Urteil des OLG Karlsruhe vom 09.03.2006

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OLG Karlsruhe Urteil vom 9.3.2006, 12 U 114/05
Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst: Halbanrechnung von Vordienstzeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes in der
Startgutschriftenregelung der neuen Satzung der VBL
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Karlsruhe vom 11.3.2005 - 6 O 108/04 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
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I. Die Klägerin begehrt von der beklagten Zusatzversorgungsanstalt eine höhere Betriebsrente. Sie rügt, dass ihre Vordienstzeiten außerhalb des
öffentlichen Dienstes nicht angemessen berücksichtigt werden, insb. nicht bei der Startgutschrift, die die Beklagte im Zuge der Umstellung des
Zusatzversorgungssystems von der Gesamtversorgung auf das Punktemodell zum 31.12.2001 dem Versorgungspunktekonto der Klägerin
zuerteilt hat (Startgutschrift für rentennahe Jahrgänge gem. §§ 78, 79 Abs. 2 VBLS in der neuen Fassung - n.F.).
2
Die Klägerin ist 1941 geboren. Sie bezieht seit 2003 eine gesetzliche Rente und von der Beklagten eine Betriebsrente i.H.v. 86,56 EUR. Die
Beklagte hat die Betriebsrente unter Zugrundelegung der im Wege der Startgutschrift gutgeschriebenen Versorgungspunkte ermittelt, ergänzt um
die seit dem 1.1.2002 im neuen System erworbenen Versorgungspunkte. Mit Mitteilung vom …2003 war die Rentenanwartschaft der Klägerin
zum 31.12.2001 auf 76,24 EUR beziffert und ihr dementsprechend eine Startgutschrift von 19,06 Punkten erteilt worden.
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Die Startgutschrift wurde gem. § 79 Abs. 2 VBLS n.F. unter Zugrundelegung der Regelungen der alten Satzung (VBLS a.F.) ermittelt. Nach § 42
Abs. 2 S. 1a aa VBLS a.F. berücksichtigte die Beklagte für den Faktor der gesamtversorgungsfähigen Zeit, von dem die Höhe der
Versorgungsrente abhängt, außer den Umlagemonaten, in denen ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes mit Umlagezahlungen an die
Beklagte für die Altersversorgung des bei ihm beschäftigten Klägers beigetragen hat, darüber hinaus andere Zeiten, die (über die Umlagemonate
hinaus) der gesetzlichen Rente des Klägers zugrunde liegen, nur zur Hälfte (sog. Halbanrechnungsgrundsatz). Andererseits war bei der
Berechnung der Versorgungsrente grundsätzlich von der vollen Höhe der an den Kläger gezahlten gesetzlichen Rente auszugehen. Diese
wurde durch die von der Beklagten gewährte Zusatzversorgung lediglich insoweit aufgestockt, wie die gesetzliche Rente hinter der nach der
Satzung berechneten Gesamtversorgung zurückblieb (§ 40 Abs. 1 VBLS a.F.). Das BVerfG hat in dieser vollen Berücksichtigung der gesetzlichen
Rente trotz einer nur hälftigen Anrechnung von Vordienstzeiten einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG gesehen, der nur bis zum Ablauf des
Jahres 2000 hingenommen werden könne (BVerfG v. 22.3.2000 - 1 BvR 1136/96, VersR 2000, 835 = NJW 2000, 3341).
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Das LG, auf dessen Urteil wegen der weiteren Feststellungen Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen.
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Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Durch die Halbanrechnung ihrer (erheblichen) Vordienstzeiten bei gleichzeitiger voller
Anrechnung der aus diesen Zeiten erworbenen gesetzlichen Rente habe sie nur noch eine Startgutschrift in Höhe der Mindestversorgungsrente
nach §§ 40 Abs. 4, 44a VBLS a.F. erhalten. Dies sei nach der Entscheidung des BVerfG gleichheitswidrig und nachteilig ggü. Personen ohne
Vordienstzeiten. Die mehreren Klaganträge beruhten darauf, dass es verschiedene Möglichkeiten gebe, den Gleichheitsverstoß zu beseitigen.
Die Klägerin beantragt zuletzt, das Urteil des LG Karlsruhe wie folgt abzuändern:
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1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem …2003 eine Betriebsrente für Versicherte zu gewähren, wobei bei
der Berechnung der Startgutschrift zum 31.12.2001 eine gesamtversorgungsfähige Zeit von 523 Monaten zugrunde zu legen ist.
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2. Die Beklagte wird verurteilt, die Zeiten der gesetzlichen Rentenversicherung außerhalb des öffentlichen Dienstes im Umfange von
397 Monaten mindestens mit einem Nettoversorgungssatz von 1,50 % je Jahr zu berücksichtigen.
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3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem …2003 eine Betriebsrente für Versicherte in einer Höhe zu
gewähren, die eine vergleichbare Mitarbeiterin erzielt hätte, die nur im Zeitraum der Klägerin vom …1992 bis zum …2003 gearbeitet hätte unter
ausschließlicher Berücksichtigung der in diesem Zeitraum erworbenen gesetzlichen Rentenanwartschaft.
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Die Beklagte beantragt unter Verteidigung des landgerichtlichen Urteils, die Berufung zurückzuweisen.
10 Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
11 II. Die Berufung hat keinen Erfolg. Das LG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das Berufungsvorbringen der Klägerin rechtfertigt keine andere
Beurteilung.
12 1. Die in § 42 Abs. 2 VBLS a.F. vorgesehene Halbanrechnung der Vordienstzeiten bei gleichzeitiger voller Berücksichtigung der hierauf
entfallenden gesetzlichen Rente (§ 40 Abs. 2 VBLS a.F.) hält einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle gem. den §§ 242 BGB, 9 AGBGB stand. Der
Senat folgt insoweit der den Parteien bekannten Rechtsprechung des BGH im Urt. v. 10.11.2004 - IV ZR 391/02 - (BGH, Urt. v. 10.11.2004 - IV ZR
391/02, BGHReport 2005, 365 = MDR 2005, 508 = VersR 2005, 210). Danach haben auch Versicherte, die erst nach dem Stichtag 31.12.2000
versorgungsrentenberechtigt geworden sind, keinen Anspruch auf die begehrte volle Anrechnung ihrer Vordienstzeiten.
13 Zwar gehören diese Pflichtversicherten zu einer Rentnergeneration, für die die vom BVerfG beanstandete Grundrechtsverletzung nicht mehr eine
nur verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betrifft, sondern in ihren Auswirkungen nicht länger hingenommen werden kann. Die Beklagte hat
inzwischen jedoch ihre Satzung grundlegend geändert. Das bisherige Gesamtversorgungssystem ist, wie von den Tarifpartnern vorgesehen, mit
Ablauf des 31.12.2000 geschlossen worden. Nach der Neuregelung kommt es auf Vordienstzeiten überhaupt nicht mehr an. Vielmehr wird eine
Betriebsrente auf der Grundlage von Versorgungspunkten gezahlt, für die das zusatzversorgungspflichtige Entgelt, eine soziale Komponente und
Bonuspunkte maßgebend sind. Mithin ist den Anforderungen des BVerfG jedenfalls ausreichend Rechnung getragen. Nach der bis zum
31.12.2000 geltenden Satzung berechnete Renten führten zu höheren Leistungen der Beklagten. Durch die Neuregelung ist die vom BVerfG
gerügte Ungleichbehandlung mit Wirkung ab 1.1.2001 entfallen (BGH, Urt. v. 10.11.2004 - IV ZR 391/02, BGHReport 2005, 365 = MDR 2005, 508
= VersR 2005, 210, unter 2).
14 2. Keinen Anspruch auf die volle Berücksichtigung ihrer Vordienstzeiten oder eine sonstige von der satzungsgemäßen Halbanrechnung
abweichende Berechnung - wie etwa durch die von der Klägerin begehrte Erhöhung des Nettoversorgungssatzes oder eine
Nichtberücksichtigung der Vordienstzeiten auch bei der Bemessung der gem. § 40 Abs. 1, 2a VBLS a.F. anzurechnenden gesetzlichen Rente -
haben danach zum einen diejenigen Versicherten, deren Rente im Laufe des Jahres 2001 bis zum 1.1.2002 begonnen hat. Sie kommen durch
die neue Satzung (§§ 75 bis 77 VBLS) in den Genuss einer zeitlich begrenzten Übergangsregelung, die ihnen die Vorteile belässt, die sich für
sie aus dem am 31.12.2000 geschlossenen Gesamtversorgungssystem im Vergleich zu der seit 1.1.2001 geltenden Neuregelung ergaben (BGH,
Urt. v. 10.11.2004 - IV ZR 391/02, BGHReport 2005, 365 = MDR 2005, 508 = VersR 2005, 210, unter 2c).
15 Steht jedoch selbst diesen Rentenberechtigten keine weiter gehende Berücksichtigung ihrer Vordienstzeiten zu, kann diese auch nicht von den
Rentenanwärtern in der Situation der am …1992 bei der Beklagten angemeldeten Klägerin beansprucht werden. Ihre Betriebsrente richtet sich
grundsätzlich nach dem neuen Satzungsrecht (Punktemodell), in dem es auf Vordienstzeiten nicht mehr ankommt. Das alte System und damit die
vom BVerfG gerügte Ungleichbehandlung ist mit dem Systemwechsel auch für sie entfallen. Eine Benachteiligung allein dadurch, dass zur
Wahrung des im alten System und der Übergangszeit bis zum 31.12.2001 erdienten Besitzstandes die erlangte Versorgungsrentenanwartschaft
gem. §§ 78, 79 Abs. 2 VBLS n.F. im Wege der Startgutschrift für rentennahe Jahrgänge nach dem bis 31.12.2000 geltenden Recht der
Zusatzversorgung bestimmt wurde, ist bei Zugrundelegung der Rechtsprechung des BGH nicht ersichtlich
16 Die rentennahen Jahrgänge werden durch die Halbanrechnung ihrer Vordienstzeiten auch nicht ggü. Versicherten ungerechtfertigt benachteiligt,
deren Rente sich ausschließlich nach den Bestimmungen der neuen Satzung der Beklagten richtet. Das Niveau der von der Beklagten aufgrund
ihrer neuen Satzung zu leistenden Versorgungsrenten ist generell niedriger als bisher (BGH, Urt. v. 10.11.2004 - IV ZR 391/02, BGHReport 2005,
365 = MDR 2005, 508 = VersR 2005, 210, unter 2c). Dass die Klägerin wirtschaftlich i.E. schlechter steht als Berechtigte, deren Versorgungsrente
nach neuem Satzungsrecht ohne Rücksicht auf Vordienstzeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes berechnet wird, ist von ihr weder dargetan
noch ersichtlich. Gleiches gilt hinsichtlich einer Berechnung der Startgutschrift nach dem Recht der rentenfernen Jahrgänge gem. § 79 Abs. 1
VBLS n.F. i.V.m. § 18 Abs. 2 BetrAVG. Die Berechnung der Anwartschaft gem. 79 Abs. 2 VBLS n.F. führt im Regelfall zu einer höheren
Startgutschrift. Im Übrigen können auch die rentenfernen Jahrgänge eine von dem alten Recht abweichende Berücksichtigung der
Vordienstzeiten nicht verlangen (OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.11.2005 - 12 U 102/04, unter B IV 13b, veröffentlicht als Pressemitteilung unter
www.olgkarlsruhe.de).
17 3. Ob die der Klägerin erteilte Startgutschrift unter anderen Gesichtspunkten Bedenken begegnet, bedarf keiner Entscheidung, da die Klägerin
ihre Klage auf die Frage der angemessenen Berücksichtigung von Vordienstzeiten beschränkt hat (OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.11.2005 - 12 U
102/04, unter B.II.3; BAG ZTR 2004, 377, unter I.1 und 2, m.w.N.).
18 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die Vollstreckbarkeit stützt sich auf die §§ 708 Nr. 10,
713 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO bestehen nach Klärung der einschlägigen Grundsatzfragen durch den
BGH nicht mehr.