Urteil des OLG Karlsruhe vom 11.09.2006
OLG Karlsruhe (kläger, tatsächliche vermutung, leibrente, vereinbarung, gegen die guten sitten, abschluss des vertrages, urkunde, ehefrau, zpo, leistungsfähigkeit)
OLG Karlsruhe Urteil vom 11.9.2006, 20 UF 164/05
Nichtigkeit eines den unterhaltspflichtigen Ehegatten überfordernden Ehevertrages
Leitsätze
Zur Sittenwidrigkeit einer ehevertraglichen Regelung, mit der sich der voraussichtlich unterhaltspflichtige Ehegatte
für den Fall der Ehescheidung zur Zahlung einer Leibrente verpflichtet.
Für die Beurteilung der Frage, ob eine solche Vereinbarung zu einer einseitigen und nicht gerechtfertigten
Lastenverteilung führt, sind die das gesetzliche Leitbild des Ehegattenunterhalts maßgeblich prägenden
Grundsätze der Halbteilung und der Rücksichtnahme auf die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners
maßgebend.
Für eine tatsächliche Störung der Verhandlungsparität bei Abschluss des Ehevertrages spricht eine tatsächliche
Vermutung, wenn die Parteien eine evident einseitig belastende ehevertragliche Regelung getroffen haben, ohne
dass hierfür ein nachvollziehbarer Grund erkennbar ist.
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Bruchsal vom 14. Oktober
2005 - 3 F 188/05 - abgeändert:
Es wird festgestellt, dass der Beklagten keine Ansprüche auf Zahlung einer Leibrente gegen den Kläger aus Ziffer
7 der notariellen Urkunde des Notars Z., Notariat K., 9 UR 2295/1999, zustehen. Die Regelung in Ziffer 7 der
genannten notariellen Urkunde ist nichtig.
Die Beklagte wird verurteilt, die ihr erteilte vollstreckbare Ausfertigung der vorgenannten notariellen Urkunde an
den Kläger herauszugeben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten beider Instanzen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der
Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer durch Ehevertrag vom Kläger zu Gunsten der Beklagten
übernommenen Leibrentenverpflichtung.
2
Der im Jahr 1962 geborene Kläger und die im Jahr 1953 geborene Beklagte schlossen am 12. Dezember 1997
die Ehe. Am 24. November 1999 schlossen sie einen notariell beurkundeten Ehevertrag, welcher in Ziffer 7
einen Unterhaltsverzicht für den Fall der Ehescheidung sowie die Verpflichtung des Klägers zur Zahlung einer
Leibrente an die Beklagte enthält. Die Regelung lautet:
3
Im Hinblick auf den Altersunterschied zwischen den Eheleuten regeln die Eheleute einen etwaigen
nachehelichen Unterhaltsanspruch der Ehefrau durch eine Leibrente.
4
Für den Fall der Ehescheidung verzichten die Eheleute gegenseitig völlig auf jeden gesetzlichen Unterhalt und
nehmen diesen Verzicht wechselseitig an.
5
Als Abfindung für ihren Verzicht erhält die Ehefrau die folgende Leibrente. Für diese Leibrente wird die
entsprechende oder ergänzende Anwendung der gesetzlichen Vorschriften über den nachehelichen Unterhalt
ausdrücklich ausgeschlossen. Die Leibrente ist monatlich am 15. eines jeden Monats zu entrichten und beläuft
sich auf monatlich 1.300 DM. Diese Leibrente erlischt mit dem Tode der Ehefrau. Die erlischt weiter mit Beginn
des ersten Monats, an dem die Ehefrau Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht. Ferner
ruht der Anspruch auf Leibrente, sobald und solange die Ehefrau Einkünfte aus einer Vollerwerbstätigkeit
bezieht.
6
Verändert sich der Preisindex aller privaten Haushalte für ganz Deutschland, festgestellt vom statistischen
Bundesamt, Basis 1991 = 100, gegenüber den im Monat dieses Vertragsabschluss gültigen Index, so erhöht
oder ermäßigt sich der Rentenbetrag entsprechend. Eine Anpassung findet jedoch nur statt, wenn sich eine
Veränderung dieses Index von mehr als 10% eingestellt hat, wobei jeweils von der letzten Anpassung zu
Grunde liegenden Indexzahl auszugehen ist. Die Rente erhöht oder ermäßigt sich ab dem der Anpassung
folgenden Monatsfünfzehnten. Rückwirkende Anpassung kann nicht verlangt werden. Weiter gehende
Anpassungen finden nicht statt. Insbesondere wird die Änderungsklage nach § 323 ZPO ausdrücklich
ausgeschlossen.
7
Der Ehemann unterwirft sich wegen der Verpflichtung zur Zahlung obiger wertgesicherter Rente der sofortigen
Zwangsvollstreckung aus dieser Urkunde in sein gesamtes Vermögen.
8
Die Ehefrau verpflichtet sich jedoch ihrerseits, im Falle einer Ehescheidung sich nach Kräften um eine
Vollerwerbstätigkeit als Bürokauffrau oder um eine vergleichbare Tätigkeit zu bemühen.
9
Wegen des weiteren Vertragsinhalts wird auf die bei den Akten befindliche Ablichtung Bezug genommen (AS I
13 ff.).
10 Die Ehe wurde durch Urteil vom 9. April 2002 rechtskräftig geschieden.
11 Der Kläger hat Klage erhoben auf Feststellung, dass die notarielle Vereinbarung bezüglich der Leibrenten- oder
Unterhaltsansprüche gegen den Kläger nichtig ist. Er hat die Klage weiter gerichtet auf Herausgabe der
vollstreckbaren Ausfertigung der notariellen Urkunde. Hilfsweise hat er Vollstreckungsgegenklage gegen die
notarielle Urkunde, höchst hilfsweise Abänderungsklage mit dem Ziel des Wegfalls seiner Verpflichtung mit
sofortiger Wirkung erhoben.
12 Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom 14. Oktober 2005 abgewiesen. Wegen der Einzelheiten zum
erstinstanzlichen Sachvortrag der Parteien sowie zu Inhalt und Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung
einschließlich der dort getroffenen tatsächlichen Feststellungen wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe
dieses Urteils Bezug genommen.
13 Der Kläger hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Er trägt vor, er sei von der Beklagten veranlasst
worden, den notariell beurkundeten Ehevertrag abzuschließen. Die Vereinbarung sei sittenwidrig und nichtig.
Durch die Vereinbarung würden die 5 in der Türkei lebenden Kinder des Klägers gravierend benachteiligt.
Diesen stünden Unterhaltsansprüche nach dem türkischen Zivilgesetzbuch zu. Das älteste Kind sei bei
Vertragsschluss erst 13 Jahre alt gewesen. Darauf, ob und in welcher Höhe der Kläger tatsächlich
Kindesunterhalt gezahlt habe oder zahle, komme es nicht an. Nach seinen Einkommensverhältnisse bei
Abschluss des Vertrages sei es dem Kläger nicht möglich gewesen, die Unterhaltsansprüche seiner Kinder und
die Verpflichtung gegenüber der Beklagten aus dem notariellen Vertrag gleichzeitig zu erfüllen. Eine erhebliche
Verbesserung seiner Einkommens- oder Vermögensverhältnisse sei nicht zu erwarten gewesen.
Demgegenüber sei die Beklagte nicht schutzwürdig. Sie sei in der Lage, ihren Unterhalt aus eigenem
Einkommen zu finanzieren. Schon während der Trennungszeit seien die ihr zustehenden Unterhaltsansprüche
weit geringer gewesen als die vereinbarte Leibrente.
14 Der Kläger beantragt:
15 1. Das Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts Bruchsal vom 14. Oktober 2005 - 3 F 188/05 - wird
aufgehoben.
16 2. Es wird festgestellt, dass der Beklagten keine Leibrenten- oder Unterhaltsansprüche gegen den Kläger aus
der Urkunde Nr. 9 UR 2295/1999 des Notars Z. vom 24. November 1999 zustehen. Die notarielle Vereinbarung
vom 24. November 1999 ist insoweit nichtig.
17 3. Die Beklagte wird verurteilt, die vollstreckbaren Ausfertigung dieser Urkunde an den Kläger herauszugeben.
18 Hilfsweise:
19 4. Die Zwangsvollstreckung aus der Urkunde des Notars Z. vom 24. November 1999 - 9 UR 2295/1999 - wird
bezüglich der Leibrente bzw. des Unterhaltsanspruchs der Beklagten für unzulässig erklärt, jedenfalls mit
sofortiger Wirkung.
20 Höchst hilfsweise:
21 5. Die Urkunde des Notars Z. vom 24. November 1999, 9 UR 2295/1999 wird dahingehend abgeändert, dass
eine Leibrentenverpflichtung des Klägers bzw. eine Unterhaltsverpflichtung mit sofortiger Wirkung entfällt.
22 Die Beklagte beantragt,
23 die Berufung zurückzuweisen.
24 Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil. Die Initiative zum Abschluss des Ehevertrages sei vom Kläger
ausgegangen, nachdem es mehrfach zu gewalttätigen Übergriffen des Klägers gekommen sei. Eine
Berücksichtigung der 5 Kinder des Klägers scheide aus, da er bereits während der Ehe nur geringfügige Mittel
für diese aufgewandt habe. Der Kläger habe nie selbst für die Kinder gesorgt. Lediglich das auf Veranlassung
der Beklagten beantragte Auslandskindergeld sei mit einer geringfügigen Aufstockung den Kindern in der Türkei
zugeleitet worden. Existenz und Geburtsdaten der Kinder würden vorsorglich bestritten, desgleichen das
Bestehen von Unterhaltsansprüchen der Kinder nach türkischem Recht. Mit seinem Nettoeinkommen bei
Vertragsschluss in Höhe von etwa 3.000 DM netto monatlich habe der Kläger neben dem Anspruch der
Beklagten auch etwaige zusätzliche Unterhaltsansprüche erfüllen können. Die Beklagte sei bereits während der
Ehe krank und arbeitslos gewesen. Eine Vollerwerbstätigkeit sei ihr aus gesundheitlichen Gründen nicht
möglich.
25 Wegen der weiteren Einzelheiten zum Parteivortrag wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
26 Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.
27 1. Die Klage ist zulässig. Dies gilt auch für die vom Kläger als Klageantrag Ziffer 1 erhobene
Feststellungsklage gem. § 256 Abs. 1 ZPO. Sie ist gerichtet auf Feststellung des Nichtbestehens eines
Rechtsverhältnisses. Das Feststellungsinteresse des Klägers beruht auf der fortgesetzten Geltendmachung
der streitgegenständlichen Ansprüche durch die Beklagte. Die dem Kläger ebenfalls mögliche (allerdings
vorliegend lediglich hilfsweise erhobene) Vollstreckungsabwehrklage gem. §§ 795, 797 Abs. 4, 767 ZPO ist
nicht vorrangig, da Gegenstand der Vollstreckungsgegenklage lediglich die Vernichtung der Vollstreckbarkeit,
nicht aber die Feststellung des Nichtbestehens des Anspruchs selbst, ist (vgl. BGH NJW 1995, 3318).
28 2. Die Feststellungsklage ist - in der aus dem Tenor ersichtlichen konkretisierenden Formulierung - begründet,
da der Beklagten keine Ansprüche aus der Vereinbarung in Ziffer 7 des notariell beurkundeten Ehevertrages
vom 24. November 1999 zustehen. Diese Vereinbarung ist wegen Verstoßes gegen die guten Sitten gem. §
138 Abs. 1 BGB nichtig.
29 a) Trotz der grundsätzlich bestehenden Vertragsfreiheit darf eine ehevertragliche Regelung den Schutzzweck
der gesetzlichen Scheidungsfolgenregelungen nicht beliebig unterlaufen, indem eine evident einseitige und
durch die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigte Lastenverteilung
geschaffen wird, die hinzunehmen für den belasteten Ehegatten - bei angemessener Berücksichtigung der
Belange des anderen Ehegatten und seines Vertrauens in die Geltung der getroffenen Abrede - bei verständiger
Würdigung des Wesens der Ehe unzumutbar erscheint (BGH FamRZ 2004, 601, 605; BVerfG FamRZ 2001,
343; BVerfG FamRZ 2001, 985). Dies gilt nicht nur zu Gunsten des potenziell unterhaltsberechtigten, sondern
auch zu Gunsten des unterhaltsverpflichteten Ehegatten (OLG Celle NJW-RR 2004, 1585). Die gerichtliche
Überprüfung einer Vereinbarung auf eine evident einseitige Lastenverteilung wird nicht dadurch obsolet, dass
die entsprechende Vereinbarung nach entsprechender Belehrung notariell beurkundet wurde (BGH FamRZ
2004, 601, 606).
30 Die Inhaltskontrolle von Eheverträgen erfolgt zunächst durch eine Wirksamkeitskontrolle gem. § 138 BGB unter
Berücksichtigung der schon im Zeitpunkt des Zustandekommens offenkundigen Vertragswirkungen; soweit ein
Vertrag im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle bestand hat, ist weiter im Rahmen einer Ausübungskontrolle
gem. § 242 BGB zu prüfen, ob nach den aktuellen Verhältnissen die Berufung auf eine konkrete
ehevertragliche Regelung rechtsmissbräuchlich ist (BGH FamRZ 2004, 601, 606).
31 b) Vorliegend führt schon die Wirksamkeitskontrolle zum Ausspruch der Nichtigkeit der Vereinbarung. Schon
im Zeitpunkt ihres Zustandekommens war offenkundig, dass die Vereinbarung zu einer einseitigen und nicht
gerechtfertigten Lastenverteilung für den Scheidungsfall führt.
32 Maßgebend für diese Beurteilung ist der das gesetzliche Leitbild des Ehegattenunterhalts maßgeblich prägende
Grundsatz der gleichmäßigen Teilhabe der Ehegatten an den die ehelichen Lebensverhältnisse prägenden
Einnahmen und geldwerten Vorteile (Halbteilung) und der Rücksichtnahme auf die unterhaltsrechtliche
Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners (vgl. OLG Celle NJW-RR 2004, 1585, 1586). Von diesem Leitbild
weicht die vorliegende Vereinbarung, nach welcher an die Stelle eines nachehelichen Ehegattenunterhalts eine
Leibrentenvereinbarung tritt, in evident einseitiger Weise ab.
33 Die an die Stelle einer möglichen Unterhaltsverpflichtung des Klägers tretende Leibrente ist nach der
Vereinbarung unabhängig von einer bestehenden unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit. Eine dem § 1581
BGB vergleichbare Beschränkung ist Leibrentenansprüchen nach § 759 BGB fremd. Angesichts des
eindeutigen Wortlauts, insbesondere angesichts des ausdrücklichen Ausschlusses „weitergehender
Anpassungen“ und insbesondere der Änderungsklage nach § 323 ZPO lässt sich eine entsprechende
Begrenzung auch nicht im Wege der Auslegung in die notarielle Vereinbarung einfügen. Die Unabhängigkeit der
Zahlungspflicht von der Leistungsfähigkeit des Klägers ist auch deshalb als gravierend anzusehen, weil den
Parteien bei Abschluss der Vereinbarung die Möglichkeit weiterer Unterhaltsverpflichtungen des Klägers
gegenüber minderjährigen Kindern in der Türkei vor Augen gestanden haben muss. Nachdem die Beklagte
selbst vorträgt, sie habe während der Ehezeit die Beantragung von Auslandskindergeld für die Kinder des
Klägers veranlasst, muss ihr zumindest die Möglichkeit entsprechender Unterhaltsverpflichtungen bewusst
gewesen sein. Selbst wenn der Kläger zum damaligen Zeitpunkt tatsächlich keine nennenswerten
Unterhaltsleistungen an seine Kinder erbracht hat, führte die Vereinbarung einer von der Leistungsfähigkeit
unabhängigen Leibrente auch zu einer Abkehr vom unterhaltsrechtlichen Gleichrang der Ehefrau und der
unterhaltsberechtigten Kinder (§ 1584 BGB).
34 Demgegenüber soll die Leibrente zu Gunsten der Beklagten unabhängig von einer tatsächlich bestehenden
unterhaltsrechtlichen Bedürftigkeit geschuldet sein, solange sie keiner Vollerwerbstätigkeit nachgeht. Nach der
ausdrücklichen ehevertraglichen Regelung kommt eigenes Erwerbseinkommen, welches die Beklagte im
Rahmen einer Teilzeiterwerbstätigkeit erzielt, nicht zur Anrechnung. Die Vertragsregelung, dass die volle
Leibrentenverpflichtung trotz einer Teilzeiterwerbstätigkeit fortbesteht, konnte nahe liegender Weise zu der
Situation führen, dass nach Zahlung der Leibrente die Beklagte deutlich mehr als die Hälfte der beiderseitigen
prägenden Einnahmen, der Kläger dagegen nicht einmal den notwendigen Eigenbedarf erhält.
35 Dieses Ergebnis der vertraglichen Regelung ist allenfalls für die Situation einer zwar nicht ausgeübten, aber der
Beklagten möglichen und zumutbaren Vollerwerbstätigkeit durch Vertragsauslegung gem. §§ 133, 157 BGB
korrigierbar. Erzielt die Klägerin - wie von ihr für die derzeitige Situation vorgetragen - ohne Verstoß gegen die
in der Vereinbarung normierte Erwerbsobliegenheit lediglich Einkünfte aus Teilerwerbstätigkeit, ist nach der
eindeutigen vertraglichen Regelung die Leibrente in voller Höhe geschuldet.
36 Schon bei Vertragsschluss ergab sich hieraus die nahe liegende Gefahr einer deutlichen Abweichung vom
gesetzlichen Leitbild der Halbteilung und der Begrenzung des Unterhaltsanspruchs durch die
Leistungsfähigkeit. Nach dem vorliegenden Steuerbescheid für das Jahr 1999 (AS I 11) betrug das
Jahresbruttoeinkommen des Klägers 33.600 DM. Abzüglich Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen lässt
sich hieraus ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von etwa 2.220 DM, nach Abzug
pauschalierter berufsbedingter Aufwendungen von etwa 2.110 DM, ermitteln. Nach Scheidung konnte sich
diese Berechnung durch den Steuerklassenwechsel noch verschlechtern. Von dem errechneten Betrag wären
nach Abzug der vereinbarten Leibrente von 1300 DM dem Kläger nur 810 DM für seinen eigenen Bedarf
verblieben, dies sind weniger als 2/3 des notwendigen Selbstbehaltes nach der damals gültigen Düsseldorfer
Tabelle. Die Beklagte hätte über 1.300 DM zuzüglich etwaiger Einkünfte aus Teilerwerbstätigkeit oder etwaiger
Leistungen des Arbeitsamtes verfügt.
37 Diese Gefahr hat sich auch nach den derzeitigen wirtschaftlichen Verhältnissen der Parteien realisiert.
Unstreitig verfügt der Kläger über ein Nettoeinkommen von etwa 1.600 EUR monatlich, nach Abzug von 5%
berufsbedingten Aufwendungen und einer Leibrente von etwa 650 EUR verblieben ihm nur noch 870 EUR und
damit nicht einmal der notwendige Selbstbehalt. Die Beklagte verfügt derzeit über ein Nettoeinkommen von
1.220 EUR, ohne Berücksichtigung des zukünftig wegfallenden Fahrtkostenzuschusses 1.040 EUR. Nach
Abzug der - um den voraussichtlichen Steuervorteil verminderten (vgl. Mitt. des Lohnsteuerhilfe e. V. vom
20.08.2006, AS II 141) - Fahrtkosten von monatlich ca. 160 EUR verbleiben ihr langfristig ca. 880 EUR.
Zuzüglich etwa 650 EUR Leibrente würde der Beklagten ein Betrag von etwa 1.530 EUR monatlich zur
Verfügung stehen. Die Zahlung der Leibrente würde somit zu einer Umkehrung der wirtschaftlichen Verhältnisse
führen. Etwaige Unterhaltsverpflichtungen des Klägers gegenüber seinen Kindern sind hierbei noch nicht
berücksichtigt.
38 Bei Nichtigkeit der ehevertraglichen Regelung kommt zu Gunsten der Beklagten dagegen lediglich ein
gesetzlicher Unterhaltsanspruch gem. § 1573 Abs. 2 BGB in Betracht, der nur zur hälftigen Teilhabe an den die
ehelichen Lebensverhältnisse prägenden - bereinigten - Einkünften führt.
39 Es wird nicht verkannt, dass die vertragliche Regelung sich auch zu Gunsten des Klägers hätte auswirken
können, nämlich durch die Begrenzung der Zahlungspflicht auf höchstens 1.300 DM und deren Wegfall bei
Vollerwerbstätigkeit der Beklagten. Dass diese abstrakt mögliche Wirkung zu Gunsten des Klägers tatsächlich
in der Zukunft relevant werden könnte, war aber im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ebenso wie heute
unwahrscheinlich. Mit einer drastischen Einkommensverbesserung, die nach den gesetzlichen Vorschriften zu
einer höheren Unterhaltspflicht als 1.300 DM geführt hätte, war nicht zu rechnen. Bei einem
Vollerwerbseinkommen der Beklagten als Bürokauffrau konnte sie ohnehin mit einem Einkommen vergleichbar
der Höhe des klägerischen Einkommens rechnen, so dass auch nach den gesetzlichen Vorschriften dann nicht
mehr mit einem nennenswerten Unterhaltsanspruch zu rechnen war.
40 c) Auch die für die Bejahung der Sittenwidrigkeit über die einseitige Benachteiligung hinaus zu fordernden
zusätzlichen Umstände (vgl. Palandt/Brudermüller, BGB, 65. Aufl., § 1408 Rdnr. 10) sind vorliegend gegeben.
Insoweit ist insbesondere abzustellen auf die von den Ehegatten mit der Abrede verfolgten Zwecke sowie die
Beweggründe der Ehegatten bei der vertraglichen Gestaltung (subjektives Element; vgl. BGH FamRZ 2004,
601, 606). Da das Sittenwidrigkeitsurteil auf § 138 Abs. 1 und nicht auf § 138 Abs. 2 BGB beruht, ist allerdings
eine Zwangslage, Unerfahrenheit, ein Mangel an Urteilsvermögen oder eine erhebliche Willensschwäche und
deren Ausnutzung nicht erforderlich. Es genügt eine Störung der Vertragsparität durch Vorliegen einer erheblich
ungleichen Verhandlungsposition (vgl. BVerfG FamRZ 2001, 985).
41 Allerdings sind im vorliegenden Fall konkrete Umstände, die eine erheblich ungleiche Verhandlungsposition
zeigen würden, nicht festgestellt und mangels entsprechender Beweisantritte auch nicht festzustellen. Dass
der Ehevertrag, wie vom Kläger vorgetragen, auf Drängen der Beklagten zu Stande kam, würde nicht genügen.
Ebenso wenig würde genügen, dass der Vertragsentwurf, wie vom Kläger vorgetragen, einseitig von der
Beklagten mit dem Notar vorbereitet wurde. Auch eine mangelnde Vertrautheit des Klägers mit der deutschen
Sprache würde nicht genügen, denn bei der notariellen Beurkundung war ein Dolmetscher zugegen und
übersetzte den Vertragstext in das Türkische.
42 Nach Überzeugung des Senats lässt sich aber aus dem Umstand, dass die Parteien seinerzeit eine evident
einseitig belastende ehevertraglichen Regelung getroffen haben, ohne dass hierfür - auch nach persönlicher
Anhörung der Parteien durch den Einzelrichter - ein nachvollziehbarer Grund erkennbar ist, eine tatsächliche
Vermutung herleiten für eine damals bestehende Störung der subjektiven Verhandlungsparität. Das evident
einseitige Ergebnis der Vertragsverhandlungen rechtfertigt die tatsächliche Vermutung, dass der Kläger bei
Vertragsschluss subjektiv nicht in der Lage war, seine berechtigten Interessen sachgerecht und angemessen
zu vertreten, und dass dieser Umstand für die Beklagte zumindest erkennbar war (ebenso Schwab DNotZ
Sonderheft 2001, 9, 15; ders. FamRZ 2001, 349). Es lässt sich zwar nicht feststellen, worauf die
Beeinträchtigung der subjektiven Verhandlungsposition des Klägers beruhte - denkbar sind auf Grund der
Einlassungen der Parteien etwa mangelnde Erfahrung mit den hiesigen rechtlichen Verhältnissen, Furcht vor
einer Trennung mit nachteiligen Konsequenzen auch für den Aufenthaltsstatus oder anderes. Der Senat ist
aber davon überzeugt, dass die ehevertragliche Regelung nur zu Stande kommen konnte, weil der Kläger in
den Vertragsverhandlungen seine berechtigten Interessen nicht hinreichend zur Durchsetzung bringen konnte.
43 d) Die von der Beklagten geschilderten - streitigen - ehelichen Probleme und wohl auch Verfehlungen des
Klägers, die den Hintergrund der ehevertraglichen Regelungen in Ziff. 1 bis 4 des notariellen Ehevertrags bilden
dürften, vermögen die einseitige Lastenverteilung in Ziff. 7 des Ehevertrages nicht zu rechtfertigen. Auch wenn
die Beklagte berechtigten Anlass zur Klage über das Verhalten des Klägers in der Ehe hatte, erscheint die
Verknüpfung der künftig fortbestehenden Ehe mit einer den Kläger finanziell erheblich benachteiligenden
Scheidungsfolgenregelung nicht billigenswert.
44 e) Somit ist die gesamte ehevertragliche Regelung unter Ziff. 7 des notariell beurkundeten Ehevertrags vom 24.
November 1999 - einschließlich des dort erklärten Verzichts auf gesetzliche Unterhaltsansprüche - nichtig. Der
Beklagten steht nicht die dort vereinbarte Leibrente, möglicherweise aber statt dessen unter den gesetzlichen
Voraussetzungen ein Anspruch auf nachehelichen Ehegattenunterhalt, zu.
45 3. Nachdem die ehevertragliche Unterhaltsvereinbarung nichtig ist, hat der Kläger auch Anspruch auf
Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung des Schuldtitels analog § 371 BGB (BGH NJW 1994, 1161,
1162); somit ist der Klagantrag Ziff. 2 ebenfalls begründet.
46 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708
Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision wird gem. § 543 ZPO zugelassen. Die entscheidungserheblichen Rechtsfragen
zur Nichtigkeit einer durch Ehevertrag vereinbarten, gesetzliche Unterhaltsansprüche übersteigen
Zahlungspflicht sind von grundsätzlicher Bedeutung und - soweit ersichtlich - bisher höchstrichterlich nicht
entschieden.