Urteil des OLG Karlsruhe vom 11.07.2012

OLG Karlsruhe: wirtschaftliches interesse, positive feststellungsklage, abschlag, insolvenz, hauptsache, verkehrswert, bauunternehmen, gesellschaft, ermessen, liquidator

OLG Karlsruhe Beschluß vom 11.7.2012, 9 W 15/12
Streitwertfestsetzung bei einer positiven Feststellungsklage: Vorstellung des Klägers als
maßgebliche Grundlage der Streitwertbemessung
Leitsätze
1. Für den Streitwert einer positiven Feststellungsklage kommt es darauf an, in welcher Höhe
Ansprüche gegen den Beklagten in Betracht kommen. Maßgeblich für die Schätzung sind allein
die Angaben, die der Kläger seiner Klage zu Grunde legt.
2. Es spielt für die Wertfestsetzung keine Rolle, ob die Vorstellungen des Klägers realistisch
sind. Die Angaben des Klägers bleiben auch dann für den Streitwert der positiven
Feststellungsklage maßgeblich, wenn er völlig überzogene Vorstellungen von den möglichen
Ansprüchen hat.
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten Ziff. 1 - 13 (Beschwerdeführer) gegen die Streitwertfestsetzung
im Beschluss des Landgerichts Freiburg vom 19.12.2011 - 5 O 176/10 - wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
1
Die Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, betrieb über viele Jahre ein
Bauunternehmen. Die Klägerin ist heute insolvent. Ein Insolvenzantrag wurde mangels
Masse abgewiesen. Die Tätigkeit des Bauunternehmens ist eingestellt.
2
Im Verfahren vor dem Landgericht hat die Klägerin, vertreten durch einen Liquidator,
Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten geltend gemacht. Bei einem größeren
Bauvorhaben sei eine Werklohnforderung von den Beklagten trotz Fälligkeit nicht bezahlt
worden. Die Pflichtverletzung der Beklagten sei entscheidend gewesen für die Insolvenz
der Klägerin. Die Beklagten seien unter dem Gesichtspunkt des Verzugs verpflichtet, der
Klägerin den durch die Insolvenz entstandenen Schaden zu ersetzen. Die genaue Höhe
des Schadens lasse sich derzeit noch nicht beziffern. Als Anhaltspunkt für die Höhe des
Schadens könne man von dem Wert ausgehen, den das Bauunternehmen bis zur
Einstellung der Tätigkeit gehabt habe. Das Unternehmen habe vor der Insolvenz über
einen Zeitraum von mehreren Jahren einen kalkulatorischen Unternehmerlohn in Höhe
von 8.000,00 EUR/Monat erwirtschaftet. Bei einer Hochrechnung mit einem bestimmten
Zinsfuß ergebe sich ein Verkehrswert des Unternehmens von 1.066.666,00 EUR. Die
Klägerin hat beantragt, festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin
den durch die Insolvenzanmeldung - als Folge der ausgebliebenen Werklohnzahlung -
entstandenen Schaden zu ersetzen.
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Das Landgericht hat mit Urteil vom 02.12.2011 die Klage abgewiesen. Etwaige
Ansprüche der Klägerin auf Schadensersatz seien jedenfalls verjährt. Mit Beschluss vom
19.12.2011 hat das Landgericht den Streitwert auf 700.000,00 EUR festgesetzt.
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Gegen die Streitwertfestsetzung richtet sich die Beschwerde der Beklagten Ziff. 1 - 13. Sie
halten einen Streitwert von lediglich 5.000,00 EUR für angemessen. Die von der Klägerin
angegebenen Vorstellungen zu möglichen Schadensersatzforderungen könne man der
Streitwertfestsetzung nicht zu Grunde legen. Denn die Vorstellungen der Klägerin seien
völlig unrealistisch. Das Unternehmen der Klägerin habe vor dem Insolvenzantrag -
entgegen den Ausführungen der Klägerin - keinen nennenswerten Wert gehabt. Vielmehr
sei der Substanzwert des Unternehmens mit 0,00 EUR anzusetzen. Zudem seien die
Vorwürfe, welche die Klägerin gegenüber den Beklagten zur Begründung ihrer Forderung
erhoben habe, vollkommen unverständlich.
5
Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Beteiligten hatten im
Beschwerdeverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Klägerin, die inzwischen
Berufung gegen das Urteil des Landgerichts eingelegt hat, hält an ihrer Auffassung fest,
wonach die geltend gemachten Schadensersatzforderungen auch der Höhe nach
realistisch seien.
II.
6
Die zulässige Beschwerde der Beschwerdeführer ist nicht begründet. Zu Recht hat das
Landgericht den Streitwert auf 700.000,00 EUR festgesetzt.
7
1. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 48 Abs. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO. Das dem
Gericht nach § 3 ZPO obliegende Ermessen hat das Landgericht zutreffend ausgeübt.
8
a) Entscheidend im Rahmen von § 3 ZPO ist das wirtschaftliche Interesse des Klägers,
welches er mit seiner Klage verfolgt. Denn es ist grundsätzlich allein der Kläger, der durch
einen bestimmten Antrag und durch die Begründung des Antrags den Gegenstand des
Rechtstreits bestimmt. Dieser, allein vom Kläger bestimmte, Streitgegenstand ist für den
Streitwert maßgeblich. Es kommt daher für den Streitwert auch nur auf die Angaben des
Klägers an, mit denen er seine Klage begründet (vgl. zu den Grundsätzen der
Streitwertfestsetzung im Rahmen von § 3 ZPO Zöller/Herget, ZPO, 29. Auflage 2012, § 3
ZPO, Rdnr. 2).
9
b) Der Streitwert einer Feststellungsklage bestimmt sich daher im Ausgangspunkt danach,
welche Ansprüche aus der Sicht des Klägers möglicherweise von dem
Feststellungsantrag umfasst werden (vgl. Zöller/Herget a. a. O., § 3 ZPO, Rdnr. 16
"Feststellungsklagen"). Nach den Angaben der Klägerin stehen im vorliegenden
Rechtstreit Schadensersatzansprüche in einer Größenordnung von 1.066.666,00 EUR im
Raum, da dies dem Wert des Unternehmens der Klägerin vor der Insolvenz entspreche.
Bei einer positiven Feststellungsklage wird bei der Wertfestsetzung in der
Rechtsprechung üblicherweise ein prozentualer Abschlag von den in Betracht
kommenden Ansprüchen vorgenommen. Mit diesem Abschlag wird dem Gesichtspunkt
Rechnung getragen, dass die angegebenen Ansprüche im Hinblick auf den
Feststellungsantrag nur mit gewissen Unsicherheiten geschätzt werden. Außerdem wird
durch den Abschlag berücksichtigt, dass Zweifel bei der Realisierbarkeit der Ansprüche
bestehen können. Die Rechtsprechung nimmt in vielen Fällen bei der Bewertung von
positiven Feststellungsklagen einen Abschlag von lediglich 20 % vor (vgl. Zöller/Herget a.
a. O. m. Rechtsprechungsnachweisen). Bei der Wertfestsetzung von 700.000,000 EUR
hat das Landgericht demgegenüber einen Abschlag von den in Betracht kommenden
Ansprüchen von ca. 1/3 als angemessen erachtet. Es ist insoweit nicht zu beanstanden,
wenn das Landgericht die bei der Schadensschätzung der Klägerin bestehenden
Ungewissheiten etwas höher eingeschätzt hat als bei anderen Feststellungsklagen.
10 2. Für den Streitwert spielt es keine Rolle, dass die Beklagten die von der Klägerin
angegebenen Zahlen zum Verkehrswert der Bauunternehmung vor der Insolvenz für
völlig überhöht halten. Bei einer Entscheidung über die Hauptsache kann es zwar - wenn
die übrigen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs gegeben sein sollten - auf
den tatsächlichen Wert des Unternehmens ankommen. Das bedeutet, dass bei einer
Entscheidung über die Hauptsache die abweichenden
11 Angaben der Beschwerdeführer zum Wert des Unternehmens ggf. zu berücksichtigen
wären. Da der für die Gebührenabrechnungen maßgebliche Streitwert sich jedoch nur
nach dem Interesse der Klägerin richtet (siehe oben), ist bei der Wertfestsetzung nicht zu
prüfen, wessen Angaben zum Wert des Unternehmens zutreffen. Die abweichenden
Angaben der Beklagten bleiben für die Wertfestsetzung außer Betracht (vgl. Zöller/Herget
a. a. O., § 3 ZPO, Rdnr. 2).
12 3. Es kommt für den Streitwert auch nicht darauf an, ob und inwieweit die Vorstellungen
der Klägerin, die sie mit ihrer Klage verfolgt, realistisch sind, oder ob die Vorwürfe der
Klägerin gegenüber den Beklagten "völlig unverständlich" sind. Solche Überlegungen
können zwar für die Wertfestsetzung bei einer negativen Feststellungsklage eine Rolle
spielen (vgl. OLG Koblenz, MDR 1996, 103; OLG Dresden, JurBüro 2004, 141;
Zöller/Herget a. a. O., § 3 ZPO, Rdnr. 16 "Feststellungsklagen"). Bei einer negativen
Feststellungsklage ist für die Wertfestsetzung das Interesse des Klägers maßgeblich, der
mit seiner Feststellungsklage die Geltendmachung bestimmter Ansprüche des Beklagten
bekämpft. Zwar wird in diesen Fällen für den Streitwert in der Regel der volle Wert der
bestrittenen Forderung des Beklagten angesetzt. Es erscheint jedoch gerechtfertigt,
hiervon dann einen unter Umständen auch deutlichen Abschlag zu machen, wenn es sich
um eine "Phantasieforderung" des Beklagten handelt. Denn dann ist das Risiko des
Klägers, von dem Beklagten in Anspruch genommen zu werden, ohnehin sehr gering.
Dies bedeutet, dass auch sein wirtschaftliches Interesse an der Erhebung der negativen
Feststellungsklage entsprechend geringer ist. Das ist der entscheidende Gesichtspunkt,
der bei einer negativen Feststellungsklage zu einer Reduzierung des Streitwerts führen
kann.
13 Diese Überlegungen sind auf eine positive Feststellungsklage jedoch nicht übertragbar.
Denn entscheidend für die Wertfestsetzung ist alleine die Sichtweise des jeweiligen
Klägers (siehe oben). Wenn eine Klägerin - wie vorliegend – ernsthaft der Auffassung ist,
ihr stehe eine bestimmte Forderung zu, kann nur diese der Klage zu Grunde gelegte
Auffassung den Wert der Feststellungsklage bestimmen. Auf die Frage, ob die
Vorstellungen der Klägerin realistisch oder möglicherweise völlig überzogen sind, kann
es im vorliegenden Fall - anders als bei einer negativen Feststellungsklage - mithin nicht
ankommen (ebenso Zöller/Herget a. a. O., § 3 ZPO, Rdnr. 16 "Feststellungsklagen").
14 4. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten des
Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).