Urteil des OLG Karlsruhe vom 18.08.2010

OLG Karlsruhe (wohnsitz in der schweiz, common law, ausländisches recht, internationales zivilprozessrecht, zpo, aug, ausland, schweiz, mutwilligkeit, wohnsitz)

OLG Karlsruhe Beschluß vom 18.8.2010, 5 WF 122/10
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts -
Konstanz vom 31.05.2010 geändert:
Der Antragstellerin wird Verfahrenskostenhilfe für den ersten Rechtszug bewilligt. Ihr wird als
Verfahrensbevollmächtigter Rechtsanwalt S. beigeordnet.
Die Antragstellerin hat ab Aufforderung monatliche Raten von EUR 75,00 auf die bewilligte Verfahrenskostenhilfe
zu leisten.
Gründe
I.
1
Die Antragstellerin ist eine in der Schweiz wohnhafte deutsche Staatsangehörige, die Verfahrenskostenhilfe für
einen Scheidungsantrag begehrt. Der Antragsgegner ist türkischer Staatsangehöriger. Die Beteiligten haben am
03.11.1998 in der Türkei die Ehe geschlossen. Der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Beteiligten
befand sich in K./Schweiz. Nach der Trennung der Parteien im Jahr 2007 zog der Antragsgegner wieder nach
Deutschland in den Bezirk des Amtsgerichts - Familiengerichts -, in dem die Beteiligten früher ihren
gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten.
2
Mit Beschluss vom 31.05.2010 wies das Amtsgericht - Familiengericht - den Antrag auf Bewilligung von
Verfahrenskostenhilfe zurück. Zur Begründung führte das Amtsgericht - Familiengericht - aus, die beabsichtigte
Rechtsverfolgung sei mutwillig, weil die Beteiligten eine Entscheidung vor einem schweizerischen
Familiengericht auf einfachere Weise erlangen könnten und eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei
deshalb ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde. Das Ehescheidungsverfahren richte sich nach Art.
14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB nach schweizerischem Recht. Dabei habe das Gericht nach Art. 112 Abs. 3 ZGB
hinsichtlich der Scheidung und der streitigen Scheidungsfolgen ein Gesamturteil zu fällen. Dies bereite im
Hinblick auf die Scheidungsfolge Versorgungsausgleich erhebliche Schwierigkeiten, weil die Bestimmung des
Verhältnisses, in welchem Austrittsleistungen zu teilen seien (Art. 142 Abs. 1 ZGB), von einem deutschen
Gericht nicht ohne sachverständige Hilfe vorgenommen werden könne. Den Beteiligten sei auch zumutbar, ein
ebenso zuständiges schweizerisches Gericht anzurufen, nachdem die Antragstellerin ihren Wohnsitz in der
Schweiz habe.
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Gegen diesen am 7.06.2010 zugestellten Beschluss richtet sich die am 9.06.2010 eingegangene sofortige
Beschwerde der Antragstellerin. Die Antragstellerin rügt, dass sie als deutsche Staatsangehörige darauf
verwiesen werde, ihren Anspruch auf Ehescheidung im Ausland zu verfolgen. Ferner weist sie daraufhin, dass
die Beteiligten den Versorgungsausgleich, soweit rechtlich möglich, ausschließen wollten.
4
Das Amtsgericht - Familiengericht - half mit Beschluss vom 9.08.2010 der sofortigen Beschwerde nicht ab und
legte sie dem Oberlandesgericht vor. Zur Begründung führte es aus, das Gericht verkenne nicht, dass die
Antragstellerin deutsche Staatsangehörige sei und ihr der Zugang zu den deutschen Gerichten eröffnet sein
müsse. Es sei allerdings nicht erkennbar, warum dies auf Kosten der Allgemeinheit geschehen müsse, wenn
es am Wohnsitz der Antragstellerin gleichwertigen Rechtsschutz gebe, für den noch nicht einmal
Anwaltszwang bestehe.
II.
5
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und begründet. Das international und örtlich
zuständige Amtsgericht - Familiengericht - (Art. 3 Abs. 1 EG-VO Ehesachen, § 122 FamFG) kann die begehrte
Verfahrenskostenhilfe nicht mit dem Argument der Mutwilligkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung, an deren
hinreichender Erfolgsaussicht im Übrigen kein Zweifel besteht, zurückweisen.
6
Die Antragstellerin hat, soweit deutsche Gerichte für ihr Rechtsschutzbegehren zuständig sind, einen
verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes in bürgerlich-
rechtlichen Rechtsstreitigkeiten. Dieser Justizgewährungsanspruch resultiert aus dem Rechtsstaatsprinzip im
Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 1 GG bzw. einzelnen weiteren Grundrechten (BVerfGE 85, 337, 345; 88, 118,
Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 1 GG bzw. einzelnen weiteren Grundrechten (BVerfGE 85, 337, 345; 88, 118,
123; 108, 341, 347; Huber, in Mangoldt/Klein/Stark, GG I, Art. 19 Abs. 4 Rn. 352, 355; Maunz/Dürig/Schmidt-
Aßmann, GG, Art. 19 Abs. 4 GG Rn 16). Die Gewährleistung schließt zwar eine gesetzliche Ausgestaltung der
Voraussetzungen und Bedingungen des Zugangs nicht aus. Der Zugang zu den Gerichten darf aber nicht in
unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden ( BVerfGE 81. 123.
129).
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Der Justizgewährungsanspruch ist auch bei der Gestaltung der Verfahrenskostenhilfe, die die Situation einer
unbemittelten Person weitgehend der Situation eines Bemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes
angleichen soll (BVerfGE 67, 245, 248), zu beachten. Zwar kann die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe
davon abhängig gemacht werden, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg
hat und nicht mutwillig erscheint (BVerfG FamRZ 2010, 793). Der Begriff der Mutwilligkeit muss aber unter
Berücksichtigung des verfassungsrechtlich geschützten Justizgewährungsanspruchs bestimmt werden. Keine
Bedenken bestehen, im Fall einer vom Rechtsschutzziel aussichtslosen oder nicht notwendigen Prozess- bzw.
Verfahrensführung Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe zu verweigern. Denn diese Fälle werden vom
Schutzzweck des Justizgewährungsanspruch nicht erfasst. Ebenso bestehen keine Bedenken, den
Antragsteller zu verpflichten, im Rahmen der Justizgewährung den kostengünstigsten oder einfachsten Weg zu
wählen, wenn auf diese Weise das erstrebte Rechtsschutzziel gleichwertig erreicht werden kann (vgl.
Zöller/Geimer, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 114 Rn. 34; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 30. Aufl. 2009, § 114 Rn. 7f).
Denn dadurch wird die Justizgewährung als solche nicht beeinträchtigt. Das ist dagegen der Fall, wenn der
Gesichtspunkt der Kostengünstigkeit oder Einfachheit dazu verwendet wird, den Antragsteller auf einen
ausländischen Gerichtsstand zu verwiesen. Denn in diesem Fall wird nicht die Justizgewährung im Einzelfall
gestaltet, sondern insgesamt verweigert.
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Allerdings ist in Einzelfällen Prozesskostenhilfe abgelehnt worden, weil nach Auffassung des erkennenden
Gerichts die Prozessführung im Ausland kostengünstiger oder unter erleichterten Bedingungen durchgeführt
werden konnte (OLG Frankfurt FamRZ 1991, 94; OLGR Celle 1998, 58; OLG Hamm FamRZ 2001, 1533). Dabei
handelte es sich jedoch im wesentlichen um Fälle, in denen die Antragsteller nicht nur sich im Ausland
aufhielten, sondern es sich auch um ausländische Staatsangehörige handelte, die nach ausländischem Recht
zu beurteilende und im Ausland angesiedelte Sachverhalte unterbreiteten. Es kann dahin gestellt bleiben, ob in
diesen Fällen ausnahmsweise sachliche Gründe bestehen, die eine Einschränkung des
Justizgewährungsanspruchs verfassungskonform rechtfertigen (zust. Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl. 2004, §
114 Rn. 32; Kalthoener/Büttner, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, 5. Aufl. 2010, Rn. 459; dagegen
MünchKommZPO/Motzer, ZPO, 3. Aufl. 2008, § 114 Rn. 92; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO,
67. Aufl. 2009, § 114 Rn. 109; Mankowski IPRax 1999, 155; OLG Frankfurt IPRax 1983, 46; OLG Zweibrücken
IPRax 1999, 475). Denn diese Erwägungen lassen sich nicht übertragen auf den Fall eines deutschen
Staatsangehörigen, der seine Rechte in einem gegebenen inländischen Gerichtsstand wahrnehmen will.
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Die Ablehnung der Verfahrenskostenhilfe durch das Amtsgericht - Familiengericht - beruht darauf, dass die
deutsche Antragstellerin in der Schweiz wohnhaft ist und ausländisches Recht zur Anwendung kommt. Von
dem Wohnsitz der Antragstellerin und dem nach deutschem internationalen Privatrecht anwendbaren Recht
kann aber im Rahmen des Justizgewährungsanspruchs nicht abhängig gemacht werden, ob
Verfahrenskostenhilfe gewährt wird oder nicht. Es handelt sich nicht um Gesichtspunkte, die eine
unterschiedliche Gewährung von Verfahrenskostenhilfe und damit eine Ungleichbehandlung von Antragstellern,
die die übrigen Voraussetzungen der Verfahrenskostenhilfe erfüllen, rechtfertigen, sondern die
Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte führte zu einer Verletzung von Art. 3 GG und dem dadurch
geschützten Recht auf unterschiedslose und absolute gleichwertige Gewährung von Rechtsschutz (vgl. dazu
Maunz/Dürig, GG, Art. Rn. 42 ff). In der Berücksichtigung läge im Übrigen auch zu Lasten von EU-Bürgern ein
Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 12 EG-Vertrag, der auch verdeckte, an Kriterien wie
Wohnsitz u.ä. anknüpfende Ungleichbehandlungen verbietet (Geiger, EUV/EGV, 4. Aufl. 2004, Art. 12 EGV R.
8).
10 Die von dem Amtsgericht - Familiengericht - herangezogenen Gesichtspunkte führten letztlich im Ergebnis zur
Einführung der Lehre des forum non conveniens in das deutsche Prozessrecht (zutr. Mankowski a.a.O.). Diese
im common law beheimatete Lehre, die dem Richter, in der Regel allerdings nur auf - im Streitfall nicht
vorliegenden - Antrag des Beklagten, die Möglichkeit gibt, trotz gegebener Zuständigkeit die Annahme der
Klage und eine Sachentscheidung abzulehnen, ist dem deutschen Prozessrecht fremd (vgl. eingehend Geimer,
Internationales Zivilprozessrecht, 6. Aufl. 2009, Rn. 1073 ff; OLG München IPRax 1984, 319). Die gesetzlichen
Bestimmungen über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht sind für das Gericht bindend. Diese Bindung
kann im deutschen Prozessrecht auch nicht über den Gesichtspunkt der Mutwilligkeit gelockert werden; zumal
diese Lockerung nur Personen beträfe, die Verfahrenskostenhilfe benötigen. Damit wäre wiederum hinsichtlich
des Justizgewährungsanspruchs ein gleichheitswidriger Zustand zwischen bemittelten und unbemittelten
Personen geschaffen. Die Anwendung ausländischen Rechts ist im internationalen Privatrecht vorgesehen. Sie
kann nicht im Bereich der Verfahrenskostenhilfe durch Auslegung des Begriffs der Mutwilligkeit umgangen
werden.
11 Letztlich sprechen auch praktische Erwägungen gegen die Berücksichtigung der von dem Amtsgericht -
Familiengericht - herangezogenen Gesichtspunkte. Denn die sichere Beurteilung, ob eine Rechtsverfolgung in
einem ausländischen Gerichtsstand kostengünstiger und effektiver wäre, setzt nicht nur eine profunde
Kenntnis des ausländischen Prozessrechts, internationalen Privatrechts und Sachrechts voraus, sondern auch
der ausländischen gerichtlichen Praxis und befrachtet damit das Verfahren der
Verfahrenskostenhilfebewilligung mit komplizierten Erwägungen, was dem Zweck des Verfahrens als einem
dem eigentlichen Verfahren vorgeschalteten kursorischen Prüfungsverfahren („hinreichende“ Aussicht auf
Erfolg) widerspricht.
12 Da die hinreichende Erfolgsaussicht des beabsichtigten Scheidungsantrags nicht verneint werden kann und die
Angaben der Antragstellerin über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorliegen, kann der Senat
über den Antrag endgültig entscheiden. Einer Zurückverweisung an das Amtsgericht - Familiengericht - zur
weiteren Prüfung bedarf es nicht. Die Antragstellerin erhält einen Grundbedarf von sfr 960,00. Daraus errechnet
sich unter Berücksichtigung einer Verbrauchergeldparität von 120 ein Betrag von EUR 600, der der
Antragstellerin zur Verfügung steht. Diese Berechnung führt bei einem Freibetrag von EUR 395 für die
Antragstellerin zu einer monatlichen Rate von EUR 75,00 (§§ 115 ZPO, 113 Abs. 1 FamFG).