Urteil des OLG Karlsruhe vom 24.03.2011
OLG Karlsruhe: haftpflichtversicherer, verfügung, bedürftigkeit, anschluss, versicherungsnehmer, verdacht, haftpflichtversicherung, interessenkollision, zusage, rechtsschutz
OLG Karlsruhe Beschluß vom 24.3.2011, 1 U 19/11
PKH-Bewilligung: Mutwillige eigenständige Rechtsverteidigung des erstbeklagten Versicherungsnehmers bei Unfallmanipulationsverdacht
des zweitbeklagten Versicherers; Freistellung von den Kosten eines eigenen Anwalts; Bedürftigkeit bei zugesagtem Deckungsschutz
Leitsätze
1. Zwar kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. B. v. 06.07.2010 - VI ZB 31/08 -) nicht ohne Weiteres angenommen werden, die
eigenständige Rechtsverteidigung eines Beklagten, dessen Haftpflichtversicherer den Verdacht einer Unfallmanipulation hegt, sei im Sinne von §
114 ZPO "mutwillig".
2. Im Rahmen der Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist indessen zu berücksichtigen, dass ein (erstbeklagter)
Versicherungsnehmer in einer solchen Konstellation gegen seinen (zweitbeklagten) Haftpflichtversicherer einen Anspruch auf Freihaltung von den
gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten der Rechtsverteidigung, namentlich auch solche der Beauftragung eines eigenen Rechtsanwalts, hat
(im Anschluss an BGH, Urteil vom 15.09.2010 - IV ZR 107/09 -m.w.N.). Insbesondere dann, wenn der Haftpflichtversicherer Deckungsschutz
zugesagt hat, entfällt damit eine Bedürftigkeit des Versicherungsnehmers im Sinne von § 114 ZPO (im Anschluss an BGH NJW 1991, 109; BFH B. v.
30.01.2004 - VII S 22/03 [PKH] -).
Tenor
Der Antrag des Beklagten Ziffer 1 vom 08.02.2011 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung für das
Berufungsverfahren gegen das Urteil des Landgerichts vom 10.12.2010 - 8 O 504/09 - wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
1
Die Parteien streiten um Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall vom 27.07.2009. Die Beklagte Ziffer 2, der Haftpflichtversicherer des vom
Beklagten Ziffer 1 seinerzeit gesteuerten Fahrzeugs, behauptet insoweit eine Unfallmanipulation im Einvernehmen zwischen Kläger und
Beklagtem Ziffer 1.
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Das Landgericht hat mit Urteil vom 10.12.2010 die Beklagten gesamtschuldnerisch zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt.
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Hiergegen wendet sich die Beklagte Ziffer 2 mit ihrer im eigenen Namen sowie als Streithelferin zugleich für den Beklagten Ziffer 1 eingelegten
Berufung, mit der sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens weiterhin eine Klageabweisung erstrebt.
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Mit Schriftsatz vom 08.02.2011 - bei Gericht eingegangen am 09.02.2011 - beantragt der Beklagte Ziffer 1 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
sowie Rechtsanwaltsbeiordnung für das Berufungsverfahren und kündigt die Übersendung einer Erklärung über seine persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse an.
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Am 09.02.2011 wies das Berufungsgericht auf die jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - Beschluss vom 06.07.2010 - VI ZB 31/08 -
sowie Urteil vom 15.09.2010 - IV ZR 107/09 - hin und räumte allen Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme ein.
6
Daraufhin forderte der Beklagte Ziffer 1 die Beklagte Ziffer 2 mit Schriftsatz vom 14.03.2011 im Hinblick auf die letztgenannte Entscheidung des
Bundesgerichtshofs auf, ihn, den Beklagten Ziffer 1, von den ihm im Haftungsprozess entstandenen Rechtsanwaltskosten freizustellen.
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Mit gerichtlicher Verfügung vom 14.03.2011 erhielt die Beklagte Ziffer 2 zu diesem Schriftsatz des Beklagten Ziffer 1 nochmals
Stellungnahmemöglichkeit, verbunden mit der ausdrücklichen Anfrage, ob der Anspruch des Beklagten Ziffer 1 auf Freihaltung/-stellung von den
Kosten seiner Rechtsverteidigung mit Blick auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 15.09.2010 - IV ZR 107/09 - anerkannt werde.
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Im Schriftsatz vom 21.03.2011 ließ die Beklagte Ziffer 2 alsdann erklären, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs berücksichtigt
würde.
II.
9
Eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren kommt nicht in Betracht. Die Voraussetzungen von § 114 ZPO liegen nicht
vor.
10 1. Nach dieser Vorschrift erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht,
nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung
hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
11 2. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
12 a) Es kann dahinstehen, ob die Rechtsverteidigung des Beklagten Ziffer 1 hinreichende Aussicht auf Erfolg hätte.
13 b) Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, die eigenständige
Rechtsverteidigung eines Beklagten, dessen Haftpflichtversicherer den Verdacht einer Unfallmanipulation hege, sei im Sinne von § 114 ZPO
"mutwillig" (vgl. Beschluss vom 06.07.2010 - VI ZB 31/08 -).
14 c) Eine Bedürftigkeit des Beklagten Ziffer 1 im Sinne von § 114 ZPO war jedoch nicht festzustellen.
15 aa) Entgegen seiner eigenen Ankündigung hat der Beklagte Ziffer 1 schon die erforderliche aktuelle Erklärung über seine persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse (vgl. § 117 Abs. 2 bis 4 ZPO) bis zuletzt nicht vorgelegt.
16 bb) Darüber hinaus hat ein Antragsteller gemäß § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO zur Bestreitung der Prozesskosten auch sein verwertbares Vermögen
einzusetzen. Besteht Deckungsschutz durch eine Rechtsschutz- oder Haftpflichtversicherung, so ist der Antragsteller nicht hilfsbedürftig (vgl.
BFH, B. v. 30.01.2004 - VII S 22/03 [PKH]; BGH NJW 1991, 109; KG VersR 1979, 449; Zöller-Geimer, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 115, Rn. 49c). So liegt
der Fall hier.
17 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, hat ein Versicherungsnehmer - wie hier der Beklagte Ziffer 1 -, dessen
Haftpflichtversicherer im Rahmen des Haftpflichtprozesses eine Unfallmanipulation geltend macht, wegen der zu Tage tretenden
Interessenkollision gegen den Versicherer - hier die Beklagte Ziffer 2 - einen Anspruch auf Freihaltung von den gerichtlichen und
außergerichtlichen Kosten der Rechtsverteidigung, dabei namentlich auch solche der Beauftragung eines eigenen Rechtsanwalts (vgl. BGH,
Urteil vom 15.09.2010 - IV ZR 107/09 - m.w.N.).
18 Hier hat das Gericht mit Verfügung vom 09.02.2011 alle Beteiligten auf diese Rechtsprechung hingewiesen und darauf, dass dies im Rahmen
der Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beklagten Ziffer 1 zu berücksichtigen sein könne.
19 Wenn daraufhin der Beklagte Ziffer 1 mit Schriftsatz vom 14.03.2011 die Beklagte Ziffer 2 im Hinblick auf die letztgenannte Entscheidung des
Bundesgerichtshofs aufforderte, ihn, den Beklagten Ziffer 1, von den ihm im Haftungsprozess entstandenen Rechtsanwaltskosten freizustellen
und das Gericht die Beklagte Ziffer 2 mit gerichtlicher Verfügung vom 14.03.2011 nochmals konkret anfragte, ob der Anspruch des Beklagten
Ziffer 1 mit Blick auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 15.09.2010 - IV ZR 107/09 - anerkannt werde, so war die Antwort der
Beklagten Ziffer 2 im Rahmen ihrer Berufungsbegründung nach den Gesamtumständen und interessengerechter Auslegung (§§ 133, 157 BGB)
nicht anders zu verstehen als die - nolens volens - erklärte Zusage von Deckungsschutz. Schließlich ließ sie schlicht ausführen:
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„dass sich die Beklagte zu 2 so verhalten wird, dass sie die Rechtsprechung des BGH berücksichtigt“.
21 Mit Blick auf seinen durch die Beklagte Ziffer 2 sonach anerkannten Deckungsschutzanspruch des Beklagten Ziffer 1 für die Kosten seines
eigenen Rechtsanwalts ist er zumindest nicht mehr bedürftig im Sinne von § 114 ZPO und es scheiden eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe
wie auch eine Rechtsanwaltsbeiordnung aus.