Urteil des OLG Karlsruhe vom 21.01.2002

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OLG Karlsruhe Beschluß vom 21.1.2002, 12 W 33/01
Prozeßkostenhilfeprüfungsverfahren für eine Deckungsklage gegen die Kfz-Kaskoversicherung nach behauptetem Fahrzeugdiebstahl:
Entbehrlichkeit der Anhörung des Antragstellers bei Zweifeln an seiner Glaubwürdigkeit
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Heidelberg vom 05. September 2001 mit dem Nichtabhilfebeschluss
vom 29. Oktober 2001 geändert:
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für die erste Instanz bewilligt und Rechtsanwalt ... zu den Bedingungen eines am Sitz des Prozessgerichts
ansässigen Rechtsanwalts beigeordnet, soweit der Antragsteller beantragt festzustellen, dass die Antragsgegnerin wegen des Diebstahls der
Zugmaschine mit dem amtlichen Kennzeichen aus der Fahrzeugversicherung Versicherungsschutz zu gewähren und die versicherungsvertraglich
zu erbringenden Ersatzleistungen seit dem 4.10.2000 mit 10,5 % zu verzinsen hat.
Der Antragsteller hat keine Raten und keine sonstigen Beträge auf die Prozesskostenhilfe zu zahlen.
Im übrigen wird sein Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
2. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
3. Die Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren wird auf 12,50 EUR ermäßigt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
1
Der Antragsteller macht aus einer bei der Antragsgegnerin abgeschlossenen Fahrzeugversicherung Ansprüche geltend, da die von ihm geleaste
Zugmaschine gestohlen worden sei. Den Abschluss des Versicherungsvertrags beantragte der Antragsteller. Im Antrag ist als
Versicherungsnehmer eine Firma B., als Halter der Antragsteller aufgeführt. Ihm wurde vorläufige Deckung zugesagt. Der Versicherungsschein
wurde eine Woche nach der Anzeige des Fahrzeugverlustes auf die Firma B. ausgestellt.
2
Die Antragsgegnerin wendet gegen die geltend gemachten Ansprüche ein, der Antragsteller habe die Erstprämie nicht bezahlt. Weiterhin
bestreitet sie die Schilderung des Antragstellers über das Abhandenkommen der Zugmaschine. Zudem hält sie die Angaben des Antragstellers
nicht für glaubhaft, da seine Angaben gegenüber der Polizei und die ihr selbst gegenüber sich widersprächen und auch sein weiteres
Vorbringen nicht plausibel sei.
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Mit Schreiben vom 08.09.2000, gerichtet an die Firma B., das sie mit Begleitschreiben vom 14.09.2000 an den Antragsteller leitete, lehnte die
Antragsgegnerin eine Schadensregulierung ab, da mangels Zahlung der Erstprämie kein Versicherungsschutz bestünde. Mit Schreiben vom
12.02.2001 lehnte die Antragsgegnerin eine Deckung endgültig ab.
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Hinsichtlich der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
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Das Landgericht hat die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt, da die Angaben des Antragstellers so widersprüchlich seien, dass ein
Diebstahl nicht hinreichend wahrscheinlich sei.
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Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, jedoch nur teilweise begründet.
II.
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Grundsätzlich muss der Versicherungsnehmer den Diebstahl seines Fahrzeuges im Bestreitensfall unter Beweis stellen. Beim Nachweis des
Versicherungsfalls Diebstahl in der Kfz-Kasko-Versicherung kommen dem Versicherungsnehmer - was das Landgericht im Grundsatz zutreffend
berücksichtigt hat - Beweiserleichterungen zugute. Da sich der Versicherungsnehmer im Fall der Entwendung seines Fahrzeugs typischerweise
in Beweisnot befindet, entspricht es nach ständiger Rechtsprechung (BGH VersR 1996, 575) einer verständigen Auslegung des
Versicherungsvertrags, dass die Vertragsparteien den versicherten Entwendungsfall schon dann als nachgewiesen ansehen wollen, wenn
Tatsachen feststehen, die nach ihrem äußeren Bild mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf eine Wegnahme gegen den Willen des
Versicherungsnehmers schließen lassen. Dem Versicherungsnehmer kommt deshalb eine Beweiserleichterung insoweit zugute, als er seiner
Beweislast schon genügt, wenn er das äußere Bild einer bedingungsgemäßen Entwendung des Fahrzeugs darlegt und beweist. Die Beweislast
bezieht sich auf ein Mindestmaß an Tatsachen, die nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluss auf die
Entwendung zulassen (BGH NJW 1996, 993). Ohne diese Beweiserleichterung wäre der Wert einer Kaskoversicherung in Frage gestellt. Der
Versicherungsnehmer bliebe in vielen Fällen der Entwendung schutzlos, obwohl er sich durch den Abschluss des Kaskoversicherungsvertrages
gerade auch für Fälle schützen wollte, in denen die Umstände der Entwendung nicht umfassend aufgeklärt werden können (BGH VersR 1981,
684). Das äußere Bild eines Diebstahls ist danach gegeben, wenn der Versicherungsnehmer das Fahrzeug an einer bestimmten Stelle zu einem
bestimmten Zeitpunkt abgestellt und es später dort gegen seinen Willen nicht wieder vorgefunden hat (Senat OLGR 1997, 51; BGH NJW 1995,
2069).
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Der Antragsteller hat den Eintritt eines Versicherungsfalles in dem hierfür erforderlichen Umfang vorgetragen. Nach seinem Vortrag stand die
Zugmaschine am 11.05.2000 nicht mehr an dem Platz, an dem sie am Abend zuvor abgestellt worden war.
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Vorliegend hat der Antragsteller allerdings keinen Beweis für diejenigen Tatsachen angeboten, die den äußeren Tatbestand eines Diebstahls
erfüllen. Angesichts des - hier gemäß § 138 Abs. 4 ZPO zulässigen - Bestreitens mit Nichtwissen durch die Antragsgegnerin war der Antragsteller
gehalten, das Abstellen des Fahrzeugs an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit und das spätere Nichtauffinden am selben Ort -
vorrangig durch Zeugen - unter Beweis zu stellen oder darzulegen, dass und warum ihm hierfür keine Zeugen zur Verfügung stehen. Auch dieser
auf die Beweismittel bezogenen Darlegungslast ist der Antragsteller nachgekommen. Stehen dem Versicherungsnehmer - wie hier - keine
Beweismittel zur Verfügung, kommt seine mündliche Anhörung durch das Gericht nach § 141 ZPO bzw. eine Parteivernehmung nach § 448 ZPO
in Betracht (vgl. BGH VersR 1997, 691). Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (BGH VersR 1996, 575) kann den Angaben und
Behauptungen des Versicherungsnehmers im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses (§ 286 ZPO) auch dann geglaubt
werden, wenn dieser deren Richtigkeit sonst nicht beweisen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht der unredliche, sondern der redliche
Versicherungsnehmer der Regelfall ist.
10 Von einem solchen Regelfall kann allerdings nicht mehr ausgegangen werden, wenn konkrete Tatsachen vorliegen, die den
Versicherungsnehmer als unglaubwürdig erscheinen lassen, oder sich schwerwiegende Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit und an der
Richtigkeit der von ihm aufgestellten Behauptungen zur Entwendung aufdrängen. Die Glaubwürdigkeit des Versicherungsnehmers kann in
diesem Zusammenhang insbesondere durch dem Versicherungsnehmer nachgewiesene Unredlichkeiten in Frage gestellt werden, selbst wenn
diese in keinem Bezug zu dem streitigen Versicherungsfall stehen (Senat a.a.O.; SchlHOLG, OLGR 1999, 148). Auch unrichtige oder
unvollständige Angaben des Versicherungsnehmers bei der vorprozessualen Geltendmachung seines Kaskoschadens und während des
Rechtsstreits können unter Umständen das Gericht daran hindern, seinen Angaben zu glauben.
11 Das Landgericht hat dies nicht übersehen, meint aber der Vortrag des Antragstellers sei widersprüchlich und es bestünden Zweifel an seiner
Glaubwürdigkeit. Das widerspricht zwar nicht dem Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung. Das Verbot der Beweisantizipation gilt in
strenger Form nur für das Erkenntnisverfahren. Dort ist es unzulässig, Beweise zu würdigen, bevor man sie erhoben hat. Die Rechtslage im
Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren weicht von der im Erkenntnisverfahren aber ab. Denn § 114 ZPO zwingt den Richter zu einer
Erfolgsprognose für den Prozess, die eine Bewertung der Beweiskraft der angebotenen Beweismittel notwendig voraussetzt. Damit wird das
Verbot der Beweisantizipation für das PKH-Verfahren abgeschwächt (OLG Stuttgart, OLGR 1998, 32; Schneider, MDR 1987, 22 ff m.w.N.). Eine
Anhörung des Antragstellers ließe keinen Nachweis des äußeren Bildes erwarten, wenn bereits jetzt nachhaltige Zweifel an seiner
Glaubwürdigkeit bestünden.
12 So verhält es sich jedoch nach dem bisherigen Sach- und Streitstand nicht.
13 Dabei ist zu beachten, dass die Tatsachen auf die Zweifel an der Glaubwürdigkeit gegründet werden, feststehen müssen, d.h. sie müssen
unstreitig oder bewiesen sein. Bloße Verdachtsmomente können gegen den Versicherungsnehmer nicht ins Feld geführt werden. Welche
feststehenden Tatsachen ausreichen, um zumindest ernsthafte Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Versicherungsnehmers aufkommen zu
lassen, lässt sich nicht generell sagen. Das ist eine Frage des Einzelfalls und kann auch davon abhängen, ob mehrere Umstände
zusammenkommen, die bei einer Gesamtschau zu dem Ergebnis führen, dass dem Versicherungsnehmer seine Darstellung von der
Entwendung nicht geglaubt werden kann. Nicht jede Unregelmäßigkeit reicht zu schwerwiegenden Zweifeln aus (BGH MDR 1996, 472).
14 Die Tatsache, dass der Antragsteller einen halben Hausstand in dem Fahrzeug hinterlassen haben will, macht seinen Vortrag nicht von
vorneherein unglaubwürdig. Auch die Tatsache, dass der Antragsteller nicht beide Fahrzeugschlüssel vorlegen konnte, spricht als solche nicht
gegen seine Glaubwürdigkeit, zumal er für den Verlust des Schlüssels im Januar 2000 in Spanien Beweis angetreten hat. Schließlich wird die
Glaubwürdigkeit des Antragstellers beim gegenwärtigen Sach- und Streitstand nicht durch seine Angaben über die Vermietung und die
Benutzung des Fahrzeugs berührt. Warum er trotz Vermietung zum Zeitpunkt des Abhandenkommens im Besitz des Fahrzeugs war, hat er
zumindest in der Beschwerdeinstanz schlüssig dargelegt. Das Landgericht wird sich daher in einer mündlichen Verhandlung ein Bild von der
Glaubwürdigkeit des Antragstellers machen müssen und erst danach aufgrund einer Gesamtschau entscheiden können, ob die Angaben des
Antragstellers geeignet sind, eine hinreichende Überzeugung vom Vorliegen des äußeren Bildes einer Entwendung zu begründen.
III.
15 1. Der Antragsteller ist auch Versicherungsnehmer. Unstreitig sollte die Versicherung auf ihn umgeschrieben werden. Mit seiner Person sollte der
Versicherungsvertrag zustande kommen. Entsprechende Angaben machte er gegenüber dem Versicherungsagenten der Antragsgegnerin. Ihm
wurde vorläufige Deckungszusage erteilt. Seine Anschrift wurde in den Antrag und in den Versicherungsschein aufgenommen. Der
Versicherungsschein wurde an ihn übersandt. Sämtlichen Schriftverkehr führte die Antragsgegnerin mit ihm unter seiner Adresse. Dass der
Versicherungsschein auf die Firma B. ausgestellt wurde, ist daher unerheblich. Insofern handelt es sich um eine unschädliche
Falschbezeichnung des Versicherungsnehmers. Dieses Ergebnis wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass in der Schadensanzeige als
Zahlungsempfänger die Schwester des Antragstellers angegeben ist. Die Angabe kann auf den Inhalt des Versicherungsvertrages keinen
Einfluss haben.
16 2. Die Tatsache, dass der Antragsteller das Fahrzeug vermietet hatte, befreit die Antragsgegnerin nicht von ihrer Verpflichtung zur Leistung gem.
§ 2 b Nr. 1 AKB. Im Antrag ist nur die Verwendung des Fahrzeugs im Güterfernverkehr angegeben. Dazu wurde das Fahrzeug auch verwendet.
Weitere Angaben erfolgten gerade nicht, da vorformulierte Erklärungen nicht angekreuzt wurden. Die Antragsgegnerin konnte daher über den
Fahrer des Fahrzeugs keine Rückschlüsse ziehen, auch nicht für die Höhe der Prämie. Offenbleiben kann daher die Frage, ob eine Angabe,
dass das Fahrzeug vermietet wird, obwohl der Antragsteller als Vermieter auch weiterhin Führer des Fahrzeugs war, korrekt gewesen wäre.
17 3. Der Antragsteller hat die Ausschlussfrist gem. § 12 Abs. 3 VVG eingehalten. Die Antragsgegnerin hatte bis zum 30.06.2001 darauf verzichtet,
sich auf einen Fristablauf zu berufen. Sie hat damit die 6-Monats-Frist bis zum 30.06.2001 verlängert. Eine derartige Verlängerung ist zulässig
(BGH VersR 1959, 22). Der Fristablauf wurde rechtzeitig durch den Prozesskostenhilfeantrag unterbrochen. Der Antrag war mit der Erklärung,
dass seine Ehefrau keine eigenen Einkünfte habe, vollständig. Der entsprechende Schriftsatz ging am 19. 06. 2001 bei Gericht ein. Ein Antrag
auf Prozesskostenhilfe genügt, um den Ablauf der Frist zu hindern (BGH NJW - RR 1989, 675).
18 4. Bislang ist seitens der Antragsgegnerin weder eine Leistungsfreiheit nach § 38 Abs. 2 VVG noch nach § 6 Abs. 3 VG hinreichend dargetan.
IV.
19 Keine Prozesskostenhilfe ist dem Antragsteller zu gewähren, soweit er unter dem Gesichtspunkt des Verzugs Schadensersatz verlangt.
20 1. Der Antragsteller hat nicht schlüssig dargelegt, dass er bei Zahlung der Entschädigungssumme bis zum September 2000 Mieteinnahmen
gehabt hätte. Er hat nicht vorgetragen, dass er von der Entschädigungssumme ein neues Fahrzeug beschafft hätte, das er hätte vermieten
können bzw. zur Erfüllung eines laufenden Mietvertrags hätte einsetzen können. Die Entschädigungssumme hätte er an die
Fahrzeugeigentümerin, die Leasinggeberin, auskehren müssen, so dass er keinen Vorteil aus ihr gehabt hätte. Der Antragsteller war zudem
durch eine zögerliche Erfüllung möglicherweise bestehender Zahlungspflichten nicht gehindert, ein anderes Fahrzeug anzumieten oder zu
leasen, um mit der Nutzung des Fahrzeugs Einnahmen zu erzielen.
21 2. Der Antragsteller hat auch nicht dargelegt, dass er bei rechtzeitiger Zahlung der Entschädigungssumme Provisionsansprüche erworben hätte.
Insofern fehlt jeglicher substantiierter Vortrag, insbesondere zur Höhe der geltend gemachten Ansprüche. Er hat weder konkrete Geschäfte
vorgetragen, die abgeschlossen worden wären, noch warum und in welcher Höhe ihm daraus Provisionen zugestanden hätten.
22 3. Schließlich hat der Antragsteller auch nicht schlüssig dargelegt, dass ihm auf Grund eines Verzugs der Antragsgegnerin Anwaltskosten
entstanden. Zwar ist es durchaus möglich, dass mit der Leasinggeberin Vergleichsverhandlungen erforderlich wurden, da die Antragsgegnerin
nicht rechtzeitig zahlte, und die Einschaltung eines Anwalts geboten war. Der Antragsteller hat jedoch schon nicht vorgetragen, wann diese
Vergleichsverhandlungen stattfanden. Es lässt sich deshalb nicht beurteilen, ob zu dem Zeitpunkt der Entstehung der Anwaltskosten die
Antragsgegnerin schon in Verzug war.
V.
23 Soweit die Beschwerde zurückgewiesen wird, hat der Antragstellerin gem. §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu
tragen. Das Gericht hat die Gebühr gem. Nr. 1952 der Anlage 1 zu § 11 Abs. 1 Gerichtskostengesetz auf die Hälfte ermäßigt. Außergerichtliche
Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gem. § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.
VI.
24 Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO liegen nicht vor.