Urteil des OLG Karlsruhe vom 10.08.2006
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OLG Karlsruhe Beschluß vom 10.8.2006, 1 AK 30/06
Auslieferungsverfahren: Formelle Mängel eines Auslieferungshaftbefehls; Schlüssigkeitsprüfung bei
Angabe einer Katalogtat im Europäischen Haftbefehl
Leitsätze
1. Dem Erlass eines Auslieferungshaftbefehls stehen formelle Mängel eines Europäischen Haftbefehls nach § 83a
Abs.1 IRG nur dann entgegen, wenn diese wesentliche Bestandteile der Ausschreibung betreffen.
2. Auch wenn der ersuchende Staat ein Verhalten als Katalogtat nach Art. 2 Abs. 2 RbEuHb bezeichnet, ist eine
Schlüssigkeitsprüfung dahingehend vorzunehmen, ob die Sachdarstellung einen nachvollziehbaren Rückschluss
hierauf zulässt.
Tenor
1. Gegen den am 21.02.1959 in C./Polen geborenen polnischen Staatsangehörigen ...., wohnhaft in .... wird zum
Zwecke seiner Auslieferung nach Polen zur Strafvollstreckung die Auslieferungshaft angeordnet.
2. Der Auslieferungshaftbefehl wird unter folgenden Auflagen außer Vollzug gesetzt:
a. Der Verfolgte darf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vor Abschluss des
Auslieferungsverfahrens nicht ohne Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe verlassen.
b. Der Verfolgte hat jeden Wechsel seines Wohnsitzes der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe
mitzuteilen.
c. Dem Verfolgten wird aufgegeben, sich einmal wöchentlich bei dem für seinen Wohnsitz
zuständigen Polizeirevier in Y. melden.
d. Der Verfolgte hat - soweit dies noch nicht erfolgt ist - sämtliche Reisedokumente, insbesondere
seinen Reisepass, bei der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe zu hinterlegen.
e. Der Verfolgte hat amtlichen Ladungen des Oberlandesgerichts Karlsruhe, des zuständigen
Amtsgerichts sowie der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe im vorliegenden Auslieferungs-
verfahren Folge zu leisten.
2. Der Verfolgte muss damit rechnen, dass der Auslieferungshaftbefehl in Vollzug gesetzt wird, wenn er
a. den ihm auferlegten Pflichten und Beschränkungen gröblich zuwiderhandelt,
b. Anstalten zur Flucht trifft, auf ordnungsgemäße Ladung ohne genügende Entschuldigung ausbleibt
oder sich auf andere Weise zeigt, dass das in ihn gesetzte Vertrauen nicht gerechtfertigt war,
c. oder neu hervorgetretene Umstände den erneuten Vollzug der Auslieferungshaft notwendig
machen.
Gründe
1
Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe auf Erlass eines Auslieferungshaftbefehls war gem. §§
83 a Abs. 1, 15 IRG zu entsprechen.
2
Nach Inkrafttreten des Europäischen Haftbefehlsgesetzes vom 20.07.2006 (BGBL. I, 2006, 1721) am 2.8.2006
richtet sich der Auslieferungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach dem neu
eingeführten Achten Teil des IRG, wobei die übrigen Bestimmungen des IRG Anwendung finden, soweit dieser
Teil keine abschließende Regelung enthält (78 IRG).
3
Danach liegen die formellen Vorraussetzungen zum Erlass eines Auslieferungshaftbefehls nach §§ 83 a Abs.
1, 15 IRG vor.
4
Gegen den Verfolgten besteht in Polen ein Europäischer Haftbefehl des Bezirksgerichts in B. vom 09.06.2006,
aus welchem sich ergibt, dass der Verfolgte durch das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts in B. vom
30.06.1994 bezüglich der unten genannten Tat Ziffer 1 wegen Straftaten nach Art. 142 Abs. 1 des damals
geltenden Gesetzes vom 6.4.1990 über Polizei (Gesetzblatt Nummer 30 von 1990) in Verbindung mit Art. 204 §
1 des damaligen StGB (aktuell Art. 284 § 3 PStGB) und Artikel 266 § 4 des damaligen StGB (aktuell Art. 271 §
3 PStGB) und bezüglich der unten genannten Tat Ziffer 2 wegen einer Straftat nach Art. 143 des damals
geltenden Gesetzes vom 6.4.1990 über Polizei zu einer zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs
Monaten verurteilt wurde.
5
Dass in dem Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts in B./Polen vom 09.06.2006 lediglich die zur
Anwendung gelangten Vorschriften aufgeführt sind und es entgegen § 83 a Abs. 1 Nr. 4 IRG an einer
ausdrücklichen Bezeichnung der Art und der rechtlichen Würdigung der Straftaten fehlt, steht dem Erlass eines
Auslieferungshaftbefehls nicht entgegen, da dieser Mangel keinen wesentlichen Bestandteil der Ausschreibung
betrifft und sich der Senat auf andere Weise vom Inhalt des Bestimmungen Kenntnis verschaffen kann.
Allerdings enthält der Europäische Haftbefehl des Bezirksgerichts in B. vom 09.06.2006 bezüglich der Tat
Ziffer 1 keine Angaben zur Tatzeit. An einer ausreichenden Beschreibung der Umstände, unter den die Straftat
begangen wurde, fehlt es gleichwohl nicht (§ 83 a Abs. 1 Nr. 5 IRG), weil dieser Mangel nur in der deutschen
Übersetzung enthalten ist und sich aus dem in polnischer Sprache abgefassten Original des Europäischen
Haftbefehl die genaue Tatzeit - nämlich der 1. August 1993 - entnehmen lässt.
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Dem Verfolgten werden im Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts in B. vom 09.06.2006 folgende
Straftaten vorgeworfen:
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1. „Als Beamter der Polizeidienststelle in Z. habe ich während der Ausübung der dienstlichen Handlungen, die
mit der Festnahme des Verdächtigten des Einbruchsdiebstahls in ein Handelsobjekt S. in Z. verbunden waren,
einen Protokoll aus der Durchsuchung der Person angefertigt.
8
In dem Protokoll hat er zu den rechtlich bedeutenden Umständen falsch beurkundet, indem er falsch
angegeben hat, dass bei dem gehaltenen A. die Summe von 286.200 polnisch Zloty (altes Geld) gefunden
wurde; die Summe hat in der Wirklichkeit 6.286-200 polnische Zloty (altes Geld) betragen. Infolgedessen hat er
sich die Summe von 6.000.000 polnische Zloty (altes Geld) zugeeignet, die während der Durchsuchung von A.
aufgedeckt wurde, zu seinem Nachteil“.
9
2. „Am 1. August im Jahre 1993 in Z. hat er vom gehaltenen A. die Erklärung zu den Einbruchsumständen und
der Teilnahme der möglichen Mittäter verlangt, zum Zwecke hat er ihn wenigstens zweimal mit der Hand ins
Gesicht geschlagen, mehrmals mit dem in der Hand gehaltenen Personalausweis in Gesicht geschlagen, er hat
ihn an die Kleidung gezogen, er hat ihm gegenüber Vulgarismen und Schimpfwörter angewendet, und
außerdem hat ihm mit der an die Schläfe gestellten Waffe mit Tötung gedroht“.
10 Auch die sachlichen Voraussetzungen, von denen die Verhängung der Auslieferungshaft abhängt, sind insoweit
gegeben. Die Auslieferung des Verfolgten zur Strafvollstreckung nach Polen erscheint nicht von vornherein
unzulässig (§ 15 Abs. 2 IRG).
11 Soweit es die Tat Ziffer 1 des Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts in B. vom 09.06.2006 betrifft, ist
das Vorliegen der beiderseitigen Strafbarkeit nicht zu prüfen, da die polnischen Justizbehörden das Geschehen
nachvollziehbar als Katalogtat nach § 81 Abs.4 IRG i.V.m. Art. 2 Abs.2 RbEuHb (Fälschung der amtlichen
Urkunden und Handel mit diesen) bezeichnet haben. Soweit es die Tat Ziffer 2 betrifft, lässt sich eine solche
Einstufung nicht schlüssig vornehmen. Insoweit erfüllt die Tat nach deutschem Strafrecht aber zumindest die
Strafvorschriften der §§ 223, 240 StGB und stellt sich damit als rechtswidrige Tat im Sinne des §§ 81 Nr. 4, 3
Abs. 1 IRG dar, so dass vom Vorliegen der beiderseitige Strafbarkeit auszugehen ist. Ein solches strafbares
Verhalten ist nach dem Recht beider Staaten mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens einem
Jahr bedroht.
12 Inwieweit Auslieferungshindernisse gemäß § 73 IRG vorliegen könnten, wird im weiteren
Auslieferungsverfahren zu beurteilen sein.
13 Der Gefahr, der Verfolgte könne versuchen, sich dem Auslieferungsverfahren oder der Durchführung der
Auslieferung zu entziehen, kann in Anbetracht des festen Wohnsitzes des Verfolgten in Y. sowie seiner Ehe
mit einer deutschen Staatsangehörigen durch die aus der Beschlussformel ersichtlichen Auflagen und
Weisungen ausreichend begegnet werden, weshalb im Einvernehmen mit der Generalstaatsanwaltschaft
Karlsruhe die Außervollzugsetzung des Haftbefehls anzuordnen war.
14 Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe wird gebeten, bei den polnischen Justizbehörden die im Europäischen
Haftbefehl des Bezirksgerichts in B. vom 09.06.2006 angeführten Strafvorschriften anzufordern.