich überwiegend eingestuft. Eine rechnerisch exakte
Bestimmung der Mitwirkungsanteile ist dabei - wie oben zu b) ausgeführt - naturgemäß nicht möglich. Der
Sachverständige ist erstinstanzlich von einer Spannbreite von 70 bis 90% ausgegangen. Er hat dies -
angesichts der Schwierigkeiten einer genauen Bemessung nachvollziehbar - in seiner Anhörung vor dem
Senat hinsichtlich der unteren Grenze leicht abgesenkt, auf nunmehr mindestens 60%. Er hat dabei betont,
dass die Vorschäden aber mit mehr als der Hälfte beigetragen haben und dies damit begründet, dass der
beim Unfall erlittene Primärschaden sich auf eine bloße Prellung beschränkte, also keine schwere
strukturelle Verletzung umfasste. Dieser nachvollziehbaren und überzeugenden Einschätzung des
Sachverständigen folgt der Senat.
61 Nach den oben (zu b) dargestellten Grundsätzen ist damit hier der Mindestwert von 60% zugrunde zu
legen. Einen höheren Mitwirkungsanteil unfallfremder Vorschäden hat die Beklagte nicht bewiesen. Damit
ist der verbleibende unfallbedingte Anteil an der Invalidität mit 40% anzusetzen.
62 Entgegen der Auffassung des Klägers ist dabei nicht zu Unrecht eine Vorschädigung der (den Arm, nicht die
Schulter betreffenden) Bizepssehne berücksichtigt. Als Vorschädigungen in die Bewertung eingeflossen sind
nach den Ausführungen des Sachverständigen ausschließlich solche im Bereich der Schulter (Schultereck-
und -hauptgelenkarthrose, Engpasssyndrom, Rotatorenmanschettenruptur), nicht hingegen der Riss der
Bizepssehne. Das schriftliche Gutachten stellt lediglich - zutreffend und insoweit auch unstreitig - klar, dass
der Abriss der langen Bizepssehne nicht dem Unfallereignis zuzurechnen ist.
63 f) Abweichend vom Ansatz des Landgerichts ist der Vorschadensabzug nicht seinerseits um alterstypische
Verschleißerscheinungen zu mindern.
64 Ein Degenerationszustand, der wie hier über das alterstypische Maß hinausgeht, ist vielmehr insgesamt als
Gebrechen anzusehen; eine Unterteilung der Degeneration in alterstypische und altersuntypische Anteile
erfolgt nicht. Ein Zustand ist entweder noch alterstypisch; dann stellt er kein Gebrechen dar und berechtigt
den Versicherer zu keinem Abzug (OLG Saarbrücken r+s 2013, 618; OLG Celle VersR 2010, 205; OLG
München VersR 2006, 1397; OLG Hamm VersR 2002, 180; OLG Schleswig VersR 1970, 1048;
Bruck/Möller/Leverenz, VVG, 9. Aufl., § 182 Rn. 9; a.A. Kloth/Tschersich, r+s 2015, 321, 328;
Marlow/Tschersich r+s 2011, 453, 457 f.). Oder aber der Zustand verlässt den altersgemäßen Rahmen; dann
stellt er insgesamt ein Gebrechen dar und ist als solches auch insgesamt zu berücksichtigen. Alterstypische
Anteile werden in diesem Fall nicht herausgerechnet. Vielmehr ist, sobald ein über das alterstypische Maß
hinausgehender Vorschaden feststeht, allein danach abzugrenzen, „mit welchem Mitwirkungsanteil das
Unfallgeschehen einerseits und die degenerative Vorschädigung andererseits zu dem Dauerschaden
beigetragen haben“ (BGH VersR 2016, 1492 Rn. 21; vgl. auch BGH VersR 2013, 1570 [bei mitwirkender
Allergie keine Aufteilung in einen noch in den Normalbereich fallenden und einen individuell-atypischen
Anteil]; Senat, Urt. v. 03.11.2016 - 12 U 115/15, unveröffentl.; OLG Schleswig VersR 2014, 1074 und VersR
1995, 825; OLG Köln r+s 2013, 619; OLG Frankfurt VersR 2008, 248, 249; OLG Hamm VersR 2006, 1394;
OLG Karlsruhe [19. Zivilsenat] VersR 2003, 1524; Bruck/Möller/Leverenz, VVG, 9. Aufl., § 182 Rn. 19 f.;
Jacob, Unfallversicherung, Ziff. 3 AUB 2010 Rn. 3; Grimm, Unfallversicherung, 4. Aufl., Ziff. 3 AUB 99 Rn. 3;
Hoenicke r+s 2009, 489, 492; unklar OLG Naumburg, Urt. v. 18.12.2014 - 4 U 23/14, juris Rn. 32).
65 4. Anspruchshöhe
66 Nach allem berechnet sich die Anspruchshöhe wie folgt: Von der Grundsumme in Höhe von 250.000,- EUR
ist ein Anteil von 11% für die bestehende Invalidität anzusetzen, also 27.500,- EUR. Hiervon wiederum
entfallen 40% auf den unfallbedingten Mitwirkungsanteil, so dass sich der ausgeurteilte Betrag von 11.000,-
EUR ergibt.
67 5. Nebenforderungen
68 Auf die Hauptforderung schuldet die Beklagte Prozesszinsen, § 291 BGB. Ein früherer Verzug (§§ 286, 288
BGB) ist nicht dargelegt. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass der Kläger seinen Anspruch der Beklagten
gegenüber vorgerichtlich beziffert hat (was aber grundsätzlich für den Verzug erforderlich ist, vgl. BGH NJW
1984, 868; Staudinger/Löwisch/Feldmann, BGB 2014, § 286 Rn. 35).
69 Die vorgerichtlichen Gutachterkosten (888,- EUR) nebst Prozesszinsen hat das Landgericht dem Kläger im
Ergebnis zu Recht zugesprochen. Diese schuldet die Beklagte zwar nicht aus Verzug (§ 286 BGB), aber im
Wege des Schadensersatzes (§ 280 BGB), weil die Beklagte zuvor zu Unrecht eine Zahlung bereits dem
Grunde nach abgelehnt hatte, solange der Kläger keine „anderslautende fachärztliche Stellungnahme“
vorlege.
III.
70 Die zulässige Berufung des Klägers ist entsprechend den obigen Ausführungen unbegründet.
IV.
71 Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit
beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
72 Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.