Urteil des OLG Karlsruhe vom 14.02.2007

OLG Karlsruhe (höhe, orthopädische schuhe, zivilrechtlicher anspruch, grobe fahrlässigkeit, beweislast, schmerzensgeld, unfall, zpo, aug, gutachten)

OLG Karlsruhe Urteil vom 14.2.2007, 7 U 135/06
Gesetzliche Unfallversicherung: Rückgriff auf einen fiktiven Schmerzensgeldanspruch; Darlegungs- und
Beweislast für den Umfang des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs des Geschädigten
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 12.05.2006 - 1 O 102/05 - im
Kostenpunkt aufgehoben und im übrigen wie folgt geändert:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 25.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz hieraus seit 03.09.2004 zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Aufwendungen der Klägerin bis zur Höhe des
zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs des Verletzten Wittmann aus dem Unfall vom 27.04.1999 zu ersetzen,
soweit der zivilrechtliche Schadensersatzanspruch über die bereits erbrachten und nach Klageantrag Ziff. 1
zugesprochenen und bezahlten Beträge hinaus dem Grund nach besteht und der Höhe nach entstanden ist oder
entstehen wird.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten beider Rechtszüge tragen die Klägerin 25 % und der Beklagte 75 %.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 %
des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 %
des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
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Die Klägerin macht gegen den Beklagten, gestützt auf § 110 Abs. 1 SGB VII, einen Anspruch auf Zahlung von
36.577,03 EUR zuzüglich Zinsen geltend und begehrt die Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr
die ab 01.01.2005 entstandenen und zukünftig entstehenden Aufwendungen aus dem Unfall des Herrn W. vom
27.04.1999 bis zur Höhe des zivilrechtlichen (materiellen und immateriellen) Schadensersatzanspruches zu
bezahlen. Das Landgericht hat mit dem das angefochtenen Urteil, auf das wegen des Sach- und Streitstands
im ersten Rechtszug sowie der getroffenen Feststellungen Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen, da
die Klägerin keinen Schadensersatzanspruch des Geschädigten dargelegt bzw. bewiesen habe.
Verdienstausfall sei dem Zeugen W. nicht entstanden und ein - fiktiver - Schmerzensgeldanspruch des
Geschädigten sei im Rahmen des § 110 Abs. 1 SGB VII nicht zu berücksichtigen.
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Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge in vollem Umfang weiter, wobei der Feststellungsantrag
dahingehend formuliert wird, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Aufwendungen der Klägerin bis zur Höhe
des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs des Verletzten W. aus dem Unfall vom 27.04.1999 zu ersetzen,
soweit der zivilrechtliche Schadensersatzanspruch über die bereits erbrachten und nach Klageantrag Ziff. 1
zugesprochenen und bezahlten Beträge hinaus dem Grunde nach besteht und der Höhe nach entstanden ist
oder entstehen wird. Zur Begründung stützt sich die Klägerin auf die nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils
ergangene Entscheidung des BGH vom 27.06.2006 - VI ZR 143/05 - (BGHZ 168, 161 = NJW 2006, 3563 =
VersR 2006, 1429), wonach ein Sozialversicherungsträger wegen der von ihm erbrachten Aufwendungen beim
Rückgriff nach § 110 SGB VII grundsätzlich auch auf den fiktiven Schmerzensgeldanspruch des Geschädigten
gegen den nach den §§ 104 ff. SGB VII haftungsprivilegierten Schädiger zurückgreifen kann. Ferner vertritt die
Klägerin die Auffassung, dass für die Höhe des Schadens der Schädiger darlegungs- und beweispflichtig sei.
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Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung, wobei auch er die Rechtsfrage, ob sich der
Sozialversicherungsträger bei seinem Rückgriff nach § 110 Abs. 1 SGB VII auch auf den fiktiven
Schmerzensgeldanspruch des Geschädigten berufen kann, nach der zitierten Entscheidung des BGH für
geklärt erachtet. Er vertritt jedoch die Auffassung, dass die Darlegungs- und Beweislast für die Höhe des
Anspruchs die Klägerin treffe. Das fiktive Schmerzensgeld sei zudem schon deshalb zu reduzieren, da die
Genugtuungsfunktion entfalle.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands im zweiten Rechtszug wird auf die eingereichten Schriftsätze
nebst Anlagen verwiesen.
II.
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Die zulässige Berufung ist überwiegend begründet. Die Klägerin hat gemäß § 110 Abs. 1 SGB VII gegen den
Beklagten Anspruch auf Zahlung weiterer 25.000,00 EUR sowie auf die begehrte Feststellung.
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1. Die Voraussetzungen des § 110 Abs. 1 SGB VII liegen vor. Die Haftung des Beklagten ist nach § 104 Abs.
1 SGB VII beschränkt. Das geschädigte Mitglied der Klägerin W. war für den Beklagten beim Bau eines
Wohnhauses in Heidelberg tätig und führte vor dem Unfall Schal- und Betonierarbeiten im Dachgeschoss aus.
Zwischen den Parteien besteht ferner Einigkeit, dass der Beklagte den Versicherungsfall grob fahrlässig
verursacht hat, da er unbrauchbare „Stirn-Deckenanker“ für die Konsolgerüstverankerung verwandt hat, die
beim Ablegen einer Baudiele abbrachen, wodurch der Geschädigte Wittmann und ein weiterer Arbeitnehmer des
Beklagten etwa 5,5 m in die Baugrube hinabstürzten. Zwischen den Parteien ist im Berufungsrechtszug
weiterhin nicht mehr im Streit, dass die bisher kontrovers diskutierte Rechtsfrage, ob sich der
Sozialversicherungsträger bei der Berechnung seines Anspruchs nach § 110 Abs. 1 SGB VII nicht nur auf den
materiellen Schadensersatzanspruch des Geschädigten, sondern auch auf den Schmerzensgeldanspruch
berufen kann, durch die erwähnte Entscheidung des BGH vom 27.06.2006, der sich der Senat anschließt,
geklärt ist. Danach kann ein Sozialversicherungsträger wegen der von ihm erbrachten Aufwendungen beim
Rückgriff nach § 110 Abs. 1 SGB VII grundsätzlich auch auf den fiktiven Schmerzensgeldanspruch des
Geschädigten gegen den nach § 104 ff. SGB VII haftungsprivilegierten Schädiger zurückgreifen.
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2. Den danach bei der Ermittlung des Umfangs des fiktiven zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs des
Geschädigten zu berücksichtigenden Anspruch auf Schmerzensgeld bemisst der Senat mit 25.000,00 EUR.
Dabei kommt es insoweit nicht auf die zwischen den Parteien diskutierte Rechtsfrage an, wer die Darlegungs-
und Beweislast für die Voraussetzungen des Ersatzanspruchs trägt. Die Klägerin hat bereits erstinstanzlich
das unfallchirurgische Gutachten von Prof. Dr. W. vom 21.10.2002 über die unfallbedingten Verletzungen des
Geschädigten vorgelegt und hierauf ihren Anspruch gestützt. Hierzu hat sich der Beklagte erstinstanzlich nicht
geäußert, sodass die in dem Gutachten erwähnten unfallbedingten Folgen unstreitig sind (§ 138 Abs. 3 ZPO).
Dies hat der Beklagte im Berufungsrechtszug nochmals dadurch bestätigt, dass er das ursprüngliche
Bestreiten der Verletzungen des Geschädigten mit Nichtwissen nicht mehr aufrechterhalten hat.
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a) Nicht gefolgt werden kann der Auffassung des Beklagten, dass der Rückgriffsanspruch der Klägerin schon
deshalb zu kürzen sei, weil die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes hier entfalle. Maßgeblich ist
vielmehr der fiktive Anspruch des Geschädigten auf Schmerzensgeld (vgl. BGH VersR 2006, 1429, 1430), der
nach den Kriterien gemäß § 847 Abs. 1 BGB a.F. i.V.m. Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB zu bemessen ist. Danach
hält der Senat für die erlittenen immateriellen Beeinträchtigungen des Geschädigten ein Schmerzensgeld in
Höhe von 25.000,00 EUR für angemessen und ausreichend. Hierbei wurde berücksichtigt, dass der
Geschädigte unfallbedingt etwa 5 Wochen stationär im Krankenhaus verbringen musste und er knapp 8 Monate
arbeitsunfähig war. Die erheblichen Unfallfolgen sind im Gutachten von Prof. W. vom 21.10.2002 - dort Seite 6
- im Einzelnen aufgezählt, worauf verwiesen wird. Hervorzuheben sind die Bewegungseinschränkung im oberen
Sprunggelenk links, die weitgehende Einsteifung im unteren Sprunggelenk links, die aufgehobene
Beweglichkeit im unteren Sprunggelenk rechts, die erhebliche Verformung des Fersenbeinkörpers rechts, das
veränderte Gangbild und die Notwendigkeit, orthopädische Schuhe tragen zu müssen, was insgesamt zu einer
Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 % führt. Hierbei handelt es sich nach dem Gutachten von Prof. Dr. W.
um dauerhafte Beeinträchtigungen, die durch ein erneutes Heilverfahren nicht verbessert werden können. Dass
derartige Dauerschäden erhebliche Auswirkungen auf die Lebensführung des zum Unfallzeitpunkt erst 39-
jährigen Geschädigten haben, liegt auf der Hand. Bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes war
ferner zu beachten, dass der Unfall durch ein grob fahrlässiges Verhalten des Beklagten verursacht wurde.
Andererseits ist der Geschädigte trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen nach wie vor beim Beklagten
vollzeitig beschäftigt und der Unfall hat nicht dazu geführt, dass er aus seinem gewohnten Arbeitsleben
gerissen wurde. Der Schmerzensgeldbetrag entspricht der Größenordnung, die in vergleichbaren Fällen von der
Rechtsprechung zuerkannt werden. So hat das LG Darmstadt im Urteil vom 14.03.1985 - 9 O 256/83 - unter
Berücksichtigung der Geldentwertung rund 29.000,00 EUR Schmerzensgeld zuerkannt. In diesem Fall lag
ebenfalls eine erhebliche Einschränkungen der Beweglichkeit des linken Sprunggelenks vor bei einer
Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 %, wobei allerdings weitere Verletzungen, insbesondere eine offene
Oberarmfraktur links, eingetreten waren. Das OLG Köln hat im Urteil vom 26.04.1995 - 1 U 161/94 - in einem
Fall, bei welchem dem Schädiger ebenfalls grobe Fahrlässigkeit zur Last fiel und es zu einem langwierigen
Heilungsprozess bei einer Innenknöchelfraktur rechts und einer Fersenbeinfraktur links kam, inflationsbereinigt
rund 23.000,00 EUR Schmerzensgeld zugesprochen, wobei dort das Zahlungsverhalten des Schädigers als
weiteres Bemessungskriterium hinzukam.
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b) Der Schmerzensgeldanspruch des Geschädigten deckt neben den Rentenleistungen der Klägerin auch die
angefallenen Gutachterkosten in Höhe von 436,23 EUR ab. Insoweit handelt es sich ebenfalls um
Aufwendungen der Klägerin, die infolge des Versicherungsfalls entstanden sind. Nicht abzuziehen sind Abzüge
für häusliche Ersparnisse während der Zeiträume in welchen der Geschädigte stationär behandelt wurde. Der
Ersatzanspruch des Sozialversicherungsträgers ist der Höhe nach nicht auf einen sachlich und zeitlich
kongruenten Schadensersatzanspruch des Geschädigten begrenzt (vgl. BGH a.a.O.). Damit werden durch den
fiktiven Schmerzensgeldanspruch des Geschädigten W. in Höhe von 25.000,00 EUR die von dem Beklagten
bisher nicht ausgeglichenen Rentenzahlungen für 1999/2000 (6.501,32 EUR), 2001 (5.861,82 EUR), 2002
(7.481,76 EUR) sowie die Gutachterkosten 2002 (436,23 EUR) und die Rentenzahlungen für 2003 in Höhe von
4.718,87 EUR erfasst.
10 3. Der weitergehende Zahlungsanspruch der Klägerin ist hingegen unbegründet.
11 a) Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass der Beklagte als Schädiger darzulegen und zu beweisen hat,
in welcher Höhe der zivilrechtliche Anspruch des Verletzten den Anspruch der Klägerin nach § 110 Abs. 1 SGB
VII begrenzt, obläge der Klägerin zumindest eine gesteigerte Darlegungslast, dass dem Geschädigten W. über
den Schmerzensgeldanspruch hinaus ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch zusteht, der auch ihren
weitergehenden bezifferten Zahlungsanspruch in Höhe von 11.577,03 EUR umfasst und noch nicht durch die
Zahlungen des Beklagten bzw. seiner Haftpflichtversicherung abgedeckt ist. Dieser sog. sekundären
Darlegungslast ist die Klägerin nicht nachgekommen, da sich ihr Vorbringen darauf beschränkt, der Schädiger
habe darzulegen und zu beweisen, dass der Schadensersatzanspruch des Versicherten geringer sei als ihre
Aufwendungen.
12 Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass in Fällen, in denen der Darlegungspflichtige außerhalb des für
seinen Anspruch erheblichen Geschehensablaufs steht, der Gegner aber alle wesentlichen Tatsachen kennt,
dessen einfaches Bestreiten nicht ausreicht, sofern ihm nähere Angaben zumutbar sind, was insbesondere
dort der Fall ist, wo das materielle Recht das Nichtvorliegen von Tatsachen zur Anspruchsvoraussetzung
erhebt oder sonst nach den Gegebenheiten im konkreten Rechtsstreit das Nichtvorliegen eines Umstandes
bewiesen werden muss (vgl. BGH NJW-RR 2004, 990; BGH NJW-RR 2003, 746, 747; BGH NJW 1999, 579,
580 m.w.N.). So liegt der Fall hier. Die Beschränkung der Haftung auf die Höhe des zivilrechtlichen
Schadensersatzanspruchs nach § 110 Abs. 1 SGB VII ist für den Schädiger eine negative Tatsache, denn er
müsste nachweisen, dass den Aufwendungen des Sozialversicherungsträgers kein zivilrechtlicher Anspruch
des Geschädigten der Höhe nach gegenübersteht. Der Klägerin ist es auch zumutbar, nähere Ausführungen
zum Schadensersatzanspruch des Verletzten zu machen. Ihr sind die Folgen der Körperverletzung ihres
Versicherungsnehmers bekannt, da sie die angefallenen Heilbehandlungskosten bezahlt hat und auf der
Grundlage der Angaben des Verletzten und der medizinischen Unterlagen den Rentenantrag bearbeitet hat, was
zuletzt zu dem Bescheid über eine Rentenerhöhung vom 27.11.2002 geführt hat. Soweit der Klägerin
Informationen über einzelne Schadenspositionen des Geschädigten Wittmann nicht vorliegen sollten, kann sie
sich im Gegensatz zum Beklagten in zumutbarer Weise die Kenntnis verschaffen. Der Geschädigte ist
verpflichtet, dem Sozialleistungsträger die zur Geltendmachung des übergegangenen Anspruchs nötigen
Auskünfte zu erteilen, insbesondere über die Person des Schädigers und des Schadens (vgl. BSG NJW 1978,
1702; Kasseler Kommentar/Kater, 51. Lieferung, § 116 SGB X Rn. 161). Die zitierte Rechtsprechung und
Literatur betrifft zwar § 1542 RVO bzw. § 116 SGB X, also übergegangene Ansprüche. Dies ändert aber nichts
an der Beurteilung, da Grundlage der Auskunftspflicht des Versicherten eine Nebenpflicht aus dem
Mitgliedschaftsverhältnis ist (vgl. BSG a.a.O) und es insoweit unerheblich ist, ob der Sozialversicherungsträger
einen übergegangen Anspruch verfolgt oder den originären Anspruch aus § 110 Abs. 1 SGB VII. Da der
Klägerin somit ein Auskunftsanspruch gegen den Geschädigten W. zusteht, ist es ihr zuzumuten, zunächst
von ihm den tatsächlichen Schadensumfang zu erfragen, was nicht geschehen ist. Vielmehr beschränkt sich
die Klägerin darauf, dass nach ihrer Auffassung der Schädiger darzulegen und zu beweisen habe, dass der
Schadensersatzanspruch niedriger sei als ihre Aufwendungen. Entgegen der Auffassung der Klägerin
rechtfertigt auch der Umstand, dass der Geschädigte W. nach wie vor beim Beklagten beschäftigt ist, keine
anderer Beurteilung. Der Beklagte hat aus dem Arbeitsverhältnis keine gleichwertigen Erkenntnismöglichkeiten
wie die Klägerin aus dem Mitgliedschaftsverhältnis. Sicherlich weiß der Beklagte, ob dem Geschädigten W. -
wie hier nicht - ein Verdienstentgang entstanden ist. Hinsichtlich sonstiger möglicher Schäden, etwa vermehrte
Bedürfnisse, Haushaltsführungsschaden etc., ist nicht ersichtlich, dass aus dem Arbeitsverhältnis eine
Auskunftsverpflichtung des Geschädigten W. besteht.
13 b) Im Übrigen teilt der Senat die Meinung der Klägerin nicht, der Schädiger sei für die Höhe des zivilrechtlichen
Anspruch des Verletzten beweispflichtig. Vielmehr liegt die Beweislast für die Höhe des Anspruchs nach § 110
Abs. 1 SGB VII bei der Klägerin (ebenso: Küppersbusch, NZV 2005, 393, 396 ff.; ders. Ersatzansprüche bei
Personenschäden, 9. Aufl., Rn. 563; Stern-Krieger/Arnau, VersR 1997, 408, 412; zweifelnd: Geigel/Kolb,
Haftpflichtprozess, 24. Aufl., Kapitel 32 Rn. 29; a.A.: Lehmacher, NZV 2006, 63, 65 f). Nach allgemeinen
Beweislastgrundsätzen hat derjenige, der einen Anspruch geltend macht, Grund und Höhe des Anspruchs zu
beweisen. Eine abweichende Beweislastverteilung ist der Vorschrift des § 110 Abs. 1 SGB VII nicht zu
entnehmen. Der Wortlaut ist nicht eindeutig. Die Formulierung der Haftungsbegrenzung, dass nämlich
Personen, die den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben, dem
Sozialversicherungsträger für die infolge des Versicherungsfalls entstandenen Aufwendungen, jedoch nur bis
zur Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs, haften, kann sowohl als anspruchsbegründende
Haftungsvoraussetzung als auch als rechtshindernde Einwendung verstanden werden. Soweit die Klägerin für
ihre Auffassung auf die Gesetzesmaterialien zurückgreift, kann hierauf eine Abweichung von der allgemeinen
Beweislastverteilung nicht hergeleitet werden, da in der endgültigen Gesetzesfassung dieser Wille des
Gesetzgebers keinen hinreichenden Ausdruck gefunden hat. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der
Wille des Gesetzgebers in den Gesetzesmaterialien auch nicht derart klar zum Ausdruck gekommen. Es wird
lediglich als Halbsatz angeführt, dass es Sache des Schädigers sei, den Umfang seiner zivilrechtlichen
Haftung darzulegen (vgl. BTDrucks 13/2204 S. 101). Weder die Beweislast noch die Anspruchshöhe werden
hierbei eindeutig angesprochen. Auch Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung sprechen dafür, dass die
Beweislast für die Höhe des zivilrechtlichen Anspruchs des Versicherten beim Sozialversicherungsträger liegt.
Zum einen ist es ihm aus dem Mitgliedschaftsverhältnis ohne weiteres möglich, den Verletzungsumfang und
die einzelnen Schadenspositionen zu erfragen und bei Weigerung des Verletzen über eine Auskunftsklage die
Informationen zu erhalten (s.o. II.3.a). Zum anderen weist der Beklagte zu Recht darauf hin, dass die
Auffassung der Klägerin zu der eigenartigen Situation führen würde, dass der Schädiger beweisen müsste,
dass die Aufwendungen des Sozialversicherungsträgers höher sind als der von ihm selbst angerichtete
Schaden. Damit würde aber der Zweck von § 110 Abs. 1 SGB VII - in Abweichung zur früheren Regelung in §
640 RVO - den Schädiger nicht stärker zu belasten, als bei einer unmittelbaren zivilrechtlichen Haftung,
unterlaufen, da die Gefahr besteht, dass er dem Sozialversicherungsträger doch alle Aufwendungen ersetzen
muss, nur weil er nicht weiß oder nicht ermitteln und damit auch nicht beweisen kann, dass dem Verletzen kein
oder jedenfalls ein geringerer Schaden entstanden ist (ebenso: Küppersbusch, NZV 2005, 393, 397).
14 4. Der zulässige Feststellungsantrag ist begründet.
15 a) Der Feststellungsantrag ist zulässig. Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der begehrten
Feststellung. Das Feststellungsinteresse i.S. von § 256 Abs. 1 ZPO ist zu bejahen, wenn der
Anspruchsgegner seine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit in Abrede stellt und durch die Klageerhebung
einer drohenden Verjährung entgegengewirkt werden soll und die Möglichkeit eines künftigen Schadens auf
Grund einer bereits eingetretenen Rechtsgutverletzung besteht (vgl. BGH NJW 2001, 1431, 1432). Diese
Voraussetzungen sind hier gegeben. Der Beklagte hat seine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit über die
bereits bezahlten Beträge hinaus bestritten und auf Grund der erlittenen Verletzungen des Geschädigten W.
besteht die Möglichkeit, dass er einen weitergehenden zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch hat.
16 b) Der Feststellungsantrag ist auch begründet. Ob bereits die Möglichkeit eines künftigen Schadenseintritts zur
Begründetheit des Feststellungsantrags hier ausreicht, da der originäre Anspruch der Klägerin aus § 110 Abs. 1
SGB VII auf der Verletzung eines deliktsrechtlich geschützten absoluten Rechtsguts des Geschädigten W.
beruht oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit eines künftigen Schadenseintritts gegeben sein muss, kann im
Ergebnis offen bleiben. Im Hinblick auf die Schwere der Verletzungen kann kein Zweifel bestehen, dass eine
gewisse Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass der Versicherte künftig weitere unfallbedingte Schäden
(Gesundheitsbeeinträchtigungen, Verdienstentgang, vermehrte Bedürfnisse etc.) erleiden kann.
III.
17 Die Zinsentscheidung beruht auf §§ 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB. Der Beklagte hat unstreitig
durch seine Haftpflichtversicherung am 03.09.2004 jede Zahlung auf die Rentenleistungen der Klägerin
abgelehnt, sodass für die bis dahin entstandenen Aufwendungen der Klägerin, die den Betrag von 25.000,00
EUR übersteigen, Verzug eintrat. Die Zinshöhe entspricht dem gesetzlichen Zinssatz.
18 Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
19 Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
20 Die Revision ist zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Es
ist zu erwarten, dass die Frage, wer bei dem Anspruch des Sozialversicherungsträgers nach § 110 Abs. 1 SGB
VII die Darlegungs- und Beweislast für den Umfang des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs des
Geschädigten trägt, in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen auftreten wird. In der höchstrichterlichen
Rechtsprechung ist diese Rechtsfrage bisher nicht geklärt und in der Literatur werden hierzu unterschiedliche
Auffassungen vertreten (vgl. Küppersbusch, NZV 2005, 393, 396 f.; Lehmacher, NZV 2006, 63, 65 f.).