Urteil des OLG Karlsruhe vom 28.08.2006

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OLG Karlsruhe Beschluß vom 28.8.2006, 16 UF 135/06
Verfahrensfehler des Familiengerichts in einer Umgangsrechtssache: Zurückverweisung durch das
Beschwerdegericht
Leitsätze
In einer den Umgang mit einem Kind betreffenden Familiensache kann das Beschwerdegericht bei
Verfahrensfehlern, die eine Sachentscheidung des Familiengerichts verhindert haben, die Sache an das
Familiengericht zurückverweisen, wenn nicht die bisherige Verfahrensdauer eine Sachentscheidung des
Beschwerdegerichts erforderlich macht.
Tenor
1. Der Beteiligten Ziffer 3 wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt unter Beiordnung von RAin …,
Mannheim.
2. Auf die Beschwerde der Beteiligten Ziffer 3 wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Mannheim
vom 30.06.2006 aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht -
Familiengericht - Mannheim zurückverwiesen.
3. Außergerichtliche Kosten im Beschwerdeverfahren werden nicht erstattet.
4. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.000 EUR festgesetzt.
5. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
A.
1
Die Beteiligte Ziffer 3 - Antragstellerin - ist die Mutter der am … 2001 geborenen M. M. steht unter
Amtsvormundschaft und lebt - nachdem der Antragstellerin das Sorgerecht entzogen worden ist - in einer
Pflegefamilie in W.
2
Gegenstand des Verfahrens ist eine Umgangsregelung. Bei Einleitung des Verfahrens mit Antrag vom
05.10.2005 war der Umgang nach der Vorgabe des Jugendamtes so geregelt, dass die Antragstellerin viermal
jährlich eine Stunde - nach Darstellung des Jugendamtes etwa zwei Stunden - in Anwesenheit von mindestens
drei weiteren Personen Gelegenheit hatte, ihr Kind in ... zu sehen. Die Antragstellerin wollte außergerichtlich
eine Ausweitung des Umgangs erreichen, was das Jugendamt abgelehnt hat. Die Antragstellerin hat daraufhin
beim Amtsgericht die Einrichtung eines Umgangs von einmal monatlich für zwei Stunden beantragt.
3
Das Jugendamt ist dem Antrag entgegengetreten. Dies wurde im wesentlichen damit begründet, dass die
Antragstellerin der Hilfe zur Erziehung grundsätzlich ablehnend gegenüberstehe und nicht einschätzen könne,
was für das Wohl des Kindes sinnvoll und erforderlich sei. M. zeige starke Verhaltensauffälligkeiten, sei
hypermotorisch und distanzlos. Sie sei geistig behindert aufgrund einer intrauterinen toxischen Schädigung. Die
Antragstellerin neige zu Aggressionen. Aus Sicht des Kindeswohls seien die Kontakte ausreichend, da eine
Rückkehroption in diesem Fall nicht gegeben sei.
4
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 30.06.2006 den Antrag nach neunmonatiger Verfahrensdauer
zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, da die Antragstellerin wiederholt auf eine
Entscheidung gedrängt habe, anstatt die Gesprächsangebote der beteiligten Behördenvertreter aufzugreifen,
führe dies zur Antragsabweisung mangels Rechtsschutzbedürfnisses ohne weitere
Sachaufklärungsmaßnahme. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe der amtsgerichtlichen
Entscheidung verwiesen. Eine mündliche Anhörung der Beteiligten hat das Amtsgericht nicht durchgeführt.
5
Gegen die ihr am 05.07.2006 zugestellte Entscheidung hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 11.07.2006 -
eingegangen beim OLG am 12.07.2006 -Beschwerde eingelegt, mit der sie ihren bisherigen Antrag aufrecht
erhält.
6
Das Jugendamt ist der Beschwerde entgegengetreten. ...
B.
7
Die gemäß §§ 621e Abs. 1, 621 Nr. 1 ZPO statthafte und form- und fristgerecht eingelegte befristete
Beschwerde der Antragstellerin ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und
Zurückverweisung des Verfahrens an das Amtsgericht, denn der Beschluss des Amtsgerichts Mannheim vom
30.06.2006 leidet unter mehreren schweren Verfahrensfehlern.
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I. Das Amtsgericht hat über das Umgangsrecht entschieden, ohne zuvor gemäß § 50a Abs. 1 FGG die
Antragstellerin anzuhören.
9
In Verfahren nach § 1684 BGB ist die persönliche Anhörung gemäß § 50a Abs. 1 Satz 3 FGG zwingend
vorgeschrieben, denn es handelt sich um den Regelungsbereich der Personensorge. Nur unter den
Voraussetzungen des § 50a Abs. 3 FGG kann von einer Anhörung abgesehen werden. Dem steht nicht
entgegen, dass es sich bei S. 2 um eine so genannte „Soll-Vorschrift“ handelt. Das Wort „soll“ bedeutet nicht,
dass das Gericht nach seinem Ermessen von einer Anhörung absehen darf (vgl. hierzu eingehend Keidel /
Kuntze / Engelhardt, FGG, 15. Aufl., § 50a Rnr. 6 und 10 m.w.N.).
10 II. Des weiteren hat das Amtsgericht zu unrecht das Rechtschutzbedürfnis für eine Umgangsregelung verneint.
11 Die Antragstellerin macht geltend, dass die Ausübung des ihr zustehenden Umgangsrechtes - welches durch
Art. 6 GG geschützt ist - in rechtswidriger Weise eingeschränkt wird. Nach § 1684 Abs.3 BGB kann sie
verlangen, dass dieser Streitpunkt gerichtlich geklärt wird. Dieser Anspruch auf gerichtliche Klärung ist nicht
davon abhängig, dass die Antragstellerin außergerichtliche Gespräche mit dem Jugendamt führt, zumal das
Jugendamt im laufenden Verfahren unmissverständlich erklärt hat, dass eine freiwillige Ausweitung des
Umgangs nicht in Frage kommt. Hinsichtlich der Bedeutung, welche der Ausübung des Umgangsrechts im
Hinblick auf das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und die Europäische
Menschenrechtskonvention zukommt, verweist der Senat auf die Rechtsprechung des BVerfG (vgl. FamRZ
2002, 1021) und des EuGH (vgl. FamRZ 2002, 1393, 1394; 2004, 1456; FamRZ 2005, 585).
12 III. Die Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses hat im vorliegenden Verfahren dazu geführt, dass das
Amtsgericht ausdrücklich „ohne weitere Sachaufklärung“ den Antrag zurückgewiesen hat. Damit hat es gegen §
12 FGG verstoßen, nach dem das Amtsgericht die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen
von Amts wegen
Entscheidung notwendig ist. Auch insoweit wird die Entscheidung des Amtsgerichts der zitierten
Rechtsprechung des EuGH nicht gerecht.
13 IV. Eine unterbliebene Anhörung wie auch unzureichende Ermittlungen stellen eine Rechtsverletzung … dar.
Sie nötigen zur Aufhebung der Entscheidung, wenn die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, dass die
Entscheidung darauf beruhen kann ( Keidel / Kuntze / Schmidt, a.a.O. § 12 Rnr. 130). Davon ist hier
auszugehen.
14 Die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht
geschieht in der Anwendung des Rechtsgedankens des § 538 ZPO (vgl. zur analogen Anwendung des § 539
ZPO a.F., BGH in FamRZ 1992, 152; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.10.2001 Az.: 16 UF 144/01). Der
Senat hält es nicht für sachdienlich, von der Zurückweisung abzusehen und selbst zu entscheiden, denn auf
diese Weise geht den Beteiligten eine Tatsacheninstanz verloren. Auch die bisherige Verfahrensdauer gebietet
es nicht, dass der Senat von der Zurückweisung absieht und selbst entscheidet.
15 Die Einschränkung der Zurückverweisungsmöglichkeiten durch die Änderung von § 538 ZPO durch das
Zivilprozessreformgesetz steht der Zurückverweisung nicht entgegen. Sie betrifft das Berufungsverfahren nach
der Zivilprozessordnung und hat für die Anfechtung von Entscheidungen nach dem FGG keine Geltung. Die
Vorschrift des § 538 ZPO ist in § 621e Abs.3 S. 2 ZPO, der für das Verfahren der befristeten Beschwerde
maßgeblichen Verweisungsvorschrift, nicht genannt. Da außerhalb dieser Verweisungsvorschrift im Übrigen für
die befristete Beschwerde die Vorschriften des FGG gelten, § 621a Abs.1 ZPO, kommt die Aufhebung der
angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung an das erstinstanzliche Gericht nach den allgemeinen
Grundsätzen des FGG in Betracht. Insoweit käme allenfalls eine entsprechende Anwendung der Vorschriften
der ZPO über die sofortige Beschwerde (§ 567 ZPO) in Frage. In diesem Bereich ermöglicht es § 572 ZPO
(entsprechend dem früheren § 575 ZPO) unverändert dem Beschwerdegericht, die abschließende Entscheidung
dem Erstgericht zu überlassen (ebenso OLG Frankfurt FamRZ 2003, 321; OLG Brandenburg FamRZ 2003,
624; jeweils m.w.N.).
16 V. Eine persönliche Anhörung der Verfahrensbeteiligten durch den Senat ist im Hinblick auf diese
Verfahrenssituation nicht veranlasst, da hiervon keine für die Entscheidung notwendige weitere Sachaufklärung
zu erwarten ist.
17 VI. Einer Entscheidung über die Gerichtskosten bedarf es nicht, weil solche nicht angefallen sind, denn es
kann davon ausgegangen werden, dass die Beschwerde der Mutter auch im Interesse des Kindes eingelegt
worden ist (§ 131 Abs. 3 KostO). Die Regelung zu den außergerichtlichen Kosten folgt aus § 13a FGG. Gemäß
§§ 31 Abs. 1 S. 1, 131 Abs. 2, 30 Abs. 2 KostO ist der Gegenstandswert wegen des bisherigen geringen
Aufwandes der Sache auf 2.000 EUR herabzusetzen.
18 Die Voraussetzungen für die Zulassung der weiteren Beschwerde (vgl. § 621e Abs. 2 S. 1 ZPO) sind nicht
gegeben.