Urteil des OLG Karlsruhe vom 06.12.2016

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OLG Karlsruhe Urteil vom 6.12.2016, 12 U 134/16
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen der Verjährung eines Bereicherungsanspruchs nach Einlegung eines Widerspruchs
gegen einen Lebensversicherungsvertrag.
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 19.08.2016 - 8 O 13/16 - wird
zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Karlsruhe ist ohne
Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110%
des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Gegenseite vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Gründe
I.
1 Die Klägerin begehrt Zahlungen aus der Rückabwicklung einer Rentenversicherung.
2 Im Jahr 1999 schloss die Klägerin bei der Beklagten einen Rentenversicherungsvertrag ab. Zum 31.01.2004
sollte planmäßig die Beitragszahlungspflicht enden. Als Rentenbeginn war der 01.02.2011 vereinbart. Im
Jahr 2007 erklärte die Klägerin die Kündigung. Daraufhin rechnete die Beklagte das Vertragsverhältnis ab
und überwies einen Gesamtbetrag von 32.429,99 EUR an die Klägerin.
3 Mit Formularschreiben vom 28.05.2010 erklärte die Klägerin in Person „den Widerspruch, den Widerruf bzw.
die Anfechtung des Versicherungsvertrages“.
4 Mit Schreiben vom 15.10.2015 erklärte der jetzige Prozessbevollmächtigte der Klägerin den
„Widerspruch/Rücktritt/Widerruf“ und „hilfsweise die Kündigung“ des Versicherungsvertrages.
5 Die Klägerin macht Ansprüche auf von der Beklagten aus den Prämienzahlungen gezogene und über den
bereits ausgezahlten Betrag hinausgehende Nutzungen geltend.
6 Sie hat erstinstanzlich beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin
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1) 11.036,45 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 11.12.2015
und
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2) weitere 958,19 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab
Rechtshängigkeit
10 zu zahlen.
11 Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt.
12 Sie hat die Auffassung vertreten, der Klägerin stehe kein weitergehender Anspruch zu. Ferner hat sie die
Einrede der Verjährung erhoben.
13 Das Landgericht hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen.
14 Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre erstinstanzlichen Anträge unverändert
weiterverfolgt.
15 Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
16 Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die Feststellungen des Landgerichts sowie
die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
17 Die Berufung ist insgesamt zulässig. Das gilt - entgegen der Auffassung der Beklagten - auch hinsichtlich der
mit dem Klagantrag zu 2. geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten. Insoweit fehlt es nicht bereits
an einer eigener Berufungsbegründung. Die betroffene Nebenforderung ist von der Hauptforderung
abhängig. Dementsprechend ist auch das Landgericht, das die Hauptforderung insgesamt verneint hat, in
den Entscheidungsgründen nicht mehr gesondert auf die Nebenforderungen eingegangen. Der
Berufungsangriff hinsichtlich der Hauptforderung reicht damit als zulässige Berufungsbegründung auch
hinsichtlich der Nebenforderung aus.
III.
18 In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht etwaige
Rückabwicklungsansprüche als verjährt angesehen.
19 1. Mit dem Landgericht geht auch der Senat davon aus, dass ursprünglich ein weitergehender
bereicherungsrechtlicher Anspruch aus § 812 BGB in Betracht kam. Der Vertragsschluss erfolgte, da bei
Antragstellung die erforderlichen Informationen nicht vollständig vorlagen, nicht im Antrags-, sondern im
Policenmodell (§ 5a VVG a.F.; vgl. BGH RuS 2015, 539). Insoweit fehlt es an einer Belehrung über das
Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F.
20 2. Dahinstehen kann die Aktivlegitimation der Klägerin, die etwaige Ansprüche ausweislich der
„Widerrufserklärung und Abtretungsanzeige“ vom 28.05.2010 (Anl. B8) an die proConcept AG abgetreten
hat und danach ausdrücklich nicht mehr zur Entgegennahme von Zahlungen berechtigt sein soll.
21 3. Denn jedenfalls ist ein etwaiger Zahlungsanspruch verjährt, § 214 Abs. 1 BGB.
22 a) Bereicherungsrechtliche Ansprüche verjähren gemäß § 195 BGB in drei Jahren. Die Verjährungsfrist
beginnt nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist
und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis
erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Entstanden ist ein Anspruch, sobald er im Wege
der Klage geltend gemacht werden kann. Voraussetzung dafür ist grundsätzlich die Fälligkeit des Anspruchs,
die dem Gläubiger die Möglichkeit der Leistungsklage verschafft (BGH VersR 2015, 700). Im Fall des
Widerspruchs gemäß § 5a VVG a.F. entsteht ein etwaiger Rückabwicklungsanspruch erst mit der Ausübung
des Widerspruchsrechts (BGH r+s 2015, 597; VersR 2015, 700; zum Rücktritt nach § 8 VVG a.F. auch BGH
r+s 2015, 60; Senat, Urt. v. 29.09.2016 - 12 U 101/16, juris).
23 b) Die Klägerin hat den Widerspruch bereits mit Schreiben vom 28.05.2010 erklärt. Ab Jahresende 2010 lief
somit die Verjährungsfrist von drei Jahren. Verjährung trat zum 31.12.2013 ein, mithin vor Einreichung der
Klage am 16.01.2016.
24 c) Mit Ausübung des Widerspruchsrechts hatte die Klägerin Kenntnis von den anspruchsbegründenden
Umständen und der Person des Schuldners im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB (vgl. BGH r+s 2015, 597;
VersR 2015, 700). Der Senat hat dies für den beim Widerspruch anwaltlich vertretenen
Versicherungsnehmer bereits entschieden (Urt. v. 29.09.2016 - 12 U 101/16, juris). Nichts anderes gilt,
wenn sich Versicherungsnehmer zwar keines Anwalts, aber eines sonstigen Dienstleisters bedient, der
spezialisierte Beratungsleistungen zum Vorgehen bei Lebensversicherungsverträgen anbietet. So liegt es
hier bei der von der Klägerin eingeschalteten Zessionarin, der proConcept AG, die in ihrem Briefpapier
ausdrücklich die Eigenbezeichnung „LV-Doktor Team“ sowie den Slogan „Recht durchsetzen!“ verwendet
und die mit Schreiben vom 09.06.2010 (Anl. B7) ausdrücklich die Rückzahlung sämtlicher Prämien samt
Verzinsung eingefordert hat.
25 d) Der Beginn der Verjährung scheitert nicht daran, dass der Klägerseite bis zur Vorlageentscheidung des
Bundesgerichtshofs vom 28.03.2012 (VersR 2012, 608) oder der anschließenden Revisionsentscheidung in
dieser Sache vom 07.05.2014 (VersR 2014, 817) die Klageerhebung nicht zumutbar gewesen wäre.
Zumutbar ist eine Klageerhebung, sobald sie erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos möglich ist
(BGHZ 203, 115 - juris Rn. 52).
26 Im vorliegenden Fall kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Beginn der
Verjährungsfrist wegen einer unsicheren Rechtslage bis zu den zuvor angeführten Entscheidungen des
Bundesgerichtshofes hinausgeschoben gewesen ist (vgl. Senat, Urt. v. 29.09.2016 - 12 U 101/16, juris). Der
Senat teilt insoweit nicht die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart (7 U 110/14 - Urt. v.
28.02.2015, nicht veröffentl.), das im Hinblick auf die Frage der europarechtlichen Unbedenklichkeit der
Regelungen in § 5 Abs. 2 S. 4 VVG a.F. und § 8 Abs. 5 VVG a.F. bis zur Entscheidung des
Bundesgerichtshofes hierzu von einer unsicheren Rechtslage ausgegangen ist, so dass erst mit Schluss des
Jahres 2012 die Verjährungsfrist zu laufen begonnen habe.
27 Eine unsichere Rechtslage kann eine Partei von der Geltendmachung eines Anspruchs abhalten und zu
einem Hinausschieben des Verjährungsbeginns führen. Bei einer solchen Fallkonstellation kann die
Geltendmachung gegebenenfalls bis zur Klärung der Rechtslage als unzumutbar anzusehen sein (BGH, Urt.
v. 23.09.2008 – XI ZR 263/07, juris Rn. 18; Urt. v. 28.10.2014 - XI 348/13, juris Rn. 46). So liegt der Fall
hier jedoch nicht. Die Klägerin hätte angesichts der ungeklärten Frage der Europarechtswidrigkeit der
Regelungen in §§ 5a, 8 VVG a.F. mit der Ausübung ihres Widerspruchsrechts bis zur höchstrichterlichen
Klärung zuwarten können. Denn der Rückabwicklungsanspruch aus § 812 BGB entsteht erst mit der
Ausübung des Widerspruchsrechts. Die Klägerin selbst hat durch die Ausübung ihres Vertragslösungsrechts
im Jahr 2010 den Lauf der Verjährungsfrist in Gang gesetzt.
28 Durch die Erklärung des Widerspruchs und die Einforderung von Leistungen hat die Klägerseite die in § 199
Abs. 1 BGB vorausgesetzte Zumutbarkeitsschwelle als Voraussetzung für den Verjährungsbeginn selbst
überschritten. Denn damit hat sie mit Blick auf § 256 ZPO die Möglichkeit aus der Hand gegeben, allein über
den Zeitpunkt der klagweisen Geltendmachung ihrer Rechte zu entscheiden. Wer sich eines
Rechtsverhältnisses oder eines Anspruchs berühmt, liefert der gegnerischen Partei ein hinreichendes
Interesse für eine Klage auf Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses. Die Gefahr einer
baldigen gerichtlichen Auseinandersetzung auch im Fall einer ungewissen Rechtslage hat die Klägerseite
damit willentlich selbst geschaffen. Sie hat so zum Ausdruck gebracht, dass sie trotz damals
unterschiedlicher Einschätzung der Rechtslage in Literatur und Rechtsprechung einen Rechtsstreit über die
geltend gemachten Ansprüche nicht scheut (Senat, Urt. v. 29.09.2016 - 12 U 101/16, juris).
29 Ohne Erfolg macht die Klägerin demgegenüber geltend, ein Zuwarten mit dem Widerspruch bis zur Klärung
der Rechtslage sei in der damaligen Situation unzumutbar gewesen. Zum einen verweist sie auf das Risiko,
dass ein nach erfolgter Kündigung ausgesprochener Widerspruch möglicherweise als unzulässig hätte
angesehen werden können (was sich erst durch die Rechtsprechung des BGH im Jahr 2014 geklärt habe, vgl.
BGHZ 201, 101). Das führt nicht weiter. Denn dieses Risiko bestand, nachdem bereits 2007 gekündigt
worden war, ebenso für den von der Klägerin 2010 tatsächlich erklärten Widerspruch. Auch kann sich die
Klägerin nicht darauf berufen, der Widerspruch im Jahr 2010 sei angesichts des aus damaliger Sicht
bestehenden Verwirkungsrisikos erforderlich gewesen, um die Entstehung eines schutzwürdigen Vertrauens
auf Seiten der Beklagten zu verhindern. Diese Argumentation läuft darauf hinaus, dass der Widerspruch
zwar einerseits geeignet (und zunächst zu dem einzigen Zweck erhoben worden) sein soll, die drohende
Verwirkung abzuwenden, gleichzeitig aber nicht ausreiche, um die Verjährungsfrist hinsichtlich der aus dem
Widerspruch abgeleiteten Zahlungsansprüche in Lauf zu setzen. Das ist mit dem sowohl der Verwirkung wie
der Verjährung einheitlich zugrunde liegenden Zweck des Vertrauensschutzes und des Rechtsfriedens (vgl.
Staudinger/Peters/Jacoby, BGB 2014, Vorbemerkungen zu §§ 194-225 Rn. 5 ff., 18, 20) nicht vereinbar.
Wenn sich der Versicherungsnehmer seiner Rechte hinreichend sicher ist, um einen Widerspruch zu
erklären, dann kann der Versicherer grundsätzlich auch darauf vertrauen, dass die daraus folgenden
Rückabwicklungsansprüche innerhalb der nun laufenden Verjährungsfrist geltend gemacht werden.
IV.
30 Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit
beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
31 Die Revision ist zuzulassen, weil der Senat im Hinblick auf den Verjährungsbeginn von der Rechtsauffassung
des OLG Stuttgart im Urteil vom 28.02.2015 - 7 U 110/14 - abweicht (ebenso bereits Senat, Urt. v.
29.09.2016 - 12 U 101/16, juris).