Urteil des OLG Karlsruhe vom 03.02.2010

OLG Karlsruhe (grundstück, kläger, fläche, widmung, gemeinde, teil, vereinigung, grundbuch, zufahrt, gemeingebrauch)

OLG Karlsruhe Urteil vom 3.2.2010, 6 U 34/08
Leitsätze
1. Bei einer Vereinigung von bislang selbständigen Grundstücken erstrecken sich dingliche Belastungen, die auf
einem der vereinigten Grundstücke liegen, auch nach der Vereinigung oder Zuschreibung nur auf diesen Teil und
nicht auf die anderen Teile des neuen Grundstücks. Das gilt selbst dann, wenn zur Vereinigung nach § 890 BGB
auch eine katastermäßige Verschmelzung hinzugekommen ist, so lange die Einzelbelastung des Grundstücksteils
weiterhin aus dem Grundbuch er-sichtlich ist und sich daraus auch die Rangfolge der Belastungen entnehmen
lässt.
2. Der Grundstückseigentümer kann die Beseitigung und Unterlassung der Behinderung der Zu- und Abfahrt vom
bzw. zu einer öffentlichen Straße in entsprechender Anwendung von § 1004 Abs. 1 BGB verlangen. Nach dieser
Vorschrift können auch Beeinträchtigungen des Gemeingebrauchs abgewehrt werden.
3. Zu den Anforderungen an die Widmung einer Straße.
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Mosbach vom 11.03.2008 (Az. 2 O 290/07) wird
zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen die Errichtung einer baulichen Anlage, die nach seiner Darstellung die Zufahrt zu
seinem Grundstück erschwert.
2
Die Parteien sind Nachbarn. Der Kläger betreibt in M. auf dem Grundstück Flst.Nr. ...41 einen Schrotthandel.
Die Beklagte Ziffer 1 betreibt auf dem angrenzenden Grundstück Flst.Nr. ...36 ein Kfz-Handelsunternehmen mit
Werkstatt. Eigentümerin dieses Grundstücks ist die Beklagte Ziff. 2, eine aus den Herren R. E. und K. K.
Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Im Jahr 2007 wurde im Bereich der südöstlichen Ecke des
Betriebsgrundstücks der Beklagten eine sog. Highlight-Fläche errichtet. Es handelt sich um eine erhöhte runde
Fläche, auf welcher die Beklagte zu 1 Autos ausstellt. Durch diese Highlight-Fläche sieht sich der Kläger in der
Möglichkeit behindert, sein Betriebsgrundstück mit schweren Fahrzeugen (LKW-Züge, Krane etc.) anzufahren.
Er macht geltend, durch die Anlage in seinem Recht auf Gemeingebrauch verletzt zu werden.
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Zugunsten des Grundstücks Flst.Nr. ...41 ist ein Überfahrtsrecht im Grundbuch eingetragen. Dieses Recht hat
folgenden Hintergrund: Unter dem 29.12.1970 schlossen die Eltern des Klägers sowie M. K. und dessen
Ehefrau einen notariellen Tauschvertrag. Durch diesen Tauschvertrag erhielten die Eheleute K. das (zuvor vom
Grundstück Flst.Nr. ...41 abgeteilte) Grundstück Flst.Nr. ...41/104; dieses wurde ihrem Grundstück Flst.Nr.
...36 zugeschrieben. Im notariellen Tauschvertrag wurde zugunsten des jeweiligen Eigentümers des
Grundstücks Flst.Nr. ...41 (Grundstück des Klägers) ein Weg- und Überfahrtsrecht über das Grundstück
Flst.Nr. ...36 in einer Breite von 5 Metern entlang der Grenze zu Flst.Nr. ...41/1 bzw. ...42/3 (R.-Straße)
eingeräumt und seine Eintragung ins Grundbuch bewilligt; das Überfahrtsrecht wurde ins Grundbuch
eingetragen. Durch dieses Überfahrtsrecht war die Zufahrt zu dem dahinter liegenden Grundstück der Eheleute
D. (Eltern des Klägers) mit der Flst.Nr. ...41 gesichert. Vor dem Grundstück mit der Flst.Nr. ...41/104 lag das
Grundstück mit der Flst.Nr. ...39. Dieses Grundstück befand sich im Eigentum der Stadt M.; auf ihm verlief die
I.-Straße.
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In der Folgezeit wurde die südliche Grenze des Grundstücks Flst.Nr. ...36 geändert (vgl. VN 1978/16; AS I 152
ff.); ferner wurde ein Teil der Fläche des Flst.Nr. ...39 abgetrennt und das so entstehende Grundstück (Flst.Nr.
...39/107) von der Stadt M. an die Eigentümer des Grundstücks Flst.Nr. ...36 veräußert; das Grundstück
Flst.Nr. ...39/107 wurde mit dem Grundstück Flst.Nr. ...36 vereinigt oder diesem zugeschrieben (vgl. VN
1981/18; AS I 156 ff.). Die "Highlight-Fläche" wurde auf der Fläche dieses ehemaligen Grundstücks Flst.Nr.
...39/107 errichtet.
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Einen Bebauungsplan gibt es für das betreffende Gebiet nicht.
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Der Kläger hat vorgetragen, das ehemalige Grundstück Flst.Nr. ...39 sei in seiner gesamten Fläche als Straße
gewidmet gewesen. Eine entsprechende Entwidmung sei zu keinem Zeitpunkt vorgenommen worden. Deshalb
hätten die Beklagten es mit dieser öffentlich-rechtlichen Belastung erworben; sie seien damit verpflichtet, die
Überfahrt des Klägers über das ehemalige Grundstück Flst.Nr. ...39 zu dulden. Die "Highlight-Fläche"
behindere die Zufahrt zum Grundstück des Klägers mit Lastzügen, Sattelschleppern und Laderaupen. Diese
Zugangsbehinderung stelle überdies einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des
Klägers dar.
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Der Kläger hat in erster Instanz unter Bezugnahme auf von ihm vorgelegte Pläne beantragt:
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Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt:
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1. Auf dem Grundstück ...36 - auf den ehemaligen Teilflächen ...41/104 und ...39 (...39/107) -
beginnend von dem Grenzpunkt Nr. 2 (ehemals ...41/104) in südöstlicher Richtung bis zum
Schnittpunkt mit der Grundstückslinie ...39/107 (ab Grenzpunkt Nr. 2 - 7 Messpunkte) eine
Überfahrtsfläche freizuhalten, und zwar in einer Breite von 5 m parallel zur vorbezeichneten Linie.
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2. Im Bereich dieser Überfahrtsfläche haben die Beklagten alle beweglichen oder unbeweglichen
Fahrthindernisse zu beseitigen und die Überfahrtsfläche freizuhalten.
11 Die Beklagten haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
13 Sie haben die Passivlegitimation der Beklagten zu 1 und die behauptete Widmung einer Straße auf dem
ehemaligen Grundstück Flst.Nr. ...39 bestritten.
14 Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen. Die Beklagte zu 1 sei jedenfalls nicht
passivlegitimiert; der Kläger habe nicht dargetan, dass sie Handlungs- oder Zustandsstörerin sei. Aber auch
gegenüber den – vom Landgericht so bezeichneten – Beklagten zu 2 bis 4 sei die Klage nicht begründet. Der
geltend gemachte Anspruch könne nicht auf ein Überfahrtsrecht gestützt werden, denn das eingeräumte Recht
beziehe sich nur auf das ehemalige Grundstück mit der Flst.Nr. ...41/104 und damit nicht auf den Bereich des
ehemaligen Grundstücks Flst.Nr. ...39, auf welchem die Baumaßnahme durchgeführt wurde. Auf diese Fläche
könne das Überfahrtsrecht nicht erstreckt werden. Durch die "Highlight-Fläche" werde auch nicht in
unzulässiger Weise in das Recht des Klägers zum Gemeingebrauch eingegriffen. Der Kläger habe nicht
nachgewiesen, dass die Fläche, welche er als Überfahrtsfläche in Anspruch nehme, als Straße gewidmet
gewesen sei. Eine ausdrückliche Widmung durch Allgemeinverfügung sei nicht dargetan. Auch die
Voraussetzungen für eine Widmungsfiktion lägen nicht vor; die vom Kläger angeführten Umstände seien nicht
zwingend. Zudem habe der Kläger nicht dargetan, dass die "Highlight-Fläche" sich überhaupt im Verlauf der
(früheren) Strasse befinde. Dass die Widmung sich auf das gesamte ehemalige Grundstück Flst.Nr. ...39
erstreckt habe, könne nicht festgestellt werden. Auch die Voraussetzungen für eine Widmung aufgrund
unvordenklicher Verjährung seien nicht schlüssig vorgetragen. Ein Notwegerecht des Klägers bestehe nicht.
15 Mit der hiergegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter. Er stellt nunmehr unter
Bezugnahme auf von ihm vorgelegte Pläne folgende Anträge:
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1. Das Urteil des Landgerichts Mosbach vom 11.03.2008 wird im Kostenpunkt aufgehoben.
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2. Das Urteil wird abgeändert.
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Die Beklagte Ziff. 1, die A. GmbH, und die Beklagten zu 2, die BGB-Gesellschaft der Eigentümer von
Grundstück ...36, bestehend aus Herrn R. K., Herrn E. K., Herrn K. K., werden verurteilt, die auf dem
Grundstück ...36 errichtete "Highlightfläche" zu entfernen (im Bereich der abgemessenen
Grundstücksfläche ...39/107) und dem Kläger, beginnend vom Ende des Überfahrtsrechtes auf dem
Grundstück ...36 (ehemals ...41/104) die Überfahrt über den Grundstücksteil ...39/107 (ehemals und jetzt
vereinigt mit dem Grundstück ...36) in südlicher Richtung ungehindert zu gestatten.
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3. Im Bereich dieser Überfahrtsfläche haben die Beklagten alle beweglichen oder unbeweglichen
Fahrthindernisse zu beseitigen und die Überfahrtsfläche freizuhalten.
20 Die Beklagten beantragen unter Verteidigung des erstinstanzlichen Urteils und unter Wiederholung und
Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags die Zurückweisung der Berufung.
Entscheidungsgründe
21 Die Berufung ist zulässig; auch gegen die mit der Neufassung des Klagantrags (jetzt Antrag Ziff. 2)
einhergehende Klageänderung bestehen keine Bedenken. Die Berufung hat aber hat in der Sache keinen
Erfolg. Die geltend gemachten Ansprüche bestehen nicht. Auf die Frage, ob die Beklagte zu 1 für die
Errichtung der Highlight-Fläche verantwortlich ist, kommt es daher nicht an.
22 1. Das Landgericht hat nicht (ausdrücklich) geprüft, ob sich Ansprüche aus dem dinglichen Überfahrtsrecht
ergeben. Als Eigentümer des herrschenden Grundstücks Flst.Nr. ...41, zu dessen Gunsten das Überfahrtsrecht
eingetragen ist, ist der Kläger "Berechtigter" im Sinne der §§ 1018 ff. BGB; gegen die Beeinträchtigung des
Rechts stehen ihm Abwehransprüche nach § 1027 BGB i.V.m. § 1004 BGB zu.
23 Indessen ist die "Highlight-Fläche", gegen die sich der Kläger wendet, auf einem Teil des Grundstücks errichtet
worden, der von dem Überfahrtsrecht nicht erfasst wird. Es wurde nur auf einem der R.-Straße zugewandten, 5
m breiten Streifen auf dem ehemaligen Grundstück Flst.Nr. ...41/104 bewilligt; die "Highlight-Fläche" befindet
sich dagegen auf dem ehemaligen Grundstück Flst.Nr. ...39/107, das mit dem dienenden Grundstück Flst.Nr.
...36 nach Erwerb durch die Beklagte zu 2 vereinigt wurde. Durch diese Vereinigung hat sich der Inhalt und
Umfang des Überfahrtsrechts nicht verändert, und zwar unabhängig davon, ob sie sich nach § 890 Abs. 1 oder
nach § 890 Abs. 2 BGB vollzog. Nach einhelliger Ansicht (BGH MDR 1978, 302; BGH NJW 2006, 1000; OLGR
Hamm 2003, 177; MünchKomm/ Kohler , BGB, 5. Aufl., § 890 Rz. 12; Palandt/Bassenge, BGB, 68. Aufl., §
890 Rz, 4; Schulze/Dörner/Ebert, BGB, 5. Aufl., § 890 Rz. 1; Jauernig, BGB, 12. Aufl., § 890 Rz. 2) erstrecken
sich dingliche Belastungen, die auf einem der vereinigten Grundstücke liegen, auch nach der Vereinigung oder
Zuschreibung nur auf diesen Teil und nicht auf die anderen Teile des neuen Grundstücks. Das gilt selbst dann,
wenn zur Vereinigung nach § 890 BGB auch eine katastermäßige Verschmelzung hinzugekommen ist, so
lange die Einzelbelastung des Grundstücksteils weiterhin aus dem Grundbuch ersichtlich ist und sich daraus
auch die Rangfolge der Belastungen entnehmen lässt (vgl. BGH NJW 2006, 1000). Anhaltspunkte dafür, dass
das hier nicht der Fall sein könnte, bestehen nicht; aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich, dass sich der
Grundstücksteil, der von dem Überfahrtsrecht betroffen ist, nach wie vor zweifelsfrei ermitteln lässt.
24 Ist die Fläche des ehemaligen Grundstücks Flst.Nr. ...39/107 von dem Überfahrtsrecht nicht erfasst, sind die
Beklagten im Verhältnis zum Kläger frei darin, auf diesem Grundstücksteil eine bauliche Anlage zu errichten.
Dass mit der Zuschreibung des Grundstücks Flst.Nr. ...39/107 zum dienenden Grundstück Flst.Nr. ...36 das
Überfahrtsrecht mitten im dienenden Grundstück endet und eine Ausübung des Rechts zum ursprünglich
zugrunde gelegten Zweck, nämlich vom Grundstück des Klägers mit Fahrzeugen die I.-Straße zu erreichen,
nicht mehr möglich ist, ändert an der sachenrechtlichen Situation nichts; insbesondere kann sich das
Überfahrtsrecht ohne entsprechende Verfügung nicht auf weitere Grundstücksteile erstrecken. Ansprüche aus
§§ 1027, 1004 BGB scheiden daher aus.
25 2. Zu Recht hat das Landgericht Abwehransprüche wegen Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs verneint.
Der Grundstückseigentümer kann die Beseitigung und Unterlassung der Behinderung der Zu- und Abfahrt (bzw.
des Zu- und Abgangs) vom bzw. zum öffentlichen Straßenland in entsprechender Anwendung von § 1004 Abs.
1 BGB verlangen. Nach dieser Vorschrift kann der Grundstückseigentümer auch Beeinträchtigungen des
Gemeingebrauchs abwehren (vgl. BGH NJW 1998, 2058; OLGR Brandenburg 2008, 330).
26 Der Anspruch setzt aber voraus, dass es sich bei dem in Rede stehenden Grundstück oder Grundstücksteil
um eine öffentliche Straße im Sinne des Straßenrechts handelt. Gemeingebrauch ist die jedermann gewährte
Nutzung der öffentlichen Straßen im Rahmen der Widmung und der Straßenverkehrsvorschriften innerhalb der
verkehrsüblichen Grenzen (§ 13 Abs. 1 S. 1 StrG BW). Gemeingebrauch besteht also nur an rechtlich-
öffentlichen, nicht an bloß tatsächlich-öffentlichen Straßen und Plätzen (BGHZ 51, 310; OVG Münster NWVBl
1995, 313); Ansprüche wegen Behinderung des Gemeingebrauchs setzen daher voraus, dass die jeweilige
Straße vor Eintritt der Behinderung als öffentliche Straße gewidmet war. Dass der Teil des ehemaligen
Grundstücks Flst.Nr. ...39/107, auf dem sich nunmehr die "Highlight-Fläche" befindet, vor deren Errichtung als
öffentliche Straße gewidmet worden ist, hat der insoweit darlegungsbelastete Kläger nicht schlüssig
vorgetragen.
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a) Ein entsprechendes Geständnis der Beklagten liegt entgegen der Auffassung des Klägers nicht vor. Der
Kläger beruft sich auf eine in einem vorangegangenen Verfügungsverfahren protokollierte Erklärung beider
Parteien, dass der Bereich vor dem Überfahrtsrecht Teil der öffentlichen Straße gewesen sei. Abgesehen
davon, dass diese Erklärung im vorliegenden Verfahren keine Bindungswirkung entfalten kann, ist die
Eigenschaft einer Straße als öffentliche Straße Ergebnis einer Rechtsanwendung, die sich ihrerseits auf
weitere Tatsachen (Widmungsakt, s.u.) gründet. Diese sind jedenfalls nicht unstreitig.
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b) Unter der Geltung des StrG BW, also seit 01.07.1964, ist die Widmung zum öffentlichen Verkehr für das
Bestehen einer öffentlichen Straße konstitutiv (§ 2 Abs. 1 StrG BW; vgl. Lorenz/Will, StrG BW, 2. Aufl., §
2 Rz. 8). Sie geschieht im Regelfall durch Allgemeinverfügung (Lorenz/Will a.a.O., § 5 Rz. 21), die
öffentlich bekannt zu machen ist (§ 5 Abs. 4 StrG BW). Dass eine solche Allgemeinverfügung für den hier
in Rede stehenden Teil der I.-Straße erlassen und bekannt gemacht worden wäre, hat der Kläger nicht
behauptet. Er trägt selbst vor, dass die Anfang der 1970er Jahre zuständige Gemeinde N. von einer
förmlichen Widmung abgesehen hat. Dass die Gemeinde keine Entwidmung vorgenommen hat, besagt
nichts über die Frage, ob die fragliche Fläche gewidmet worden ist.
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c) Nach § 5 Abs. 6 StrG BW gelten Straßen, Wege oder Plätze, die aufgrund eines förmlichen Verfahrens
nach anderen Vorschriften für den öffentlichen Verkehr angelegt werden, bei Vorliegen der
Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 StrG BW mit der endgültigen Überlassung für den öffentlichen Verkehr
als gewidmet. Solche förmlichen Verfahren sind vor allem das straßenrechtliche Planfeststellungsverfahren
nach §§ 36 ff. StrG BW, andere Planfeststellungsverfahren oder das Flurbereinigungsverfahren (vgl. zu den
Einzelheiten Lorenz/Will, a.a.O., § 5 Rz. 69). Von Planfeststellungs- oder Flurbereinigungsverfahren ist im
Streitfall nicht die Rede. Außerdem kann eine Straße durch ein Bauplanungsverfahren gewidmet werden.
Nach § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB setzt der Bebauungsplan auch die Verkehrsflächen, Verkehrsflächen
besonderer Zweckbestimmung (Fußgängerbereiche, Flächen für das Parken von Fahrzeugen) sowie den
Anschluss anderer Flächen an die Verkehrsflächen fest. Die straßenrechtliche Widmungsfiktion des § 5
Abs. 6 Satz 1 StrG bezieht sich in diesem Fall "deckungsgleich" auf den durch den Bebauungsplan
zugelassenen Nutzungsrahmen der öffentlichen Verkehrsfläche, so dass es einer straßenrechtlichen
Umsetzung der bauplanerischen Festsetzung wegen der Widmungsfiktion nicht mehr bedarf (vgl. VGH
Mannheim BauR 2005, 1416; BauR 2006, 1271).
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Einen Tatbestand, der die Widmungsfiktion auslösen würde, hat der Kläger nicht vorgetragen. Ein
Bebauungsplan wurde nicht erlassen. Dass die Gemeinde N. (teilweise – so im Fall des Vaters des
Klägers – aber vor Inkrafttreten des StrG BW) in dem fraglichen Gebiet mehreren Unternehmern
Baugenehmigungen zu Errichtung von Betriebsgebäuden erteilt hat, deren bestimmungsgemäße Nutzung
das Anfahren mit Kraftfahrzeugen voraussetzte, genügt ebenso wenig wie der Umstand, dass die
Gemeinde möglicherweise zur Erschließung verpflichtet gewesen sein mag. Wie sich aus dem
Vorstehenden ergibt, muss sich das förmliche Verfahren gerade auf (u.a.) die Anlage einer öffentlichen
Straße beziehen. Mit der Widmung verlangt das Gesetz einen formalen Akt, durch den sich der
Bereitstellungswille des Trägers der Straßenbaulast in einer für die Rechtssicherheit hinreichenden Weise
manifestiert. Die Widmung kann deshalb nach § 5 Abs. 6 StrG ersetzt werden, wenn der Wille zur
Bereitstellung einer öffentlichen Straße bereits einem anderen Verfahren förmlich zum Ausdruck
gekommen ist (vgl. Lorenz/Will, a.a.O., § 5 Rz. 66). Voraussetzung ist aber immer, dass das Verfahren
gerade (auch) die Bereitstellung einer öffentlichen Straße zum Gegenstand hat. Dass die Gemeinde es –
wie hier offenbar geschehen – für ausreichend erachtet hat, dass die betreffenden Grundstücke tatsächlich
mit Fahrzeugen erreicht werden konnten, vermag die Widmungsfiktion daher nicht zu begründen. Die
Gemeinde kann auch durch eine die Erhebung von Erschließungsbeiträgen betreffende Satzung die
Erfordernisse des Landesstraßengesetzes nicht derogieren. Aus denselben Gründen sind bautechnische
und/oder katastermäßige Maßnahmen, die sich auf eine tatsächlich bestehende Straße beziehen, nicht
geeignet, die fehlende Widmung zu ersetzen.
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Dass möglicherweise Erschließungsbeiträge erhoben worden sind, reicht für die Feststellung einer
Widmung der I.-Straße ebenfalls nicht aus. Allerdings dürfen Erschließungsbeiträge, soweit es um Straßen
geht, nur für öffentliche Straßen erhoben werden (vgl. § 127 Abs. 2 Nr. 1, 2 BauGB). Dem Vortrag des
Klägers ist aber zu entnehmen, dass die Gemeinde N. gleichwohl seinerzeit in einer "Satzung über die
Erhebung von Erschließungsbeiträgen" die Fertigstellung einer Straße als für die Erhebung ausreichend
erachtet hat und dass für die I.-Straße demgemäß Erschließungsbeiträge aufgrund der bloßen
Fertigstellung erhoben wurden (Schriftsatz vom 29.02.2008, S. 3 f.). Der entsprechende, nach dem
Klägervortrag im Verkündungsblatt der Gemeinde N. veröffentlichte Gemeinderatsbeschluss kann auch
nicht als (wirksame) Widmung gedeutet werden, denn es fehlt jedenfalls an einer Einstufung der Straße (§
5 Abs. 3 StrG BW); ohne eine solche Einstufung ist die Widmung aber nichtig (vgl. Lorenz/Will, a.a.O., § 5
Rz. 41 m.w.N.). Damit fehlt es an einer (ausdrücklichen oder fingierten) Widmung.
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d) Nach § 57 Abs. 1 StrG a.F. sind auch bei Inkrafttreten des Straßengesetzes (01.07.1964)vorhandene
Straßen, Wege und Plätze, die nach bisherigem Recht öffentliche Straßen waren und nicht zu den
Bundesfernstraßen gehören, öffentliche Straßen. Diese Regelung gilt auch nach der Neufassung des § 57
Abs. 1 StrG durch das Gesetz vom 26.9.1987 (GBl. S. 478) fort (VGH Mannheim VBlBW 1992, 144). Auch
nach altem badischen Straßenrecht war jedoch eine Widmung grundsätzlich erforderlich (vgl. Lorenz/Will,
a.a.O., § 2 Rz. 20 f. m.w.N.); sie konnte allerdings in bestimmten Fällen konkludent erteilt werden (a.a.O.
Rz. 25). Auch insoweit sind aber Umstände erforderlich, die auf den Willen der Gemeinde schließen
lassen, eine öffentliche Straße oder einen öffentlichen Weg zur Verfügung zu stellen (vgl. z.B. VGH
Baden-Württemberg, Urt. v. 15.11.1993, Az. 7 S 1452/92, zitiert nach juris). Solche Umstände trägt der
Kläger nicht vor; die im Jahr 1963 erfolgte Erteilung einer Baugenehmigung an seinen Vater für ein
Bauvorhaben in der "I.-Straße 1b" in N. lässt wiederum nicht den Schluss zu, dass die Gemeinde diese
Straße als öffentliche Straße bereitstellen wollte. Dass eine öffentliche Straße nicht bestand, wird
schließlich – worauf das Landgericht zu Recht hingewiesen hat – durch den Umstand nahegelegt, dass auf
dem Lichtbild von 1968 (AS I 231) – nur fünf Jahre nach Erteilung der Baugenehmigung – eine Straße im
Bereich des ehemaligen Grundstücks Flst.Nr. ...39/107 nicht vorhanden ist. Das steht im Einklang mit dem
im Zusammenhang mit den Erschließungsbeiträgen gehaltenen Vortrag des Klägers, dass die I.-Straße
erst in den 1970er Jahren fertiggestellt wurde.
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Zutreffend hat das Landgericht auch darauf hingewiesen, dass eine Vermutung der Widmung aufgrund des
Rechtsinstituts der unvordenklichen Verjährung nicht in Betracht kommt. Hierauf wird zur Vermeidung von
Wiederholungen Bezug genommen; erhebliche Angriffe hiergegen werden mit der Berufung nicht
vorgebracht.
34 3. Auch aus dem Tauschvertrag vom 29.12.1970 lassen sich die geltend gemachten Ansprüche nicht
begründen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien dieses Vertrages über die
schuldrechtliche Verpflichtung zur Einräumung eines in seinem Umfang genau bestimmten dinglichen
Überfahrtsrechts hinaus eine Pflicht vereinbaren wollten, das Überfahrtsrecht auch auf möglicherweise künftig
zu erwerbende Teile des dienenden Grundstücks zu erstrecken. Zudem ist nicht erkennbar, in welcher Weise
die Parteien des Rechtsstreits in etwaige schuldrechtliche Bindungen der Vertragsparteien von 1970
eingetreten sein sollen. Schließlich wäre eine solche unentgeltliche schuldrechtliche Verpflichtung jederzeit
kündbar.
35 4. Auch ein Notwegerecht besteht nicht. Das Grundstück des Klägers liegt an der R.-Straße. Dass eine Zufahrt
zu dieser Straße nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand hergestellt werden kann, ist nicht dargetan.
36 Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit
beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO bestehen
nicht.