Urteil des OLG Karlsruhe vom 09.01.2002

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OLG Karlsruhe Urteil vom 9.1.2002, 6 U 98/01
Wettbewerbsverstoß: Abgrenzung von Lockvogelwerbung und irreführender Werbung; Schutzzweck des Verbots irreführender Werbung
Tenor
Gründe
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Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadenersatz wegen irreführender Werbung.
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Die Parteien sind unmittelbare Wettbewerber, beide geben in K. und Umgebung die einzigen Sonntagsblätter heraus. Beide Zeitungen werden
ausschließlich über Anzeigen finanziert und kostenlos verteilt. Der Senat hat der Beklagten unter Abänderung des klagabweisenden Urteils des
Landgerichts mit Urteil vom 24.01.01 (6 U 42/00) im Hauptsacheverfahren verboten, für die Sonntagszeitung "B. B." mit unterschiedlichen
Anzeigenpreisen für verschiedene Ausgaben, nämlich die Gesamtausgabe, die Ausgabe K., die Ausgabe D. und die Ausgabe E. zu werben und
unterschiedliche Anzeigenpreise den Kunden zu berechnen, solange "B. B." nicht auch in den vorgenannten vier Ausgaben herausgegeben und
vertrieben wird. Die Beklagte hatte zuvor Inserate in Teilausgaben beworben, solche Teilausgaben aber in der überwiegenden Mehrzahl der
Fälle nicht vertrieben, sondern die für Teilausgaben bestellten Inserate ohne lokale Differenzierung in der Gesamtausgabe veröffentlicht.
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Die Klägerin hat vorgetragen,
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während der Zeit der einstweilen verbotenen Werbung durch die Beklagte seien 25 Ausgaben ihrer Zeitung "Der S." erschienen. Deren
Anzeigenaufkommen betrage durchschnittlich DM 50.000. Ohne die wettbewerbswidrige Werbung habe sie mindestens 10 % mehr einnehmen
können. Denn das Anzeigenaufkommen der Beklagten habe sich durch die Einführung der umstrittenen Preisliste wesentlich - um mindestens 15
% - erhöht. Abzüglich ersparter Mehraufwendungen von DM 25.000 errechne sich daraus ein Mindestschaden von (25 x DM 5.000 - DM 25.000
=) DM 100.000.
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Die Klägerin hat Zahlung dieses Betrages begehrt. Die Beklagte hat zur Begründung ihres Antrags auf Klageabweisung vorgetragen,
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der Senat habe im Vorprozess zu Unrecht einen Wettbewerbsverstoß angenommen. Die Beklagte habe die Inserenten nicht irregeführt. Die
Kunden hätten auch bei der Schaltung von Anzeigen in Lokalausgaben nicht erwartet, die Anzeigen würden tatsächlich auch in Lokalausgaben
erscheinen. Ein eventueller Wettbewerbsverstoß sei auch nahezu irrelevant, da sich kaum Kunden für Inserate in Lokalausgaben interessiert
hätten. Gerade wegen dieses nur geringen Aufkommens an lokalen Inseraten habe sich die Herausgabe von Lokalausgaben nicht gelohnt und
seien die Aufträge in die Gesamtausgabe "durchgeschaltet" worden. Da die Klägerin selbst keine Lokalanzeigen anbiete, sei unwahrscheinlich,
dass eventuell irregeführte, an einem Inserat mit lokalem Bezug interessierte Kunden bei Kenntnis der wahren Sachlage ihr Inserat bei der
Klägerin geschaltet hätten. Es fehle auch an einer Kausalität der beanstandeten Werbung für einen eventuellen Schaden der Klägerin.
Schließlich treffe die Beklagte kein Verschulden. Die Angaben zur Schadenshöhe seien gänzlich unsubstantiiert und auch für eine Schätzung
ungeeignet.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat Berufung eingelegt. Sie trägt vor, es könne nicht zweifelhaft sein, dass die Beklagte
durch ihre Werbung die einschlägigen Verkehrskreise schuldhaft irregeführt habe. Da die Beklagte ihr Verhalten trotz Abmahnung fortgesetzt
habe, habe sie schuldhaft gehandelt. Sie könne sich nicht dadurch exkulpieren, dass sie auf eine rechtlich nicht haltbare Entscheidung eines
erstinstanzlichen Gerichts verweise, die durch das Berufungsgericht aufgehoben worden sei. Auch seien die Mindestvoraussetzungen für eine
Schätzung eines Schadens dargetan. Dass die Klägerin keine Lokalausgaben anbiete und dass nur wenige Kunden sich bei der Beklagten für
Lokalinserate interessiert hätten, stelle einen Schaden nicht in Frage. Das Landgericht habe das Wesen einer Lockvogelwerbung gründlich
verkannt. Durch die Praxis, billigere Anzeigen in Lokalausgaben anzubieten, diese aber regelmäßig in die Gesamtausgabe "durchzuschalten",
sei ein sehr erheblicher Teil der Kunden, die überhaupt nicht an Lokalanzeigen interessiert gewesen sei, dazu übergangen, solche zu ordern,
um zu deren günstigeren Preisen eine eigentlich teurere Anzeige in der Gesamtausgabe zu erlangen. Da das Gesamtanzeigenaufkommen eine
feste Größe darstelle, gehe das Mehraufkommen der Beklagten zwangsläufig zu Lasten des Anzeigenaufkommens der Klägerin. Seit dem die
Beklagte die umstrittene Werbung unterlasse sei der Umsatz der Klägerin um 38,22 % gestiegen, obwohl sich das Anzeigenaufkommen bei
Printmedien allgemein im Jahre 2001 um 20 % vermindert habe. Im übrigen ergänzt und vertieft die Klägerin ihren vor dem Landgericht
gehaltenen Vortrag.
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Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat
keinen Anspruch auf Zahlung von Schadenersatz wegen der Bewerbung und Entgegennahme von Aufträgen für gegenüber der Gesamtausgabe
preiswertere Inserate in den Lokalausgaben K., D. und E. des "B. B.". Es kann dahinstehen, ob die Beklagte wettbewerbswidrig gehandelt hat, ob
das rechtskräftige Unterlassungsurteil des Senats für die Beurteilung des Schadensersatzanspruchs dem Grunde nach bindend ist und ob der
Beklagten Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last fällt. Selbst wenn alle diese Fragen zu bejahen wären - was hier keiner Entscheidung bedarf -
erweist sich die Klage als unbegründet. Die Klägerin hat nicht dargetan, dass ihr durch das beanstandete Verhalten der Beklagten ein Schaden
entstanden wäre. Das Landgericht hat dies unter Ziffer 3. der Entscheidungsgründe mit eingehender und zutreffender Begründung dargelegt. Der
Senat folgt insoweit den Gründen der angefochtenen Entscheidung und verweist auf sie, § 543 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO. Der Vortrag im
Berufungsverfahren rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht:
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Der Senat ist wie die Kammer für Handelssachen nicht davon überzeugt, dass auch nur ein Kunde der Beklagten, der zu einem günstigen Preis
eine Anzeige in einer Lokalausgabe schalten wollte, sich im Fall der Aufklärung seines Irrtums, einen lokalen Rahmen für seine Präsentation
erlangen zu können, entschlossen hätte, ein Inserat in der Zeitung der Klägerin aufzugeben. Denn bei der Klägerin hätte er unstreitig mit seinem
Inserat ebenfalls keinen lokalen Bezug erreichen, sondern nur in einer Gesamtausgabe inserieren können und ebenfalls unstreitig für eine
Anzeige in der Gesamtausgabe sogar noch mehr bezahlt, als für ein Inserat in der Gesamtausgabe der Zeitung der Beklagten. Bei dieser
Sachlage erscheint ein ersatzfähiger Schaden so unwahrscheinlich, dass auch eine Schätzung nach § 287 ZPO nicht in Betracht kommt.
10 Das hiergegen von der Berufung vorgebrachte Argument, das Wesen der Lockvogelwerbung werde damit grob verkannt, greift nicht durch. Unter
einem Lockvogelangebot versteht man das Anlocken des Publikums durch das Angebot nicht oder nicht ausreichend vorrätiger Ware, um den
Kunden, der nun schon mal das Geschäft des Werbenden aufgesucht hat, zum Kauf teurerer Waren zu verleiten. Darum geht es hier nicht, weil
den Inserenten der Beklagten gerade nicht gesagt worden ist, es gebe keine Lokalinserate (mehr), sie müssten die teureren Anzeigen in der
Gesamtausgabe ordern. Vielmehr ist ihnen nach der Behauptung der Klägerin vorgespiegelt worden, sie könnten sich in einem lokalen Rahmen
Lesern darstellen, die gerade an in E., D. oder K. (und nicht in ganz Mittelbaden) tätigen Gewerbetreibenden interessiert seien. Der Vorwurf
wettbewerbswidrigen Verhaltens der Klägerin an die Beklagte zielt daher auf eine Irreführung der Kunden über Eigenschaften des Produkts und
nicht auf eine Verleitung zum Kauf überteuerter Waren.
11 Es kommt auch nicht darauf an, ob die Behauptung der Klägerin zutrifft, weite Teile der angesprochenen Kunden hätten mit der Zeit erkannt, auch
bei Schaltung einer Lokalanzeige zu deren niedrigerem Preis in der Regel eine Anzeige in der Gesamtausgabe zu erhalten, und sich deshalb
entschlossen, stets auch bei Interesse am Erscheinen in der Gesamtausgabe nur das billigere Inserat in einer Lokalausgabe zu bestellen und zu
hoffen, es würde wieder keine Lokalausgabe erscheinen. Selbst wenn dies so gewesen sein sollte, hat die Klägerin keinen Anspruch auf Ersatz
der ihr dadurch eventuell entstandenen finanziellen Nachteile. Denn diese Nachteile wären ihr nicht durch eine Irreführung des Publikums
entstanden, sondern dadurch, das der Verkehr die irreführenden Äußerungen durchschaut und sich zu nutze gemacht hat. Diese Fälle sind aber
vom Schutzzweck des § 3 UWG nicht umfasst, der sich nur gegen die Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise wendet und kein Verbot
niedrigerer Preise enthält.
12 Soweit die Klägerin nun auch geltend macht, der von der Beklagten geforderte Preis für ein Lokalinserat sei als Preis für eine Anzeige in der
Gesamtausgabe ruinös gewesen, ist der Tatsachenvortrag der Klägerin unsubstantiiert. Denn grundsätzlich hat jeder Gewerbetreibende das
Recht, den Preis seiner Waren und Dienstleistungen selbst zu bestimmen. Die Klägerin behauptet lediglich schlagwortartig eine ruinöse
Preisgestaltung, ohne die für eine Abweichung von dem Grundsatz der freien Preisgestaltung erforderlichen unlauteren Begleitumstände für eine
Verdrängungs- oder Vernichtungsunterbietung auch nur ansatzweise darzutun.
Verdrängungs- oder Vernichtungsunterbietung auch nur ansatzweise darzutun.