Urteil des OLG Karlsruhe vom 27.06.2005
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OLG Karlsruhe Beschluß vom 27.6.2005, 1 Ws 55/05
Strafvollzug: Erwerb von Kleidungsstücken für den begleiteten Ausgang aus dem Überbrückungsgeld
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen werden der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - Z. vom 21. Januar 2005
und die Verfügung der Justizvollzugsanstalt Y.I vom 01. Dezember 2004 aufgehoben.
2. Die Justizvollzugsanstalt Y. wird verpflichtet, den Strafgefangenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.
3. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens sowie die dem Strafgefangenen entstandenen notwendigen Auslagen.
4. Der Gegenstandswert wird auf EUR 300 festgesetzt.
Gründe
I.
1 Mit Beschluss vom 13.02.2004 (1 Ws 23/04) hat der Senat die Justizvollzugsanstalt Y. verpflichtet, über den Antrag des seit 1990 inhaftierten
Strafgefangenen, ihm Ausführungen zu seiner Mutter zu gewähren, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden. Nach
entsprechender Genehmigung seitens der Anstalt beantragte der Strafgefangene am 30.11.2004, ihm von seinem angesparten
Überbrückungsgeld in Höhe von EUR 2.232 einen Betrag von EUR 300 zum Ankauf von Kleidung bei einem Versandhaus für die bevorstehenden
Ausgänge freizugeben. Diesen Antrag wies die Anstalt am 01.12.2004 mit der Begründung zurück, es sei nicht ersichtlich, inwieweit der Ankauf
von Kleidung bei einer noch bis 2016 andauernden Strafverbüßung der Wiedereingliederung des Strafgefangenen diene. Außerdem verfüge er
über ausreichend Eigen- und Hausgeld, um hiervon Kleidungsstücke erwerben zu können. Seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung wies die
Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 21.01.2005 zurück.
II.
2 Die zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassende Rechtsbeschwerde hat mit der erhobenen Sachrüge Erfolg.
3 1. Nach § 51 Abs. 3 StVollzG kann der Anstaltsleiter gestatten, dass das Überbrückungsgeld für Ausgaben in Anspruch genommen wird, die der
Eingliederung des Gefangenen dienen. Hierzu gehören nicht nur notwendige Aufwendungen des Strafgefangenen unmittelbar vor seiner
anstehenden Entlassung aus der Haft, vielmehr umfasst der Begriff der „Eingliederung“ auch Investitionen, welche der Resozialisierung dienen,
wie etwa der Erwerb von Fachbüchern für einen vom Strafgefangenen belegten Fernlehrgang zur beruflichen Weiterbildung (vgl. Senat, Beschluss
vom 28.07.2004, 1 Ws 72/04; Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 10. Aufl. 2005, § 51 Rn. 7 m.w.N.). Auch die Beschaffung von Kleidung für den
Ausgang kann hierfür ausreichen (OLG Frankfurt ZfStrVo 1983, 310 f.: Kleidung zur Urlaubsvorbereitung). Über den dort entschiedenen Fall
hinaus kann der Erwerb angemessener Kleidung der Eingliederung des Strafgefangenen aber auch dann dienen, wenn eine Entlassung noch
nicht unmittelbar bevorsteht, sondern dem Strafgefangenen - wie hier - zunächst nur Lockerungen in Form von begleiteten Ausgängen (§ 11 Abs.
1 Nr. 2 StVollzG) gewährt werden können, denn gerade solchen kommt bei längerfristig inhaftierten Personen erhebliche Bedeutung für ihre
Resozialisierung und damit das Erreichen des Vollzugsziels (§ 2 StVollzG) bei. Zwar stehen in solchen Fällen noch keine Vorstellungs- oder
Bewerbungsgespräche an, gleichwohl ist es wegen der damit einhergehenden Stigmatisierung der zukünftigen Entwicklung eines
Strafgefangenen offensichtlich abträglich, wenn er in abgetragener oder gar in Anstaltskleidung ausgeführt wird.
4 2. Aus diesem Grund hätte sich die Justizvollzugsanstalt vorliegend im Rahmen ihrer Ermessensausübung mit der Frage befassen müssen,
welche Kleidungsstücke der Strafgefangene besitzt und in welchem Zustand sich diese befinden. Da solche Erwägungen nicht angestellt wurden,
sind der Beschluss der Strafvollstreckungskammer und die ihr zugrundeliegende Verfügung der Justizvollzugsanstalt aufzuheben und an diese
zur neuen Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zurückzugeben.
5 Ergänzend ist anzumerken:
6 Da das Überbrückungsgeld nach seinem Sinn und Zweck in erster Linie dem Strafgefangenen für eine Übergangszeit nach seiner Haftentlassung
den Lebensunterhalt sichern soll (§ 51 Abs. 1 StVollzG), darf die Anstalt aber bei ihrer Entscheidung durchaus berücksichtigen, in welchem
Umfang der Strafgefangene über Eigengeld (§ 52 StVollzG) und Hausgeld (§ 47 StVollzG) verfügt und ob dieses in zumutbarer Weise für die
beabsichtigte Anschaffung eingesetzt werden kann (OLG Frankfurt a.a.O). Hingegen hält es der Senat nicht für zulässig, die vorzeitige Auszahlung
des Überbrückungsgeldes vom Stand einer Schuldenregulierung abhängig zu machen (Senat a.a.O). Vorliegend besteht zudem die
Besonderheit, dass dem Strafgefangenen ein Zugriff auf sein Eigengeld wegen bestehender Pfändungen tatsächlich nicht möglich sein wird, so
dass ein Rückgriff hierauf ausscheidet. Auch wird die Anstalt zu bedenken haben, dass in Anbetracht der noch anstehenden Verbüßungszeit auch
bei Auszahlung eines Teilbetrages des Überbrückungsgeldes dem Strafgefangenen bei Haftentlassung ein angemessener Betrag zur Verfügung
stehen dürfte (OLG Hamm NStZ 1991, 254 f.).
7 Die Justizvollzugsanstalt wird daher nunmehr zu prüfen haben, über welche für Ausführungen geeignete Kleidungsstücke der Strafgefangene
verfügt und ob diese sich noch in einem Zustand befinden, dass es dem Gefangenen zumutbar ist, sich damit in der Öffentlichkeit zu zeigen. Das
Ergebnis der Sichtung ist schriftlich zu dokumentieren. Sollte sich hierbei ergeben, dass der Strafgefangene in diesem Sinne nicht mehr über
ordentliche Kleidung verfügt, kann für die Anschaffungskosten zum Teil das Überbrückungsgeld und zum Teil das Hausgeld in Ansatz gebracht
werden.
III.
8 Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 4 StVollzG i.V.m. einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO und die Festsetzung des
Geschäftswertes aus §§ 52, 60 GKG.