Urteil des OLG Karlsruhe vom 07.09.2016

zulässigkeit der auslieferung, spanien, rechtliches gehör, kriminelle organisation

OLG Karlsruhe Beschluß vom 7.9.2016, 1 AK 34/16
Leitsätze
1. Besondere Umstände, welche Anlass zur Durchführung einer Tatverdachtprüfung im Auslieferungsverfahren
geben könnten, liegen nicht vor, wenn sich nach vom Senat ergänzend beigezogenen Akten das Vorliegen eines
solchen Tatverdachts weder ausschließen lässt noch sich hieraus durchgreifende Widersprüche zu den
eigentlichen Auslieferungsunterlagen ergeben.
2. Ist über einen Asylantrag des Verfolgten in Deutschland noch nicht bestandskräftig entschieden, ist in der
Zulässigkeitsentscheidung sicherzustellen, dass der Verfolgte nach erfolgter Auslieferung nicht gegen seinen
Willen in den behaupteten Verfolgerstaat abgeschoben werden kann.
3. Im Rahmen der Auslieferung aufgrund eine Europäischen Haftbefehls ist die Geltendmachung eines
Rücküberstellungsvorbehalts dann nicht veranlasst, wenn der in Deutschland lebende ausländische Verfolgte
zwar nicht in sein Heimatland, sondern in einen anderen Mitgliedsstaat ausgeliefert werden soll, jedoch bei
einer Vollstreckung in diesem die Resozialisierungschancen gegenüber einer Inlandsvollstreckung nicht
verschlechtert werden (Auslieferung eines nigerianischen Asylbewerbers zur Strafverfolgung nach Spanien).
Tenor
1. Die Auslieferung des Verfolgten nach Spanien zur Strafverfolgung aufgrund des Europäischen Haftbefehls des
Amtsgerichts L. vom 22. Januar 2016 wird mit der Maßgabe für zulässig erklärt, dass der Verfolgte nicht ohne
ausdrückliche Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland aus Spanien in ein Drittland, insbesondere nach
Nigeria, aus der Haft oder innerhalb von 45 Tagen nach seiner endgültigen Freilassung, abgeschoben werden
darf.
2. Es wird festgestellt, dass die Entschließungen der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 19. Mai 2016,
15. Juli 2016, 12. August 2016 und 01. September 2016, keine Bewilligungshindernisse geltend machen zu
wollen, rechtsfehlerfrei getroffen sind.
3. Der Antrag auf Aufhebung des Auslieferungshaftbefehls des Senats vom 25. April 2016 wird zurückgewiesen.
Die Auslieferungshaft hat fortzudauern.
Gründe
I.
1 Gegen den sich seit 19.04.2016 in Auslieferungshaft befindlichen Verfolgten besteht ein Europäischer
Haftbefehl des Amtsgerichts L./Spanien vom 22.01.2016, aus welchem sich ergibt, dass gegen den
Verfolgten unter dem mit einer Höchststrafe von acht Jahren strafbewehrten Vorwurf des Menschenhandels
u.a. ein national gültiger Haftbefehl dieses Gerichts vom 22.01.2016 besteht. Der gegen den Verfolgten
erhobene Vorwurf wird im Europäischen Haftbefehl des Amtsgerichts L./Spanien vom 22.01.2016 nebst
rechtlicher Würdigung wie folgt umschrieben:
2 Wird ausgeführt:
3 Der Verfolgte hat einer vereinfachten Auslieferung nicht zugestimmt und über seine beiden Rechtsbeistände
Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Auslieferung erhoben. Diese haben für ihren Mandanten den
Tatvorwurf der Sache nach in Abrede gestellt und zunächst den Europäischen Haftbefehl des Amtsgerichts
L./Spanien vom 22.01.2016 insoweit beanstandet, als dieser sowohl bezüglich des Tatzeitraums als auch
bezüglich der Beschreibung der dem Verfolgten vorgeworfenen Straftaten allzu ungenau gehalten sei.
4 Die Generalstaatsanwaltschaft hat am 19.05.2016 beantragt, die Auslieferung für zulässig zu erklären
Zugleich hat sie entschieden, dass nicht beabsichtigt sei, Bewilligungshindernisse geltend zu machen, und
diese Entschließungen am 15.07 2016, 12.08.2016 und 01.09.2016 ergänzt, wozu den Rechtsbeiständen
durch den Senat jeweils rechtliches Gehör gewährt wurde.
5 Mit Beschluss vom 13.06.2016 hat der Senat aufgrund der Einwendungen des Verfolgten eine weitere
Aufklärung des Sachverhalts für notwendig angesehen und die spanischen Justizbehörden um Ergänzung
ihres Auslieferungsersuchens, insbesondere um Beantwortung folgender Fragen gebeten:
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1. Bezüglich welcher Frauen wird gegen den Verfolgten der Vorwurf erhoben, sie seien unrechtmäßig und
gegen ihren Willen von Nigeria nach L. verbracht worden, um dort gegen ihren Willen die Prostitution
auszuüben? Insoweit wird um die Mitteilung der Namen und der Geburtsdaten dieser Personen gebeten.
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2. Zu welchem konkreten Zeitpunkten wurden die einzelnen Frauen von Nigeria nach L. verbracht, und an
welchen Orten, zu welchen Zeitpunkten und unter welchen Arbeits- und Zahlungsbedingungen haben Sie
dann die Prostitution ausgeübt?
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3. In welcher Form und zu welchen konkreten Zeitpunkten war der Verfolgte in den Transport von näher
namentlich zu bezeichnenden Frauen von Sizilien nach L. eingebunden und wie war seine Rolle in der
Organisation?
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4. Auch wird um Mitteilung gebeten, ob der Verfolgte im Rahmen der Tätigkeit der Organisation auch in der
Bundesrepublik Deutschland gehandelt hat?
10 Hierauf ist folgende Erklärung des Ermittlungsgerichts in L./Spanien vom 30.06.2016 beim Senat
eingegangen:
11 Wird ausgeführt:
12 Daneben hat der Senat zur weiteren Konkretisierung der Tatbeschreibung im Europäischen Haftbefehl des
Amtsgerichts L./Spanien vom 22.01.2016 auch Unterlagen der Kriminalpolizei U./Deutschland, insbesondere
Vernehmungsprotokolle der Zeugin Angela S. beigezogen, welche dort im Rahmen eines
Rechtshilfeersuchens der spanischen Justizbehörden angefallen sind und auf welche wegen der Einzelheiten
verwiesen wird. Zu dem insoweit zugrunde gelegten Sachverhalt führt der Zwischenbericht des
Polizeipräsidiums U./Deutschland vom 01.03.2016 folgendes aus:
13 Wird ausgeführt:
14 Den beiden Rechtsbeiständen des Verfolgten wurde zu diesen und zu anderen beigezogenen Unterlagen
rechtliches Gehör gewährt. Sie haben sich in mehreren Schriftsätzen geäußert und dargelegt, dass der
Proband nicht in die kriminelle Aktivitäten der „Rose“ verwickelt gewesen sei; die von den spanischen
Justizbehörden insoweit vorgelegten Beweise seien „nebulös“, vielmehr ergebe sich aus der Aussage der
Angela S., dass der Verfolgte zu dieser freundlich gewesen sei und sie nie bedrängt habe. Der Verfolgte sei
unschuldig. Er habe sich zu keinem Zeitpunkt in Spanien oder Italien aufgehalten, er sei mit der „Rose“
befreundet bzw. liiert gewesen, woraus sich die fernmündlichen Kontakte zu dieser erklären ließen.
II.
15 Die Auslieferung des Verfolgten nach Spanien aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Amtsgerichts
L./Spanien vom 22.01.2016 ist zulässig, da die Auslieferungsvoraussetzungen vorliegen und
Auslieferungshindernisse nicht bestehen. Insoweit nimmt der Senat zunächst auf seinen Beschluss vom
25.04.2016 Bezug. Im Übrigen ist auszuführen:
16 1. Die Sachdarstellung des Europäischen Haftbefehls des Amtsgerichts L./Spanien vom 22.01.2016 genügt in
Verbindung mit dem Bericht des Ermittlungsgerichts in L./Spanien am 30.06.2016 sowie den Erkenntnissen
der Kriminalpolizei U./Deutschland für die Entscheidung im Zulässigkeitsverfahren den Anforderungen des §
83a Abs.1 Nr. 5 IRG. Sie enthält eine zureichende Beschreibung der Umstände, unter welchen die Straftat
begangen wurde, einschließlich der Tatzeit, des Tatortes und der Tatbeteiligung der gesuchten Person mit
der hierzu notwendigen Konkretisierung des Tatvorwurfs, die einen zureichenden Rückschluss auf das dem
Verfolgten vorgeworfene Geschehen ermöglicht (Senat StV 2007, 650; 2005, 232). Danach ist davon
auszugehen, dass der Verfolgte die von Rosemary W. vor allem in Spanien geführte Organisation des
Menschenhandels und der Zuhälterei von nigerianischen Frauen durch von Deutschland heraus begangene
Tathandlungen zumindest in zwei Fällen - hinsichtlich Angela S. sowie der unter Nr. ... geschützten Zeugin -
jedenfalls im Zeitraum von März bis August 2015 unterstützt hat, indem er vor allem auf Geheiß der
Rosemary W. („Rose“) auf die Zeuginnen durch Anrufe und Internet-Kontakte unter Androhung von
Repressalien einwirkte, um diese entweder zur Ausreise nach Spanien oder aber dort zur Fortführung der
Prostitution zu veranlassen.
17 2. Soweit der Verfolgte eine Tatbeteiligung - zuletzt in den Stellungnahmen seiner Rechtsbeistände - in
Abrede stellt, kann er hiermit im Auslieferungsverfahren nicht gehört werden.
18 a. Soweit diese die von den spanischen Justizbehörden angenommene Verwicklung des Verfolgten in die von
Rosemary W. („Rose“) vor allem in Spanien geführte Organisation des Menschenhandels und der Zuhälterei
bezweifeln und deshalb die Auslieferung für unzulässig halten, verkennen sie, dass eine Tatverdachtsprüfung
auch und gerade bei Auslieferungen aufgrund eines Europäischen Haftbefehls grundsätzlich nicht stattfindet
(Senat StV 2007, 650 und zuletzt Beschlüsse vom 10.11.2015 - 1 AK 111/14 - und 27.06.2016 - 1 AK
127/15 -; BVerfG Beschluss vom 28.07.2016 - 2 BvR 1468/16 - jeweils abgedruckt bei juris). Das deutsche
Auslieferungsverfahren ist nämlich kein Strafverfahren, sondern lediglich ein Verfahren zur Unterstützung
einer ausländischen Strafverfolgung. Es überlässt deshalb jedenfalls im vertraglichen Auslieferungsverkehr
die Prüfung des Tatverdachts dem ausländischen Verfahren und überträgt dem inländischen Richter, der
über die Zulässigkeit der Auslieferung zu befinden hat, nur die Prüfung der in den
Auslieferungsbestimmungen geschaffenen - formellen - Sicherungen gegen eine unzulässige Unterstützung
des ausländischen Verfahrens. Dem deutschem Richter ist es deshalb grundsätzlich verwehrt, bei seiner
Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung eine Prüfung des Tatverdachts (Schuldverdachts)
vorzunehmen, und zwar regelmäßig grundsätzlich auch dann, wenn er Anlass zu der Annahme hat, dass
das ausländische Gericht zu Unrecht den Tatverdacht bejaht hat (BGHSt 32, 314).
19 b. Besondere Umstände (§ 10 Abs. 2 IRG), welche ausnahmsweise eine andere Bewertung rechtfertigen
könnten, liegen nicht vor.
20 aa. Solche wären etwa anzunehmen, wenn und soweit hinreichende Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der
ersuchende Staat seinen Anspruch auf Auslieferung missbräuchlich geltend macht oder die besonderen
Umstände des Falles befürchten lassen, der Verfolgte wäre im Fall seiner Auslieferung einem Verfahren
ausgesetzt, das gegen unabdingbare, von allen Rechtsstaaten anerkannte Grundsätze und damit gegen den
völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard im Sinne des Art. 25 GG verstoßen würde, und die
Tatverdachtsprüfung darüber Aufschluss geben kann. Hiervon kann vorliegend nach Überzeugung des
Senats keine Rede sein.
21 bb. Es liegt auch kein Fall vor, in dem durch sichere und auf der Hand liegende Umstände eine Täterschaft
des Verfolgten ausgeschlossen werden kann oder aber sich das vom Verfolgten vorgebrachte Alibi aufgrund
glaubwürdiger Zeugenaussagen oder sonstiger Beweisumstände derart verdichtet hat, dass der Verfolgte die
ihm vorgeworfene Tat nicht begangen haben kann (OLG Karlsruhe StV 2007, 650; BVerfG Beschluss vom
28.07.2016 - 2 BvR 1468/16 - abgedruckt bei juris). Ob der Verfolgte sich vorliegend an der kriminellen
Organisation der Rosemary W. beteiligt und sich deshalb nach spanischem Recht strafbar gemacht hat oder
dies nicht der Fall ist, wird in einer Hauptverhandlung durch die spanischen Justizbehörden zu klären sein.
Sollte eine Beteiligung nicht nachzuweisen sein, wird er in diesem Verfahren freigesprochen werden.
22 cc. Der Senat hat auch geprüft, ob sich besondere Umstände im Sinne des § 10 Abs.2 IRG daraus ergeben
könnten, dass der Senat zur Konkretisierung des Tatvorwurfs im Wege der Rechtshilfe für die spanischen
Justizbehörden bei der Staatsanwaltschaft L./Deutschland angefallene Unterlagen und
Ermittlungsergebnisse beigezogen hat. Eine solche Fallgestaltung wäre allenfalls dann anzunehmen, wenn
sich aus diesen Unterlagen entweder das Bestehen eines Tatverdachts ausschließen lassen würde oder sich
hieraus Widersprüche zu den Auslieferungsunterlagen ergeben würden. Beides ist nicht der Fall. Wie sich
aus der Erklärung des Ermittlungsgerichts in L./Spanien am 30.06.2016 ergibt, werfen die spanischen
Justizbehörden dem Verfolgten nicht vor, die beiden Geschädigten selbst von Italien nach L./Spanien
verbracht, sondern nur auf diese fernmündlich oder über „Facebook“ eingewirkt zu haben. Insoweit besteht
kein Widerspruch zur Einlassung des Verfolgten, zu keinem Zeitpunkt in Spanien oder Italien gewesen zu
sein. Jedoch ergeben sich aus den Angaben der Angela S. bei ihren polizeilichen Vernehmungen vom
13.01.2016 und 26.01.2016 vor dem Polizeipräsidium A./Deutschland, auf welche wegen der Einzelheiten
verwiesen wird, durchaus Hinweise, dass zwar nicht sie persönlich, sondern ihre Freundin „Mercy“ vor der
Ausreise aus Nigeria Kontakt zum Verfolgten hatte und der Verfolgte auch in Spanien mit der Zeugin
telefoniert und sie davor gewarnt hat, sich wie „Mercy“ dem Einfluss der Rosemary W. durch Flucht zu
entziehen. Bei dieser Sachlage kann jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, nach den vom Senat
beigezogenen Unterlagen lasse sich jeder Tatverdacht ausschließen oder hieraus ergäben sich
durchgreifende Widersprüche zu den Auslieferungsunterlagen. Ob diese Dokumente die Annahme eines
strafbewehrten Tatverdachts rechtfertigen, hat der Senat nicht zu prüfen, vielmehr wird diese Aufgabe den
spanischen Justizbehörden obliegen.
23 3. Da die spanischen Justizbehörden die dem Verfolgten vorgeworfenen Straftaten nachvollziehbar als
Katalogtaten nach § 81 Abs.4 IRG i.V.m. Art. 2 Abs.2 RbEuHb (Menschenhandel) bezeichnet haben, ist das
Vorliegen der beiderseitigen Strafbarkeit nicht zu prüfen. Da es sich insoweit um die gleiche prozessuale Tat
handelt, wird hiervon auch der Vorwurf des Verstoßes gegen Art. 187 des spanischen Strafgesetzbuches
erfasst, zumal die dem Verfolgten vorgeworfene Unterstützung auch nach deutschem Recht zumindest als
Vergehen nach §§ 232, 181a, 27 StGB strafbar wäre.
24 4. Auslieferungshindernisse liegen nicht vor.
25 a. Soweit der Verfolgte von seiner in G/Deutschland lebenden Tochter zeitweise getrennt werden wird,
rechtfertigt dies die Annahme eines Auslieferungshindernisses im Sinne von § 73 Satz 2 IRG nicht, da eine
solche ohnehin nur zeitweise Trennung keinen außergewöhnlichen Härtefalls darstellt, welche den
Kernbestand der sich aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ergebenden Garantie der Achtung seines Privat- und
Familienlebens verletzen könnte, zumal der Verfolgte zu seiner Tochter auch kaum Kontakte unterhält.
26 b. Auch ergibt sich kein Auslieferungshindernis aus § 6 Abs.2 IRG. Zwar hat der Verfolgte im Jahre 2013 in
der Bundesrepublik Deutschland einen Antrag auf Gewährung politischen Asyls gestellt, über welchen
bislang durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht entschieden ist. Er wird vorliegend jedoch
nicht in sein Geburtsland Nigeria, sondern nach Spanien überstellt, wo ihm keine politische Verfolgung
droht.
27 Jedoch war sicherzustellen, dass er von dort aus nicht gegen seinen Willen nach Nigeria oder einen anderen
Drittstaat abgeschoben werden kann, bevor im deutschen Asylverfahren rechtskräftig entschieden ist.
Insoweit war es ausreichend, die Zulässigkeitsentscheidung - wie aus der Beschlussformel ersichtlich - mit
der Einschränkung zu versehen, dass eine solche nicht ausschließbare Maßnahme der spanischen Behörden
von der Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland abhängt, mithin also insoweit vom bestandskräftigen
Ausgang des Asylverfahrens beeinflusst wird. Insoweit wird es darauf ankommen, ob der Verfolgte ohne das
spanische Auslieferungsersuchen von Deutschland nach Nigeria ausgewiesen bzw. abgeschoben werden
könnte bzw. hätte werden können oder ihm in irgendeiner Form ein Bleiberecht in der Bundesrepublik
Deutschland zuerkannt werden müsste.
28 c. Dem Verfolgten droht im Falle seiner Auslieferung auch keine unerträglich harte oder schlechterdings
unter jedem denkbaren Gesichtspunkt unangemessene Strafe (BVerfGE 75, 1, 16). Die Vorschrift des § 177
Abs.1 des spanischen Strafgesetzbuches (Menschenhandel) sieht für die dem Verfolgten vorgeworfene
Straftat eine Regelstrafrahmen zwischen fünf und acht Jahren vor, welcher unbeschadet der Möglichkeit von
Milderungen zwar in der Untergrenze den Strafrahmen des § 232 StGB übersteigt, nicht aber in der
Obergrenze, so dass gegen den Verfolgten insgesamt gesehen keine vollkommen unangemessene und in
Anbetracht der Schwere des Tatvorwurfs unerträglich harte Straferwartung besteht.
III.
29 Die vom Senat nach § 79 Abs. 2 Satz 3 IRG zu überprüfenden Entschließungen der
Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe, auf welche wegen der Einzelheiten verwiesen wird, vom 19.05.2016,
15.07.2016, 12.08.2016 und 01.09.2016, keine Bewilligungshindernisse geltend machen zu wollen, sind
rechtsfehlerfrei getroffen. Sie ermöglichen dem Senat die gebotene Überprüfung, ob die Bewilligungsbehörde
die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 83b IRG zutreffend beurteilt hat und sich bei Vorliegen von
Bewilligungshindernissen des ihr eingeräumten Ermessens unter Berücksichtigung aller in Betracht
kommender Umstände des Einzelfalles bewusst war. In die Ermessensabwägung wurden keine die
Entscheidung maßgeblich beeinflussenden unzulässigen Erwägungen eingestellt. Die wesentlichen
Gesichtspunkte wurden ausdrücklich bedacht und die aufgeführten und erkannten Gesichtspunkte
abwägend gegenübergestellt (Senat NJW 2007, 2567 und NStZ-RR 2008, 376).
30 a. Nach § 83b Abs. 2 Satz 1 lit. a IRG kann die Bewilligung der Auslieferung eines Ausländers, der im Inland
seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, abgelehnt werden, wenn bei einer Auslieferung zum Zwecke der
Strafverfolgung die Auslieferung eines Deutschen gemäß § 80 Abs. 1 und Abs. 2 IRG nicht zulässig wäre.
31 Zu Recht geht die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe in ihrer Entschließung vom 19.05.2016 zunächst
davon aus, dass der Verfolgte im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat und die Auslieferung eines
Deutschen auch grundsätzlich zulässig wäre. Zwar kann entgegen der diesbezüglichen Bewertung der
Generalstaatsanwaltschaft nicht davon ausgegangen werden, dass die Taten des Verfolgten einen
maßgeblichen Auslandsbezug aufweisen, zumal er selbst angibt, zu keinem Zeitpunkt in Spanien gewesen
zu sein. Jedoch ergibt sich aus den vorliegenden Auslieferungsunterlagen durchaus, dass er die kriminellen
und ihm zurechenbaren Aktivitäten der Rosemary W. aus Deutschland heraus unterstützt hat und er sich
deren Handlungen anrechnen lassen muss (Senat NJW 2007, 2567), so dass nach §§ 80 Abs.2 IRG i.V.m. §
83 b Abs.2 Satz 1 lit. a. IRG als „Mischfall“ auch die Auslieferung eines Deutschen zulässig wäre. Im Übrigen
wäre die Entschließung der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe auch dann nicht als rechtsfehlerhaft zu
bewerten, wenn insoweit von einem maßgeblichen Inlandsbezug ausgegangen werden müsste, da § 83 b
Abs.2 Satz 1 lit. a IRG in einem solchen Fall der Bewilligungsbehörde lediglich die Möglichkeit eröffnet, die
Bewilligung nach ihrem Ermessen auch ablehnen zu können (Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, IRG, 6.
Auflage 2012, § 83 c Rn. 35). Anders als bei deutschen Staatsangehörigen besteht insoweit kein zwingendes
Auslieferungs- bzw. Bewilligungshindernis. Insoweit ist die von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer
Entschließung vom 19.05.2016 vorgenommene Abwägung nebst den im Hinblick auf die beigezogenen
Unterlagen notwendigen Ergänzungen derselben im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zu Recht geht die
Bewilligungsbehörde davon aus, dass die notwendigen Beweismittel für die dem Verfolgten vorgeworfenen
Straftaten weitgehend in Spanien vorhanden sind, wo die kriminelle Organisation der Rosemary W. tätig
war und die nigerianischen Frauen zur Prostitution gezwungen wurden. Dass schutzwürdige Belange des
Verfolgten im Sinne des § 80 Abs. 2 Nr. 3 IRG i.V.m. § 83 b Abs. 2 Satz 1 lit. a IRG seiner Auslieferung
entgegenstehen könnten, vermag der Senat nicht zu erkennen, vielmehr bedarf die dem Verfolgten
vorgeworfene Straftat einer sachgerechten strafrechtlichen Bewertung und im Falle des Tatnachweises einer
Ahndung. Auch wenn er nur durch Telefonate und Facebook-Aktivitäten aus Deutschland heraus gehandelt
haben sollte, hat er eine in Spanien agierende kriminelle Organisation mit verschiedenen Netzwerken aktiv
unterstützt, so dass er nicht darauf vertrauen durfte, für sein Handeln sich nicht auch in Spanien
verantworten zu müssen.
32 Die Entschließung hält sich im Ergebnis auch noch insoweit in den Grenzen des der Bewilligungsbehörde
nach § 83 b Abs. 2 Satz 1 lit.a IRG eingeräumten Ermessens, als diese von der Geltendmachung eines
Rücküberstellungsvorbehalts abgesehen hat. Bei dieser Entscheidung hat sie grundsätzlich zu bedenken und
zu prüfen, ob ein Verfolgter angesichts seiner familiären und sozialen Einbindung im Inland ein berechtigtes
Interesse daran hat, nur ausgeliefert zu werden, wenn gesichert ist, dass er nach Verhängung einer
rechtskräftigen Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion auf seinen Wunsch nach Deutschland zurück
überstellt werden wird (BT-Drucks. 16/2015, S. 33). Maßgeblicher Ansatzpunkt ist dabei neben der
Resozialisierung des Täters vor allem der nach Art. 6 GG zu berücksichtigende Schutz von Ehe und Familie
(vgl. BT-Drucks. 16/1024, S. 10, 11). Auch die Dauer des Aufenthalts des Verfolgten in der Bundesrepublik
Deutschland und die Intensität der hier bestehenden Kontakte ist zu berücksichtigen, wobei insoweit der
Rahmenbeschluss 2008/909/JI des Rates vom 27.11.2008 über die Anwendung des Grundsatzes der
gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Sanktion oder
Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke der Vollstreckung in der Europäischen Union (ABL. L. 327 vom
05.12.2008, S. 27) mit zu berücksichtigen ist. Insoweit liegt es auf der Hand, dass die schutzwürdigen
Belange eines Verfolgten, eine von einem EU-Mitgliedstaat ggf. verhängte Strafe in der Bundesrepublik
Deutschland verbüßen zu können, bei einem seit vielen Jahren lebenden und gesellschaftlich integrierten
ausländischen Mitbürger anders zu gewichten ist als bei einem Verfolgten, der sich erst seit kurzem in der
Bundesrepublik Deutschland aufhält (vgl. hierzu Senat NStZ-RR 2008, 376; ders. Beschluss vom 07.12.2012
-1 AK 65/12 -).
33 Insoweit hat die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vorliegend durchaus gesehen und bedacht, dass der
Verfolgte seit mehr als drei Jahren in der Bundesrepublik Deutschland lebt und hier vor seiner Inhaftierung
über eine feste Arbeitsstelle verfügte. Auch muss gesehen werden, dass er nicht in sein Heimatland, sondern
nach Spanien in ein Drittland ausgeliefert werden wird, zu welchem er keine Beziehungen aufbauen konnte.
Jedoch geht die Generalsstaatsanwaltschaft zu Recht davon aus, dass hierdurch die
Resozialisierungschancen des in Deutschland weitgehend bindungslosen Asylbewerbers nicht verschlechtert
werden, zumal dieser der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist und schon daran im Inland eine
Eingliederung während des Strafvollzuges voraussichtlich scheitern wird. Der Verfolgte lebt auch noch nicht
seit fünf Jahren ununterbrochen in der Bundesrepublik Deutschland, so dass sich die Frage stellen könnte, ob
allein die Dauer seines Aufenthalts ausreicht, um einen zureichenden indiziellen Schluss auf eine
ausreichende Integration im Inland zu rechtfertigen (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 16.04.2013 - 1 AK
19/13 - und EuGH, Urteil vom 05.09.2012, C - 42/11 - Lopes da Silva Jorge - NJW 2013, 141, ders., Urteil
vom 06.10.2009, C - 123/08 - Wolzenburg - NJW 2010, 283; siehe hierzu auch den Rahmenbeschluss
2008/909/Ji des Rates vom 27.11.2008). Schließlich führt auch der Umstand, dass der Verfolgte nur im
Inland gehandelt haben dürfte, im Ergebnis zu keiner anderen Bewertung und rechtfertigt nicht die
Annahme, die Bewilligungsbehörde habe mit der Nichtgeltendmachung eines Rücküberstellungsvorbehalts
die Grenzen des ihr in § 83b Abs. 2 Satz 1 lit. a) eingeräumten Ermessens überschritten.
34 b. Im Ergebnis rechtsfehlerfrei ist auch die Entschließung vom 15.07.2016, in welcher die
Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe die Geltendmachung eines Bewilligungshindernisses nach § 83 b Abs.1
lit. b IRG abgelehnt hat. Nach dieser Vorschrift kann die Bewilligung der Auslieferung abgelehnt werden,
wenn von der Einleitung eines strafrechtlichen Verfahrens im Inland wegen derselben Tat, die dem
Auslieferungsersuchen zugrunde liegt, abgesehen wurde. Insoweit wird zutreffend erkannt, dass
unbeschadet der rechtlichen Qualifizierung als aus dem Inland begangener Beihilfe nach § 6 Nr. 4 StGB auch
für eine reine Auslandstat des Menschenhandels die deutsche Strafbarkeit begründet wäre, jedoch zu Recht
darauf abgestellt, dass ein solches Strafverfahren nicht in der Bundesrepublik Deutschland sachgerecht
geführt werden könnte, da sich mit Ausnahme einer im Wege der Rechtshilfe für die spanischen
Justizbehörden schon in Deutschland vernommenen Zeugin alle Beweismittel in Spanien befinden, wo die
Frauen auch zur Prostitution gezwungen wurden und die Haupttäterin Rosemary W. gehandelt hat. Diese
Bewertung rechtfertigt sich auch daraus, dass der Verfolgte ausweislich der Erklärung des
Ermittlungsgerichts in L./Spanien vom 30.06.2016 sogar einen Geldbetrag in Höhe von 1.000 EUR für deren
Unterstützung erhalten haben soll.
35 Die Entschließung der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 15.07.2016 enthält auch keine
Sachprüfung, so dass kein Auslieferungshindernis hiermit verbunden wäre (vgl. EuGH StraFo 2016, 282).
Schließlich bestehen auch keine Anhaltspunkte, dass der Verfolgte, was ohnehin nicht Gegenstand des
Auslieferungsersuchens ist, nach der Flucht der Rosemary W. sowie der Angela S. von Spanien in die
Bundesrepublik Deutschland sich durch Unterstützung derselben wegen einer Inlandsstraftat strafbar
gemacht haben könnte, so dass auch dies der Entschließung vom 15.07.2016 nicht entgegensteht
IV.
36 Der des Rechtsbeistandes im Schriftsatz vom 30.08.2016 auf Aufhebung des Haftbefehls vom 25.04.2016
wird zurückgewiesen. Im Falle einer Verurteilung durch die spanischen Justizbehörden droht dem Verfolgten
vorliegend eine nicht unerhebliche Freiheitsstrafe, so dass es als überwiegend wahrscheinlich anzusehen ist,
dass sich dieser der nunmehr für zulässig erklärten Auslieferung durch Flucht ins Ausland oder durch
Untertauchen in die Illegalität im Inland zu entziehen suchen wird.