Urteil des OLG Karlsruhe vom 08.11.2006

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OLG Karlsruhe Urteil vom 8.11.2006, 9 U 58/06
Gewerberaummietvertrag für Einzelhandelsgeschäft in Einkaufszentrum: Wegfall der Betriebspflicht bei
Zahlungsunfähigkeit des Mieters
Leitsätze
Der Einzelhändler, der gegenüber dem Vermieter eine Betriebspflicht übernommen hat, wird hiervon unabhängig
von der Einleitung eines Insolvenzverfahrens wegen Unvermögens frei, wenn er zahlungsunfähig ist.
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 10.3.2006 abgeändert:
Der Beschluss vom 30.11.2005 wird aufgehoben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird
abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Gründe
I.
1
Mit Beschluss vom 30.11.2005 hat das Landgericht wegen Dringlichkeit ohne vorherige mündliche Verhandlung
der Beklagten durch einstweilige Verfügung aufgegeben, den Geschäftsbetrieb „S“ mit Damen- und
Herrenoberbekleidung im mittleren und oberen Preissegment in dem an sie vermieteten Ladengeschäft -
Ladenlokal Nr. - im ersten Obergeschoss des Zentrums O. in F. aufrecht zu erhalten, die Ladenflächen im
Rahmen der allgemeinen Öffnungszeiten des Centers Montag bis Freitag von 09:00 Uhr bis 20:00 Uhr und
Samstags von 08:00 bis 18:00 Uhr geöffnet zu halten und das Ladenlokal dekoriert zu halten und nicht
sämtliche Waren und sonstigen Gegenstände hieraus zu entfernen. Mit der angefochtenen Entscheidung hat
das Landgericht die einstweilige Verfügung aufrecht erhalten. Auf die tatsächlichen Feststellungen wird Bezug
genommen.
2
Zur Begründung ihrer rechtzeitig eingelegten Berufung trägt die Beklagte vor, dass die einstweilige Verfügung
nicht durchsetzbar sei. Die vertragliche Verpflichtung des Mieters zum Betrieb eines Ladengeschäftes könne
weder als vertretbare Handlung nach § 887 ZPO noch als unvertretbare Handlung nach § 888 ZPO vollstreckt
werden. Der Klage fehle das Rechtsschutzbedürfnis, da die Beklagte nunmehr vermögenslos sei. Eine
Fortführung des Geschäftsbetriebes sei ihr nicht zuzumuten, da sie sonst gezwungen wäre, Verbindlichkeiten
einzugehen, beispielsweise mit Lieferanten, und die Vertragspartner über ihre Zahlungsfähigkeit zu täuschen.
Ein Verfügungsgrund sei nicht gegeben. Das Landgericht habe mit der angefochtenen Entscheidung die
Hauptsache in unstatthafter Weise vorweg genommen. Es bestehe auch kein Verfügungsanspruch, weil die
Beklagte den Vertrag wegen arglistiger Täuschung über die zu erwartenden Besucherzahlen wirksam
angefochten habe. Schließlich sei ihre Betriebspflicht nach den Grundsätzen des Wegfalls der
Geschäftsgrundlage entfallen, da statt der erwartenden 8 bis 10.000 Besucher lediglich täglich 800 bis 1.000
Kunden das Geschäftszentrum aufsuchen würden.
3
Die Beklagte stellt folgenden Antrag
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Das Urteil des Landgerichts Freiburg, AZ: ... verkündet am 10.03.2006, wird aufgehoben. Ebenso wird
aufgehoben die einstweilige Verfügung des Landgerichts Freiburg vom 30.11.2005 und der Antrag der
Berufungsbeklagten auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Berufungsklägerin wird
zurückgewiesen.
5
Die Klägerin beantragt,
6
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
7
Die Rechtsnachfolgerin der ursprünglichen Klägerin, die mit Zustimmung der Beklagten in den Rechtsstreit
eingetreten ist, verteidigt die angefochtene Entscheidung.
8
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien Bezug
genommen.
II.
9
Auf die Berufung der Beklagten war die angefochtene Entscheidung abzuändern, weil sich in der
Berufungsinstanz herausgestellt hat, dass die Beklagte wegen Unvermögens ihrer Betriebspflicht nicht mehr
nachkommen kann. Dagegen greifen die übrigen Einwendungen der Beklagten gegen das Urteil des
Landgerichts, auf das der Senat insoweit billigend Bezug nimmt, nicht durch.
10 1. Nach herrschender Auffassung der sich der Senat anschließt, kann die Erfüllung einer Betriebspflicht
grundsätzlich im Wege der einstweiligen Verfügung angeordnet werden (vgl. Wolf/Eckert/Ball, Handbuch des
gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts 9. Aufl. Rdnr. 615 m. w. N.).
11 2. Richtig ist, dass die Anordnung einer auf Erfüllung gerichteten einstweiligen Verfügung nicht nur die strenge
Prüfung des Verfügungsanspruchs voraussetzt, sondern auch das Vorliegen eines qualifizierten
Verfügungsgrundes. Erforderlich für eine so genannte „Leistungsverfügung“ ist, dass der Gläubiger auf die
sofortige Erfüllung dringend angewiesen ist. Unter diesen Voraussetzungen sind Leistungsverfügungen
insbesondere in den Fällen zulässig, in denen die geschuldete Handlung so kurzfristig zu erbringen ist, dass
die Erwirkung eines Titels im ordentlichen Verfahren nicht möglich wäre (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO 25. Aufl.
§ 940 Rdnr. 6). Eine auf teilweise Befriedigung gerichtete einstweilige Verfügung setzt voraus, dass sie unter
Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig ist (§ 940 ZPO;
vgl. OLG Hamm NJW-RR 1990, 1236).
12 Diese Voraussetzungen sind vorliegend glaubhaft gemacht. Unstreitig hat die Beklagte mit Schreiben vom
28.11.2005 die fristlose Kündigung des Mietvertrages erklärt. Auch nach ihrem Vortrag wollte sie danach die
Geschäftsräume räumen und den Geschäftsbetrieb schließen. Ein derartiges (angekündigtes) Verhalten stellt
geradezu den klassischen Fall für den Erlass einer einstweiligen Verfügung dar, sofern auch ein
Verfügungsanspruch gegeben ist.
13 3. Die Beklagte meint, die Schließung ihres Geschäftes sei im Hinblick auf die Ausmaße des
Einkaufszentrums ohne wesentliche Bedeutung für die Klägerin. Die Verkaufsfläche von ca. 70 qm sei völlig
unbedeutend im Verhältnis zum Gesamtobjekt mit ca. 12.000 qm. Außerdem liege das Ladenlokal der
Beklagten abseits und sei für viele Kunden gar nicht wahrnehmbar. Es handele sich also nicht um einen so
genannten Frequenzbringer, welcher zwingend notwendig sei, um das Zentrum zu beleben.
14 Diesen Überlegungen folgt der Senat nicht. Sinn der Vereinbarung einer Betriebspflicht bei Einkaufszentren der
vorliegenden Art ist, das Einkaufszentrum durch ein möglichst großes und vielfältiges Angebot an Geschäften
für Kunden attraktiv zu halten (vgl. KGR Berlin 2003, 315). Zu einem solchen Geschäftsmix gehören auch
Geschäfte in der Art des von der Beklagten betriebenen Ladenlokals zum Vertrieb von Damen- und
Herrenoberbekleidung im mittleren und oberen Preissegment. Der Leerstand selbst eines kleinen Lokals würde
somit die Attraktivität eines derartigen Geschäftszentrums vermindern wie auch eine Anreizwirkung auf
gleichfalls unzufriedene Geschäftleute ausüben, ihrerseits den nicht rentablen Betrieb einzustellen.
Dementsprechend haben unstreitig aus vergleichbaren Gründen auch zwei andere Geschäfte zumindest
vorübergehend ihren Betrieb in dem Geschäftszentrum eingestellt. Könnte die Klägerin die Durchsetzung der
Betriebspflicht nur im ordentlichen Rechtswege verfolgen, ginge von dem Verhalten der Beklagten eine für den
Gesamtbetrieb des Geschäftszentrums negative Anreiz und Vorbildwirkung aus.
15 4. Die Auferlegung einer Betriebspflicht ist grundsätzlich auch nicht unverhältnismäßig. Eine etwaige
Erkrankung der Beklagten ist insoweit ohne Bedeutung, da die Beklagte nicht gehalten ist, den
Geschäftsbetrieb in eigener Person aufrecht zu erhalten. Die Einschaltung von Erfüllungsgehilfen ist statthaft,
wie unter den Parteien auch nicht streitig ist.
16 5. Eine Betriebspflicht kann selbst in allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbart werden (vgl. BGH NJW-RR
1992, 1032; Wolff/Eckert/Ball aaO. Rdnr. 609).
17 6. Die Betriebspflicht ist auch nicht durch die fristlose bzw. hilfsweise als fristgerechte ausgesprochene
Kündigung der Beklagten vom 28.11.2005 entfallen. Auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen
Entscheidung wird Bezug genommen. Die hiergegen gerichteten Berufungsangriffe sind nicht begründet.
18 Die Beklagte führt insoweit aus, dass seit Anbeginn des Mietverhältnisses ständig und immer fort Mängel und
Pflichtverletzungen eingetreten seien und, obgleich zeitnah gerügt, nicht oder nicht ausreichend beseitigt
worden seien. Die Klägerin habe die Probleme in der Tiefgarage (großflächige Wasserlachenbildung), die
vorgetragenen Lüftungsdefekte (Essensgerüche) und die glaubhaft gemachten Persönlichkeitsverletzungen
durch den Einsatz von Überwachungskameras ignoriert. Die Beklagte habe glaubhaft gemacht, dass im Winter
die erforderlichen Raumtemperaturen nicht erreicht würden bzw. der benötigte Luftwechsel unzureichend sei.
19 Diese Vorwürfe gehen fehl.
20 Richtig ist, dass die Beklagte die Rechtsvorgängerin der Klägerin mehrfach wegen der Geruchsbelästigungen
angesprochen hat (vgl. Schreiben vom 05.07.2005 As. I, 363). Die Rechtsvorgängerin der Klägerin hat hierauf
jedoch reagiert und den Generalunternehmer aufgefordert, den Mangel bis zum 08.07.2005 zu beheben (vgl.
Schreiben der B. Unternehmensberatung GmbH vom 04.07.2005 As. I, 371). Dass die Geruchsproblematik
fortdauert, ist zwar vorgetragen, jedoch nicht glaubhaft gemacht.
21 Hinsichtlich der in der Tiefgarage vorhandenen Pfützen sind weitere Reklamationen der Beklagten vorgetragen.
Der Senat teilt jedoch die Auffassung des Landgerichts, dass dieser Mangel alleine die fristlose Kündigung aus
wichtigem Grund des auf 10 Jahre fest vereinbarten Vertrages nicht rechtfertigt. Ein wichtiger Grund liegt nach
der hier anwendbaren Bestimmung des § 543 Abs. 1 S. 1 BGB nur dann vor, wenn dem Kündigenden unter
Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien und
unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der
Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Diese
Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
22 7. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist eine arglistige Täuschung durch die Rechtsvorgängerin der
Klägerin nicht glaubhaft gemacht. Durch die vorgelegten Beweismittel steht allerdings, wovon auch das
Landgericht zutreffend ausgegangen ist, fest, dass die Beklagte auf Angaben der
Verhandlungsbevollmächtigten der Rechtsvorgängerin der Klägerin, es werde mit einer Kundenfrequenz von
8.000 Personen täglich gerechnet, vertraut und im Vertrauen hierauf den Mietvertrag abgeschlossen hat. Dass
sich bislang eine solche Kundenfrequenz nicht entwickelt hat, rechtfertigt den Vorwurf einer (arglistigen)
Täuschung jedoch nicht. Anhaltspunkte dafür, dass die Rechtsvorgängerin der Klägerin von ihren Angaben
abweichende Erkenntnisse über die prognostizierten Kundenfrequenz hatte, sind nicht gegeben. Dass die S.
AG wahrheitswidrig das Vorliegen einer Studie mit entsprechendem Inhalt vorgespiegelt hätte, ist nicht
glaubhaft gemacht. Dem Schreiben ihrer Mitarbeiter vom 31.01.2006 lässt sich derartiges nicht entnehmen (As.
I, 445). Dort ist ausgeführt, dass gegenüber den Eheleuten S. eine im Auftrag des ehemaligen
Projektentwicklers (T.) gefertigte Marktanalyse erwähnt und ihnen "wohl auch auszugsweise" übergeben
worden sei. Anlass, der Klägerin die Beweislast für das Nichtvorliegen der Voraussetzungen einer arglistigen
Täuschung aufzuerlegen, besteht nicht. Zutreffend hat das Landgericht ausgeführt, dass in der Mitteilung einer
Prognose keine Täuschung liege. Eine Prognose berge immer das Risiko und auch die Chance, dass sie nicht
zutreffe.
23 8. Die Beklagte meint, die Betriebspflicht sei infolge der Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage
(§ 313 BGB) entfallen. Nach § 313 Abs. 1 BGB kann Anpassung des Vertrages verlangt werden, wenn sich
Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert
haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese
Veränderung vorausgesehen hätten, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles,
insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag
nicht zugemutet werden kann. Die vertragliche Risikoverteilung geht den Rechtsgrundsätzen über die Störung
der Geschäftsgrundlage vor. Nach feststehender Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs trägt im Verhältnis
zwischen Vermieter und Mieter grundsätzlich der Mieter das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache. Dazu
gehört bei der gewerblichen Miete vor allem die Chance, mit dem Mietobjekt Gewinne erzielen zu können. Es
fällt in den Verantwortungsbereich des Mieters, als Unternehmer die Erfolgsaussichten eines Geschäfts in der
gewählten Lage abzuschätzen. Das umfasst bei einem erst geplanten Einkaufszentrum neben der Chance, in
einem später florierenden Zentrum erhöhte Gewinne zu erzielen, auch das Risiko eines Scheiterns des
Gesamtprojekts mit entsprechenden negativen Folgen für das Einzelgeschäft. Allein der Umstand, dass auch
der Vermieter von einem wirtschaftlichen Erfolg des Projekts ausgeht, verlagert das Verwendungs- und
Gewinnerzielungsrisiko für das einzelne gemietete Geschäft in dem Einkaufszentrum nicht von dem Mieter auf
den Vermieter (BGH NZM 2006, 54; NJW 1970, 1313). Dies gilt selbst dann, wenn die weitere Erfüllung des
Vertrages unter Umständen den Verfall des Vermögens des Mieters zur Folge hätte (vgl. BGH NJW 1978,
2390). Allerdings können die Parteien von dieser gesetzlichen Risikoverteilung abweichen. Anhaltspunkte
hierfür sind vorliegend jedoch nicht vorgetragen und nach den Kriterien der obergerichtlichen Rechtsprechung
auch nicht ersichtlich (vgl. hierzu BGH NJW 2000, 1714).
24 9. Die Beklagte wendet gegen ihre Verurteilung ein, sie sei bereits vermögenslos. Sie könne keine Ware mehr
nachordern. Zur Glaubhaftmachung bezieht sie sich auf die eidesstattliche Erklärung ihres Ehemannes vom
24.05.2006. Hiernach habe er zuletzt bei der Volksbank F. Anfang 2006 versucht, ein Darlehen zu erhalten.
Dies sei nicht gelungen. Er selbst sei nicht mehr bereit, seiner Ehefrau ein weiteres Darlehen zu gewähren.
Aus der letzten Warenlieferung an die Beklagte stehe noch eine Kaufpreisschuld von etwa 17.000,- EUR aus.
Die für das Frühjahr 2006 georderte Ware bei den Hauptlieferanten F. und L. werde aufgrund Zahlungsverzuges
nicht ausgeliefert. In den Monaten Januar bis April 2006 habe seine Ehefrau einen Umsatz von monatlich etwa
EUR 2 700 erzielt. Die Personalkosten würden, da seine Ehefrau nur noch mit geringfügig Beschäftigten
operieren werde, ca EUR 15 000 betragen, gemeint ist pro Jahr. Der Wareneinsatz werde bei einem jährlichen
Umsatz von rund EUR 32 000 etwa EUR 20 000 betragen. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor
dem Senat glaubwürdig mitgeteilt, dass die Firma L. weiterhin nicht liefere. Die Firma F. liefere teilweise. Seit
November 2005 zahle sie weder Miete noch Nebenkosten an die Klägerin bzw. deren Rechtsvorgängerin. Ohne
Mietzahlung "gehe es gerade so". Das private Wohnhaus der Eheleute sei grundpfandrechtlich voll ausgelastet.
Sie habe in I. noch einen Betrieb. Dort habe sie für EUR 100 000 Ware geordert, sei auf ihr jedoch sitzen
geblieben. Mit den dortigen Lieferanten habe sie Teilzahlungslösungen ausgehandelt. Sie habe kein Geld und
lebe von ihrem Mann.
25 Hiernach steht fest, dass die Beklagte zahlungsunfähig ist. Zahlungsunfähig im Sinne des Insolvenzrechts ist,
wer nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 S. 1 InsO). Eine
vorübergehende Zahlungsstockung oder ganz geringfügige Liquiditätslücken sind nicht geeignet,
Zahlungsunfähigkeit zu begründen. Eine bloße Zahlungsstockung ist anzunehmen, wenn der Zeitraum nicht
überschritten wird, den eine kreditwürdige Person benötigt, um sich die benötigten Mittel zu leihen. Dafür
erscheinen drei Wochen erforderlich, aber auch ausreichend. Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu
beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10% seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist
regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es sei denn, es ist bereits absehbar, daß die Lücke demnächst
mehr als 10% erreichen wird. Beträgt die Liquiditätslücke des Schuldners 10% oder mehr, ist regelmäßig von
Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig
beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls
zuzumuten ist (BGHZ 163,134). Nach diesen Kriterien ist die Beklagte zahlungsunfähig. Allein die
Mietschulden erreichen einen Betrag von rund EUR 39 000. Hinzu kommen die offenen Forderungen aus
Warenlieferungen in Höhe von EUR 17 000. Eine positive Prognose kann der Beklagten aus den von ihrem
Ehemann in der eidesstattlichen Versicherung gegebenen Gründen nicht gestellt werden.
26 10. Nach § 275 Abs. 1 BGB ist der Anspruch auf Leistung ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner
oder für jedermann unmöglich ist. Richtig ist, dass Zahlungsunfähigkeit den Schuldner auch dann nicht befreit,
wenn sie auf unverschuldeter Ursache beruht. Nach dem Prinzip der unbeschränkten Vermögenshaftung, das
aus dem Grundgedanken des § 279 BGB a. F. und dem geltenden Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht
abzuleiten ist, hat jedermann für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen (BGHZ 107, 92). Von
Geldleistungspflichten wird der Schuldner nur nach den besonderen Bestimmungen der Insolvenzordnung
befreit. Für die Entscheidung des hier zu beurteilenden Falles ist jedoch nicht der dargestellte Grundsatz der
unbeschränkten Vermögenshaftung maßgeblich. Vielmehr geht es darum, ob der Schuldner trotz Unvermögens
zu einer (gegebenenfalls nicht vertretbaren) Handlung gezwungen werden kann. Auch im
Zwangsvollstreckungsrecht ist ganz herrschende Auffassung, dass der Schuldner einer unvertretbaren
Handlung nicht durch Zwangsgeld zu einer Handlung gezwungen werden darf, die ihm nicht möglich ist (§ 888
ZPO; vgl. OLGR Celle 1998, 104; OLG Hamm NJW-RR 1988, 1087; OLGR Stuttgart 2005, 728). Unter diesen
Umständen kann die Beklagte bereits im Erkenntnisverfahren den materiell-rechtlichen Einwand, zur Erfüllung
der Betriebspflicht nicht in der Lage zu sein (§ 275 Abs. 1 BGB), geltend machen (vgl. auch LG Köln NZM
2005, 621). Unvermögen liegt zumindest dann vor, wenn der Schuldner zahlungsunfähig ist und die Fortführung
des Betriebes allenfalls durch Betrug gegenüber seinen Geschäftspartnern, nämlich durch Täuschung über
seine nicht gegebene Zahlungsfähigkeit bewirken könnte.
27 Nachdem die Beklagte zahlungsunfähig ist, ist es ihr unmöglich, den Geschäftsbetrieb, wie in der einstweiligen
Verfügung vom 30.11.2005 angeordnet, aufrecht zu erhalten.
28 Die Entscheidung beruht im übrigen auf § 91 ZPO.