Urteil des OLG Karlsruhe vom 05.08.2004

OLG Karlsruhe: persönliche anhörung, amtshandlung, verfügung, unterlassen, mitverschulden, anfang, auskunft, bewirtschaftung, berechtigung, begriff

OLG Karlsruhe Urteil vom 5.8.2004, 12 U 218/04
Wildschaden: Feldmäßiger Spargelanbau in der nordbadischen Rheinebene; Dienstaufsichtsbeschwerde als Rechtsmittel bei Amtshaftung
Leitsätze
1. Bei feldmäßigen Spargelpflanzungen in der nordbadischen Rheinebene handelt es sich um Feldgewächse und nicht um sogenannte
Freilandpflanzungen von Gartengewächsen, bei denen ein Wildschaden gemäß § 32 Abs. 2 Satz 1 BJagdG nur beim Vorhandensein üblicher
Schutzvorrichtungen zur Schadensabwendung ersatzfähig ist.
2. Die Dienstaufsichtsbeschwerde ist ein Rechtsmittel im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB gegen die pflichtwidrige Unterlassung einer Amtshandlung.
Der Schädiger muss allerdings darlegen und beweisen, dass der Geschädigte im Wege der unverzüglichen Dienstaufsichtsbeschwerde mit
Erfolgsaussicht die Vornahme der Amtshandlung hätte bewirken können.
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 11. Mai 2004 - 4 O 564/02 - im Kostenpunkt aufgehoben und im
Übrigen wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.854,29 EUR nebst 5 Prozentpunkte Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit 06.09.2002 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben mit Ausnahme der Kosten, die durch die Anrufung des unzuständigen
Amtsgerichts Bruchsal entstanden sind und die der Kläger zu tragen hat.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1
Der Kläger nimmt die beklagte Gemeinde wegen Amtspflichtverletzung auf Schadensersatz in Anspruch.
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Der Kläger ist Eigentümer eines Spargelackers auf dem Gemeindegebiet der Beklagten. Ende August/Anfang September 1997 stellte er fest,
dass Wildschweine das ausgetriebene Spargelkraut niedergetrampelt und abgefressen hatten. Seine daraufhin gegen einen der Jagdpächter
erhobene Klage auf Ersatz des Wildschadens blieb in beiden Instanzen erfolglos, da er den Schaden nicht binnen der Wochenfrist des § 34 Satz
1 Bundesjagdgesetz (BJagdG) schriftlich bei der Beklagten angemeldet hatte (vgl. Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 11.02.04 - 1 S 107/03).
Den beiden weiteren Jagdpächtern war in diesem Verfahren der Streit verkündet worden. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Ersatz des von ihm
mit 22.900,00 DM bezifferten Wildschadens nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung in
Anspruch, weil der zuständige Gemeindebeamte die Niederschrift mehrerer fristgerechter mündlicher Schadensanzeigen amtspflichtwidrig
abgelehnt habe.
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Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen. Der
Kläger habe es fahrlässig versäumt, den Schaden durch ein Rechtsmittel im Sinne von § 839 Abs. 3 BGB abzuwenden. Er hätte den
Wildschaden bei der Gemeinde schriftlich anmelden müssen. Die Bedeutung der einwöchigen Ausschlussfrist sei ihm aus früheren
Schadensfällen bekannt gewesen.
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Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Entgegen der Auffassung des Landgerichts könne eine formgerechte Anmeldung nicht
Rechtsmittel im Sinne von § 839 Abs. 3 BGB sein. Die Stellung eines formgerechten Antrags habe vielmehr aufgrund der von der Beklagten
verletzten Beratungs- und Fürsorgepflicht erfolgen müssen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Die Akten
des Landgerichts Karlsruhe - 1 S 107/03 - waren beigezogen und Gegenstand der Verhandlung.
II.
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Die Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg. Ihm steht gegen die beklagte Gemeinde aus § 839 BGB, Art. 34 GG ein Anspruch auf hälftigen
Ersatz des geltend gemachten Wildschadens nebst Zinsen zu.
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1. Der Senat folgt der Beurteilung des Landgerichts, dass die Beklagte sich durch die wiederholte Weigerung ihres Mitarbeiters G., die
Anmeldung des Wildschadens durch den Kläger zur Niederschrift aufzunehmen, amtspflichtwidrig verhalten hat. Die aus § 17 Abs. 1 der
Landesjagdgesetzdurchführungsverordnung (LJagdGDVO) in Verbindung mit § 34 BJagdG abzuleitende Pflicht der beklagten Gemeinde,
(zumindest) die binnen Wochenfrist zur Niederschrift angemeldeten Ansprüche auf Ersatz von Wildschaden entsprechend aufzunehmen, diente
auch den Interessen des Klägers als Anspruchsteller. Ihm drohte andernfalls gemäß § 34 Satz 1 BJagdG das Erlöschen seines möglichen
Ersatzanspruchs. Die Einhaltung der nach dem Landesrecht vorgeschriebenen Form ist Voraussetzung für die Ordnungsgemäßheit einer
Anmeldung innerhalb der einwöchigen Ausschlussfrist (Mitzschke/Schäfer, Kommentar zum Bundesjagdgesetz, 4. Aufl., § 34 Rn. 1 u. 2; LG
Schweinfurt, Urteil vom 16.01.2002, Jagdrechtliche Entscheidungen Band IX Nr. 128). Den Einwand des Klägers, der beklagte Jagdpächter
könne sich wegen der Vereitelung der Schadensanmeldung durch die Gemeindeverwaltung nicht auf den Formmangel berufen, hat das
Landgericht Karlsruhe im Urteil vom 11.02.2004 mit dem zutreffenden Hinweis zurückgewiesen, dass das beanstandete Vorgehen der Gemeinde
nicht dem Jagdpächter zuzurechnen sei.
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2. Dem Kläger ist durch die Amtspflichtverletzung auch ein Schaden entstanden.
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a) Es kann dem Kläger aufgrund seiner Angaben in der persönlichen Anhörung vor dem Landgericht und dem Senat geglaubt werden, dass er
den streitgegenständlichen Wildschaden entweder an einem der letzten Tage im August oder Anfang September des Jahres 1997 festgestellt
und auch jedenfalls innerhalb der Wochenfrist des § 34 Satz 1 BJagdG der Gemeinde mündlich gemeldet hat. Auch in der Folgezeit, zuletzt
nachdem er Erkundigungen beim Bauernverband, dem Ministerium und beim Kreisjagdamt eingeholt hatte, habe er noch mehrmals bei dem
Zeugen G. vorgesprochen und diesem erklärt, er müsse die Schadensanzeige aufnehmen und darüber entscheiden. Diese Angaben hat der
Zeuge G. im Wesentlichen bestätigt. Er konnte sich lediglich nicht mehr daran erinnern, wann genau der Kläger den Schaden anmelden wollte.
Die geltend gemachte Schadenshöhe von 22.900,00 DM hat die Beklagte nicht bestritten. Demnach ist davon auszugehen, dass der Kläger
einen Ersatzanspruch in gleicher Höhe gegen den Jagdpächter V. und die weiteren Mitpächter D. und H., die im Vorprozess dem Beklagten V.
als Streitverkündete beigetreten waren, mit Erfolg hätte geltend machen können.
10 b) Entgegen der Auffassung der Beklagten war der Anspruch auf Ersatz des Wildschadens nicht gemäß § 32 Abs. 2 Satz 1 BJagdG
ausgeschlossen. Der Senat zweifelt nicht daran, dass es sich bei den Spargelpflanzungen des Klägers nicht um so genannte
Freilandpflanzungen von Gartengewächsen handelt, bei denen ein Wildschaden gemäß § 32 Abs. 2 Satz 1 BJagdG nur beim Vorhandensein
üblicher Schutzvorrichtungen zur Schadensabwendung ersatzfähig ist. Aus dem vom Amtsgericht Bruchsal - 1 C 189/00 - im Verfahren gegen
den Jagdpächter V. eingeholten Gutachten des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 14.02.2002 ergibt sich vielmehr mit Deutlichkeit, dass der
Spargelanbau in dem Gebiet, in dem auch der Kläger seine Pflanzungen hat, seit langem nicht mehr - wie früher - gartenmäßig, sondern
weitestgehend von Haupterwerbslandwirten feldmäßig, unter großem Einsatz von Saisonarbeitskräften vorwiegend aus Polen, durchgeführt wird.
Der feldmäßige Spargelanbau erstreckt sich dabei nicht nur auf die Anbaugebiete der nordbadischen Rheinebene im Landkreis Karlsruhe, zu
denen auch das betroffene Ackerland des Klägers gehört, sondern auch auf große Flächen benachbarter Stadt- und Landkreise sowohl in
Baden-Württemberg als auch in Rheinland-Pfalz. Demnach ist davon auszugehen, dass in dieser Region der feldmäßige Anbau des Spargels
inzwischen derart in den Vordergrund getreten ist, dass eine gartenmäßige Bewirtschaftung kaum noch eine Rolle spielt. Also handelt es sich
hier bei Spargelpflanzungen um Feldgewächse und nicht um Freilandpflanzungen gemäß § 32 Abs. 2 Satz 1 BJagdG, weshalb die Ersatzpflicht
für Wildschaden nicht davon abhängt, ob übliche Schutzvorrichtungen vorhanden sind (vgl. BGH, Urteil vom 08.05.1957 - V ZR 150/55 - LM Nr.
25 zu § 546 ZPO unter B II 2 b).
11 c) Insgesamt ist festzustellen, dass der Kläger infolge der Amtspflichtverletzung einen Schaden in Höhe von 22.900,00 DM erlitten hat. Infolge der
Ablehnung der fristgerechten Niederschrift seiner Schadensanmeldung durch die Beklagte ist sein auf Zahlung dieses Betrages gerichteter
Ersatzanspruch gegen die Jagdpächter erloschen.
12 3. Entgegen der Auffassung des Landgerichts scheitert der Amtshaftungsanspruch des Klägers nicht daran, dass er es fahrlässig unterlassen hat,
den Schaden durch den Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden (§ 839 Abs. 3 BGB).
13 a) Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte insoweit darauf, der Kläger habe es versäumt, den Anspruch auf Ersatz des Wildschadens bei der
Beklagten rechtzeitig schriftlich anzumelden. Die schriftliche Anmeldung, mit der der Kläger gemäß 17 Abs. 1 LJagdGDVO ebenfalls die für die
Anmeldung notwendige Form hätte wahren können, ist kein Rechtsmittel im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB. Der Begriff des Rechtsmittels ist nach
ständiger Rechtsprechung weit zu fassen. Er umfasst alle Rechtsbehelfe, die sich unmittelbar gegen die schädigende Amtshandlung oder
Unterlassung selbst richten und nach gesetzlicher Ordnung ihre Beseitigung oder Berichtigung bezwecken und ermöglichen (BGHZ 123, 1, 7;
BGHZ 137, 11, 23). Hierzu gehören auch Gegenvorstellungen, Erinnerungen an die Erledigung eines Antrages, Beschwerden und
Dienstaufsichtsbeschwerden. Die fristgerechte schriftliche Anmeldung des vom Kläger behaupteten Anspruchs auf Ersatz des Wildschadens
hätte sich jedoch nicht dagegen gerichtet, dass der Mitarbeiter der Beklagten pflichtwidrig die Niederschrift der Schadensanmeldung unterlassen
hat. Sie stand dem Kläger vielmehr als alternative Möglichkeit zur Verfügung, eine formgerechte und fristwahrende Anmeldung zu bewirken.
Demnach kann die schriftliche Anmeldung nicht als Rechtsmittel im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB angesehen, sondern nur bei der Prüfung eines
etwaigen Mitverschuldens des Klägers an der Schadensentstehung nach § 254 BGB berücksichtigt werden.
14 b) Dass der Kläger es vorwerfbar versäumt habe, sich unverzüglich im Wege der Dienstaufsichtsbeschwerde an den Bürgermeister der
Beklagten gegen die unterlassene Protokollierung zu wenden, und dadurch der Schadenseintritt verhindert worden wäre, kann nicht festgestellt
werden. Zwar handelt es sich bei der Dienstaufsichtsbeschwerde um ein Rechtsmittel im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB (vgl. hierzu nur BGH NJW
1986, 1924 unter III m.w.N.). Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat jedoch nicht einmal behauptet, dass der Kläger im
Wege der unverzüglichen Dienstaufsichtsbeschwerde mit Erfolgsaussicht auf eine fristgerechte Niederschrift der Schadensanmeldung habe
hinwirken können. Es bedarf daher keiner weiteren Feststellungen hierzu. Auf § 839 Abs. 3 BGB kann die Beklagte sich somit nicht mit Erfolg
berufen.
15 4. Den Kläger trifft jedoch ein erhebliches Mitverschulden an der Schadensentstehung, weil er den Schaden nicht rechtzeitig schriftlich bei der
Beklagten angemeldet hat. Dies wäre ihm, wovon auch das Landgericht ausgegangen ist, ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen.
16 Der Kläger verfügte zwar als Landwirt nicht über besondere Rechtskenntnisse. Ihm war jedoch, wie bereits das Landgericht Karlsruhe auf Seite 6
seines Urteils vom 11.02.2004 festgestellt und sowohl die persönliche Anhörung des Klägers im ersten Rechtszug als auch die Vernehmung des
Zeugen G bestätigt haben, gerade die Bedeutung der Ausschlussfrist des § 34 BJagdG aus zahlreichen früheren Schadensanmeldungen
hinreichend bekannt. Nach dem Rechtsempfinden des Klägers, das er in der persönlichen Anhörung mitgeteilt hat, war die Beklagte zur
förmlichen Aufnahme der Schadensanzeige und zur Verbescheidung seines Antrags verpflichtet, selbst wenn sie diesen später ablehnen würde.
Dann aber musste sich ihm auch aufdrängen, dass er zur Wahrung der einwöchigen Anmeldefrist die - entgegen der bisherigen ständigen Praxis
erfolgte - Ablehnung der Anmeldungsniederschrift durch den Gemeindebeamten G. nicht auf sich beruhen lassen durfte, sondern die
fristgerechte Schadensanmeldung selbst in schriftlicher Form vornehmen musste. Dass der Kläger nach eigenem Bekunden kurze Zeit vorher
von dem Bürgermeister die Auskunft erhalten hatte, bei Spargel gebe es für den Wildschaden sowieso nichts, vermag ihn nicht zu entlasten, da
ihm der Unterschied zwischen den einzuhaltenden Förmlichkeiten einer Schadensanmeldung und der Berechtigung des geltend gemachten
Ersatzanspruchs an sich klar sein musste und ausweislich seiner Angaben vor dem Landgericht auch hinreichend klar war.
17 Hätte der Kläger die Schadenmeldung rechtzeitig in schriftlicher Form eingereicht, wäre der Anspruch gegen die Jagdpächter nicht erloschen.
Insgesamt bewertet der Senat das Mitverschulden des Klägers an der Schadensentstehung mit 50 %, weshalb die Beklagte lediglich zum Ersatz
des hälftigen Schadens in Höhe von 5.854,29 EUR zu verurteilen war.
18 5. Die Zinsen sind als Rechtshängigkeitszinsen geschuldet.
19 6. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 281 Abs. 3 Satz 2, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Revision
gemäß § 543 Abs. 2 ZPO bestehen nicht.