Urteil des OLG Karlsruhe vom 18.10.2007

OLG Karlsruhe (eintritt des versicherungsfalls, verletzung, vvg, versicherungsnehmer, versicherer, aug, zpo, vorsätzlich, württemberg, baden)

OLG Karlsruhe Urteil vom 18.10.2007, 12 U 9/07
Kaskoentschädigung: Wegfall der Leistungspflicht wegen Verletzung einer Aufklärungsobliegenheit bei
Angaben ins Blaue hinein
Leitsätze
Der objektive Tatbestand der Verletzung einer Aufklärungsobliegenheit setzt voraus, dass der
Versicherungsnehmer die Tatsachen kennt, zu denen er Angaben machen soll. Das ist aber schon anzunehmen,
wenn Angaben bewusst und für den Versicherer nicht erkennbar ins Blaue hinein gemacht und so Falschangaben
billigend in Kauf genommen werden.
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 20. Dezember 2006 – 5 O
125/05 – im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
1
Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
I.
2
Die Klägerin begehrt Leistungen aus einer Fahrzeugvollversicherung wegen eines Unfallschadens vom
28.12.2004. Am Unfalltag kam ihr Pkw Mercedes - Benz, E 270 bei der Auffahrt auf die A 61 in Richtung
Ludwigshafen von der Fahrspur ab und prallte gegen die Leitplanke. Die Beklagte verweigerte die geltend
gemachte Kaskoentschädigung, weil die Klägerin den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt habe, da sie mit
teilweise profillosen Reifen unterwegs gewesen sei. Sie hat sich ferner für leistungsfrei gehalten, weil die
Klägerin eine Gefahrerhöhung vorgenommen habe. Zudem habe die Klägerin sich unerlaubt vom Unfallort
entfernt, weshalb Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit eingetreten sei. Das
Landgericht hat der auf Zahlung von 7.111,10 EUR nebst Zinsen gerichteten Klage in vollem Umfang statt
gegeben. Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
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Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihr erstinstanzliches Begehren auf Klagabweisung weiter. Nachdem die
Klägerin im Berufungsrechtszug weiteren Vortrag zur Verwendung ihres Fahrzeugs gehalten hat, beruft sich die
Beklagte nunmehr auch auf Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit wegen falscher
Angaben in der Schadensanzeige.
II.
4
Der Klägerin steht kein Anspruch auf Kaskoentschädigung zu, da die Leistungspflicht der Beklagten wegen
einer Obliegenheitsverletzung in Wegfall geraten ist.
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Das Landgericht hat allerdings zu Recht entschieden, dass die Beklagte nicht wegen Verletzung einer
Obliegenheitsverletzung der Klägerin, begangen durch eine Unfallflucht, nach §§ 7 I (2), 6 Abs. 3 VVG
leistungsfrei ist und dass keine Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls
nach § 61 VVG bzw. wegen einer Gefahrerhöhung nach §§ 23, 25 VVG besteht.
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Die Beklagte ist allerdings gemäß §§ 6 Abs. 3 VVG, 7 I (2) und 7 VI (2) AKB wegen vorsätzlicher Verletzung
der Aufklärungsobliegenheit leistungsfrei geworden. Die Klägerin hat in dem von ihr ausgefüllten und
unterzeichneten Formular zur Schadensanzeige die Fragen nach ihrer Berechtigung zum Vorsteuerabzug und
nach der Zugehörigkeit des Fahrzeugs zum Betriebsvermögen verneint. Unstreitig sind beide Angaben falsch.
Der objektive Tatbestand der Verletzung einer Aufklärungsobliegenheit setzt allerdings voraus, dass der
Versicherungsnehmer die Tatsachen kennt, zu denen er Angaben machen soll. Auch insoweit trifft den
Versicherer die Darlegungs- und Beweislast (BGH VersR 1969, 694). Dieser ist allerdings hier schon dadurch
genügt, dass die Klägerin erklärt hat, sie habe die Fragen nicht verstanden, sie aber gleichwohl mit einer
Antwort versehen. Damit hat sie die Angaben - schon nach ihrer Darstellung - bewusst und für den Versicherer
nicht erkennbar ins Blaue hinein gemacht und Falschangaben billigend in Kauf genommen (vgl. auch BGHZ 87,
112 unter I 1 m.w.N.; Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., §§ 16,17 Rn. 30).
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Für die Entscheidung ist ferner davon auszugehen, dass die Klägerin diese falschen Angaben vorsätzlich
gemacht hat. Steht - wie hier - der objektive Tatbestand einer nach Eintritt des Versicherungsfalls zu
erfüllenden Obliegenheit fest, so muss der Versicherungsnehmer den Beweis dafür erbringen, dass er nicht
vorsätzlich gehandelt hat (BGH VersR 1999, 1004), denn der Vorsatz wird gesetzlich vermutet (BGH VersR
2002, 173; Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 6 Rdn. 121). Der Klägerin ist es nicht gelungen, diese Vermutung
zu widerlegen. Bei ihrer Anhörung im Senatstermin hat sie angegeben, das Fahrzeug sei steuerlich von Anfang
an als Geschäftsfahrzeug ihres Einzelhandelsgeschäfts behandelt worden. Auch die Sonderbehandlung wegen
einer teilweisen privaten Nutzung war ihr bekannt. Ihre Vorsteuerabzugsberechtigung war ihr ebenfalls geläufig.
Es liegen somit nicht einmal ansatzweise Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin hier nicht vorsätzlich
gehandelt hat. Der nicht nachgelassene Schriftsatz vom 26.09.2007 gibt keinen Anlass zu Wiedereröffnung der
mündlichen Verhandlung. Die dort behauptete Unerfahrenheit der Klägerin in geschäftlichen Angelegenheiten
hat sich dem Senat auf Grund des persönlichen Eindrucks gerade nicht erschlossen. Dass der angebotene
Zeuge P auf die Mitteilung des wahren Sachverhalts hin der Klägerin falsche Angaben angeraten hat, will die
Klägerin wohl selbst nicht behaupten.
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Nach der Relevanzrechtsprechung, die auch für die Fahrzeugversicherung gilt, kann der Versicherer sich
allerdings nur dann auf völlige Leistungsfreiheit berufen, wenn die vorsätzliche Verletzung der
Aufklärungspflicht generell geeignet ist, die berechtigten Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden
und dem Versicherungsnehmer ein erhebliches Verschulden zur Last fällt, wobei jedenfalls für das Fehlen des
Letzteren der Versicherungsnehmer beweispflichtig ist (BGH VersR 1984, 228). Darüber hinaus muss der
Versicherungsnehmer darüber belehrt worden sein, dass selbst folgenlos gebliebene Obliegenheitsverletzungen
zur vollen Leistungsfreiheit des Versicherers führen (BGH VersR 1993, 828). Diese Voraussetzungen liegen
hier vor, so dass die Beklagte leistungsfrei geworden ist. Die Belehrung belegt das von der Klägerin ausgefüllte
Formular zur Schadensanzeige. Die Berechtigung zum Vorsteuerabzug wird bedeutsam bei der Bemessung der
Ersatzleistung nach § 13 AKB und zwar in der Weise, dass der Vorsteuerabzugsberechtigte eine geringere
Leistung des Kaskoversicherers zu beanspruchen hat (Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 27. Aufl., AKB § 13
Rdn. 10). Dass hier nur ein gemindertes Verschulden anzunehmen wäre, ist nicht auszumachen. Insbesondere
ergibt sich ein solches nicht schon daraus, dass bei der späteren Anspruchserhebung die auf die
Reparaturkosten entfallende Mehrwertsteuer nicht geltend gemacht worden ist.
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Im Senatstermin ist erörtert worden, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des VVG zum 01.01.2008 zum
Ausdruck gebracht hat, dass in Zukunft die volle Leistungsfreiheit aufgrund einer Obliegenheitsverletzung nicht
mehr als regelmäßige angemessene Rechtsfolge gelten soll. Der Senat hat mit seinem Vergleichsvorschlag
versucht, den Grundgedanken dieser Neuregelung bereits jetzt im Rahmen des zwischen den Parteien
bestehenden Versicherungsverhältnisses wirksam werden zu lassen. Nachdem der Vergleich allerdings
gescheitert ist, ist der Senat gehalten, den Rechtstreit nach der derzeit noch geltenden Rechtslage zu
entscheiden. Danach muss es bei der vollen Leistungsfreiheit der Beklagten bleiben.
III.
10 Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit
beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen
nicht vor.