Urteil des OLG Karlsruhe vom 05.09.2002
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OLG Karlsruhe Urteil vom 5.9.2002, 12 U 83/01
Arzthonoraranspruch: Fälligkeit und Verjährungsbeginn nach unwirksamer Honorarabtretung
Leitsätze
Tritt ein Arzt seine Honorarforderung an einen Dritten zur Rechnungsstellung ohne Einwilligung des Patienten und somit unwirksam nach § 134 BGB
i.V.m. § 203 StGB ab, so löst eine Rechnung des Dritten nicht die Fälligkeit der Honorarforderung nach § 10 Abs. 2 GOZ aus. Die Verjährung einer
Honorarforderung beginnt in einem solchen Fall erst mit Rechnungsstellung durch den Arzt.
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 09.03.2001 - 9 O 235/00 - im Kostenpunkt aufgehoben und im
übrigen wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 17.846,52 EUR nebst 6 % Zinsen seit dem 19.01.2001 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
1
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO a.F. abgesehen.
I.
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Die Berufung des Klägers ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
3
Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Vergütung seiner zahnärztlichen Leistungen in Höhe von 34.904,76 DM = 17.846,52 EUR, wie
er am 2.11.1998 abgerechnet hat.
4
Sachliche Einwendungen gegen die Rechnung vom 2.11.1998 erhebt die Beklagte nicht.
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Die streitgegenständliche Forderung des Klägers ist nicht verjährt.
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Die Rechnung des Klägers datiert vom 02.11.1998. Die Forderung wurde gemäß § 10 Abs. 2 GOZ mit dieser Rechnungserteilung fällig.
Verjährung wäre somit gemäß §§ 196 Abs. 1 Nr. 14, 198, 201 BGB am 31.12.2000 eingetreten. Der Lauf der zweijährigen Verjährungsfrist wurde
gemäß §§ 209 Abs. 1 BGB, 270 Abs. 3 ZPO rechtzeitig durch Klageeinreichung am 28.12.2000 unterbrochen.
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Entgegen der Ansicht des Landgerichts wurde die Forderung nicht schon mit der Rechnungsstellung durch das F. Rechenzentrum am
27.06.1996 fällig und damit die erste Voraussetzung für den Beginn der Verjährungsfrist geschaffen.
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Zwar regelt § 10 Abs. 2 GOZ nicht ausdrücklich, dass der Zahnarzt bzw. ein berechtigter Forderungsinhaber die Rechnung stellen muss. Dass
der Forderungsinhaber die Rechnung stellen muss, ergibt sich jedoch aus dem Zweck der Rechnungsstellung. Mit der Rechnungsstellung ist
eine wesentliche Rechtsfolge verbunden, die Forderung aus dem Behandlungsvertrag wird fällig. Das "Recht zur Rechnungsstellung" ist kein
selbstständiges Recht, das unabhängig von der Honorarforderung den Behandlungsvertrag gestalten könnte. Es ist vielmehr eng mit der
Forderung verbunden. Die Rechnung ist nämlich Voraussetzung für die Geltendmachung der Honorarforderung. Die Rechnung kann daher nur
der tatsächlich berechtigte Forderungsinhaber stellen. Nur dieser kann entscheiden, ob er die Fälligkeit herbeiführen will, soweit dies noch nicht
geschehen ist, und ob er überhaupt die Forderung durchsetzen will. Die Fälligkeit kann daher nicht durch eine vom Gläubiger nicht oder nicht
wirksam beeinflusste Maßnahme eines Dritten herbeigeführt werden.
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Nur der Kläger selbst konnte die Rechnung stellen und damit die Forderung gegen die Beklagte fällig werden lassen. Die Abtretung der
Forderung des Klägers gegen die Beklagte an das F. Rechenzentrum war unwirksam, wie schon der Senat mit seinem Urteil vom 01.10.1998 -
12 U 314/97 - festgestellt hat.
10 Die Unwirksamkeit der Abtretung kann nicht getrennt von einer Beauftragung zur Rechnungserstellung gesehen werden, wie das Landgericht
angenommen hat. Ob der Kläger überhaupt einen gesonderten Auftrag zur Rechnungserstellung erteilte und inwieweit Abtretung und
Rechnungserteilung untrennbar miteinander verbunden sind, kann letztendlich offen bleiben. Allein schon die Beauftragung eines Dritten zur
Rechnungserstellung ohne wirksame Einwilligung des Patienten verstößt nämlich ebenfalls gegen § 203 StGB und ist deswegen nach § 134
BGB nichtig. Die Rechnung über eine Zahnarztbehandlung kann von einem Dritten nur erstellt werden, wenn der Zahnarzt die erforderlichen
Daten sowohl über die Person des Behandelten wie auch über die Art und den Umfang der Behandlung mitteilt. Eine Rechnung enthält die
gesamten Informationen über die Behandlung des Patienten. Die Erstellung der Rechnung durch einen nichtbefugten Dritten stellt daher einen
Bruch des Arztgeheimnisses dar (vgl. OLG Oldenburg NJW 1992, 758).
11 Die Verjährungsfrist begann nicht aus anderem Grund zu einem früheren Zeitpunkt zu laufen. Die Forderung wurde nicht nach den Grundsätzen
von Treu und Glauben (§ 242 BGB) schon früher fällig, weil der Kläger die Rechnung nicht schon früher erstellte.
12 Nach dem klaren Wortlaut von § 10 Abs. 2 GOZ tritt Fälligkeit erst ein, wenn der Zahnarzt die Rechnung gestellt hat, nicht schon dann, wenn er
hätte eine Rechnung erstellen können (vgl. zu ähnlichen Rechtslagen BGH, NJW 1971, 1455; NJW 1986, 1279; BGHZ 113, 188). Soweit der
Zahnarzt nicht schon aus eigenem Interesse alsbald liquidiert und der Patient nicht länger warten will, hat er es in der Hand, dem säumigen
Zahnarzt eine angemessene Frist zur Rechnungsstellung zu setzen. Reagiert der Zahnarzt nicht in angemessener Frist, verletzt er seine
Obliegenheit. Die Obliegenheitsverletzung kann dazu führen, dass er sein Recht zur Geltendmachung verwirkt (vgl. Narr, Zur Verjährung von
Arzthonoraransprüchen, MedR 1986, 74). Die Beklagte forderte den Kläger aber nicht auf, seine Leistungen abzurechnen.
13 Eine Verwirkung kann auch nicht aus anderem Grund angenommen werden. Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit nicht
geltend gemacht hat und der Verpflichtete sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat,
dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht mehr geltend machen werde. Der bloße Zeitablauf führt nicht zum Erlöschen des Rechts (BGHZ 105,
290/298). Die Voraussetzungen einer Verwirkung liegen nicht vor. Nicht aus Willkür stellte der Kläger eine eigene Rechnung erst 1998. Der
Grund lag vielmehr darin, dass die Beklagte die Rechnung des Zessionars - wegen der Unwirksamkeit der Abtretung berechtigt - nicht bezahlte
und die Berechtigung der Zahlungsverweigerung gerichtlich geklärt wurde. Die Beklagte konnte aus diesem Grund auch nicht darauf vertrauen,
dass der Kläger seine Forderung nicht geltend machen werde. Der Beklagten war aufgrund der Forderungsabtretung und des Versuchs
gerichtlicher Durchsetzung von Anfang an klar, dass der Kläger nicht auf seine Forderung verzichten wollte. Sie hat auch nicht vorgetragen, dass
sie sich darauf einrichtete, ihre zahnärztliche Behandlung nicht vergüten zu müssen.
II.
14 Da die Berufung des Klägers und seine Klage Erfolg haben, hat die Beklagte gemäß § 91 ZPO die Kosten des gesamten Rechtsstreits zu tragen.
15 Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
16 Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.